Hier atmen wir den salzigen Geruch der rauen See: „Son Of Rogue´s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs & Chanteys” – RowBulliesRow!

Wenn Schauspieler etwas mit Musik machen, ist das in der Regel immer eher mit Vorsicht zu genießen. Im Fall von Johnny Depp ist das jedoch anders. Vor seiner eindrucksvollen Karriere in Hollywood hat der Mime bereits mit eigener Band im Vorprogramm von Iggy Pop gespielt und in den letzten Jahren immer wieder abseits der Kamera musikalisch auf der ein oder anderen Veröffentlichung bekannter und weniger bekannter Bands einzelne Gitarrenparts beigesteuert. Gerade in der letzten Zeit wird die musikalische Seite von Johnny Depp in der Öffentlichkeit immer präsenter und da erscheint es dann fast nur logisch, daß er jetzt in gewisser Weise seine beiden Leidenschaften Film und Musik zusammenführt. Dieses gelingt ihm in gewohnt eigenwilliger Manier mit der Veröffentlichung der Doppel – CD „Sons Of Rogue´s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs & Chanteys”, die er mit dem Regiesseur der „Pirates Of The Carribean” – Trilogie Gore Verbinski und Hal Willner, als Nachfolger von dessen grandiosem Album „Rogue´s Gallery” aus dem Jahr 2006, produziert hat. Soviel kurz zu den Rahmenbedingungen.

Die Namen die auf diesem Albums im Fahrwasser der wieder gefundenen Piraten-Romantik angeheuert haben, können sich durchaus hören lassen. Eröffnet wird die Songsammlung von Shane MacGowan (The Pogues), der eine versoffene Version des Klassikers „Leaving Of Liverpool” ins  Mikro lallt und dabei von rockigen dreckigen Gitarren, satten Bläsern, Fiddle und was sonst noch so Krach macht begleitet wird.Vieles funktioniert auf diesem Doppelalbum auch mit gespenstisch klingendem Instrumentarium, Nebelhörner, polternden Drums, rostigen Gitarren und immer wieder Geigen und Akkordeon. Über die gesamte Länge dieses Doppelalbums bleibt eindeutig der folkloristische Einschlag der Songs und eine authentische Vokalarbeit im Ohr, intensive Gesangsparts und maritime Chöre. Tom Waits knarzt mit seiner einzigartigen Stimme die Ballade „Shennandoah” in den Raum und dabei ist fast alles auf Stimme und gespenstischen Klabauter – Chor reduziert.

Einzig Keith Richards setzt seine Gitarrenlicks wie Säbelhiebe kurz vor Ende dazwischen. Erholen kann man sich von dieser tiefen seelischen Anstrengung nicht lange, denn Beth Orton intoniert derart eindringlich ihre Story so dass es auf dem ganzen Körper Gänsehaut erzeugt. Die Songs dieser Kompilation atmen  den salzigen Geruch der weiten See und sind in vielen Fällen so spröde und rau interpretiert, dass sich die Bilder von knarzenden Segeln, schwankenden Schiffsplanken und rauchigen Hafenspelunken unweigerlich vor dem inneren Auge einstellen. Alles Wasser, alles Meer und Fluss – so besingen Michael Stipe und Courtney Love in einem wunderbaren unkonventionellen Duett den „Rio Grande”. Das meiste hier ist nicht unbedingt für die breite Masse verdaulich, zu eigenwillig und schräg wie ein Schoner bei starkem Wellengang kommen diese Lieder letztlich daher. Ausfälle gibt es jedoch wenig, bis auf zwei – drei Nummern, die aufgrund ihrer sehr modernen Umsetzung und paukenden Beats nicht in den Gesamtkontext dieser Zusammenstellung passen wollen und leider so etwas Gesamtfluss stören. „The Mermaid” von Patti Smith / Johnny Depp wiederum ist ein Song der ruhig und getragen in den Hafen einfährt und bei flackernder Kerze und einem Glas Rum die Sonne am Horizont schlafen legt.

Nicht nur Seebären der Neuzeit segeln auf diesem Album mit, auch Frank Zappa mit den Mothers tragen rein instrumental ein Stück Liedgut bei (Handsome Cabin Boy) und Dr. John (In Lure Of The Tropics) ist ebenfalls zu hören. Insgesamt handelt es sich um eine 36 Lieder umfassende Zusammenstellung mit den unterschiedlichsten Künstlern, die hier in der Anordnung des Albums unterm Strich wunderbar funktionieren.

Die uralte Tradition von Liedern über die See, Lieder von fernen Ländern, Liedern vom Warten am Dock, dass der Liebste zurück kommt nach Hause. Heute werden diese Songs noch immer gesungen – solange wir den Ozean schmecken können, die fliegenden Wolken ziehen sehen – und sei es nur in unseren Träumen.