Mit großer Spannung wurden die ersten Künstler der 30. Auflage des Summerjam-Festivals erwartet und Fans des größten Reggae-Festivals Europa dürfen sich auf einige der Szene freuen.
Summerjam 2015 Lineup
DAMIAN MARLEY / PATRICE / CRO / SOJA / BERES HAMMOND / MONO & NIKITAMAN / TARRUS RILEY / STEEL PULSE / JESSE ROYAL / SAMMY DELUXE / KATCHAFIRE / CALI P / DAVID RODIGAN
Man wird fast nostalgisch, wenn man an die Redaktionsbilder des letztjährigen Summerjam-Festivals am Fühlinger See denkt: Lachende Gesichter, gebräunte Haut – und vor allem Sonne satt. Es hätte doch alles wieder so kommen können, aber was erwartet einen stattdessen in den kommenden Tagen und Nächten? Regen! Überall! Unwetter, Nässe und abgesoffene Zelte kennt man zu genüge von anderen großen Musikfestivals, doch es ist gerade das Wetter, das meistens ein Reggae-Festival wie das Summerjam komplett abrundet.
Der Freitag
Bereits beim Durchqueren der Campingplätze sind überall neidische Blicke auf Camper zu sehen, die das Glück hatten sich einen Platz direkt am See zu ergattern. „Wenn das mal nicht nach hinten losgeht“, lachen manche hämisch. Nur so viel dazu: Das wird es. Nichtsdestotrotz steht man pünktlich und in bester Feierlaune vor der Red Stage um den Beginn des „Marteria & Co Deluxe-Pakets“ in Form von Marteria selbst, Kid Simius und Miss Platnum zu sehen. Generell war der Aufschrei in den sozialen Netzwerken bei dieser Combo auffallend groß: Von unqualifizierten Aussagen wie „die Idioten haben hier nichts verloren“ bis hin zu „die nehmen anderen einen Slot weg“ ist alles mit von der Partie. Bei Miss Platnum behält die grässliche Fratze der Social Media Meute bedauerlicherweise recht. So sehr man versucht den Lyrics zu folgen oder zur Musik zu tanzen, so sehr schläfrig wirkt der Auftritt der Berlinerin. Lediglich zwei junge Frauen mit Sonnenblumenketten und Herzbrille klatschen bei jedem beendeten Song gen Himmel, als wolle man die Wolken damit verscheuchen, welche sich nun immer mehr verdichten. Nach einem halben Set hat man genug von der Dame und widmet sich der pickepackevollen Dancehall Area, bei der gerade das WM-Spiel Deutschland gegen Frankreich gezeigt wird. Auch hier kann man ein sehr internationales Publikum bestaunen: Neben Franzosen und Deutschen, sind auch jede Menge Jamaikaner, Holländer (besten Dank für das Schultenbräu) und Belgier vor Ort, um das Spiel der Spiele auf einer kleinen Wand zu verfolgen. Nach dem Abtauchen in Alibi-Patriotismus und „Deutschland, Deutschland“ – Rufe geht es schnurstracks zum verrücktesten Live-Act des gesamten Festivals. Was sich der Veranstalter bei der Verpflichtung des Österreichers Left Boy gedacht hat, kann er wohl nur selber wissen. Sicherlich liefert er eine gute Show ab, aber…Klopapierrollen und Eiscreme in die Menge werfen? Tanzende Riesenchucks auf der Bühne? Völlig überzogene und anstrengende Beats auf dem angeblich „größten Reggae-Festival“ Europas? Der Genrevielfalt in allen Ehren, aber die Kritik der „Entfremdung des Ursprungs“ ist spätestens seit dieser Mischung aus Macklemore und Moneyboy nicht mehr von der Hand zu weisen. Lediglich Marteria wird der Hetze nicht gerecht, sondern liefert eine tolle Live-Show ab. Allen voran sein Alter Ego Marsimoto kommt hervorragend bei der Menge an: Der Song „Grüner Samt“ hüllt die gesamte Red Stage in den süßen Geruch von Schwarzem Afghanen. Überall sind Feuerzeuge, brennende Lunten und glücklich verquollene Gesichter zu sehen. Zum ersten Mal hat man sogar das Gefühl, das Publikum könne textsicher mitsingen. Dies macht sich vor allem bei „Welt der Wunder“ bemerkbar, als ein einstimmiger Chor aus tausenden Kehlen den Refrain „Und du glaubst nicht an Wunder?“ dem Rostocker entgegen brüllt. Ein gelungener Abschluss für einen eher durchwachsenen Tag.
Der Samstag
Bei der neutäglichen Runde über das Gelände am Samstag sind keine neidischen Blicke mehr auf Zelte direkt am Wasser gerichtet – einfach aus dem Grund, dass alle Schlafplätze samt Camper weggespült wurden. Zu verheerend sind die Regenmassen, die den gesamten Tag über auf das Festival niedergehen. Viele der Camper sind vor den Fluten zurück gewichen, haben ihre Lagerplätze, sofern diese noch nicht den Sturzbächen zum Opfer gefallen sind, von unmittelbarer Seenähe weiter nach hinten verlegt, um Schlafsäcke und Klamotten vor der Nässe zu schützen. Trotzdem: So schlecht das Wetter auch ist, so ungetrübt wirkt die Stimmung der Besucher. Nach einer kurzen Pause im Auto, in das sich vor dem Regen geflüchtet wurde, bevölkern wieder ganze Heerscharen in Regenjacken und Mülltüten die Schlammarenen vor den Stages. So auch vor der Red Stage, auf der an diesem Nachmittag Milky Chance zumindest musikalisch die Sonne scheinen lassen. Die ruhigen, tanzbaren Rhythmen des Duos sind ein Lichtblick am sonst so trüben Himmel. Danach lautet die Parole wie schon am Abend zuvor: Allez le bleus! Denn Deutsch-Französisch weiter geht es mit der Ska-BandIrie Révoltés. Nach dem starken und intensiven Auftritt der „glücklichen Aufständischen“ wird noch einmal kurz ein Unterstand aufgesucht, um sich vor den anhaltenden Regenfällen in Sicherheit zu bringen. Dann heißt es auch schon wieder auf zu den ebenfalls aus Frankreich stammenden Musikern von Dub Inc. Spätestens jetzt sind die deutsch-französischen Wogen wieder geglättet. Völkerverständigung auf Summerjam-Art. Auf der Green Stage gibt anschließend Konshens den Ton an und hat sich einen Back- Up als Verstärkung mitgebracht, den er gut gebrauchen kann. Denn der Künstler aus Kingston gibt alles, um den Leuten, die ihm in den schlammigen Pfützen vor der Bühne zu jubeln, trotz des miserablen Wetters eine gute Show zu liefern. Es ist ihm geglückt. Apropos gute Show: Mit SEEED ist dem Festival für diesen Samstagabend, wie nicht anders zu erwarten, ein dicker Fisch ins Netz gegangen. Ob Songs von Peter Fox oder aus ihren vier Alben, alles wird mitgesungen. Einzig störend ist der nicht ausreichend vorhandene Platz, was anscheinend einigen Besuchern auf den Magen schlägt. Immer wieder sind kleinere Schubsereien zu sehen, es wird um jeden Zentimeter gekämpft. Das soll der allgemein sehr guten Stimmung aber keinen Abbruch bereiten. Höhepunkt ist ganz klar der Harlem Shake, bei dem man zwar nicht mehr die Bühne, dafür aber allerhand an umherwirbelnden Kleidungsstücken sieht. Es macht immer wieder Spaß die Berliner Dancehall-Combo zu sehen und das glücklicherweise auch noch bei trockenem Wetter! Morgen dann bitte genau so wieder!
Der Sonntag
Hähä, denkste. Kaum möchte man ein paar Fotos mit Campern schießen entlädt sich der Himmel erneut. Man will gar nicht erahnen wie viele Massen an Wasser am Samstag und heute insgesamt auf die Besucher niedergeprasselt sind. Egal, die Show muss weitergehen – und zwar auf der Green Stage. Man will es ja nicht wahrhaben, aber dass man Dilated Peoples tatsächlich mal bei einem Reggae-Festival bestaunen kann, damit hätten wohl die wenigsten gerechnet. Die HipHop Crew aus Los Angeles überzeugt und lässt es sich nicht nehmen auf Unterstützung aus dem Publikum zurück zu greifen. Kurzerhand wird ein russischer Fan auf die Bühne geholt, der bei einem Song den Back-Up Gesang übernimmt. Höhepunkt der Show ist natürlich das großartige „When Worse Comes To Worse“ und siehe da – bei so einer guten Show lässt sich sogar die Sonne anerkennend blicken, wenn auch nur kurz. Leider zur selben Zeit, und deswegen gewiss zu Unrecht etwas vernachlässigt, spielt Johnny Osbourne auf der Red Stage, bei der man eine beschämend lustlose Menge vorfindet. Warum?, möchte man sich da fragen, erlebt man doch noch eine fette Live-Performance des gealterten Reggae-Stars vergangener Tage. Von einem richtig ordentlichen Auftritt können Die Orsons hingegen leider nur träumen. Maeckes, Tua, Kaas und Plan B sind mit ihrer HipHop-Band zwar verdammt erfolgreich und haben auch in der heutigen Crowd viele Anhänger, doch beim dritten Auftritt der Band auf dem Summerjam kann man sie als Gesamtpaket vergessen: Zu viel Klamauk, zu wenig Authentizität, zu wenig Summerjam. Der gesamte Auftritt wirkt als ob man die Heuschnupfentabletten mit anderen Pillen verwechselt hätte. Immerhin: Passend zum zeitgleich stattfindenden CSD setzt sich der Vierer mit dem Song „Horst & Monika“ ein Zeichen gegen Rechtsradikale und für mehr Toleranz.
Gerüchte um einen vorzeitigen Abbruch des Festivals, auf Grund eines angekündigten Unwetters, werden dann – Gott sei Dank- noch rechtzeitig widerrufen: Der Großteil des Gewitters macht einen Bogen um das Gelände, als wollte es einen gelungenen Abschluss der dreitägigen Feier nicht zerstören. Durch diesen glücklichen Umstand können dannNneka und Jimmy Cliff doch noch auf die Bühnen. Vor allem letzterer präsentiert sich trotz fortgeschrittenen Alters in absoluter Bestform – Seien es „The Harder They Come“, „Vietnam“ oder das Cover „Rivers of Babylon“. Ein ganz besonderer Moment bietet sich beim Opener „You Can Get It, If You Really Want“, als ein Regenbogen über den Köpfen der Menschen erscheint. Als ob der Mann aus Kingston nun den Heilsbringer spielt und den Regen vom Festival verbannt. Die Gäste bedanken sich auf ihre Art: Tanz, Applaus und Party. Dennoch merkt man, dass sie traurig sind, dass das Massenspektakel nun doch zu Ende gehen soll. Nach drei Festivaltagen winkt man dem Abschlussfeuerwerk wehmütig auf Wiedersehen.
Auch dieses Jahr hat das größte Reggae-Festival Europas sehr gutes Feedback von allen Seiten erhalten, trotz sehr durchwachsenem Wetter. Ein Kritikpunkt muss aber doch angebracht sein: Ein breitgefächertes Line-Up mit Bands verschiedener reggaeaffinen Genres stellt sicherlich eine Bereicherung für das Gesamtpaket dar. Nur hört bitte auf mit Experimenten wie beispielsweise Leftboy, da diese eine Verschwendung wertvoller Slots sind, welche man wunderbar mit lokalen und aufstrebenden Künstlern füllen könnte. Es bleibt ohnehin abzuwarten, welche Bands den Fühlinger See im kommenden Jahr besuchen werden. Dann feiert das Festival sein dreißigjähriges Jubiläum. Man darf sich also schon jetzt auf ein noch besseres und hoffentlich sonniges Summerjam freuen. Bis dahin: Share your love!
Vom 4. bis zum 6. Juli dieses Jahres findet das alljährliche Summerjam Festival am Fühlinger See statt – zum 29. Mal und dieses Jahr unter dem Motto „Share Your Love“.
Schon jetzt laufen „die Vorbereitungen auf Hochtouren“, wie es auf der Homepage des Festivals heißt.
Das Line-up verspricht so einiges: Neben musikalischen Großkalibern wie SEEED, JIMMY CLIFF und MARTERIA geben sich nun auch „das neue Gesicht der Szene“ KONSHENS, der Wiener LEFT BOY, MISS PLATNUM, SAM und MARTIN JONDO die Ehre.
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Heute hat das Summerjam drei neue Bestätigungen bekannt gegeben! Mit Chinese Man, Stylo G und Mellow Mood wächst das Line-Up auf insgesamt 32 Künstler an. Es bleibt spannend, wer alles noch folgend wird.
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Das Summerjam erweitert sein diesjähriges Line-Up um zwei weitere Acts: Christopher Martin und die Orsons wird man am ersten Juliwochenende auf der Insel des Fühlinger See in Köln antreffen.
Besondere Momente entstehen meist durch Spontanität. Es ist schwer solche Augenblicke zu kreieren. Man kann einen passenden Rahmen schaffen mit dem nötigen Kleingeld, doch letztlich ist es ein gewisser Funke der sich ein ums andere Mal versucht zu entzünden, bis schließlich ein Feuerwerk dadurch entsteht. Was das alles mit drei Tagen See, Sonne und Summerjam zu tun hat, erfolgt nun in einer Kurzbeschreibung. Unter dem Motto “Free Your Mind” öffnet das Summerjam am Freitagmittag seine Pforten zur 28. Ausgabe des größten Reggae-Festivals Europas. Dass es eine Zusammenkunft verschiedenster Nationalitäten ist, wird einem schon beim Betreten des Campinggeländes mehr als deutlich. Überall hört man Wortfetzen von Sprachen aus verschiedensten Ecken: Französisch, Englisch, Afrikaans, Holländisch, sogar Patois – alles ist dabei.
Die Sprachdefizite sind jedoch kein Grund für die Leute nicht gemeinsam zu einem riesigen Melting Plot zu verschmelzen, was man vor allem bei Matisyahu bewundern kann. Einerseits die Vielzahl an Leuten, die er auf die Bühne holt, andererseits folgende Geschichte: Eine überdurchschnittlich gut aussehende Schwedin (zu erkennen an der Schwedenflagge, was mehr oder weniger ihr einziges Kleidungsstück ist) wankt freudestrahlend bei “One Day” zu einem etwas verschüchterten Typen, der aber in gleicher Lautstärke die Zeilen mitsingt wie sie. Sie halten sich in den Armen, tanzen, lachen – und auf einmal hört man sie raunen “This is the perfect song to make out” und versucht den etwas verblüfften Jungen abzuknutschen. Dieser legt schnell den Rückwärtsgang ein und stammelt im grausamen, deutschen Akzent: “Ei äm so sorri, batt ei häf a görlfrend”. Das strahlende Gesicht der Schwedin wirkt wie versteinert, ja fast niedergeschlagen. Sie schüttelt noch einmal ihren perfekten 90-60-90 Körper vor ihm hin und her und starrt ihn dabei an. Was ihre Augen sagen, kann sogar ich lesen: Du verpasst hier was, mein Freund! Mit einem Luftkuss verabschiedet sich die blonde Schönheit. Der Halbstarke und sein Kollege gucken ihr fassungslos hinterher. Dann sprudelt es aus ihm heraus: “Hast du das gesehen? Ich weiß doch wie ich aussehe, verdammt! Die war besoffen oder wollte mich ausrauben! Oder beides zeitgleich. Ich fass es nicht.” Szenen, gemacht für den Olymp!
Abgesehen von derlei Geschichten, ist eine ganze Reihe von genialen Künstlern heute zu sehen. Von Ganjaman, über den deutschen Rap der Ohrbooten, bis hin zum reinkarnierten König der Löwen Snoop Lion wird den Zuschauern einiges geboten. Letzterer, der sich vom Hund zum Löwen hochgearbeitet hat, bleibt seinen Instinkten und weiß genau was das Publikum hören will: “Spiel das alte Zeug!” Schallt es von rechts. Das lässt sich das Alphatier nicht zwei Mal sagen und greift zum altgedienten Spazierstock des Pimps. Es folgen “P.I.M.P.”, “Wet”, “The Next Episode” und viele weitere Evergreens. Vom Mythos des Reggae-Löwen ist abgesehen von “Here Comes The King” und einem Joint im Mundwinkel nichts zu spüren. Das stört die Meute auch nicht weiter, denn der Mann aus Venice Beach präsentiert seine allzu sehr geliebte Gangster-Attitüde wie vor zwanzig Jahren: die Gogos schütteln die Hüften und die Fans die Arme. Alles ist beim Alten und der erste Festival-Tag klingt zu den Klängen von “Young, Wild And Free” aus.
Wer sich am Samstagmittag schon von den Anstrengungen des ersten Tages erholt hat, kommt langsam aus den Zelten gekrochen. Vom Ausblick der Regattabrücke aus, ergeben die provisorischen Behausungen am See und in den anliegenden Waldstücken eine ganz eigene Stadt für sich, die trotz der allgegenwärtigen Präsenz der Ordnungshüter ihren eigenen Regeln zu unterliegen scheint. Auf dem Gelände hört man erste Bierdosen knacken, Flunkyballspieler gehen in ihre Positionen und Rauchschwaden bahnen sich überall ihren Weg durch die Hitze des Mittags – Cannabiskonsumenten und deren Bezugsquellen haben ihre Tätigkeiten wieder aufgenommen. Dennoch: der Wunsch nach Musik ist immer noch die treibende Kraft der Festivalbesucher. Schlagzeilen über kiloweise sichergestelltes Rauschmittel zum Trotz steht die Musik, zusammen mit der Love and Peace- Mentalität, im Vordergrund. So versammeln sich nach und nach erneut hunderte Musikliebende vor den beiden Stages auf der Festivalinsel. Die Kassen der Cocktailstände fahren ihre Umsätze ein und die Chillout-Area füllt sich mit Menschen, die sich vor den ersten Konzerten des Tages noch bei einem Kopf in der Wasserpfeife die nötige Ruhe gönnen wollen.
Als der aus Berlin-Moabit stammende Rapper Megaloh am Samstagnachmittag auf der Green Stage in den Ring steigt, toben vor allem die Hip Hop Begeisterten unter den Festivalbesuchern. Doch die Stimmung auf dem Summerjam ist trotz gewisser Genredifferenzen grandios und bei dem Auftritt Megalohs, bei dem ihn sein Live-DJ Ghanaian Stallion an den Turntables unterstützt, dauert es nicht lange und schon wird die gesamte Crowd von den kraftvollen Raps mitgezogen. Der Muskelberg im weißen Tanktop schmettert Punchlines und Flow-Varationen durch die Mittagshitze, als würde diese ihm nicht zu schaffen machen, woran sich auch die Menge ein Beispiel nimmt. Trotz des schweißtreibenden Wetters schaffen es die Fans Vollgas zu geben und etwa bei dem Song „Adrenalin” auf Megalohs Wunsch „Ich will euch springen sehen” hin komplett auszurasten. Bei dem Track „Dr. Cooper” skandiert die gesamte Menschenmasse die Hookline: „Ich weiß, das was ich weiß, das weiß ich, Rap ohne Weitsicht? Ouh, ich weiß nicht!”. Klassische Beats, die zum Mitnicken anstiften, werden mit Texten untermalt, die mal tiefgründig und ernst, mal humoristisch das Reimrepertoire des Mannes, der sich selbst als „Hip Hops- Finest” bezeichnet, bis zur allerletzten Snaredrum ausreizt – und darüber hinaus. Den Höhepunkt des Auftritts nämlich bildet die Accapella Version seines Parts aus dem „Hände hoch”-Remix mit Kollege Samy Deluxe: „Zweifelst du an mir, zweifelst du am Leben, hebt die Hände hoch, jetzt ist Zeit sich zu ergeben!”, verkündet er dabei zum Abschluss. Wer sich da nicht Megaloh ergibt, kapituliert vor der Hitze und sucht Zuflucht im Schatten der umstehenden Bäume, was vielleicht auch dazu beiträgt, dass Chima, der kurze Zeit später ebenfalls auf der Green Stage performt, der Menge nicht so einheizen kann, wie manche Artists vor und nach ihm. „Ich habe ein Faible für Beziehungs-Lieder, aber kein Händchen für funktionierende Beziehungen”, erklärt der Sänger zwischen zwei Stücken. Leider ist er damit wohl im Recht, denn so ganz möchte der Funke zwischen ihm und dem Publikum nicht überspringen, so dass vereinzelte „Ausziehen, ausziehen”- Rufe weiblicher Fans mit das Emotionalste an seinem Auftritt bleiben. Nach dem etwas trostlosen Auftritt des Deutschafrikaners, steht der inoffizielle Headliner der Green Stage in den Startlöchern. Chronixx ist zumindest in Jamaika schon einer der ganz Großen, warum kann er in nur 45 Minuten gefühlt dem halben Summerjam (verdammt ist das eng hier) unter Beweis stellen. Voller Inbrunst schreit der 20-jährige seine Songs der Menge entgegen. Die bedanken sich mit einem mindestens genau so lauten Applaus.
In Ekstase: Chronixx auf der Red Stage am Samstag
Leider hat bei dieser Hitze nicht jeder so eine gute Kondition wie die Künstler. Man sieht Gestalten, bei denen man denken könnte sie hätten seit der Eröffnung des Campinggeländes keine Sekunde geschlafen. Andere kriechen schwitzend Richtung Schatten und versuchen sich mit einem letzten Taschentuch den Schweiß auf der Stirn zu trocknen. Dummerweise bemerken sie nicht, dass die Hälfte des Tuchs auf der Stirn kleben bleibt. So werden sie wohl bei keiner Frau Eindruck schinden können. Naja, höchstens noch bei der Schwedin vom Vortag. Anders zeigt sich bei einem kurzen Besuch bei Popcaan, dass dieser alles andere als fertig ist. Die Fotografen haben alle Mühe den Mann aus Portmore, Jamaika, vor die Linse zu bekommen, so schnell springt er von A nach B und von B auf die Boxen. Endlich ist wieder Energie zu spüren!
Popcaan am Samstagabend auf der Green Stage
Es wird dunkel und deutlich kühler. Immer mehr Menschen strömen auf das Gelände um sich zwei große Künstler auf der Red Stage anzugucken. Richie Stephens beendet gerade mit einer großartigen Coverversion von “No Woman, No Cry” sein Set, als man sich mit einem hellen Blonden einen Weg durch die Menge bahnt. Heimspiel ist angesagt! Tillmann Otto alias Gentleman, gebürtig aus Köln-Sülz, kommt mit breitem Grinsen auf die Bühne und sorgt für einen soliden Abschluss vom Samstag. Überraschend bei diesem Konzert ist vor allem die Setlist. So gibt es kein “You Remember” von der aktuellen Platte “New Day Dawn”, aber dafür spielt er sehr zur Freude seiner alten Fans Songs wie “Leave Us Alone”. Unterstützt wird er teilweise sogar von Richie Stephens und dem Italiener Alborosie. Nach 2 Zugaben verabschiedet sich Gentleman vom Summerjam und wir uns vom Festivalgelände.
Es geht direkt rüber zur Dancehall Area. Da kommen wir wieder auf diese spontanen und unterhaltsamen Momente zu sprechen. Wir sehen einen blonden Typen mit rotem Acapulcohemd, Goldkette und einer grünen Sonnenbrille, der wahllos gegen Menschen stolpert und wohl verzweifelt einen Ausgang aus diesem Irrgarten sucht. Wohl ein wenig zu oft Fear and Loathing in Las Vegas geguckt, hm? Dann ergibt sich folgende Situation: Mr. Raoul Duke hat sich seinen Weg fast zum Ausgang freigeschaufelt. Nur ein zartbesaitetes, 1,60 m großes brünettes Mädchen steht ihm und der Freiheit im Weg. In seinem Geisteszustand guckt er über sie drüber, nimmt Anlauf und …Rrrrrrrrumms. Beide liegen auf dem Boden. Der Junge, kurz entsetzt fragt völlig verdattert: “A-a-alles klar bei dir?”. Die brünette Schönheit lächelt kurz und meint nur: “Schon okay.” Ihre Körpersprache sagt eher “Verpiss dich besser schnell, bevor ich meine großen Brüder hole!”
Am nächsten Tag ist der Schreck des Vorfalls in der Dancehall Area schon fast vergessen. Nur ein lustiger Freak unter vielen. Aber auch am dritten Tag des Massenspektakels wollen sie noch nicht müde werden. Am Sonntag brütet noch immer die Hitze der vorangegangen Tage und auch der Rest scheint wie gehabt. Nur ein neues Gefühl hat sich zur Euphorie und dem trunkenen Treiben gesellt, ein Gefühl des nahenden Abschieds. Der letzte Tag steht bevor und im Knacken der Bierbüchsen schwingt ein leiser Hauch von Traurigkeit mit. Doch je mehr von ihnen leer in die Pfandtonnen fliegen, desto mehr kriegen die Leute noch einmal richtig Lust auf einen letzten abgedrehten Tag Summerjam. Free Your Mind. Auf ein Neues!
Doch erst muss mal eine Runde in der Chill Out Area ausgeruht werden. Der Tag ist mindestens genau so warm wie die beiden vorigen Tage und auf eine Runde 4Gewinnt gegen zwei Holländer ist nichts auszusetzen. Nach drei verlorenen Runden in Folge sind dann auf der Green Stage The Aggrolites aus Los Angeles am Start und beginnen den späten Nachmittag einzuläuten. Anschließend betritt dann Deutsch-Rap-Urgestein Dendemann die grüne Stage mit dem charakteristischen Schnauzer und der Vorne-Kurz-Hinten-Lang-Frisur. Der Musiker aus Menden, welcher seit 1996 in Hamburg lebt und auch dessen Karriere bis tief in die 90er zurückreicht, sorgt mit seinen Tracks an diesem Sonntag noch einmal für richtig gute Stimmung auf dem Festivalgelände. Mit seinen angetrauten Eigenheiten und seiner „Reibeisenstimme” schafft er es alte wie auch neue Fans zu begeistern. „Ich schwimmte, schwamm und schwomm, endlich bin ich angekommen, endlich hab ich wieder Land gewonn'”, rappt er im Chorus seines Klassikers “Endlich Nichtschwimmer” aus dem Jahr 2007. Trotz der sechs Jahre, welche die Nummer auf dem Buckel hat, steigt die johlende Menge ohne Umschweife in den Refrain ein. Denn eines ist klar: Egal welch merkwürdiger Wellengang und welche Meeresströmung den Dendemeier an die Festivalinsel des Fühlinger Sees gespült hat, er beweist, dass er nirgendwo anders besser aufgehoben wäre. “Manche schwimmen mit, manche gegen den Strom, doch ich frag: Schwimmen wir noch oder leben wir schon? Ich bin durch damit, es hat sich ausgeschwommen, könnt ich dafür endlich mal Applaus bekommen?” – und den bekommt er zu Recht und zu Genüge. Nach dem Dendemeier wird sich ein weiteres Mal in den Liegestuhl gefläzt. Mit Bier und Zigarette bewaffnet wartet man nun auf das Zeichen von Max, dem Herrn des Pressebereichs auf neue Pressekonferenzen. Heute ist sogar eine, die es sich richtig lohnt zu erwähnen. Patrice gibt sich in dem völlig überhitzten Presse-Container die Ehre und steht den gut 20 Journalisten Rede und Antwort. Was er da vom Stapel lässt ist auf jeden Fall nicht uninteressant: “DJs sind für mich keine richtigen Künstler. Klar gibt es da immer eine fette Show, aber die müssen bei anderen Songs nur Regler hin und herschieben, das war’s. Für jemanden der im Business der handgemachten Musik tätig ist, ist das manchmal schwer nachvollziehbar.” Protest kommt nur bedingt, wenn sich mehr DJs im Raum befinden würden, könnte das hier einen durchaus interessanten Schlagabtausch geben.
Headliner Patrice bei seiner Pressekonferenz
Handgemachte Musik hin oder her, nach einem kurzen Aufenthalt beim Auftritt von Patrice zu fortgeschrittener Zeit auf der Red Stage wird zügig gewechselt. Zum Glück, ansonsten hätte man wohl einen der besten Auftritte des gesamten Festivals verpasst. Es ist ja kein Zufall, dass Blumentopf so einen unglaublich guten Ruf für ihre Live-Qualitäten genießen. Besonders stechen mal wieder die großartigen Freestyles über das Summerjam, Köln, Bier, Hip Hop, München und Gott und die Welt hervor, bei dem die Arme wie Raketen ein ums andere Mal in die Höhe schnellen. Man sieht nur glückliche Gesichter. Besonders atmosphärisch wird es dann bei „Manfred Mustermann”, bei dem die Töpfe ein Leben in neun Minuten rappen, von der Geburt bis hin zum ersten Job, zur Rente bis hin zum Ableben. Zum ersten Mal sieht man traurige Gesichter vor der Bühne, einige sogar den Tränen nahe. Großes Kino. Mit Songs des selbigen Albumtitels geht es auch flott weiter. Vor allem bei „Was der Handel?” kommt die Menge richtig in Fahrt. Mit der Geschichte von „Rosi” aus dem Sperrbezirk endet das beste Konzert am Sonntag. Eilig verlässt man die Bühne, um bei Patrice das abschließende Feuerwerk zu bewundern. Doch damit ist der Abend noch nicht vorbei. Man verbringt die letzten Stunden des Summerjam 2013 an der Chill Out Area. Das 4Gewinnt Spiel ist jetzt weg, dafür ist der Platz jetzt bevölkert mit Tanzwütigen, die zu der Musik von DJ Cem von den Beatpackers das Summerjam Festival ausklingen lassen. Um Punkt Mitternacht gibt es auf einmal einen großen Aufschrei. Leute stürmen aufeinander zu? Was ist passiert? Eine Schlägerei? Nie im Leben. Ist jemand umgekippt? Unwahrscheinlich, Sonne ist weg! Plötzlich raunt mir ein betrunkener Typ ins Ohr: „EEEEEH, MEIN KUMPEL HAT GEBURTSTAG! GRATULIER IHM BITTE MAL, DER FREUT SICH BESTIMMT.” Gesagt getan. Immerhin muss ich mich sogar in eine Schlange anstellen, da der besoffene Typ da wirklich echt gute Arbeit leistet, aber letztlich freut das Geburtstagskind sich auch über den 85. Gratulanten genau so wie über den ersten.
Da war er wieder, dieser spontane Moment. Solche Augenblicke sagen viel mehr aus als Wut, Zerstörung, bengalische Feuer oder Dauerbeschallung wie man es von anderen Festivals gewohnt ist. Da kann man direkt Äpfel mit Birnen, ach was rede ich, mit Kokosnüssen vergleichen. Man kann diese drei Tage als eine Oase der Ruhe und Zufriedenheit ansehen, als das Urlaubsparadies der Festivals mit Sand, Strand und jeder Menge guter Musik. Danke dafür!
Von Florian Eßer und Marc Brüser
Ein weiterer Dank geht an das großartige Team von Contour Music sowie an Max, der den gesamten Pressebereich perfekt gemanagt hat.