Was macht wohl einer der als Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen geboren wurde? Aufgewachsen ist er im Rheingau in Eltville als Winzersohn zwischen Weinreben. In die Welt hinaus hat es ihn verschlagen. Nach Berlin, nach Holland, schließlich Hamburg. Studium. Er ist Liedermacher geworden, dieser schlaksige junge Mann und veröffentlichte sein selbst betiteltes Debütalbum als Gisbert zu Knyphausen im Jahr 2008. Dieses zeigte schon ein solch reifes tiefes Songwriting, wie man es in deutscher Sprache nur selten zu Gehör bekommt. Es ist die klare Sprache von zu Knyphausen und die trotzdem auch versteckten Assoziationen, die seine Versionen von zerbrochener Liebe, den Geräuschen im Kopf, dem Hämmern in der Seele oder einfach auch nur mal vom Trinken erzählen. Diese große Songwriting-Qualität führte der Wahl-Hamburger auch auf seiner zweiten Platte “Hurra, Hurra, So Nicht!” fort. Und mit den Liedern beider Scheiben im Gepäck geht Gisbert zu Knyphausen jetzt nochmals auf große Deutschlandreise, bevor er sich neuen musikalischen Projekten widmen möchte.
Draußen herrschen derzeit frostige Temperaturen, aber der Junge ist heimgekehrt nach Hessen, um mit seiner vierköpfigen Band Gunnar Ennen (Gitarre, Tasten und vieles mehr), Frenzy Suhr (Bass), Jens Fricke (Gitarre) und Sebastian Deufel (Schlagwerk) ) unsere Herzen zu erwärmen. Heute abend in der Centralstation. Und wenn es sein soll durch die Nacht. Als Vorgruppe spielen erstmal “daatje & the golden handwerk”. Das ist Joachim Zimmermann in Begleitung von Gisbert zu Knyphausen´s Band, übrigens beheimatet auf dessen kleinem Label “Omaha records”. In einem Text über die Gruppe heißt es dort: “…Daantje will “keine Grinsefressen mehr”, sondern “Menschen die Lächeln”. Bei mir hat er das sofort geschafft mit seinen teilweise sehr amuesanten und ehrlichen Texten und den spielerisch ausgearbeiteten Songs. Mit einfachsten Mitteln schafft es dieser Mann Melodien zu erschaffen, die sich in meine Herzkammern bohren und mir ein subtiles Lächeln ins Gesicht zaubern
Daantje besticht immer durch seinen Charme und seine authentische Art…”. Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen. Man glaubt hin und wieder Rio Reiser zu hören und manchmal blitzen Regener´s Element Of Crime hinter den runden Brillengläsern von Joachim Zimmermann hervor.
Gisbert zu Knyphausen und Band kommen danach schnell auf die Bühne und nach einer herzlichen Begrüßung, scheinbar schüchtern, geht es behutsam los. Man gibt an, nach vielen Tagen auf Tour etwas müde zu sein. Pustekuchen! Im Verlauf des Konzerts zeigen die Musiker eine Dynamik und Konzentriertheit, die sofort eine Brücke zum Publikum schlägt, so daß sich eine unsichtbare aber im Innern und der Luft spürbare Verbundenheit entfaltet. Da oben spielen welche von uns. Seelenverwandte. Gisbert (auch der Einfachheit halber bleibe ich jetzt beim Vornamen) taumelt zwischen Trotz und Wehleid hin und her. Der Melancholiker vergräbt seine nackten Füße im Sand. Er singt Traurigkeit und unendlich echt. Berührend, an der Seele nagend. Es sind Zeilen wie “Was hast du der Menschheit jemals Gutes gebracht? / Außer Musik und Kunst und billigen Gedichten? / Hast du darüber schon mal nachgedacht? Ach, fick dich ins Knie, Melancholie / du kriegst mich nie / klein…” (aus “Melancholie).
Gepackt hat sie ihn dennoch, obgleich er diesen Song, wohl der bekannteste von Gisbert zu Knyphausen, heute abend gar nicht spielen wird. Statt dessen steht er nach der ersten Pause am Ende dieses wunderbaren Konzertabends alleine mit seiner Gitarre auf der Bühne und singt: “Verschwende Deine Zeit (Gisberts Blues nr.135)”. Danach ist erneut die gesamte Band wieder da und die Fünf legen nochmals ordentlich los. Die angesprochene Melancholie, sie zieht sich durch die fein gesponnenen Geschichten, sogar durch die wütend lärmenden Ausbrüche (z.B. “Grau, Grau, Grau”, “Sommertag”). Alles an dieser Musik ist so gnadenlos ehrlich, manchmal pessimistisch, aber immer auch verdammt nochmal so hoffnungsvoll wie ein Regenbogen an einem nassen Tag im Herbst. Es wird warm in der Halle der Centralstation, die nahezu komplett voll ist.
Gisbert steht vorne am Bühnenrand, umrahmt von seiner kongenialen Band und versprüht diesen speziellen Charme, diese Herzenswärme und Kumpelhaftigkeit, so dass man sich wünscht er würde danach noch zu einem Bierchen einladen und bis zum nächsten Morgen über die großen Fragen des Lebens sinnieren, in irgendeiner gemütlichen Kneipe wie wir sie von früher kennen und wo uns der eisige Februarwind nicht erwischen kann, obwohl er ja wie der bucklige Winter,vermutlich die Antworten bereits kennt. Seine Lieder verströmen den rauen Duft von Hafenromantik, der aus der Großstadt herüber zieht. Fast alle Songs der beiden Platten werden heute gespielt und es ist ein Wechselbad der Gefühle, Gänsehaut die über die Arme bis in den Nacken empor kriecht. Füße die nicht still stehen wollen. Lieder wie “Kräne”, “Morsches Holz”, bei dessen Ankündigung Gisbert zuerst auf seine Akustikgitarre klopft und anschließend schelmisch grinsend an seinen Kopf. Es sind diese kleine Gesten, die ihn so liebenswert und sympathisch machen.
“Dreh Dich nicht um” (auch Solo) oder auch “Kleine Ballade”, “Der Blick In Deinen Augen” gehen so tief ins Herz, setzen sich dort fest und wollen nie wieder weg. Etwa in der Mitte des Sets wird den Anwesenden dann überraschend ein bislang unbekannter, irgendwie apokalyptischer, Song (“Der tödliche Schlag”) “zugemutet”, den Gisbert mit Gunnar Ennen für ein kleines Theaterstück geschrieben hat. Vor allem textlich keine leichte Kost (“Tausend Jahre Evolution führten uns immer nur zu besseren Waffen. Wir Menschen, den Göttern zum Hohn, sind nichts als waghälsige Affen. Es ging mal um irgendwas mit Ehre. Oder geht´s schon immer nur ums Verrecken? Selbst wenn das jetzt wichtig wäre, es ist zu spät sich zu verstecken. … Gebt meiner Mutter einen Kuss und wenn ich sterbe, verstreut meine Asche überall. Nur nicht hier! Nur nicht hier! Nur nicht hier!
”), auch in seiner musikalischen Umsetzung unglaublich intensiv.
In der zweiten Hälfte des Konzerts folgen weitere Songs und Arrangements von großer Intensität und das intime dringliche Gefühl dieser wirksamen Poesie der gesammelten Lieder der beiden Alben dieses jungen Liedermachers schiebt sich durch unsere Adern zu den Herzen und den Köpfen. Selbst ohne die starke Sprache in einem ausufernden Jam, inmitten eines Songs, taumeln die Musiker hypnotisch einem Inferno entgegen.
Das letzte Lied vor der ersten Pause gibt uns Gisbert sogar ungewohnt ohne sein Instrument, sondern nur mit dem Mikro in der Hand. Er tanzt und kreiselt dabei über die Bühne wie er es bei den schnelleren Momenten heute immer wieder macht. Still steht er nicht. Er und seine Band leben diese Musik und entlassen dann schließlich irgendwann später die emotional berührte Zuhörerschaft in die kalte Nacht hinaus. Gisbert, Wir sind hier, weil Du auch hier bist!