Hurricane Festival 2012 Kraftklub The Temper Trap New Order uvm
Der Festivalsonntag startet völlig unerwartet aber traditionsgemäß mit Dauerregen, genau wie im Vorjahr, deshalb starte ich erst am frühen Nachmittag auf das Gelände, wo man unzählige wetterfeste Festivalisten in bunten Regencapes und Gummistiefeln beobachten kann, obwohl so einige schon vor dem Wetter kapituliert und bereits den Heimweg angetreten haben.
Trotz des anhaltenden Regens ist das Konzert des britischen Folk-Rockers Frank Turner & The Sleeping Souls (14:40 Uhr Blue Stage) recht gut besucht. Der bestens gelaunte Frontmann lässt sich die Stimmung vom Wetter nicht verderben und präsentiert uns schon mal sein heute erlerntes Deutsch mit den Worten “Scheiß Regen”. Das Publikum ist ebenfalls in bester Stimmung und feiert und tanzt sowohl zu den schwungvollen Folk-Songs mit leichtem Country-Touch wie “The Road”, als auch zu den rockigen Nummern wie zu “Reasons Not To Be An Idiot”. Immer wieder hat Turner eine kleine nette Geschichte parat wie z.B. zu “Wessex Boy”, musikalisch rundet er sein Set mit einer gesunden Mischung aus teils punk-rockig klingenden, aber auch mal pianogeprägten Melodien in “I Am Disappeared” vom aktuellen Album “England Keep My Bones” ab, zu denen das Publikum stets enthusiastisch mitklatscht. Er versteht es das Publikum perfekt zu unterhalten, zeitweise sogar in gebrochenem Deutsch. Bei seinem eigens initiierten “European-Dance-Contest” tanzen dann wirklich fast alle zu seinem neuen Song “Four Simple Words” und zu seinem Hit “New Slang” fröhlich mit, gegen Ende seines Sets bringt er das gesamte Publikum aus der Hocke zum Springen. Genau so soll ein Live-Auftritt aussehen, beste Unterhaltung und dazu eine tolle Band, die das Konzert vollends abrundet.

Auch die fünf gehypten Chemnitzer von Kraftklub (15:30 Uhr Red Stage) lassen sich ihre einjährige Vorfreude nicht durch den Regen verderben und begrüßen ebenfalls alle “Zaungäste”, die nur von außerhalb noch den Blick auf das nahezu überfüllte Gelände an der Red Stage werfen können. Sie beginnen ihr Set geradezu explosiv, im vorderen Bereich gibt es kein Halten mehr, es wird gesprungen und trotz nervig prasselndem Regen ausgelassen gefeiert und herrlich mitgegröhlt, jedoch ist die Stimmung im hinteren Bereich durch die zeitweise schlechte Akustik zunächst eher verhalten. Die Newcomer um den 22-jährigen Frontmann Felix Brummer toben regelrecht über die Bühne und schmettern einen mitreißenden Song nach dem anderen raus, sei es “Juppe”, “Zu Jung” und natürlich ihren erfolgreichen Radiohit “Songs für Liam”. Da werden dann die angeleiteten Klatschspielchen sogar in den hinteren Reihen mitgemacht. Sie liefern hier trotz Sauwetter eine großartige Bühnenshow ab und reißen ihre Fans mit einer Mischung aus Rap und Pop mit ihren deutschsprachigen Texten einfach nur mit. Wer Party machen will, ist hier also genau richtig. Jetzt wo ich Kraftklub zum ersten Mal live miterlebe wird mir auch klar, warum ihr Debütalbum “Mit K” direkt an die Spitze der deutschen Charts schnellte.

Der heftige Regen macht einen doch langsam mürbe, da es wirklich unaufhörlich durchpladdert, ich suche also erstmal Schutz im Pressebereich, um mich ein wenig aufzuwärmen und abzutrocknen. Leider schaffe ich es deshalb nicht rechtzeitig zu Boy, die ich so gerne gesehen hätte, dafür aber zu der von Frontmann James Mercer schon im Jahre 1996 gegründeten Indie-Rock Band The Shins (17:30 Uhr Blue Stage), die mit ihrem frischen Album “Port Of Morrow” im Gepäck derzeit die Festivalbühnen bespielen. Tatsächlich hört es während ihres Sets kurz auf zu regnen, so können ihre Fans ein wenig gelassener in die wunderbar eingängigen, dabei aber nicht kommerziell wirkenden, Melodien mit Mercers ausdrucksstarken Gesang eintauchen, der in der Hauptsache den Charakter ihrer Musik prägt. Besonders positiv fällt mir neben anderen etwas rockigeren Stücken “Simple Song” auf, der mit seiner besonderen Rhythmik, dem Piano und dem zweistimmigen Gesang bei allen sehr gut ankommt. Das Publikum empfindet ihren melodischen Indie-Sound scheinbar genauso entspannend wie ich, vor allem die sanften, melancholischen Songs, und bewegt sich verträumt im Takt mit. Zum Refrain wird auch schon mal mitgesungen, offensichtlich sind die Fans weitestgehend mit ihren Texten vertraut. Jedoch gehen immer wieder skeptische Blicke gen Himmel, wie lange die Regenpause mit vereinzelten Sonnenstrahlen wohl andauern wird. Doch The Shins haben Glück und können ihr durchweg gelungenes Konzert trocken beenden.

Von hier geht es für mich direkt weiter zum britischen Quartett von Bat For Lashes (18:30 Uhr Red Stage), die das unsagbare Glück haben ihr Set bei Sonnenschein zu spielen. Die studierte Songwriterin Natasha Kahn präsentiert uns experimentelle, aber klangvolle Melodien, die das der Sonne fröhnende, teils auf dem Rasen sitzende Publikum in ihren Bann zieht. Die interessanten Arrangements aus ihrem dramaturgisch angelegtem Gesang, Drums, Synthies und akustischen Instrumenten fesseln die Zuhörer hier genauso wie die gekonnt extrovertierte Theatralik, mit der Natasha Kahn ihre Songs hier performt. Ihre Musik wird mit bewusst platzierten Kontrasten spannungsreich inszeniert, die hohe Stimme wird zeitweise mit tief durchdringenden Bässen und reduziert gesetzten Drums begleitet. In anderen Songs wirkt diese dann mit Pianobegleitung fast zauberhaft und mit elektronischen Beats sind die Songs dann sogar richtig tanzbar. Bat For Lashes präsentieren uns einen guten Werk-Querschnitt durch ihre ersten beiden Alben, außerdem stellen sie uns ein paar neue Titel aus dem im Oktober erscheinenden Album “The Haunted Man” vor, so auch die reduzierte Klavierballade “Laura”. Ihre atmosphärische Musik ist wunderschön anzuhören, dabei wirkt Frontfrau Natasha durchweg sympathisch in ihrer eher schüchternen Kommunikation mit dem Publikum, welches aber durchweg von ihrem Auftritt begeistert ist. Für mich ist dieser eine positive Überraschung, denn ich hatte zuvor nicht damit gerechnet, dass die Musik von Bat For Lashes doch so abwechslungsreich ist und mich so fesseln würde.

Kaum ist das Set beendet geht es auch schon wieder los mit heftigsten Schauern. Wieder einmal flüchte ich, um mich bei einem Kaffee im Trockenem zu ermutigen, noch bis New Order durchzuhalten. Auf den Bildschirmen wird gerade das Konzert von Katzenjammer (19:15 Uhr Blue Stage) übertragen, die in strömendem Regen während des gesamten Konzerts ihre Fans bei Laune halten. Die vier Norwegerinnen machen ihre Sache aber wirklich gut, da sie natürlich mit ihrem außerordentlichen musikalischen Begabung und ihrem zauberhaftem Aussehen nahezu jeden begeistern können. Auf jeden Fall scheint die Stimmung an der Bühne hervorragend zu sein, wie auch direkt nebenan bei The Kooks (19:45 Green Stage), wo offensichtlich ausgelassen im Regen zu flottem Indie-Rock der Briten wie “Naive” und “Shine On” den Wasserfluten von oben zum Trotz gefeiert wird. Ich gönne mir jedoch meine wohlverdiente Pause und mache mich erst zu The Temper Trap ( 20:30 Uhr Red Stage) wieder auf den Weg in den Dauerregen. Mittlerweile hat sich das gesamte Gelände in eine wahre Matschlandschaft verwandelt, ohne Gummistiefel ist da ein Durchkommen trockenen Fußes schon fast nicht mehr möglich. Das australische Quartett um Frontmann Dougy Mandagi hatte ich leider schon im letzten Jahr verpasst, weil die Red Stage wieder einmal überfüllt war, deshalb möchte ich sie heute auf jeden Fall live sehen. Die Australier haben heute gleich mehrfach Glück, denn erstens hat es tatsächlich während ihres Sets wieder aufgehört zu regnen, was von Sänger Doughy mit “There is hope” kommentiert wird. Zweitens ist ihr Konzert trotz der kritischen Wetterlage sehr gut besucht, und zwar mit richtig gut gelauntem Publikum, und drittens haben sie an der Red Stage die weltbeste Security, die zu ihrer Musik vorne im Graben so richtig mitrockt. Schon zu Beginn spielen sie das von allen umjubelte “Need Your Love” von ihrem aktuellen selbstbetitelten Album, nicht nur das Publikum hüpft und klatscht dazu, wie auch bei “Fader” von ihrem Debütalbum “Conditions”, sogar die Security-Truppe springt, tanzt und performt regelrechte Choreografien, so dass es eine wahre Freude ist dabei zuzusehen. Das heizt natürlich die Menge umso mehr an, die Stimmung hier an der Red Stage wird immer besser. Faszinierend ist auch der energetisch geladene Instrumentalpart in “Drum Song”, worauf dann schon ihr Superhit “Sweet Disposition” den Abschluss und auch den Höhepunkt ihres Sets bildet. Sie begeistern ihre Fans sowohl mit ihrem ruhigeren sphärischen, als auch mit ihrem rockigeren, stark rhythmusbetonten Gitarrensound, zudem rundet das harmonische Zusammenspiel der Band und vor allem Doughys variationsreiche und außergewöhnlich hohe Stimme das Ganze noch mal in seiner Perfektion ab. Ein tolles Konzert, welches mir trotz Schietwetter lange in Erinnerung bleiben wird.

Apropos, natürlich hat auch der unangenehme Nieselregen wieder eingesetzt, und ich scheine mit meiner Idee nicht die einzige zu sein, sich am Kaffeestand mit einem Heißgetränk aufzuwärmen und zum weiteren Durchhalten zu animieren. Die Mehrzahl der verbliebenen Festivalbesucher strömt jetzt rüber zur Green Stage zu den Ärzten, meine Wahl fällt heute aber zugunsten von New Order aus, da ich sie niemals zuvor live gesehen habe. Auch Beirut wäre eine tolle Alternative gewesen, aber man kann sich ja schließlich nicht zweiteilen. Doch kurz vor Beginn von New Order (22:00 Uhr Blue Stage) ist es hier immer noch total leer, bis auf eine etwas größere Ansammlung von hartgesottenen Fans, die das Gelände lediglich bis zur Absperrung füllen. Ich wundere mich schon ein bisschen über das mangelnde Interesse, da doch die Ärzte alle naselang irgendwo bei uns in Deutschland spielen. Wird wohl am Wetter liegen denk ich mir, da schließlich auch ich von unserer gesamten Truppe die einzige bin, die den Regentag überhaupt noch in Angriff genommen hat. Die 80-er Synthie-Pop Legenden um Sänger Bernard Sumner und den noch verbliebenen Mitgliedern der legendären Band Joy Division kommen dick in Winterjacken gehüllt auf die Bühne und beginnen mit effektvollen Projektionen auf die riesige Videoleinwand und dem Opener “Elegia” ihr Set. So richtig glücklich sehen aber auch sie nicht aus, vermutlich hatten sie mit deutlich mehr Publikum gerechnet. Zugegebenermaßen bin ich gedanklich auch schon fast auf dem Sprung, da sich die feucht-kriechende Kälte in meinen Klamotten mittlerweile nicht mehr abschütteln lässt. Auch der Blick in den wolkenverhangenden schwarzen Himmel lässt Schlimmstes erahnen. Die darauf folgenden Songs “Crystal” und “Regret”, alle in technisch unausgewogener Soundqualität, können mich auch nicht mehr so richtig begeistern, so dass ich mich, berechtigterweise ein wenig in Sorge um die Schlammsituation auf dem Womo-Platz, ebenfalls auf den Rückweg begebe. Letztendlich stellte sich dies als eine weise Entscheidung heraus, da vor mir direkt schon die ersten PKW´s mit den ortsansässigen Traktoren rückwärts vom Platz gezogen werden müssen, wobei ich mit meinen Wagen trotz einer wahren Schlitterpartie durch den weich gefahrenen Acker glücklicherweise noch alleine bis auf die Straße gelangen kann.

Ein wenig schade ist es schon, dass ich nun nicht mehr “Blue Monday” und die Cover Version des Joy Division Klassikers “Love Will Tear Us Apart” miterleben kann. Nichtsdestotrotz war das Hurricane Festival auch in diesem Jahr wieder vom Allerfeinsten! Rund 26 großartige Bands konnte ich mir live anschauen, nebenbei erwähnt bei einer wunderbar stressfreien Atmosphäre auf dem gesamten Festivalgelände. Viele tolle Helfer, Festivalmitarbeiter und das größtenteils freundliche Security-Personal haben ein sensationelles Event mit einem fast unschlagbaren Line-Up auf die Beine gestellt, auch wenn es hier und da natürlich immer Verbesserungsmöglichkeiten gibt. An zwei Tagen hatten wir sogar wunderbares Sommerwetter, die meisten Festivalbesucher haben sich jedenfalls nicht von dem verregneten Sonntag die Laune verderben lassen und sind wetterfest ausgerüstet bis zum Ende geblieben.