Wenn ein Märchen zum Albtraum wird

Über die Höhen und Tiefen in der Karriere von Britney Spears könnte man eine ganze Romanreihe schreiben. Die Progband Marillion hat ihr mit „Real Tears For Sale“ einen Song gewidmet: „You shaved your head, pulled a face / Dressed yourself up without grace / It didn’t hide a lifetime’s damage / It didn’t hide a lifetime’s fears”. Tragisch, wie sie seit ihrer Kindheit in der Öffentlichkeit stand und keinen Schritt alleine machen konnte. Und zugleich bewundernswert, wie sie sich immer wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat.

Statt sie aber zu bemitleiden oder weiterhin jeder Selbstermächtigung zu entziehen, ist es doch besser, sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Und das ist jetzt mit der Autobiographie „The Woman in Me“ geschehen, die in deutscher Sprache bei Penguin Random House erschienen ist. „Meine Geschichte“ lautet der Untertitel – und genau darum geht es: Britney erzählt aus ihrer subjektiven Sicht, was in ihrem Leben passiert ist. Dass das äußerst schmerzlich (für sie sowieso, aber auch für empathische Leser*innen) sein kann, zeigt sich schon am gewählten Coverfoto. Es zeigt die Künstlerin, die just heute, am 2. Dezember, 42 Jahre alt wird, sehr zart und verletzlich.

Die Pop-Ikone und Grammy-Award-Gewinnerin ist mit mehr als 100 Millionen weltweit verkauften, mehrfach mit Platin ausgezeichneten Tonträgern eine der erfolgreichsten Entertainerinnen der Musikgeschichte. Geboren in Mississippi und aufgewachsen in Louisiana, wurde Spears als Teenagerin international bekannt, als sie ihre erste Single „…Baby One More Time“ veröffentlichte, die mit über 20 Mio. verkauften Exemplaren weltweit Rekorde brach. Bis heute konnte Spears insgesamt sechs Alben und 34 Singlehits in den Billboard Charts platzieren. Ihre Musik hat nicht nur das Leben tausender Menschen berührt – Britney Spears hat auch ihren Einfluss und ihre Stimme genutzt, um die LQBTQ+ Bewegung zu unterstützen. 2021 zählte das Time Magazine sie zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

In den späteren Jahren ihrer Karriere hatte Britney Spears persönliche Herausforderungen, die zu rechtlichen Auseinandersetzungen und der Einsetzung einer Vormundschaft über ihre Person führten. Aber sie hatte trotz aller negativen Schlagzeilen stets eine große Fanbase: Im Laufe der Jahre haben Fans unter dem Hashtag #freebritney ihre Unterstützung für Spears ausgedrückt und sich für eine Änderung ihrer Vormundschaft eingesetzt.

Das Buch über ihr Leben beginnt wie ein Märchen. Wir erfahren von der kleinen Britney und ihrer Liebe zur Musik, die sie anhand einer Gospel-singenden Hauswirtschafterin entdeckt. Das kleine Mädchen aus dem kleinen Ort in der Nähe von New Orleans träumt fortan von einer Karriere als Sängerin. Von ihrer Familie wird sie unterstützt, doch der Vater wird schon zu Beginn als roh und unberechenbar geschildert.

Ihr Durchbruch kommt im Alter von acht Jahren, als sie bei „Star Search“ teilnimmt. Obwohl sie nicht gewinnt, erregt sie Aufmerksamkeit und erhält später Angebote für Fernsehshows und Werbespots. Mit elf Jahren wird sie Mitglied des „Mickey Mouse Club“, wo sie zusammen mit anderen jungen Talenten wie Justin Timberlake und Christina Aguilera auftritt.

Wenn man zwischen den Zeilen liest, geht es Britney vor allem um das Leben auf der Bühne. Die bisher eher schüchterne Person genießt es, von den Menschen gefeiert zu werden. Die Eltern hingegen schauen vor allem in Richtung Geld und Luxus, fördern und fordern die Tochter, drücken sie in Richtung Showbühne. Natürlich ist alles ganz aus Britneys Sicht geschildert, aber durchaus nachvollziehbar. Das Flirten mit Justin Timberlake lässt noch schmunzeln, doch die weiteren Eskapaden mit Männern, die von ihrem Lolita-Charm angezogen werden, machen einfach nur traurig.

Dio Autobiografie erklärt viel zu den vermeintlichen Skandalen, die ihr Leben vor allem nach der großen Karriere ab 2005 beherrschten und schließlich zur Entmündigung führten. Warum zeigt man sich öffentlich halbnackt und betrunken? Warum rasiert man sich die Haare ab? Britney gibt im Prinzip die Antwort, die auch Marillion in ihrem Song finden: Sie will beachtet werden.

Die Selbstoffenbarung, die bis hin zum Jahr 2021 und der Aufhebung der Vormundschaft führt, zeigt in einem inneren Monolog ihre Sehnsüchte und Beweggründe – den Kampf einer jungen Frau, um die Kontrolle über sich und ihre privates Leben zurück zu gewinnen. Das ist in diesem Ausmaß an Tragik kaum zu überbieten. Die Biografie liest sich wie ein Reality Roman, was sie ja irgendwie auch ist. 288 Seiten, die zum Glück nicht nur Weltschmerz, sondern auch viel Liebe und Humor in sich tragen!