Rock La Roca Festival 2012 mit New Model Army, Gogol Bordello, TurboNegro und Phillip Boa & the VoodooClub
Die Freilichtbühne auf der Loreley, hoch über dem Mittelrheintal, gehört sicherlich zu den schönsten Veranstaltungsorten, die die Republik zu bieten hat. In den (späten) 70er und 80er Jahren fanden hier viele legendäre Festivals statt, u.a. war der WDR-Rockpalast mehrfach zu Gast. Ab den 90er Jahren wurde es dann gefühlt etwas ruhiger, aber in den vergangenen Jahren finden wieder vermehrt Konzertveranstaltungen auf der Loreley statt, so auch das Rock La Roca Festival, das dieses Jahr zum ersten Mal veranstaltet wurde. Musikalisch bot es im weitesten Sinne das, was allgemein als „Indie”-Musik bezeichnet wird.
Aus privat-logistischen Gründen konnte ich erst am späten Nachmittag zu dem Festival anreisen, sodass ich die beiden Opener And Also The Trees und Triggerfinger verpasste. Da mir dann auch noch eine Fähre vor der Nase wegfuhr, konnte ich auch von Turbonegro (17:30 – 18:33) nur noch die letzten 30 Minuten sehen. Ich meine mich zu erinnern, dass ich die Band aus Norwegen vor einigen Jahren schon einmal bei einem Festival gesehen habe, aber konkrete Erinnerungen habe ich nicht mehr daran. Der diesjährige Auftritt gefiel mir gut. Der (u.a. von Wikipedia) als „Punk’n’Roll” bezeichnete Stil-Mix funktioniert live gut und dass die Band seit 2011 einen neuen Sänger hat, wussten/merkten scheinbar nur echte Fans der Band. Als Turbonegro zu den Outro-Klängen von God Save The Queen die Bühne verlassen hatten, sah ich mich etwas genauer auf dem Gelände um. Gerade einmal etwa 1500 Besucher verloren sich auf dem doch großen Areal. Dies hatte natürlich auch den Vorteil, dass die Wartezeiten an den Verpflegungsstationen nahezu nicht vorhanden waren. Wettertechnisch schienen sich die Vorhersagen (85% Regenwahrscheinlichkeit laut der einschlägigen Internet-Seiten) glücklicherweise nicht zu bewahrheiten. Im Gespräch mit pünktlichen Festivalbesuchern stellte sich jedoch heraus, dass es am früheren Nachmittag noch ganz ordentlich geregnet hatte.
Der gebürtige Dortmunder Phillip Boa (bürgerlich Ernst Ulrich Figgen) gehört seit Mitte der 80er Jahre zur Speerspitze der alternativen deutschen Musikszene – auch wenn seine musikalische Biografie sicherlich einige Brüche aufweist. Ich selbst sah Phillip Boa & The Voodooclub (19:03 – 20:05) zum allerersten Mal und war zunächst auch durchaus angetan, insbesondere vom Kontrast zwischen Boas (nicht unbedingt schöner aber) charismatischer Stimme und dessen weiblichen Counterpart von Pia Lund. Mit zunehmender Dauer der Sets stellte sich bei mir jedoch eine gewisse Langeweile ein, wobei der Auftritt von vielen Anwesenden aber durchaus abgefeiert wurde.
Feiern ist ein gutes Stichwort um die Musik von Gogol Bordello (20:33 – 21:48) zu beschreiben. „Gypsy Punk” wird deren Musikstil bisweilen genannt, und dies trifft es ziemlich gut. Schon die Tatsache, dass ein Akkordeon und eine E-Geige sowie verschiedenartige Percussion zum Instrumentarium des 7-köpfigen (Live-)Ensembles gehören, belegt, dass es sich hier um einen – im Vergleich zu den Vorgängerbands – anderen musikalischen Ansatz handelte. Ich muss zugeben, dass ich nicht unbedingt positiv gestimmt war, als ich mich über die Band aus New York (deren Mitglieder jedoch aus aller Herren Länder stammen) informierte, da die oben beschriebenen Elemente nicht unbedingt mit meinem Musikgeschmack korrelieren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich gut unterhalten fühlte, und dies ist nun einmal – gerade bei einem Festival – die Hauptsache. Bei vielen Fun-Punk bzw. Fun-Ska-Bands habe/hatte ich bisweilen nach einer Viertelstunde das Gefühl, immer wieder denselben Song zu hören. Diesen Eindruck hatte ich bei Gogol Bordello definitiv nicht. Dass während ihres Sets ein 5-minütiger Regenschauer niederging, trug eher noch zur Begeisterung vor der Bühne bei, wo die Band – zurecht – abgefeiert wurde und auch für eine Zugabe auf die Bühne zurückgeholt wurde.
Kannte ich die bisherigen Bands vor dem Festival (fast) nicht, war die Situation beim Headliner des Abends eine komplett andere. New Model Army (22:28 – 0:00) sah ich an diesem Tag zum 68. Mal seit 1995. Insofern darf man getrost annehmen, dass ich mich im Universum der Band auskenne. 1980 als Punkband gegründet, die sich kritisch mit Margaret Thatchers Politik auseinandersetzte, entwickelte sich New Model Army gegen Ende der 80er Jahre Richtung Folkrock, um dann in der zweiten Hälfte ihrer Existenz eine mehr oder weniger staighte Rockband zu werden. Obwohl ich NMA bereits so häufig gesehen hatte, war dieser Auftritt dennoch etwas Besonderes für mich, da ich zum ersten Mal den neuen Bassisten Ceri Monger in Aktion sehen konnte, der zu Beginn dieses Jahres das langjährige Mitglied Nelson (seit 1990) ersetzt hat, der aus persönlichen Gründen die Band verließ. Der neue Mann (rot gefärbte Haare, knapp 30 Jahre alt) machte seine Sache gut, wobei zugegebenermaßen die Musik von NMA nicht unbedingt filigrane Fähigkeiten an den Instrumenten voraussetzt. Ehrliche Rockmusik erfordert dies oft auch nicht. Traditionell dauerte der Soundcheck länger als bei den anderen Bands und ebenso traditionell gab es trotzdem (oder gerade deswegen?) zu Beginn einige technische Probleme (mit Justin Sullivans Gitarre). Das Set begann jedoch mit einem Bonbon für die Fans und einer Verneigung vor der Folkrock-Phase der Band Ende der 80er Jahre. Der Fanfavorit Vagabonds eröffnete den Auftritt und die Band wurde dabei unterstützt vom E-Violinisten von Gogol Bordello, der die ursprüngliche Violinenmelodie (von Ed Alleyne Johnson) nicht imitierte, sondern (durchaus gelungen) neu interpretierte. Ein – trotz der technischen Probleme – schöner Beginn. Es folgten zwei Klassiker aus dem Repertoire von NMA – Get Me Out und der größte (und einzige wirkliche) Hit 51st State. Nicht gerade meine persönlichen Favoriten, aber zum Anwärmen des Publikums waren die beiden Titel sicherlich geeignet. Der neue Bassist zeigte seine Vielseitigkeit bei Flying Through The Smoke und Red Earth. Bei beiden ohnehin sehr rhythmuslastigen Stücken unterstütze er Drummer Michael Dean an einem zweiten Minidrumkit (Snare + Tom), was den Liedern gut tat. Ich hatte mich auf den Song Frightened (von No Rest For The Wicked, 1985) gefreut, den die Band in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1989 wieder live gespielt hat, aber meine Hoffnung wurde enttäuscht, wie ich ohnehin die Setlist nicht besonders gelungen fand. Insbesondere Mambo Queen Of The Sandstone City (vom letzten Album Today Is A Good Day, 2009) ist m.E. ein Tiefpunkt in der Diskografie von NMA. Vor dem abschließenden I Love The World wies Bandkopf Justin Sullivan darauf hin, dass die Band an gleicher Stelle vor 25 Jahren (bei einem frühen Bizarre Festival) gespielt hatte, und dass der Song eventuell auch unter dem Eindruck des Auftrittes dort kurze Zeit später geschrieben wurde. Nach den für NMA üblichen 80 Minuten war das Hauptset beendet. Da die Curfew-Regelungen der Freilichtbühne recht streng sind, war klar, dass um 23:48 nur noch 2 Titel als Zugabe gespielt werden konnten: Rivers (von High, 2007 – und ebenfalls nicht unbedingt einer meiner Favoriten) sowie Christian Militia. Diesen Titel von 1982 hat die Band erst seit vergangenem Jahr nach langer Zeit – und in modernisierter Form – wieder im Programm und der treibende „Rausschmeißer” versöhnte mich etwas mit der m.E. doch etwas enttäuschenden Songauswahl des Auftritts. Pünktlich um eine Minute vor Mitternacht verhallten die letzten Feedback-Klänge und die erste Ausgabe des Rock La Roca Festivals war Vergangenheit.
Organisatorisch war das Festival – bis auf wenige Kleinigkeiten (Auslass mit Kinderstempel und daher sofort wasserlöslicher Stempelfarbe) – sicherlich gelungen. Angesichts der doch recht bescheidenen Besucherzahlen (unter 2000 zum Ende des Tages) stellt sich jedoch die Frage, ob das Festival in dieser Form eine Zukunft hat. Selbstverständlich werden die (schlechten) Wettervorhersagen viele Leute von einem spontanen Besuch der Loreley abgehalten haben. Das Lineup war aber wohl insgesamt auch zu inhomogen und der Eintrittspreis (knapp über 50€) gleichzeitig etwas zu hoch. Ein echter Headliner aus dem Independent-Bereich (z.B. The Cure) wäre wohl nötig, um die Besucherzahlen in finanziell lohnender Bereiche zu treiben. Man wird abwarten müssen, wie der Veranstalter sich diesbezüglich entscheidet.
Setlist – New Model Army
- Vagabonds
- Get Me Out
- 51st State
- Wonderful Way To Go
- Flying Through The Smoke
- Rumour And Rapture (1650)
- Today Is A Good Day
- Red Earth
- Here Comes The War
- Green And Grey
- Ocean Rising
- Purity
- Mambo Queen Of The Sandstone City
- No Rest
- High
- I Love The World
- Rivers
- Christian Militia