Alle Jahre wieder lockt das Open Air im Amphitheater die Menschen nach Trier. Die schönste Spielstätte in der Region: historische Kulisse, entspannte Stimmung im angenehmen Ambiente, eine gelungene Auswahl von Topacts. Diesmal waren Gentleman, The Bosshoss und Tim Bendzko dran. Den Reggae-Künstler am Freitag konnte ich mir leider nicht gönnen, doch bei den Country- und Rock’n’Roll-Legenden am Samstag und dem Deutsch-Pop-Aufsteiger am Sonntag war ich mit dabei.
Vor allem samstags war die römische Arena bestens gefüllt. Locker in Richtung 4.000 Leute ging die Zuschauerzahl. Wer hätte das gedacht? The Bosshoss haben sich von einer Spaßband zu ernst zu nehmenden Rockern entwickelt. Da hat sich die Jury-Mitgliedschaft der Protagonisten bei “The Voice of Germany” auf jeden Fall ausgezahlt. Ich muss gestehen: Zu Beginn fand ich die beiden Vögel äußerst suspekt, doch der Sympathiefaktor ist mit jeder Sendung weiter gestiegen. Einfach coole Typen – das bewiesen sie auch in Trier.
Zuerst war jedoch eine Truppe aus Norwegen dran: Den Support übernahmen The Carburetors. “Fast Forward Rock´n´Roll” nennen die fünf Männer ihren Stil. Das passt. Anleihen an großen Vorbildern wie AC/DC und Motörhead sind nicht zu verleugnen. Die entsprechenden Posen haben sie auch ganz gut drauf. Musikalisch war es die perfekte Einstimmung auf The Bosshoss. Straight nach vorne, viel Gitarrenarbeit und Draufkloppen was das Zeug hält. So mag man das.
Dann war die Mannschaft um Boss Burns und Hoss Power am Zug. Dass es heute um countrymäßig angehauchte Musik gehen sollte, sah man allerorten: Cowboyhüte, hohe Stiefel, sogar Sporen konnte ich erblicken. Die Männer eindeutig in der Überzahl (und damit der perfekte Kontrast zu Bendzko am Sonntag). Die siebenköpfige Band hat sich über die Jahre seit Gründung (2004) stark entwickelt. Spielte man zu Beginn nur stilistisch umgewandelte Coversongs bekannter Künstler (ähnlich wie The Baseballs), gibt es Jahr um Jahr mehr eigene Songs, die mit Herzblut dargeboten werden und nach Rodeo, Texas und Wüstensand schmecken. Das aktuelle Album “The Liberty Of Action” ist der Höhepunkt dieser Entwicklung und bietet mit “Don’t Gimme That” einen lupenreinen Radiohit.
Country, Punk, Funk, Rockabilly – diese Mischung bekommt man auf ihren Konzerten zu hören. Unterstützt wird das Ensemble zudem von der Bläsertruppe The Tijuana Wonderbrass, die dem Auftritt noch eine mexikanische Note mitgeben. Es gibt hauptsächlich eigene Songs, aber stets auch Anleihen an Vorbildern wie Elvis Presley und Hank Williams, einige disco-kompatible und dennoch stilistisch komplett vereinnahmte Pop-Cover sowie durchaus ruhige Momente vor allem in der Mitte des Sets. “I Keep On Dancing” überzeugt, die neue Single “Live It Up” und auch das ruhige “Say A Little Prayer”. Erst am Vortag hatten die Berliner das Open Air in Wacken gerockt. Was Heavy Metal-Fans antörnt, kommt auch in Trier gut an.
Der Auftritt überzeugte fast durchgehend und das Publikum war bester Stimmung. Etwas Kritik muss allerdings erlaubt sein: Die englischen Ansagen mit texanischem Akzent sind zwar ein netter Gag, man muss das aber nicht ein komplettes Konzert lang durchziehen – wo doch jeder weiß, dass die Band aus Berlin stammt. Das fand ich etwas affig. Und es gab einige Längen im mittleren Konzertdrittel, die erst durch besagten Singlehit durchbrochen wurden. Alles in allem jedoch sehr solide und man kann resümieren: The Bosshoss haben Trier gerockt.
Sonntags war dann der Abend für zartere Gemüter. Die Zuschauerzahl hatte sich gegenüber dem Samstag ungefähr halbiert, konsequenterweise waren dann auch die weiblichen Gäste haushoch in der Überzahl. Tim Bendzko hatte per Abstimmung eruiert, dass ca. 300 Männer anwesend waren, davon sich nur 25 outeten, wovon 24 vom Partner mitgeschleppt waren und nur einer freiwillig dort war. Mag stimmen.
Die Mädels lieben halt Bendzkos Lockenkopf. Anscheinend weckt er auch Muttergefühle: “Man will glatt hingehen und ihn knuddeln”, hieß es links neben mir. Den Anfang machte allerdings eine Band mit Sängerin. Mobilée lieferten charmante englischsprachige Songs, die zwischen Folk und eingängigem Pop zu verorten waren. Das erste Album wird “Walking On A Twine” heißen und am 31. August erscheinen.
Im Anschluss erhöhte sich dann der Kreischfaktor um ein Vielfaches. Die Bandmitglieder Bendzkos traten auf, es wurde laut. Als der Shooting Star der deutschen Musik selbst zu den Klängen von “Du warst noch nie hier” die Bühne betrat, gab es kein Halten mehr. Ohrenschutz erforderlich – nicht wegen Musik, sondern wegen Teenie-Organen. Er wollte “Nur noch kurz die Welt retten” – inzwischen ist die Mission überaus erfolgreich und seine Musik erreicht immer mehr Menschen. Ich nehme mal die Region Trier als Beispiel: Im Juli 2011 war Tim Bendzko als Support von Philipp Poisel dort. Mit einem 20minütigen Kurzauftritt, obwohl er gerade die Album-Charts gestürmt hatte. Dann war ein Konzert in der Tufa angesetzt, das in die größere Europahalle verlegt wurde – trotzdem ausverkauft. Jetzt ist er Headliner bei der renommierten Open-Air-Reihe im Trierer Amphitheater. Wer hat so etwas zuvor in so kurzer Zeit geschafft?
Ja, Tim Bendzko ist ein Phänomen. Immer noch überaus sympathisch und bescheiden, obwohl ihm die Fans mittlerweile die Bude einrennen. Der Titel seines ersten Erfolgssongs wurde zum Synonym für die vielbeschäftigte Internet-Welt und zum geflügelten Wort. Doch auch die Nachfolge-Singles “Wenn Worte meine Sprache wären”, “Ich laufe” und “Sag einfach ja” erreichen und berühren seine neuen Fans. Bendzko singt sehr emotional und eindringlich. Es geht um die unbekannte Zukünftige (“Du warst noch nie hier”), die Schwierigkeit, sich einem lieben Menschen zu erklären (“Wenn Worte meine Sprache wären”) und die Lust am Nichts-Tun (“Keine Zeit”). Er findet für viele Situationen die richtigen Lyrics und regt zum Nachdenken an. Auch live ist alles sehr ruhig gehalten ist und die Songs sind auf das Nötigste reduziert. Mal mit Cello oder Akkordeon versehen, dann mit dezenter Pianobegleitung – und natürlich kann die Band auch hin und wieder ordentlich abrocken.
Bendzko nutzte die schöne Atmosphäre, kommunizierte viel mit dem Publikum und baute immer wieder “Trier” in seine Songs ein. Schon erstaunlich, wie viele Songzeilen bei ihm mit “mir” oder “dir” enden und sich in der alten Römerstadt wundersam ersetzen lassen. Das laue Sommerwetter hielt bis zum Schluss. Erst nach gut 100 Minuten Konzertlänge gab es erste Regentropfen und die meisten dürften es noch trocken bis zum Auto geschafft haben, bevor Blitz und Donner durch die Wolken traten. Reggae, Countryrock und Deutschpop waren eine gute Mixtur für 2012. Wir sind gespannt, was sich Popp Concerts für 2013 einfallen lassen.