Ariane Grande oder Wie man allen den Kopf verdreht
Wie so viele US-amerikanische Sängerinnen hat auch Ariane Grande als Disney-Sternchen angefangen. Das scheint eine gute Schule für große Karrieren zu sein. Wer vor kreischenden Mädels bestehen kann, wird auch erwachsene Männer im Griff haben. Zumindest ist es leicht, ihnen den Kopf zu verdrehen: indem man nämlich einfach das hübsche Coverfoto umdreht. „Sweetener“ ist das vierte Album in fünf Jahren und damit schlägt die 25-Jährige Ariana Grande ein neues Kapitel in ihrer Karriere und ihrem Leben auf. Ausgehend von der ersten Single „No Tears Left To Cry“, die bereits vor einigen Monaten auf Platz drei der amerikanischen Charts landen konnte, bastelte Ariana mit einem exquisiten Team eine Platte zusammen. Die Hälfte des Albums wurde von Pharrell Williams produziert, die andere Hälfte von Max Martin, der bereits für Britney Spears, Katy Perry und The Weeknd Hits produzierte und schrieb. Auf dem Song „Blazed“ hat Pharrell selbst einen Gastauftritt. Dieses Namedropping hätte es gar nicht gebraucht, aber die Feature-Gäste bringen ordentlich Leben in die Bude. Passt schon.
Dass „Sweetener“ einen dramatischen Beigeschmack hat, liegt an den Wegen des Lebens: Beim Auftritt ihrer „Dangerous Woman“-Welttournee 2017 im britischen Manchester ereignete sich ein Bombenanschlag im Eingangsbereich der Halle, kurz nachdem Ariana von der Bühne gegangen war. Während sie noch im Backstage eingeschlossen war, erlebte England seinen verheerendsten Terroranschlag seit Jahren mit 23 Toten. Ein Einschnitt in alles, was Ariana Grande umgab. Sie brach die Tour zunächst ab, nahm sie aber kurz danach wieder auf und stellte ein zuvor noch nie dagewesenes Benefizkonzert in Manchester auf die Beine. Der letzte Song des Albums „Get Well Soon“, handelt von den Nachwirkungen der Ereignisse. „Auf dem Lied sprechen alle Stimmen, die ich ständig höre, miteinander. Nach Manchester waren mein Kopf und mein Körper stellenweise überlastet.“ Zum Ende des Albums folgt nach diesem Song eine lange Stille als Schweigeminute.
Trotz dieser Nachdenklichkeit zum Schluss ist „Sweetener“ aber keineswegs ein trauriges Werk geworden. Es gibt starke Rap-Passagen im Verbund mit Nicki Minaj zum Song „The Light Is Coming“. „God Is A Woman“ und „Breathin“ sind optimistische, nach vorn blickende Titel. Über allem liegt Arianes wunderbare R&B-Stimme wie in „R.E.M.“ und „Everytime“. Schon das kurze Snippet „Raindrops“ als Intro ist wunderschön – und je länger das Album dauert, desto stärker kommen Arianes bezaubernde Vocals zur Geltung. Für „Borderline“ entführt sie uns gemeinsam mit ihrem langjährigen Idol Missy Elliott in die 90er. Direkt danach folgt die sanfte Ballade „Better Off“.
„Sweetener“ ist das ausgereifteste und ehrlichste Werk, das Ariana Grande bisher vorlegt. Ein Beweis dafür, dass die talentierte 25-Jährige an den Hindernissen und Versuchungen der letzten Jahre nicht zerbrochen, sondern gewachsen ist. Die letzten zehn Jahre seit der Scheidung ihrer Eltern habe sie sich pausenlos in Therapie befunden, erzählt sie in Interviews. Diese Erlebnisse und das Attentat von Manchester haben vermutlich dazu beigetragen, dass sie schneller erwachsen werden musste, als andere Kinder- und Jugendstars (von denen manche es über Jahrzehnte nicht geschafft haben, sich die Hörner abzustoßen). „Sweetener“ könnte das wichtigste Album ihrer Kariere sein.