Laith Al-Deen übt kollektives Schulterklopfen im Lokschuppen Dillingen

Laith Al-Deen war nach langer Zeit mal wieder im Saarland und es war ein Fest! Der Lokschuppen in Dillingen war zum Bersten gefüllt. Das hieß natürlich: ewige Parkplatzsuche, Anstehen in der Kälte, riesige Warteschlange an der Garderobe – aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um zwei fantastische Songwriter im schönen Ambiente des ausverkauften Lokschuppens zu genießen. 1600 Zuschauer hatten sich eingefunden und die Stimmung war von Beginn an großartig.

Damit Laith pünktlich um 20.30 Uhr auf der Bühne stand, startete Support Alex Diehl bereits um 19.50 Uhr sein fünf Songs umfassendes Programm. Nur mit Gitarre bewaffnet und unterstützt von Produzent Stephan am Keyboard verschaffte er uns einen kleinen Eindruck von seinem musikalischen Wirken. Ich kannte schon seine aktuelle Live-EP, dennoch war ich von der Dynamik und Bühnenpräsenz des Künstlers aus Bayern angenehm überrascht. Er startete mit „So fangen Legenden an“, das auch Opener des Debütalbums „Ein Leben lang ist“. Alex‘ Stimme ist weich und harmonisch. Damit kommt er jederzeit sympathisch rüber.

Diehl verbindet seine Lieder mit kleinen Anekdoten, die zu Herzen gehen. Wenn er beispielsweise von seiner Freundin aus dem Norden erzählt, die zu ihm nach Bayern gezogen ist und für die er keinen Song schreiben wollte, weil diese Ehre normalerweise nur Verflossenen zu Gute kommt. In einer Beziehungskrise schrieb er für sie „Bitte werde nie ein Song“ – eine wundervolle Ballade, die einigen anwesenden Frauen etwas Pipi in die Augen trieb. Alex Diehl hat vor zehn Jahren die Schule geschmissen mit deutlichen Worten an den Matehelehrer „Tschüss, ich werde Rockstar“. Das hat er nun wohl geschafft. „Wo ein Wille, da ein Weg“, heißt die passende optimistische Hymne. Der Abschluss des Vorprogramms war für Alex‘ kleine Schwester, der er nach einer schweren Erkrankung den Song „Weitergehen“ gewidmet hatte.

Die halbe Stunde ging viel zu schnell vorbei. Noch ein Gruppenfoto mit Publikum für die Oma und Diehl räumte die Bühne für Laith Al-Deen. Nach der Show konnte ich noch ein paar Worte mit dem 26jährigen wechseln und ich hoffe, dass es ihn auf seiner bald folgenden eigenen Tour wieder ins Saarland oder nach Trier verschlägt.

In Trier hatte ich Laith Al-Deen zuletzt auf der ExHaus-Sommerbühne gesehen. Damals in akustischer Version und es war eine Zeit, in der es ihm nicht so gut ging. Das Coveralbum „Session“ und das letzte Studiowerk „Der letzte seiner Art“ hatten nicht so gezündet wie erhofft. Für den Künstler aus Karlsruhe bedeutete das eine Art Lebenskrise, die man (wie er sagt) schon mit einem Burnout gleichsetzen kann. Davon war jetzt im Lokschuppen zum Glück nichts mehr zu spüren. Laith bot eines der energiegeladensten Deutschrock-Konzerte, die ich in letzter Zeit erleben durfte – und er war für einige Überraschungen gut!

Das neue Album trägt den Titel „Was wenn alles gut geht“ und ist ein deutliches Plädoyer gegen die Selbstzweifel, die ihn in der Phase von beginnender Depression und Schaffenskrise befallen haben. Daraus hat Laith sich kämpferisch wieder befreit. Das Intro aus James-Bond-Melodie und Suchscheinwerfern ist ein fantastisches Indiz dafür, bevor es mit dem Titelsong in die Vollen geht. Laith sonnte sich im tobenden Applaus und es ging mit „Volle Kraft“ ebenso stark weiter. Das leise „Steine“ hingegen gab einen kleinen Rückblick in die Zeit, da es ihm nicht so gut ging.

Die Zuschauer in Dillingen mussten sich aber nicht nur auf neue Songs einstellen. Schon sehr früh gab es „Bilder von dir“, den Hit aus dem Jahr 2000. Ebenso das mit starken Beats begleitete „Dein Lied“ vom „Melomanie“-Album. Und „Keine wie du“ hörte sich mit einer ausgedehnten, umspielten Pianoversion ganz anders an als das Original. Laith nutzte ein langes Keyboard-Solo, um sich mitten in die Zuschauerschaft zu begeben und das Wort an alle zu richten: „Tausende Menschen im Raum und unter ihnen ein Halb-Iraker. Noch ist nichts passiert.“ Er sprach vom kollektiven Gemeinschaftsgefühl und richtete sich gegen Menschen, die ihre eigenen Ängste und Sorgen auf Unschuldige projizieren, ohne dabei die Gruppierungen AFD und Pegida explizit in den Mund zu nehmen. Doch wusste jeder, was gemeint war. Ein Schulterklopfen beim Nachbarn sollte helfen, die eigenen Stärken auch einmal zu sehen und auszusprechen. Eine kleine Geste, die ein sichtbares Gemeinschaftsgefühl erzeugte.

Zurück auf der Bühne herrschte für den Rest des Abends Feier-Atmosphäre. Laith sang die Ballade „Unversehrt“, die nur auf der Special Edition des Albums vertreten ist. Vielleicht ein Fehler, denn dieses musikalische Kleinod entfaltete wundervolle Wirkung. Vor allem aber wurde mehr und mehr abgetanzt. Songs wie „Alles an dir“ aus dem Jahr 2003 und das ganz aktuelle „Nur wenn sie daenzt“ erzeugten mit lauten Rhythmen und Elektronik-Elementen die Atmosphäre eines Tanzclubs. Was war da geschehen mit Laith Al-Deen? Nach den akustischen Ausflügen der Vergangenheit hat er jetzt die ganz große Disco-Welt für sich entdeckt und auch diese neu erfundene Seite funktioniert hervorragend!

Zum Abschluss durften sich Freunde der leisen Tönen an „Wenn gestern heute wär“ erfreuen, das Laith auf dem Album im Duett mit Peter Maffay singt. Und im Zugabenblock gab es den Sänger zunächst ganz allein mit Gitarre, bevor die Band wieder hinzu kam. In guten 140 Minuten Konzertlänge zeigte der Songwriter aus Karlsruhe ein enorm vielseitiges Konzert und man darf sich freuen, dass Laith Al-Deen wieder voll da ist und die Menge verzücken kann. Von Krise keine Spur!