Das legendäre Konzert zum Mauerfall – eine Gänsehaut jagt die nächste
Es gibt Ereignisse in der medial geprägten Welt, die brennen sich in das kollektive Gedächtnis und werden es zu unseren Lebzeiten nicht mehr verlassen. Das betrifft positive wie negative Schlagzeilen. In den letzten Jahrzehnten gehören sicherlich die Terroranschläge auf das World Trade Center dazu – und natürlich der Tag des Mauerfalls in Berlin. Die meisten werden wissen, wo sie sich befanden, als sie von der jeweiligen Nachricht erfuhren. Am 9. November 1989 war ich auf einem Konzert der Bläck Fööss in Trier und höre noch deutlich, wie sich der Moderator im Radio sprachlich überschlug. Das ist jetzt 25 Jahre her und die Entwicklung zum wiedervereinigten Deutschland hat uns wohl alle geprägt.
Drei Tage später, am 12. November 1989, fand in Berlin ein denkwürdiges Konzert in der Deutschlandhalle statt, zu dem sich namhafte Künstler aus beiden deutschen Staaten und darüber hinaus vor einem riesigen Publikum (bis zu 15.000 in der Halle, die dreifache Menge davor) eingefunden hatten. Die Show dauerte von 13 Uhr bis weit nach Mitternacht und wurde von einigen Radiosendern live übertragen. Einen offiziellen Mitschnitt gab es nie – bis jetzt! Pünktlich zum Jahrestag erscheint ein gut gefüllter Sampler mit Auszügen des Großereignisses.
Es startet mit der Anmoderation von Steffen Simon, die mir auch 25 Jahre später noch Freudentränen in die Augen treibt. Dann kommt Joe Cocker, der mit Kunze, Lindenberg und Wecker im Backgroundchor “With A Little Help From My Friends” schmettert. Ein Auftakt nach Maß. Gut gefällt mir im CD-Format, dass die Moderationen meist einen extra Track bekommen, sodass man sie beim mehrmaligen Hören einfach skippen kann.
Udo Lindenberg ist standesgemäß gleich drei Mal vertreten. “Horizont” und “Wir wollen doch einfach nur zusammen sein (Mädchen aus Ost-Berlin)” gehören definitiv zum Soundtrack dieser Zeit. Vor allem, wenn man bedenkt, dass gerade aus diesen Titeln zwei Jahrzehnte später ein bedeutendes Musical entstand, das genau die Ereignisse jener Zeit darstellt. Da macht es auch nichts, dass Udo mitten im Song ganz im Eifer des Gefechts wieder zu schwadronieren anfängt und seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Den “Sonderzug nach Pankow” hatte er zudem textlich spontan verändert und präsentierte eine akustische Kurzfassung mit ganz neuem Text, die in der Folge erneut zum Radiohit wurde.
Was haben wir noch? Bap mit “Verdamp lang her”, Nina Hagen und ihr Rock-Megamix zu Sinatras “My Way” mit der Textzeile “Berlin, du geile Stadt”, Heinz Rudolf Kunze mit den Riffs von “Faith Healer” und dem Titel “Die offene See” sowie Melissa Etheridge, die zufällig auf Tour in Berlin weilte und mit Feuereifer zum Konzert hinzu stieß. Mein persönliches Highlight ist aber – neben Udo – Konstantin Wecker, der “Die weiße Rose” interpretiert, was eine Verbindung zum Widerstand gegen das Nazi-System und zum Widerstand gegen das DDR-Regime knüpft: “Die aufrecht gehen, sind in jedem System historisch hoch angesehn”, sagt er und spricht mit seiner Textzeile “es geht ums tun und nicht ums siegen” jedem aus der Seele.
Von DDR-Seite sind Dirk Zöllner, Pannach und Kunert, Pankow und Silly mit dabei, wobei vor allem letztere auch im vereinigten Deutschland eine musikalische Nachhaltigkeit bis in die Gegenwart erreicht haben. Somit ist die Bandbreite der Künstler auf dem Sampler weit genug, um einen repräsentativen Querschnitt durch das ursprünglich 12stündige Konzert zu geben.
Ich bewerte diesen Release mit der vollen Punktzahl, denn allein das Anhören der Ansagen von Moderator Steffen Simon und die emotionsgeladenen Aussagen der teilnehmenden Künstler erzeugen eine Gänsehaut nach der anderen. Natürlich gibt es auch Kritikpunkte: Die Reihenfolge der Songs ist nicht korrekt, einige essentielle Künstler (beispielsweise Marius mit “Freiheit” und Nena mit “Wunder geschehn”) sind nicht vertreten, das Ausweisen der Ansagen als Extra-Track wurde nicht konsequent durchgehalten. Doch das sind Peanuts in Anbetracht der historischen Bedeutung. Wer diese Zeit hautnah mit erleben durfte, wird begeistert sein. Und die jüngere Generation bekommt einen Eindruck davon, wie bewegt die Nation im Herbst 1989 war. Ein Durchforsten der Archive lohnt doch immer.
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