Nachdem sein Album Positive Songs For Negative People vergangenen Freitag in Deutschland erschienen ist, kündigt der Folk-Barde Frank Turner eine Tour durch die kleinen Hallen der Republik an. Mal alleine, mal mit den Sleeping Souls, seinen Dauerbegleitern.
Unmittelbar beim Betreten des Innenbereichs der Freilichtbühne der Loreley war zu erahnen, dass nicht nur aufgrund des absolut perfekten Sommerwetters ein erinnerungswürdiger Open-Air Konzertabend bevorstehen wird:
Der Blick fällt zunächst unweigerlich auf eine heißluftballongroße, gasgefüllte Riesen-Glühbirne, welche aufrecht inmitten des Publikums steht und vor dem Hintergrund des sonnenbeschienen Rheintals ein surreales Bild abgibt. Während die Zuschauermenge bei kalten Getränken und warmem Essen in der noch scheinenden Sonne auf den Hauptact wartet, betritt um 19.45Uhr zunächst die 6- köpfige Band “Deaf Havana” die Bühne, um den Konzertabend mit einer guten Dreitviertelstunde britischem Alternative Gitarrenrock einzuleiten.
Schließlich nehmen Matt Bellamy, Chrisopher Wolstenhome und Dominic Howard, ergänzt durch einen vierten Mann am Keyboard, die Bühne mit ihrem elektronischen Dubstep Opener “The 2nd Law: Unsustainable” ein und eröffnen damit ihr erstes Open-Air Konzert in Deutschland auf ihrer “The 2nd Law” Welttournee. Passend zum Intro wird das entsprechende Musikvideo auf den großen Leinwänden abgespielt, zu dem gleich am Anfang wie aus dem Nichts der dem Musikvideo entsprungene übergroße Roboter “Charles” inmitten des Publikums auftaucht und sich seinen Weg mitten durch die faszinierte Menge bahnt. Als Fortsetzungen folgen direkt der Gitarrenknaller “Supermacy” vom aktuellen Album “The 2nd Law” und der Klassiker “Supermassive Black Hole” mit einem stets wie gewohnt wild auf der Bühne umherspringenden Matt Bellamy, der trotz seiner Bühnenakrobatik nie einen einzigen falschen Ton auf der Gitarre greift.
Das bis dahin insbesondere für die hinteren, höher positionierten Ränge gefühlte Fehlen der Lightshow, welche aufgrund der Helligkeit unter freiem Himmel noch gar nicht in ihrem vollen Ausmaß wahrgenommen werden kann, wird zwischenzeitlich durch die musiksynchrone Pyrotechnik, bestehend aus Rauch- und Feuerspeiern an der vorderen Bühnenkante, mehr als wett gemacht! Doch je weiter sich die Sonne schließlich senkt, desto mehr kommt auch die durch etliche im Publikum positionierte Nebelmaschinen unterstützte Lightshow zur Geltung und setzt der Performance von MUSE die Krone auf.
Den ersten Höhepunkt erreicht das Konzert, als Bassist Christopher Wolstenholme mit seiner Mundharmonika das Intro zu Ennio Morricones “Man with a Harmonica” einleitet, in welches nach und nach die gesamte Band einsteigt und schließlich nahtlos in “Knights of Cydonia” übergeht. Die bis dahin absolut perfekte Performance von MUSE, deren Stil sich mit Recht als Progressive Rock bezeichnen lässt, in dem zahlreiche Gitarren, ein meist hart verzerrter Bass und zahlreiche elektronische Elemente vermischt werden, wird aber noch ein weiteres mal getoppt:
Passend zu “Guiding Light”, dem inzwischen 15. Song des Abends, steigt plötzlich die eingangs erwähnte Riesen-Glühbirne zum Himmel empor, um 20 Meter über den Köpfen des Publikums mitten in der Luft zu verharren. Der an sich schon atemberaubende Effekt wird aber zusätzlich noch durch eine Tänzerin gesteigert, die aus dem unteren Ende der Glühbirne fällt und nur an einem Seil hängend in der Luft zu tanzen beginnt. Dabei lässt sie mehrere Hände voller Konfetti über den fasziniert dreinblickenden Zuschauern niedergehen, wodurch der Eindruck entsteht, dass die riesige Glühbirne tatsächlich Funken sprüht. Unterstützt durch die Lightshow mögen sich an dieser Stelle zahlreiche Zuschauer an Live Perfromances von Pink Floyd erinnert fühlen, die ihre Konzerte stets mit ähnlich bombastischen Effekten geschmückt haben.
Die beiden letzten Stücke “Undisclosed Desires” und “Stockholm Syndrome” runden das Hauptset des Konzert schließlich ab. Danach betreten MUSE abermals die Bühne zur Zugabe: Ähnlich wie zu Beginn des Konzerts wird auch die Zugabe eingeleitet – diesmal durch “Isolated System”. Letztendlich folgen “Uprising”, “Starlight” und “Survival”, womit ein absolut fantastischer Konzertabend zu Ende geht und überglückliche, feiernde Fans zurücklässt, deren Hochstimmung noch beim Verlassen des Konzertgeländes von allen Seiten zu spüren ist.
Das dänische Quartett The Rumour Said Fire hat gerade kürzlich ihr neues Album “Dead Ends” veröffentlicht, über welches wir hier ausführlich berichteten, und schon sind sie auf ihrer Tour bei uns im Hamburger Molotow zu Gast.
Ebenfalls aus Dänemark stammt die sympathische Supportband Dad Rocks!, die das Konzert an diesem späten Mittwochabend im noch nicht vollends gefüllten Molotow eröffnen. Die doch recht junge Band um den isländischen Frontmann und Mastermind Snævar Njáll Albertsson hat das Glück, vor absolut respektvollem und zuhörendem Publikum zu beginnen, was bei vielen Konzerten ja nicht unbedingt selbstverständlich ist. Sie spielen sich mit ihren wundervollen akustischen Folk-Pop-Melodien direkt in die Herzen der Zuhörer, wobei ihre Musik erstaunlicherweise ganz ohne Drums auskommt. Sie verzaubern das Publikum mit geschmackvoll abgestimmten, sanften Harmonien mit teils sogar dreistimmigem Gesang, der durch die Begleitung der Akustikgitarre und der Geige absolut überzeugend wirkt.
Als The Rumour Said Fire gegen 22:00 Uhr die Bühne betreten, ist das Molotow inzwischen mit einem angenehm international durchmischten Publikum gut gefüllt, wenn auch nicht ganz ausverkauft. Die Band zeigt sich zu Beginn eher gesprächsarm, ob dies Schüchternheit ist oder sie einfach nur sehr konzentriert sind, werden wir dann sehen. Das Quartett startet direkt mit “Provence III” in ihr Set, bei dem Jesper Lidang´s zarter, aber dennoch kräftiger Gesang wunderbar zur Geltung kommt. Lediglich das auf dem Album eingespielte Saxophon fehlt leider bei der Live-Performance, aber ansonsten bestätigt die heute fünfköpfige Band ihre Leistung vom Album durchweg. Im Anschluss kommt dann schon direkt mein persönlicher Ohrwurm “Voyager”, bei dem das Publikum mittlerweile langsam aus der passiv-zuhörenden Position in die aktive Bewegung kommt. Aber auch ich bin heute ein erstaunter “Zuhörer”, denn das was The Rumour Said Fire hier live performen begeistert und fesselt mich zugleich. Von ihrer Musik geht eine Faszination aus, die mir schon beim Hören von “Dead Ends” sehr positiv aufgefallen ist. Im Verlauf des Konzerts wird Frontmann Jesper dann auch etwas kommunikativer, was der relativ verhaltenen Stimmung im Raum definitiv zugute kommt.
Mich begeistern live vor allem die treibenden Songs wie “Reckless Hearts”, aber natürlich haben auch die ruhigen, eher dem Folk zugeordneten Songs wie “Sleep” sowie “Air Force” von ihrem Debütalbum “The Arrogant” ihren Reiz. Erst gegen Ende des Konzerts animiert Jesper Lidang dann endlich sein Publikum zum Mitklatschen, und selbstverständlich spielen sie schließlich auch noch das allseits beliebte “The Balcony”, welches ihnen in Dänemark mit zum Durchbruch verhalf. Sichtlich aufgetaut und entspannter als am Anfang beenden The Rumour Said Fire ihr wirklich großartiges Set gegen 23:00 Uhr mit dem recht pop-rockigen “Dead Leaves”, bei dem noch mal richtig mitgetanzt wird.
Insgesamt liefern die talentierten Dänen von The Rumour Said Fire hier ein tolles Set ab, schade nur, dass sie nicht für eine Zugabe zurück auf die Bühne kommen, denn der ein oder andere hätte sich wohl noch einen Song mehr von ihrem Debütalbum gewünscht. Dafür nehmen sich alle Musiker nach dem Konzert ausgiebig Zeit für ihre Fans, signieren fleißig am Merch-Stand und stehen allen zum kleinen Klönschnack zur Verfügung. Ich hoffe, dass wir die sympathischen Musiker bald wieder in Hamburg oder auf einem Festival in diesem Sommer erleben dürfen.
Mit leisen Tönen und geistreichen, rätselhaften, lustigen und verrückten Worten verzückt Herman van Veen sein Publikum seit vier Jahrzehnten auch in Deutschland. Wie kaum ein anderer hat sich der niederländische Ausnahmekünstler einen festen Platz in der europäischen Kulturlandschaft erobert. Herman van Veen berührt jeden, der jemals mit ihm in Berührung gekommen ist. Er singt Lieder von der Liebe, ohne kitschig zu sein. Er bedient sich feiner Ironie, selbstironischer Heiterkeit und erzählt tragikomische Geschichten, die das Publikum in einen Zustand nachdenklicher Heiterkeit versetzen. Er ist ein scharfer Beobachter und vorsichtiger Erzähler, dessen Themen sich, wie er selbst sagt, auf die Begriffe “Baum – Haus – Straße – Papa – Mama – Mann – Frau” herunterbrechen lassen. Herman van Veen ist in seinem Genre vollkommen einzigartig. Die Kreativität des Musikers, Clowns, Kabarettisten, Komponisten, Poeten und Malers scheint schier unerschöpflich.
Ende September ist sein neues Album “Für einen Kuss von Dir” erschienen (hier findet ihr unser Review) und mit diesem Programm ist er aktuell zum zehnten Mal in seiner Karriere auf Deutschland-Tour. Im folgenden Interview gibt er gutgelaunt Auskunft über sich, sein Album, das Verliebtsein oder sein Verhältnis zu Deutschland. Aber erstmal überlassen wir es ihm sich vorzustellen…
Herman Van Veen: Hallo, hier spricht Herman van Veen mit einem “n”. Ich bin ein Mann, ich bin ein Holländer, ich bin 67 Jahre alt, 1945 geboren und ich bin Musikant. Ich singe und schreibe, nebenbei male ich auch. Ich reise mit meinen Liedern durch die Welt. Hier in Deutschland, wo wir jetzt sind, weil wir auf eine neue Tournee gehen, ist gerade meine neue CD erschienen. Sie heißt “Für einen Kuss von Dir”. Auf dieser CD gibt es nur Sachen, die ich erlebt habe. Die habe ich mir nicht ausgedacht, die habe ich nicht fantasiert, es sind autobiografische Lieder. Die singe ich mit sehr jungen Musikanten und ein paar alten Freunden und ich bin sicher, wenn Sie das Ding kaufen, dann genießen Sie fünfzig Minuten Jemanden.
Für wen haben Sie den Titelsong Ihres neuen Albums ”Für einen Kuss von Dir” geschrieben?
Herman van Veen: ”Für einen Kuss von Dir auf der Spitze meiner Nase”, das ist ein Liebeslied für meine Enkelsöhne. Ich würde doch nie eine CD mit dem Titel “Für einen Kuss von Dir” machen, die mit Mann und Frau zu tun hätte. Das kann man doch nicht. Das wäre doch unpassend. Aber meine Enkelsöhne sind eine der größten Überraschungen in meinem Leben. Diese zwei Elfen. Da ist mein Vater wieder, da ist meine Mutter wieder, da ist meine Tochter wieder, da ist mein Sohn wieder, da bin ich wieder, da ist meine Frau wieder. In einer anderen Gestalt. In Elfen, die alles schon genetisch haben, was wir durchleben. Phänomenal!
“Man objektiviert. Man tut nichts anderes als objektivieren. Und dadurch wird es subjektiv” (Foto: Peter Thomsen)
Ist das Verliebtsein Ihre Motivation dafür, mit 67 Jahren noch neue Alben aufzunehmen und auf Tournee zu gehen?
Herman van Veen: Wenn man verliebt ist, sieht man etwas oder jemanden immer mit neuen Augen. Du staunst. Sie steht auf, er steht auf, whatever mit wem du bist und dann: Wow, ist der schön! Wow, ist die lieb! Und das ist eigentlich das, was wir tun. Man objektiviert. Man tut nichts anderes als objektivieren. Und dadurch wird es subjektiv. Aber wir subjektivieren nicht auf einer Bühne. Wir singen so wie es ist. So dass du deine Geschichte sehen kannst.
Worin verlieben Sie sich mit 67 Jahren nach wie vor leicht?
Herman van Veen: Immer wenn ich Bach höre, egal was es ist, verliebe ich mich wieder in diesen Komponisten. Dann denke ich: Wow, bist du ein Typ. “Guten Morgen”, wie das klingt, wie das geschrieben ist, das ist phänomenal. Oder man sieht ein Gemälde. Ich bin ein Bewunderer von James Ensor, das ist ein enormer Maler. Und dann sehe ich das und denke: Gott, oh Gott. Oder Bob Dylan. Dann kommt das Gefühl wieder zurück. Dann weißt du wieder, wie es gerochen hat, auf der Straße, als du diesen Song gehört hast.
“Für einen Kuss von Dir” ist Ihr 29. Studio-Album in deutscher Sprache. Blicken Sie manchmal auf Ihr Gesamtwerk zurück?
Herman van Veen: Meine persönliche Lebensgeschichte, die ist dokumentiert in Büchern, Gemälden, Gedichten, Liedern, Theaterstücken, Filmen. Man kann diesen Mann spüren. Ich gucke mich nicht um. Ich mache weiter und das was gewesen ist, ist für mich gewesen. Das wird mir zu komplex. Das war, wie ich ich es damals in dieser Situation gesungen und gesagt habe. Heute spielen wir das, was wir heute vorhaben zu spielen. Und das ist etwas anderes als wir morgen spielen.
“Es ist immer mein Anliegen gewesen, mein ganzes Leben lang, wenn jemand aufhört, stirbt, tot umfällt, krank wird oder uns verlässt, weil er sich in einen Indonesier verliebt hat, dann soll der Neue immer der Jüngste sein” (Foto: Roli Walter)
Ihr neues Album klingt musikalischer als Ihre letzten Studioeinspielungen. Woher stammt der neue, musikalische Elan?
Herman van Veen: Das hat vor allem damit zu tun, dass wir auf der Bühne und im Studio drei junge Männer in unserem Team haben, die alle jetzt vom Konservatorium kommen. Einer ist ein Percussionist, einer ist ein Bassist, ein anderer ist ein Gitarrist. Einer ist nach der holländischen Presse zu urteilen der beste holländische Popkünstler. Die anderen zwei sind hochbegabte, junge 20-, 21-jährige Musikanten.
Wie groß war der Einfluss Ihrer drei neuen Musiker auf ”Für einen Kuss von Dir”?
Herman van Veen: Die haben großen Einfluss gehabt auf diese Produktion. Das sind Jungs die sind 21. Das Durchschnittsalter in unserem Team ist jetzt, glaube ich, 31 1/2. Ich bin weitaus der Älteste. Und es ist immer mein Anliegen gewesen, mein ganzes Leben lang, wenn jemand aufhört, stirbt, tot umfällt, krank wird oder uns verlässt, weil er sich in einen Indonesier verliebt hat, dann soll der Neue immer der Jüngste sein. Prinzipiell. Das finde ich lustig und interessant, weil ich von diesen Jungs unwahrscheinlich viel lernen kann und die können von mir Sachen lernen. Das finde ich schön. Und die haben großen Einfluss gehabt auf den Sound, die Produktion und die Art und Weise wie wir die Dinge tun. Das hörst du. Das ist total frisch. Und wenn du auch die Konzerte mit diesen Jungs siehst, das ist super. Ich kriege neuen Wind im Rücken und das geniesse ich sehr.
Seit Mitte der 1970er Jahre gab es kein Plattencover mehr, auf dem Ihr Gesicht hutlos in Großaufnahme zu sehen war. Haben Sie Ihr Gesicht für das Cover von “Für einen Kuss von Dir” fotografieren lassen, weil das Album starke autobiografische Züge besitzt?
Herman van Veen: Dieses Foto ist gemacht worden von einem Fotografen vom Algemeen Dagblad in Holland. Das ging mit diesem Mann. Das war okay. Dieser Mann hatte etwas Lustiges. Er hat mich gefragt: Können Sie auch lachen? (lacht) Dann habe ich ihm dieses Lachen gegeben, verstehst du?! Das ist ungefähr ein Lachen. Aber es bleibt ernst und wenn man das so sieht, dann könnte es Lachen sein, aber es könnte auch was anderes sein. Und als ich das Foto dann sah, sagten meine Frau und Edith (Leerkes, die Herman Van Veen schon lange an der Gitarre begleitet. Anm.d.Red.) und andere Freunde: Ja, das bist du. Man sieht nicht oft ein Foto, wo Du du bist, weil du bist dann meistens eine Idee von dem Fotografen. Das bin ich, das bist du und der Du guckt uns an und sagt: Kaufen (lacht). So ungefähr. Und da lacht er ein bißchen dabei.
“Ich gehe nachts in die Stadt und zähle Adler. Ich bin jetzt gerade bei 160 oder so” (Foto: Letja Verstij)
Sie kommen seit 40 Jahren regelmäßig für Tourneen nach Deutschland. Hat sich Ihre Deutschland-Wahrnehmung im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Herman van Veen: Für mich war Deutschland immer sexy. Ich fands herrlich und finds herrlich. Deutsch ist eine grandiose Sprache um zu singen. Nicht umsonst hat die deutsche Literatur so eine Dichter- und Liedergeschichte. Man denkt an Schubert, man denkt an Mozart. Deutschland hat eine Liedhistorie, die ist enorm. Und es hat sehr viel mit der Sprache zu tun. Deutsch gesungen ist eine der schönsten Sprachen die ich kenne.
Wie gut kennen Sie Deutschland?
Herman van Veen: Ich kenne es natürlich viel besser als die meisten Deutschen, weil ich überall bin. Ich bin fünf Tage in Hannover. Ich komme zum zehnten Mal. Zehn mal fünf macht fünfzig Tage Hannover. In der Zeit hat man ungefähr sehr viel von Hannover gesehen (lacht). Das ist in München so, das ist in Berlin so. Ich kenne diese Städte und ich kenne sie vor allem nachts. Ich gehe nachts raus und dann, das finde ich schön, suche ich Adler. Ich gehe nachts in die Stadt und zähle Adler. Ich bin jetzt gerade bei 160 oder so. Immer wenn ich dann wieder einen neuen entdeckt habe, so einen gemeißelten, dann sind das Sachen, die schreibe ich nicht auf, aber dann denke ich: Hey, die habe ich noch nie gesehen auf dieser Brücke. Und so gibt es allerlei Sachen und Kneipen und Buchläden, Museen und Kirchen und Theater. Ich kenne diese Städte anders als die Menschen die hier wohnen. Als Gast, aber natürlich sehr intensiv.
Warum sind die meisten Texte auf “Für einen Kuss von Dir” Zustandsbeschreibungen?
Herman van Veen: Warum soll das abgeschlossen werden? Es ist wie eine Zugfahrt. Man nimmt den nächsten Zug. Da ist keine Konklusion (für die, die es nicht wissen: Schlussfolgerung. Anm.d.Red.). Die liegt bei dir, nicht bei mir. Das hat mit dem Älterwerden zu tun. Man nimmt was wahr, man beschreibt etwas, aber man zieht keine Konklusion. Es ist nur eine Feststellung. Es riecht nach Narzissen. Was ist die Bedeutung davon, dass es nach Narzissen riecht? Mehr nicht, weniger nicht.
Und hier die Tourdaten 2012 von Herman Van Veen auf einen Blick (die Tour wird 2013 fortgesetzt – alle Termine findet ihr hier):
Herman Van Veen ist Holländer. Es gibt bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Musikerkarriere in Deutschland. Doch der 67-Jährige ist viel mehr als das. Er ist Komponist, Sänger, Schriftsteller, vierfacher Vater, zweifacher Großvater, Zauberer und Clown, vor allem aber ein stets scharfsinniger Alltagsbeobachter. Die üblichen Klischees von Tulpen, Wohnwagen, Käse, Holzschuhen oder spuckenden Fußballspielern dreht er seit nunmehr vierzig Jahren genüßlich durch die Mangel und hält sie uns – wie so vieles andere – als häßliches Spiegelbild unter die eigene Nase. Mal leise und mitfühlend, dann wieder laut und emotional. Ein Mann, der mit seinen Liedern und Geschichten mehr für das Verhältnis zwischen uns und unseren westlichen Nachbarn getan hat als alle anderen zusammen. Nicht rein zufällig hieß sein erstes deutschsprachiges Album von 1973 auch “Ich hab’ ein zärtliches Gefühl”. Wäre Herman Van Veen kein Holländer, er könnte glatt Deutscher sein.
Im Herbst diesen Jahres bis zum Herbst des nächsten Jahres kommt Hermannus Jantinus Van Veen zum zehnten Mal in diesen vier Jahrzehnten auf Tour nach Deutschland. Im Gepäck hat er seine neue CD “Für einen Kuss von dir”, benannt nach einem Lied, das er für seine beiden Enkel komponierte, für die er einst “Kleiner Fratz” schrieb. Produziert wurden die vierzehn Songs von ihm selbst, Marnix Dorrestein und Edith Leerkes, die auch Gitarre spielt und singt (“Im Nebel”). Natürlich ist Erik van der Wurff am Piano wieder dabei, der ihn bereits seit 1961 begleitet. Dazu Dave Wismeijer am E-Bass, Willem Wits (Percussion), besagter Marnix Dorrestein (Gitarre, Bass, Tasten & Gesang) sowie der Jazz-Geiger Jasper leClerq vom berühmten Zapp-Quartett.
Irgendjemand hat Herman Van Veen mal als “Hausmeister im Museum der Gefühle” bezeichnet und in “Für einen Kuss von dir” wird er diesem Ruf mehr als gerecht. Er erzählt von “Lucas”, einem kleinen Jungen, der sich fragt, warum er so ist, wie er ist, davon, wie sich der Kuss auf die Nasenspitze eines Opas anfühlt, von “Mütter” im Allgemeinen und seiner “ernsthaft witzigen Mama” im Speziellen (“Morgen ist es vorbei”). “Ein Witz ist eine besiegte Träne”, hat sie ihm mit auf den Weg gegeben. Wir begleiten Herman Van Veen zurück in seine Kindheit (“In unsrer Strasse”) oder beim Besuch in einer Klinik (“Später, wenn ich klein bin”). “Heute” war schon Bestandteil seines letzten Live-Programms “Im Augenblick”.
Herman Van Veen malt Bilder mit Worten. Die Farbe liefern seine exzellenten Mitmusiker, allen voran Jasper leClerq, der besonders im abschließenden, orientalisch angehauchten Instrumental “Dabadibab” mit seiner Violine Glanzpunkte setzt. Laut Van Veen “ein Lied zum Mitpfeifen”. Mit “Für einen Kuss von dir” ist ihnen ein Album voller Poesie gelungen. 41 Minuten lang geben wir unseren Alltag an der Garderobe ab und tauchen ein in diese spezielle Welt des Herman Van Veen. Eine melancholische, nachdenkliche, aber ebenso fröhliche und hoffnungsvolle Welt. Eine Welt, die keine Grenzen kennt. Schon gar nicht zwischen Holland und Deutschland.