Im Studio mit Crippled Black Phoenix – eine Reise nach Lincolnshire…
Erst im Januar diesen Jahres ist „(Mankind) the Crafty Ape”, das aktuelle Doppel-Album von Crippled Black Phoenix, das von den Kritikern gefeiert wurde, erschienen. Doch Mastermind Justin Greaves hatte keine Lust, sich zurückzulehnen und den Erfolg zu genießen. Nach einer Mammuttour im Frühjahr ist er wieder in die heiligen Hallen der Chapel Studios in Lincolnshire eingekehrt, um eine neue EP aufzunehmen. Musicheadquarter-Redakteurin Shirin Kay war hautnah dabei. Hier ihr Bericht:
Meine Reise nach Lincolnshire beginnt in London. Ich steige in King’s Cross in den Zug nach Grantham, wo ich in einen Bummelzug Richtung Skegness umsteige. Es sind Sommerferien, und der Zug ist voll mit Familien, die in Skegness oder einem der Badeorte in der Nähe Urlaub machen. Dort angekommen muss ich noch eine Stunde auf den Bus nach Alford warten. Der Bus fährt mitten durch Skegness durch, vorbei an Jahrmärkten, Adventure Parks, Schießbuden, Coctailbars und Campingplätzen, flanierenden und halbnackten Teenagern, schreienden Kindern und genervten Familienvätern. Irgendwann ist der Spuk vorbei und wir fahren raus aufs Land, vorbei an Wiesen und Äckern und vereinzelten Landhäusern. Es sieht ein bisschen aus wie in Hobbingen, nur dass sich scheinbar noch nicht mal Hobbits hierhin verirrt haben. Und als der Bus schließlich im kleinen Städtchen Alford anhält, hat man das Gefühl, mitten im Nirgendwo angekommen zu sein. Hier holen mich Justin Greaves und ein mir unbekannter Mann, der wie ein waschechter L.A.-Rocker aussieht und sich mit dem Namen John E Vistic vorstellt, mit dem Auto ab. Nach einer zehnminütigen Fahrt bin ich endlich am Ziel: die Chapel Studios, in denen schon Größen wie Paul Weller, Simple Minds, Shirley Bassey oder O.M.D. ihre Alben aufgenommen haben.
Hier nehmen Crippled Black Phonix ihre neue EP “No Sadness Or Farewell” auf. „Es ist ein bisschen so, als wäre ich zurück nach Hause gekommen”, sagt Justin Greaves, der in der Gegend aufgewachsen ist. Als kleines Kind, erzählt er, sei er im Sommer mit seinen Eltern nach Skegness gefahren, um dort die Ferien zu verbringen. Aber auch die Chapel Studios sind für ihn eine Art zu Hause. Schon vor 20 Jahren habe er als junger Mann hier ein Demo mit einer seiner ersten Bands aufgenommen. Auch wenn das Demo letztendlich keinen Erfolg hatte, habe er nie vergessen, dass der Sound in den Studios unheimlich gut war. Nach dem Deal mit Mascot Ende letzten Jahres hatten CBP endlich die Chance, sich ein gutes Studio zu suchen, und Justin wusste sofort, dass er in den Chapel Studios aufnehmen wollte.
Im Studio treffen wir auf Ewan Davis, mit dem Justin die neuen Songs produziert. Das erste Mal, als sie sich trafen, war vor knapp zwanzig Jahren, da arbeitete Ewan schon als Assistent in den Chapel Studios. Mittlerweile hat er mit Bands wie Arctic Monkeys, Billy Bragg, Editors, Paradise Lost und den Kaiser Chiefs zusammengearbeitet. Der hochgewachsene Mann mit den wirren Haaren und Brille sitzt versunken am Mac und arbeitet konzentriert am ersten Song der EP. Die Aufnahmen sind alle unter Dach und Fach, fast alle Musiker sind abgefahren. Jetzt erfahre ich, dass Johnny der neue Sänger von CBP ist. Seit Joe Volk letztes Jahr die Band verließ, war die Sängerfrage etwas heikel, oder wie Justin es umschreibt „a pain in the ass”. Auf der Tour im Frühjahr nahm die Band den jungen Sänger Matt Simpkin mit auf Tour, der seinen Job zwar wunderbar machte, aber stimmlich nicht hundertprozentig das war, was Justin suchte. Aber mit John E Vistic, so Justin, haben sie die Frage ein für allemal geklärt. Noch vor den Aufnahmen war es nicht sicher, ob es mit ihm funktionieren würde, aber dann stellte sich recht schnell heraus, dass es wie die Faust aufs Auge passte. Eine Last sei von seinen Schultern gefallen, sagt Justin. Jetzt kann er sich vollends auf die Musik konzentrieren.
Auch Johnny hat bereits mit Justin gearbeitet: Auf älteren Alben hat er die Posaune gespielt. Mit dem ersten Song, den wir uns gemeinsam anhören, kann ich mich von seinen stimmlichen Qualitäten überzeugen. „So Goodbye To All Of That” ist eine Hymne, wie sie im Buche steht. Elegisch und elegant mit ausladenden, verträumten Gitarren, wie man sie von den Floyd-angehauchten Nummern von CBP gewöhnt ist, darüber die dunkle, etwas rauchige Stimme von Johnny – eine Traumkombination. Der Song endet in einem wehmütigen Singsang „Goodbye my love, to all of that…”, bei dem die ganze Band mitgemacht hat. Als ich erwähne, dass es glatt als Fußball-Hymne durchgehen könnte, stimmt Justin spontan „Goodbye Arsenal, goodbye Arsenal …” an. Ja, es passt!
Zeit für Zigaretten und Tee! Es ist überhaupt erstaunlich, wie viel Tee in diesen zwei Tagen getrunken wird – Praktikant Jacob wird nicht müde, sich immer wieder danach zu erkundigen, ob jemand Tee möchte und ist meist damit beschäftigt, volle und leere Tassen hin- und herzutragen. In den vielen Zigarettenpausen erzählt Johnny unter anderem, dass mit diesem Sängerjob ein Wunsch von ihm in Erfüllung gegangen sei, nämlich endlich etwas rockigere Sachen zu singen. Bisher habe er eher im Blues-Bereich gesungen, das sei jetzt also eine richtige Herausforderung. Ansonsten sei er ein großer Fan des Rockpoeten Bob Dylan, neben Shakespeare und James Joyce einer seiner größten Idole. Für die neue CBP-EP hat der gebürtige Australier neben Justin zu einigen Songtexten beigetragen.
Neben verschiedenen Textern gibt es auf der EP wie so oft bei CBP auch mehrere Sänger. So ist Keyboarderin Miriam Wolf auf „Mr Jonestown Martin” zu hören. Ein schwermütig daherkommender Song mit Gänsehautgarantie und vielen schaurigen Effekten. Darüber Miriams leicht wabernde, rauchige Stimme, im Hintergrund unheimlicher „Mönchsgesang”, der leicht an gregorianische Chöre erinnert. Die Stellen einzusingen sei allerdings ziemlich spaßig gewesen, erzählt Justin, dauernd musste einer lachen, aber am Ende sei es gelungen, die unheimliche Atmosphäre zu kreieren, die man brauchte, um den Song perfekt zu machen. Im Text hat Justin übrigens einen wiederkehrenden Alptraum verarbeitet. Als ich in dieser Nacht müde und glücklich die Treppen zu meinem Schlafzimmer hinaufsteige, wird mir plötzlich ein wenig anders, denn wie hieß es so schön in dem soeben gehörten Song: „It’s always dark at the top of the stairs, look for me there, you should be scared.” …
Am nächsten Tag nehmen Ewan und Justin die Arbeit schon um 10 Uhr auf. Viel Zeit bleibt nicht, um die insgesamt sieben Tracks zu produzieren, aber das hält sie nicht davor ab, jeden Song immer wieder laut aufzudrehen und konzentriert durchzuhören. Der dritte Song, den ich zu hören bekomme, ist ein Instrumentalstück, das als Opener der EP angedacht ist. Ein recht typischer CBP-Song im Geiste von „(Mankind) the Crafty Ape”, episch und ausladend, allerdings mit einer unglaublich atemlosen und frenetischen Drumarbeit im Hintergrund. Das aufzunehmen sei kein Zuckerschlecken gewesen, sagt Justin, der von Hause aus Drummer ist. Er habe die Drums selbst eingespielt und zeigt auf seine von Schwielen und Blasen übersäten Hände. Das ist der Preis, wenn man alles selbst machen will, aber ein Preis, den er gerne zahlt.
Die nächsten beiden Songs, die an diesem Tag produziert werden, unterscheiden sich grundlegend von allen vorangegangenen. Justin hatte mich zwar schon vorgewarnt, aber das, was ich zu hören bekomme, habe ich beim besten Willen nicht erwartet: Waschechte Rocksongs, die es ordentlich krachen lassen. „Maniac Beast” ist einem alten Bandkameraden und gutem Freund von Justin gewidmet, Johnny, mit dem er vor langer Zeit in der Band Iron Monkey spielte, und der vor einigen Jahren unerwartet verstarb. Der Song ist aber keine Hommage im eigentlichen Sinne, sondern eine polternde und angriffslustige Rocknummer, gerade mal 3:40 Minuten lang. Keine Schnörkel, keine Experimente, einfach nur Rockmusik vom Feinsten. „Das könnten wir neben „Bella Ciao” ganz gut als Zugabe spielen”, reibt sich Justin die Hände, „um die Leute aufzuwecken, all die Postrock-Kids, die mit verschränkten Armen da stehen. Die werden Augen machen!”. Ja, damit könnte er recht haben, das wird auf jeden Fall für einige CBP-Fans eine Überraschung sein.
Die größte Überraschung steht aber noch aus, denn „Long Live Independence”, das ich nur im Rough Mix zu hören bekomme, übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Justin beschrieb ihn schon am Tag zuvor als eine Mischung aus Blackmetal und Bluegrass, „Blackgrass könnte man es vielleicht nennen”, sagt er schelmisch grinsend. Und ja verdammt, genau das ist es: Blackgrass! Mächtige Riffs, die den geneigten Hörer völlig aus der kuscheligen Stimmung reißen, eine mächtige Soundkulisse — aber schon nach den ersten paar Takten steigt ein schwurbeliges Banjo mit ein, darüber Johnnys entschlossene Stimme, die einen Kampfsong anstimmt. Das Ganze hat etwas Absurdes, Außerirdisches und haut mich völlig von den Socken. Ich bin sicher: So etwas gibt es einfach noch nicht! So sitzen wir da und hören uns die Nummer vier Mal hintereinander an. Justin strahlt zufrieden, Johnny bangt wie wild auf seinem Platz, ich grinse wie ein Honigkuchenpferd. Auf den (überaus angenehmen) Schock muss ich eigentlich was trinken. Leider gibt es zu meinem Bedauern keinen Alkohol mehr im Haus bis auf einen Rest Wodka, den Johnny mit mir brüderlich teilt. Und so geht ein weiterer Tag in den Chapel Studios zu Ende.
Am nächsten Tag bringt Justin Johnny und mich nach Skegness, von wo aus wir unsere Heimatorte ansteuern, Johnny nach London, ich zurück nach Bonn. Im Kopf habe ich noch den Refrain von „Long Live Indepence”, ein Zustand, der noch ziemlich lange anhält. Zwei Songs habe ich zwar nicht mehr hören können, aber das ist völlig egal. Ich freue mich einfach wie Bolle darauf, die EP rauf- und runterzuhören und vor allem freue ich mich auf die Tour im Oktober. Das wird ein Fest!