Nine Inch Nails gelten zu Recht als Pioniere der Industrial-Bewegung. Ihr Einfluss auf die Entwicklung elektronischer Musik ist unbestritten. Bis heute hat die Band aus Ohio weltweit über 30 Millionen Alben verkauft, darunter einige Hochkaräter. Etwa “Pretty Hate Machine” von 1989 oder “The Downward Spiral” von 1994. In den vergangenen fünf Jahren war es ruhig um die Nine Inch Nails. Ihr Mastermind Trent Reznor machte mehr mit seinem neuen Projekt How To Destroy Angels und diversen Ausflügen ins Filmgeschäft auf sich aufmerksam. So schrieb er zusammen mit Atticuss Ross die Soundtracks zu “The Social Network” und “Verblendung” von David Fincher, was ihnen einen Oscar, einen Golden Globe sowie einen Grammy einbrachte.
Atticuss Ross ist auch bei “Hesitation Marks” wieder mit von der Partie, dem ersten Nine Inch Nails-Album seit dem 2008er Doppelschlag aus “Ghosts I-IV” und “The Slip”. Dazu gesellen sich Alan Moulder, ein weiterer alter Bekannter, als Produzent und wie immer zahlreiche Gastmusiker. Erstaunlicherweise findet man in dieser Liste auch Ex-Fleetwood Mac Lindsey Buckingham wieder. Nun muss man das künstlerische Schaffen von Trent Reznor immer im Kontext zu seinen persönlichen Lebensumständen sehen. Lange wandelte er am Rande der Selbstzerstörung. Das Ergebnis waren wütende Statements der Marke “The Hand That Feeds”, “Every Day Is Exactly The Same” oder “Survivalism”. Im Jahr 2013 ist Trent Reznor ein zufriedener Familienvater. Leider klingt “Hesitation Marks” genau so, wie sich der 48-Jährige wohl gerade fühlt: Harmlos.
Lässt man das 52 Sekunden lange Gebrummel des Openers “The Eater Of Dreams” mal beiseite, dann ist unter den übrigen 13 Songs nur wenig tanzbares, geschweige denn wütendes zu finden. Am ehesten passen die erste Single “Came Back Haunted” und “Everything” in diese Kategorie. Das war es dann auch schon an nennenswerten Höhepunkten auf “Hesitation Marks”. Vielleicht wird man in den Clubs dieser Welt noch zu “All Time Low” oder “In Two” abzappeln. Der Rest ist eine Aneinanderreihung uninspirierter Plastikbeats. Da geht wenig in die Beine. Und irgendjemand hat Trent Reznor die Gitarren weggenommen. Immer dann, wenn der Spannungsbogen zu steigen scheint, wird er abrupt wieder beendet (bestes Beispiel: “Disappointed”). “Find My Way” kann man noch als “schön” durchgehen lassen und “I Would For You” hat immerhin einen netten Refrain. Doch spätestens beim dösigen Closer “Black Noise” ist man endgültig eingeschlafen.
Seine neugewonnene Stabilität sei Trent Reznor von Herzen gegönnt. Dummerweise hat ihm niemand gesagt, dass man dabei auch mal laut sein kann und rumbrüllen darf, wenn die Kinder im Bett sind. Stattdessen hat er ein Album aufgenommen, das bestenfalls als Hintergrundmusik in der nächsten Chill Out-Lounge taugt. Auf dem Tisch ein Cocktail. Alkoholfrei natürlich. “Hesitation Marks” klingt wie ein Wahlplakat: Austauschbar, eindimensional, nichtssagend. Und schnell wieder vergessen.