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Neues Interview:

Interview mit Mariusz Duda von Lunatic Soul und Riverside

Mariusz DudaMariusz Duda ist nicht nur Kopf der polnischen Progrock-Band Riverside, sondern auch der Mann hinter dem Ein-Mann-Projekt Lunatic Soul, das sich eher den leiseren elektronischen Tönen in verschiedenen Schattierungen widmet. Das im Oktober erschienene vierte Album „Walking on a Flashlight Beam“ hat es nun auf Anhieb auf Platz 7 der polnischen Charts geschafft – eine absolute Überraschung für ein Liebhaberprojekt, das keine kommerziellen Absichten verfolgt. Im Interview erzählt Duda, wie er mit dem Erfolg umgeht und was ihn zum Projekt Lunatic Soul bewegt hat und wie es aus seiner Sicht heutzutage um Musik und Musiker bestellt ist.

Hallo Mariusz, wie ist es für dich, dass es bis dato keine einzige Rezension zu geben scheint, die auch nur irgendwas an deinem neuen LS-Album „Walking on a Flashlight Beam“ auszusetzen hat? Alle überschlagen sich mit Lob und Begeisterung …

Mariusz: Ich kann es mir nur so erklären, dass die Hater entweder schlafen oder nicht wissen, dass es Lunatic Soul gibt. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die negativen Stimmen sich melden. Ich bin unglaublich überrascht über dieses Feedback, denn ehrlich gesagt hab ich dieses Album nicht für ein Publikum geschrieben. Es war eher als eine Art Überlebenstherapie gedacht. Nach der Fertigstellung war ich froh, dass das Ergebnis besser war, als ich gedacht hatte. Ich hoffe, das bedeutet für das nächste Album nicht, dass ich in dem selben ungesunden mentalen Zustand sein sollte, um so kreativ zu sein … Aber ja, jetzt freue ich mich einfach, dass es den Leuten so gut gefällt und ich finde auch, dass es wirklich ein cooles – und kaltes – Album geworden ist.

Was bedeutet für dich Lunatic Soul im Gegensatz zu Riverside, die ja mittlerweile eine etablierte und populäre Band ist?

Mariusz: Bei Riverside geht es um eine gute Rockband mit guten, hörbaren Melodien und coolen Shows. Riverside ist mein Job, mit dem ich mein Leben bestreiten kann. Dank Riverside können wir Shows spielen und Geld verdienen – Tourneen sind ja mittlerweile der einzige Weg, um mit Musik Geld zu verdienen, denn Dank Spotify und anderen Streaming-Portalen gehen die Tonträger-Verkäufe abwärts. Lunatic Soul ist nur ein Studioprojekt, das nicht auf Tour gehen muss. Ich muss keine Konzerthallen vollkriegen. Bei Lunatic Soul geht es nur um meine persönliche Entwicklung als Musiker. Das Projekt hilft mir, ein besserer Musiker zu werden und auf die Suche nach Originalität zu gehen. Das ist schwierig, wenn man das Gefühl hat, dass musikalisch schon alles gesagt und getan worden ist, aber ich kann es als Lunatic Soul ausprobieren. Es gibt dort Raum für musikalische Experimente, die man nicht in Schubladen stecken kann – es ist schwierig zu sagen, ob Lunatic Soul Progrock, Ambient, Folk, orientalische Musik oder Filmmusik macht. Und genau darauf bin ich stolz.

Heißt das, dass wir dich nie mit Lunatic Soul live sehen werden?

Mariusz: Eines Tages bestimmt, aber nicht, weil ich damit Geld verdienen möchte oder muss. Ich bin einfach gespannt, wie die Leute darauf reagieren, wenn Lunatic Soul live spielt.

Dieser Lunatic Soul, diese verrückte Seele, bist du das selbst?

Mariusz: Man könnte sagen, dass Lunatic Soul mein dunkles Alter Ego ist. Ich wollte von Anfang an Musik machen, die vielschichtig und tiefgehend ist, über Musik hinausreicht und ins Metaphysische hinein. Das Projekt ist sehr stark beeinflusst von Dead Can Dance oder Peter Gabriel, deren Werke für mich über bloße Musik hinausgehen. Das gilt auch für Riverside übrigens. Selbst die einfachen Melodien dürfen nie seicht rüberkommen, es muss immer mehr da sein. Und dieses Mehr ist für mich sehr wichtig. Bei Lunatic Soul gehe ich noch viel weiter, was dieses Mehr angeht, vielleicht manchmal soweit, dass die Menschen beim Hören verstört sind.

Ist ein bisschen Verrücktsein wichtig, um ein Künstler zu sein?

Mariusz: Ich bin zum Glück nicht verrückt, ich habe mein Leben doch ziemlich im Griff. Manchmal habe ich vielleicht Phasen, in denen ich mich auch mal zurückziehen muss, um kreativ zu sein. Ein Freund von mir, der Taxifahrer ist, erzählt mir mal, dass Mozart und Bach auf ihre Weise Autisten waren. Sie waren so sehr auf die Musik fokussiert, dass sie nichts anderes interessiert hat und sie ihr Leben teilweise ruiniert haben. Vielleicht muss man also ein bisschen verrückt sein, um kreativ zu sein. Es ist allerdings für Künstler heutzutage sehr schwierig geworden, denn sie haben oft diesen Freiraum nicht. Sie müssen sich gleichzeitig noch um viele andere Dinge kümmern und können nicht einfach nur Künstler sein. Die Fans haben sich in den letzten Jahren Dank der sozialen Medien daran gewöhnt, dass es so eine Art Kontakt gibt mit den Künstlern. Wenn du deine Musik verkaufen willst, musst du immer auf dem Schirm haben, ob die Musik kompatibel ist mit den Zuhörern. Du stellst dir also immer wieder die Frage: Will ich die Platte machen, die die Leute hören oder die Platte, die nur drei Leute hören. Dieser Druck macht es nicht gerade einfach, kreativ zu sein. Vielleicht hilft es also manchmal ein bisschen verrückt oder autistisch zu sein und sich um die Sachen keine Gedanken zu machen. Es schützt einen wie ein Schutzpanzer davor, sich dauernd darüber Gedanken zu machen, ob man jetzt noch was auf Facebook schreiben muss oder nicht. Ich mache das natürlich auch, aber erst, wenn ich kreativ war und ein wenig Zeit übrig ist.

Der Mensch, dessen Gedanken wir auf deinem Album kennenlernen, ist ja auch einer, der sich ganz zurückgezogen hat aus der Welt, der sich eingeschlossen hat in einem Raum.

Mariusz: Ich bin selbst umgeben von Büchern und Filmen und Musik, schon als Kind haben mir diese Dinge viel bedeutet – und in dem Riverside-Song „Deprived“ geht es auch darum. Ich brauche auch die Zeit, um mich mit diesen Dingen zu beschäftigen und manchmal ziehe ich das dem sozialen Leben vor, also mit Leuten Bier trinken zu gehen oder Ähnliches. Aber ja, ich versuche auch da, eine Art Gleichgewicht zu finden und nicht zu sehr abzudriften. Die Person in dem Album ist natürlich die extreme Variante davon, ich bin zum Glück selbst nicht so. Sehr viel meiner Inspiration habe ich da von dem polnischen Journalisten Tomasz Beksiński, der im Alter von 41 Jahren Selbstmord beging. Er hatte irgendwann beschlossen, nur noch einer fiktiven Welt zu leben. Und das Thema fand ich interessant. Daher befassen sich die Texte mit jemandem, der nur noch in einer Welt der Fiktion lebt. Mann könnte es quasi als Prequel zum schwarzen Luantic Soul Album verstehen, in dem es um den Tod geht.
Ich selbst bin wie gesagt nicht so ein Typ, ich ziehe zwar gerne auch mal die Vorhänge zu, um in Ruhe Computerspiele zu spielen, aber ich bin kein Vampir, auch wenn ich die Dunkelheit mag. Das Thema spricht mich eben an. In Japan z.B. gibt es ja auch dieses Phänomen, das als Hikikomori bezeichnet wird. Da schließen sich erwachsene Menschen in ihren eigenen Räumen ein und haben keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Ich glaube, dass das mitunter das Ergebnis dieser hyperaktiven Zeiten ist, über die ich schon in Riverside-Songs geschrieben habe.

Ein ziemlich düsteres und ernstes Thema, zu dem auch die düstere, kalte Musik auf dem neuen Album passt. Wie reagierst du darauf, wenn da Vergleiche kommen mit Nine Inch Nails oder Cure oder Depeche Mode?

Mariusz: Das finde ich okay, denn die Leute müssen immer etwas zum Vergleichen haben. Als ich früher mit meiner ersten Band Musik gemacht habe, gab es da diesen Hausmeister, der nur The Police und U2 hörte. Und immer wenn er beim Proben die Tür aufmachte, sagte er: „Oh, das klingt wie U2!“ oder „Oh, das klingt wie The Police!“ Man hört also immer erstmal die Musik raus, die man halt kennt. Auf jeden Fall wollte ich auf diesem Album aber einen kalten Sound kreieren, und das passt in der Tat zu so Alben wie Depeche Modes „Songs of Faith and Devotion“ oder Cures „Faith“. Es tut mir eher weh, wenn jemand mit Storm Corrosion (Anm. der Red.: dem Gemeinschaftsprojekt von Steven Wilson und Mikael Åkerfeldt von Opeth) ankommt, da ich diese Musik schon gemacht habe, bevor Storm Corrosion überhaupt aufkam. Ansonsten sind diese Vergleiche schon okay und hilfreich. Und diesmal sind es vor allem viele neue Bands, mit denen meine Musik verglichen wird. Das zeigt, dass ich mein Ziel erreicht habe, etwas anderes zu machen als zuvor.

Neben den Texten und der Musik gibt es ja noch diese visuelle Komponente, die zeigt, dass es sich bei dem Album um ein ganzheitliches Konzept handelt. Das Artwork im Booklet, die wunderschön gemachten Trailer auf der DVD, die Teaser, da gibt es noch eine eigene Bildsprache, in die viel Arbeit geflossen ist.

Mariusz: Das ist für mich auch sehr wichtig, weil das Visuelle meiner Meinung nach zu der Musik gehört. Das klappt bei Lunatic Soul viel besser als bei Riverside, wo wir auch viele Fehler gemacht haben. Ich habe diesmal auch zum ersten Mal einen Dokumentarfilm zum Entstehen des Albums gemacht (Anm. d. Red.: weswegen es sich unbedingt lohnt, die DVD-Version des Albums zu holen). Trailer und Teaser wie hier haben wir für Riverside nie gehabt, aber das lag daran, dass wir nicht den richtigen Mann dafür gefunden hatten. Er mag Lunatic Soul mehr als Riverside und wir konnten uns schnell über das Visuelle einigen und eine eigene Sprache finden. Es ist schön, eine Art Seelenverwandten gefunden zu haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Mariusz: Ich werde weiterhin daran arbeiten, etwas zu erschaffen, das vielleicht sogar kommerziell genug und erfolgreich ist und trotzdem künstlerisch anspruchsvoll. Ich würde gerne etwas erschaffen, was ehrgeizig und interessant ist und etwas hat, das dich dazu zwingt, immer wieder zurückzukehren. Das ist die Herausforderung – etwas zu erschaffen, was der Musikhörer mag aber auch genauso die normale Hausfrau.

Du wirst ja jetzt erstmal wieder mit Riverside an einem neuen Album arbeiten. Wird der Erfolg der neuen Lunatic Soul irgendeine Wirkung auf den Sound der neuen Riverside haben?

Mariusz: Ja, ich glaube schon. Wir haben heute schon wahrscheinlich den ersten Track des neuen Albums gemacht. Die Schlagworte, die ich mir notiert hatte, waren Hoffnung und Licht und Raum. Zuerst wollte ich eigentlich auch bei Riverside etwas dunkleres machen, aber ich glaube, ich werde Dank Lunatic Soul mehr Licht in Riverside reinbringen. Ich spreche nicht davon, fröhliche Musik zu machen, aber etwas, was mit Licht, Hoffnung und Kraft zu tun hat. Und ich bin auch nicht daran  interessiert, Metal oder Retroprog zu machen, was momentan alle machen. Ich will auch bei Riverside jetzt etwas Originelles und Neues erschaffen, denn die Arbeit an Lunatic Soul hat etwas in mir freigesetzt.

Danke, lieber Mariusz! Ich freue mich schon auf das neue Riverside-Album!