In den Neunziger Jahren galten Selig als eine Art Gegenpol zum Diskurspop der Hamburger Schule. Sie beackerten lieber das Feld, auf dem zu jener Zeit die Blüten des Stoner-Rock, Psychedelica oder Grunge gediehen. Nach nur drei Alben war dann plötzlich Schluß. Neun Jahre lang. 2008 gelang ihnen mit “Und endlich unendlich” ein sensationelles Comeback. Es war das erste mit Gold ausgezeichnete Selig-Werk überhaupt und der Nachfolger “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” stand dem in nichts nach. Beide Alben reflektierten den Prozeß der Selbstfindung dieser fünf ungleichen Freunde und Musiker. Jetzt ist es an der Zeit den Blick nach außen zu richten.
Damit begann die Band bereits nach den letzten Konzerten der “Von Ewigkeit zu Ewigkeit”-Tour im Sommer 2011, als “zweiunddreißig neue Songs mit Textinhalt und über vierzig Skizzen” entstanden, wie Bassist Lenard Schmidthals und Sänger Jan Plewka vor kurzem im Gespräch mit Musicheadquarter verrieten (Interview mit Lenard Schmidthals und Sänger Jan Plewka 2013). Zwölf davon haben es schließlich auf “Magma” geschafft. Aufgenommen wurde das sechste Selig-Album in den englischen East Midlands, in einem winzigen Kaff, in dem es nicht einmal einen Pub gab. Das Studio lag in einer kleinen, umgebauten Kirche. Waren die vorangegangenen Alben alle in Eigenregie entstanden, so verpflichtete man für “Magma” wieder einen Produzenten. Aber nicht irgendeinen, sondern mit Steve Power gleich den “Rick Rubin von Europa”. Power hat bereits mit Hochkarätern wie Blur, Joe Cocker oder Kylie Minogue gearbeitet und war maßgeblich an der Entstehung der ersten fünf Robbie Williams-Alben beteiligt. Der Mann versteht also was von seinem Handwerk.
Vergleicht man “Magma” etwa mit “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” dann merkt man, wie gut Jan Plewka, Lenard Schmidthals, Gitarrist Christian Neander, Drummer Stephan Eggert und Keyboarder Malte Neumann die Freigabe des Produzentenstuhles getan hat. Die Songs haben einiges an Volumen gewonnen. Kritiker könnten zwar einwenden, dass “Magma” der raue, ungeschliffene Charme seiner Vorgänger fehlt, aber das Quintett wirkt hörbar befreit und bezieht seine emotionale Kraft einzig aus sich und den bisherigen zwanzig Jahren seines Bestehens mit all den Erfolgen, Niederlagen und Zerwürfnissen. Exemplarisch für diesen Reifeprozeß steht die aktuelle Single “Alles auf einmal”, die auf die Probleme verweist, die vor allem Jan Plewka in den Neunzigern mit dem Ruhm hatte. Oder “Schwester Schwermut”, ein Stück, in dem die dunklen Zeiten als ein Teil des Lebens akzeptiert werden und für das der viel diskutierte Film von Lars von Trier “Melancholia” Pate stand.
Trotz dieser thematischen Schwere klingen Selig auf “Magma” so frisch wie selten zuvor. Da lädt sogar eine Liebeskummerballade wie “Wenn ich an dich denke” zum Tanzen ein. Ganz zu schweigen von “Love & Peace”, einem wilden Parforceritt durch die politische und gesellschaftliche Geschichte der vergangenen drei Jahrzehnte. Schön die Idee, den Chorus mit einem Fanchor zu unterlegen, der bei der letztjährigen “In Bed with Selig”-Clubtour quer durch Deutschland aufgenommen wurde. Überhaupt zieht sich das Thema Zeit wie ein roter Faden durch das Album, nicht nur in dem gleichnamigen Song. Den zweiten Schwerpunkt bildet das Wasser. Auffallend häufig bezieht sich Jan Plewka in seinen Texten auf das Meer, besonders deutlich im wunderschönen “Der Tag wird kommen”. Alles ist im Fluß, alles ist in Bewegung, auch Selig. Wohl nicht ganz zufällig lauten die letzten Worte des Closers “Magma” – der sich musikalisch stark an The Doors anlehnt – “Nichts hält mich fest”. Ein Ruf, der langsam verhallt und doch als Motto über der gesamten Karriere von Selig stehen könnte.
“Magma” ist ein ebenso aufrüttelnder wie nachdenklicher, manchmal ernster, aber vor allem quicklebendiger Vulkan von einem Album geworden. Man merkt ihm an, dass Selig als Band und Freundeskreis endgültig bei sich angekommen sind. Dass sie die Freude darüber auch nahtlos auf die Bühne übertragen können, haben sie schon auf der “In Bed with Selig”-Tour bewiesen. Am 04.02. wird die Band übrigens bei “TV Total” zu Gast sein und am 08.02. folgt eine längere Doku auf D-Max.
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