Der Festivalsamstag startet mit offensichtlicher Katerstimmung und sehr wechselhaftem Wetter, bei dem sich bei noch sommerlichen Temperaturen immerhin in den frühen Morgenstunden zunächst auch mal die Sonne zeigt. Aber wie es immer so ist, sobald man zum ersten Konzert los will, fängt es traditionsgemäß erstmal an zu regnen, was mich aber nicht sonderlich beeindruckt, da mich mein Weg direkt zu den Folk-Newcomern Hudson Taylor ins Zelt führt (14:30 Uhr White Stage). Noch bevor das junge Brüderpaar Harry und Alfie überhaupt die Bühne betreten, gibt es in dem vorwiegend sehr jungen, weiblichen Publikum bereits erste Rufchöre nach den irischen Indie-Chart Stürmern, die noch nicht mal ihr Debüt herausgebracht haben. Doch das interessiert die Fans herzlich wenig, denn die gehen hier zu den folkigen, mitreißenden Songs wie “Pray For The Day” oder “Watchtower” im Mumford & Sons -Stil total ab und zeigen sich in jedem Song absolut textsicher. Nach einigen sehr ruhigen Songs präsentieren sie uns ebenfalls ein sehr gelungenes Cover vom Simon & Garfunkel Klassiker “Mrs. Robinson”. Ein wirklich erfrischender Auftritt dieses jungen Trios, das sein Set schließlich mit ihrem Erfolgshit “Battles” und einem Riesenjubel als Höhepunkt beendet.
Auf dem Festivalgelände herrscht derweil noch eine extrem entspannte Atmosphäre, fast verschlafen kann man sagen, dabei ist der Samstag sicherlich einer der musikalisch spannendsten Tage mit leider auch den meisten Slotüberschneidungen in meinem Timetable. Deshalb geht es bei Sonnenschein zunächst auf dem kürzesten Weg weiter zum britischen Quintett von The Maccabees (15:15 Uhr Green Stage), die mich schon im Vorjahr auf zwei Festivals begeistern konnten. Nach der Hitze im Zelt genieße ich die frische Luft auf dem Rasen sitzend mit ihren angenehm rockigen Indiesounds im Ohr. Obwohl noch nicht allzu viel los ist, wird in der Front of Stage Area schon ordentlich zu den recht flotten Beats getanzt und gefeiert, die Band versteht es mit den Fans zu kommunizieren und sie hervorragend zu animieren, wohingegen weiter hinten leider durch den auffrischenden Wind nicht mehr so viel von der Stimmung und dem Sound ankommt.
Eine absolut imposante Vorstellung davon, was man mit einem jungen Orchester so alles anstellen kann liefert uns im Anschluss das The Kyteman Orchestra (16:00 Uhr Blue Stage). Der Kopf des ganzen ist der niederländische Hip-Hop Experte Colin Benders, genannt Kyteman, mit seinem Orchester aus über 18 Musikern, die in einer äußerst anspruchsvollen Form Klassik und Hip-Hop verbinden und sich die Spannung zwischen den beiden Genre somit zu Nutze zu machen. Darüber hinaus integriert das Ensemble weitere Genre wie Jazz, Blues, Rock, Pop und Drum & Bass und hat dabei offensichtlich riesigen Spaß. Auch das Publikum ziehen sie sowohl mit ihrer teils gewaltig-opulenten Instrumentierung, als auch mit den zarten Tönen des Jazz und Blues absolut in ihren Bann. Bei den Rap- Parts stehen zum Teil mehrere Rapper zusammen auf der Bühne, während das Publikum im Takt mit den Armen pulsiert. Insgesamt eine wahnsinnig beeindruckende Inszenierung, die ich als sehr positiv “andere” Erinnerung an dass Hurricane Festival von diesem Tag mit nach Hause nehme.
Während viele Festivalbesucher die sonnigen Wetterabschnitte lieber auf der Wiese verbringen, schauen wir bei der in Deutschland noch als Geheimtipp gehandelten südenglischen Band British Sea Power (16:45 Uhr White Stage) vorbei, die aufgrund starker Einflüsse von Bands wie Joy Divison oder New Model Army grob dem Post-Punk zugeordnet wird. Das Quintett um Frontmann Yan Scott Wilkinson gibt sich naturverbunden und staffiert das Bühnenbild mit liegendem Braunbär, Geweihen sowie einem “lebend” -tanzenden Eisbären aus. Die musikalische Zuordnung fällt wegen der Vielseitigkeit nicht leicht, kraftvolle Indie-Rock Beats mit mit viel Drums und Bässen sind ebenso mit im Programm wie melodische Balladen oder Rockhymnen, die mit einer Prise “Krautrock” angereichert zumindest ihren bereits eingeschworenen Fankreis begeistern, denn leider ist das Zelt heute nicht annähernd gefüllt zu ihrem Set. Sicherlich lohnt es sich mal eins ihrer Clubkonzerte anzuschauen, vielleicht sind sie ja im Rahmen des gerade veröffentlichten Albums “Machineries of Joy” im Herbst mal wieder bei uns zu Gast.
Mittlerweile strömen auch die Massen auf das Festivalgelände, welches sich jetzt sichtlich füllt. Nach einer kurzen Runde an der frischen Luft geht es schnell wieder rein ins Zelt zu dem US-Folk-Virtuosen Darwin Deez (18:00 Uhr White Stage), dessen Konzert ich vor zwei Jahren wegen Überfüllung der Red Stage damals nur von draußen hören konnte. Heute ist es hingegen eher leer, was wohl an den parallelen Auftritten von Bloc Party und Frittenbude liegen muss, aber genügend Indie-Folk Publikum ist dennoch gekommen, das sich immer wieder begeistert die belustigende Tanz-Performance seiner Combo zu Beginn des Sets anschaut. Irgendwie kann mich jedoch weder der dumpfe Sound noch die rücksichtslose Drängelei der Fans in der White Stage so richtig überzeugen, und so zieht es mich direkt weiter nach draußen zu den wieder einmal perfekt aufspielenden Bloc Party um Sänger Kele Okereke (18:00 Uhr Green Stage). Nach mehrfachen Pausen und erneuten Trennungsgerüchten beehren uns die Indie-Rocker aus London mit ihren wunderbar schwungvollen Melodien heute vielleicht zum letzten Mal, nachdem sie im letzten Jahr noch ihr Album “Four” herausgebracht haben. Zu den gitarrengeprägten, teils sehr rockigen und treibenden Beats wird vorne richtig rumgesprungen und sogar bis ganz hinten mitgetanzt und mitgeklatscht, vor allem zu ihrem grandiosen Hit “Banquet”, aber auch zu den Songs des neuen Albums wie “Octopus” und “Truth”. Kele beschert uns hier eine tolle Feierstimmung an der Green Stage, und das obwohl es bereits wieder einmal zu regnen beginnt und der Blick zum Himmel nichts Gutes verheißt. Hoffentlich sind es nur Gerüchte um ihre Trennung und wir sehen Bloc Party bald schon wieder auf der Bühne, denn auch mit neuer Drummerin ist ihre live Performance einfach Spitzenklasse.
Die dunklen Regenwolken entleeren sich dann schließlich direkt zu Beginn des Auftritts der isländischen Folk-Pop Newcomer Of Monsters And Men (19:30 Uhr Green Stage), die gerade erst ihr Debüt herausgebracht haben und jetzt schon auf der Hauptbühne des zweitgrößten deutschen Rockfestivals stehen, Respekt! Zunächst dachte man, dass sie besser auf der Blue Stage platziert wären, aber der Andrang hier sollte mich eines besseren belehren. Auch wenn ihre Musik besser zu strahlendem Sonnenschein passen würde, spielen die Isländer sich mit ihren eingängigen, verträumten Melodien und den vielen mitsingtauglichen “Lalalaaaa´s” und “Ohohoooh´s” in die Herzen der Zuschauer. Sie präsentieren uns trotz der widrigen Umstände auf der Bühne ein liebevolles Set mit den Songs ihres bisherigen Repertoires aus ihrem Album “My Head Is An Animal”, wobei “Little Talks” sicherlich das bekannteste ihrer Stücke sein dürfte, zu dem dann auch noch einmal kräftig mitgesungen wird.
Nach konsequenter personeller Umstrukturierung der Band und noch bevor das aktuelle Album der Editors “The Weight Of Your Love” erscheint, präsentiert uns Frontmann Tom Smith mit seiner jetzt fünfköpfigen Besetzung (20:45 Uhr Blue Stage) sowohl einige der neuen unveröffentlichten Songs wie das hymnische “A Ton Of Love”, als auch viele der älteren musikalischen Kracher, die das Publikum zum Mitsingen, Tanzen, Springen und regelrecht zum Ausflippen bringen, und das sogar trotz des erneut einsetzenden Regens. Mit dem mitreißenden “Bones” aus dem vorletzten Album “An End Has A Start” starten sie druckvoll in ihr Set, mit gleichnamigem Song und “Racing Rats” gelingt es den charismatischen Engländern sofort, das Publikum in den Bann ihrer dynamisch antreibenden Musik zu ziehen. Das großartige “Papillon” darf als Höhepunkt im Set natürlich nicht fehlen, und auch diesmal war es ein wundervolles Konzert, welches nach der längeren Pause der Editors jetzt wieder mächtig Lust auf ihre energiegeladenen Live-Performances und ihre Clubkonzerte im Herbst macht.
Nur mit einer Gitarre bewaffnet steht er auf der riesig wirkenden Bühne, Singer-Songwriter Mike Rosenberg alias Passenger (22:00 Uhr Red Stage), das Übrigbleibsel einer Band, die sich trennte. Doch jetzt ist er allein, und das tut seiner Musik wie auch seiner Karriere offensichtlich ausgesprochen gut, denn Passenger füllt auch Solo mit seiner “All The Little Lights”-Tour bereits große Venues. Direkt zu Beginn fordert uns der sympathische Folk-Musiker dazu auf, das Konzert und den Moment einfach mal ohne Handy und Kamera zu genießen, was von dem sehr zahlreich an der Red Stage erschienenen Publikum tatsächlich weitestgehend berücksichtigt wird. Mit seiner charakteristischen Stimme und der Akustikgitarre verleitet er uns mit “Life’s For The Living”, “Blind Love” und natürlich seinem Erfolgshit “Let Her Go” zum Träumen, bunte Luftballons und Seifenblasen tanzen über uns hinweg und alle sind irgendwie glücklich. Außerdem hat er noch ein tolles Cover von “The Sound Of Silence” mit im Gepäck. Das “Lalalalala” des Refrains von “I Hate” singt schließlich das gesamte Publikum lautstark mit, so dass Passenger davon völlig beeindruckt ist. Auch von der Tatsache, noch vor einem Jahr vor fünfzig Leuten in Hamburg ein Konzert gespielt zu haben und jetzt hier auf der Bühne beim Hurricane Festival zu stehen, wofür er sich bei seinen Fans ausdrücklich bedankt. Diese sind derart enthusiastisch, dass sie Passenger einfach nicht gehen lassen wollen, so dass Mike Rosenberg für uns noch einen seiner neuen Songs, sowie ein Bruce Springsteen Cover von “Whispers” singt. Es ist das einzige Mal auf dem diesjährigen Hurricane Festival, bei dem ich sogar zwei Zugaben erleben darf. Ein wahrhaft tolles Konzert!
Im Anschluss lasse ich mir es nicht nehmen, den als Ersatz für die ausgefallenen Modest Mouse eingesprungenen Ex-Razorlight Frontmann Johnny Borrell mit seiner neuen Band Zazou anzuschauen (23:30 Uhr Red Stage). Der Glamour der Libertines und Razorlight -Zeiten scheint längst vorbei zu sein, so wirkt das ganze Projekt auf die interessierten Zuhörer eher wie eine vergnügliche Jam-Session, da ist sogar der neu interpretierte Razorlight Song “In The City” kaum wiederzuerkennen. Nach anfänglichen Technikproblemen kommt die Band dann doch noch ganz gut in Tritt, Johnny´s Stimme und sein Songwriting mögen nach wie vor qualitativ hochwertig sein, nur kann mich der im 50`s Sound gehaltene Classic Rock´n Roll im Party-Stil, so wie er seine Musik selbst beschreibt, als auch die Art dieser Performance nicht wirklich überzeugen, obwohl eigentlich ganz gute Songs dabei waren. Aber dafür habe ich heute wohl einfach schon zu gute Bands gesehen.
Leider hält auch der mittlerweile echt lästige Regen weiter an, so dass ich mich dann frühzeitig auf den Weg zur White Stage mache, um dort die Nacht im Trockenen und mit tollen Electro-Swing Beats der Parov Stelar Band (00:30 Uhr White Stage) tanzend ausklingen zu lassen. Im fast komplett vollen Zelt herrscht bereits ausgelassene Partystimmung, Ausnahmeproduzent und DJ Parov Stelar erschafft in seinen DJ-Sets mit Unterstützung von ausgezeichneten Live-Musikern (Sängerin, Bläser, Rhythmusinstrumente etc.) die perfekte Symbiose von Electro und Swing, bei der kein Tanzbein mehr still stehen kann. Die sensationell gemixten Beats in Verbindung mit Gesang und Bläsern sorgen für eine besondere Retro-Stimmung, die bei den Fans eine richtige Tanz-Euphorie auslöst. Das Publikum wird von Sängerin Cleo Panther angeheizt, die mit ihrem heißen Outfit auch für den optischen Reiz an der ganzen Performance zuständig ist. Eins steht fest, für Parov Stelar muss man unbedingt ausgeruhte Füße und bequeme Schuhe haben, doch leider schaffe ich es nach zwei Tagen in Gummistiefeln tanzend nur noch bis zu dem herrlich groovigen Song “Jimmy´s Gang”, einer meiner Favoriten ihres Repertoires. Während die Mehrheit noch bis spät in die Nacht weiter swingt, mache ich mich nach elf Bands am heutigen Tag auf den Rückweg zum wohlverdienten Schlafplatz, um auch am morgigen letzten Festivaltag wieder fit für grandiose Konzerte zu sein.