Glen Hansard macht aus der Kölner Philharmonie eine Folkharmonie

Der internationale Erfolg, der Glen Hansard seit der Veröffentlichung seines ersten Soloalbums „Rhythm And Repose“ im Jahr 2012 zuteil wird, ist kein zufälliger Höhenflug, sondern das Ergebnis seiner herausragenden künstlerischen Vielseitigkeit und Authentizität. 1990 gründete Hansard die Rockband The Frames, die zwischen 1991 und 2006 sechs Alben aufnahm, mehrfach um die Welt tourte – aber doch Zeit ihrer Existenz eher ein Geheimtipp blieb. Fast zeitgleich zu „The Cost“, dem bislang letzten Werk der Frames, erschien das Debüt seines Folk-Duos The Swell Season, das er gemeinsam mit der tschechischen Pianistin und Sängerin Markéta Irglóva aufnahm. Dem ersten, selbstbetitelten Album folgte 2007 die gemeinsam komponierte Musik zum irischen Independent-Film „Once“, in dem Hansard und Irglóva auch die Hauptrollen übernahmen. Ihr folgendes Album „Strict Joy“ wurde 2009 als eines der besten Alben des Jahres gefeiert. 2012 kehrte Glen Hansard mit „Rhythm And Repose“ dann zurück auf Solopfade. Rund um sein zweites Album „Didn’t He Ramble“, das 2015 erschien, erfüllte er sich einen lang gehegten Traum und formierte eine Big Band mit Bläsern, Backgroundsängern und einer ganzen Riege an profilierten Instrumentalisten. Anfang 2018 folgte mit „Between Two Shores“ das nächste Album, das europaweit bis in die Top 20 der Charts kletterte. Seitdem befindet er sich wieder auf Tour und hat dabei ganz frisch sein viertes Soloalbum „This Wild Willing“ im Gepäck, das am 12.04. veröffentlicht wurde.

Den Auftakt seines Deutschlandgastspiels hat Glen Hansard in die altehrwürdige Kölner Philharmonie gelegt, so etwas wie das Wohnzimmer der Domstadt. Erstaunlicherweise ist der Auftritt nicht ausverkauft. Dabei packt Hansard heute das ganz große Besteck in Form von gleich neun Begleitmusikern aus, die an Instrumenten so ziemlich alles mitbringen, was der Instrumentenschrank zu bieten hat: Gitarren, Schlagzeug, eine Bouzouki, Querflöte, Saxophon, zwei Violinen, Piano, ein Cello und einen Kontrabass. Im Dunst der Nebelmaschine betritt die musikalische Armada pünktlich um 21 Uhr die Bühne und Glen Hansard wird alleine schon dafür gefeiert, dass er einfach nur dasteht und in die Runde guckt. Dass das neue Album noch nicht bei allen Fans angekommen ist, zeigt sich bereits beim Opener „Fool’s Game“, dem mit „I’ll Be You, Be Me“ und „Don’t Settle“ zwei weitere Songs aus „This Wild Willing“ folgen und die erstmal verhalten aufgenommen werden. Am Ende des Abends werden es insgesamt acht neue Stücke gewesen sein. Nur Hansard selbst ist vom ersten Ton an auf Betriebstemperatur und scheint die Musik mit jeder Faser seines Körpers zu spüren. Einen intensiveren und authentischeren Künstler kann man derzeit in der Welt handgemachten Folkrocks kaum finden. Und das beweist der 49-jährige Ire in Köln satte zweieinhalb Stunden lang.

Der Sound ist zu Beginn noch etwas zu bombastisch und Glen Hansard’s Gesang kaum zu verstehen. Erst im weiteren Verlauf bekommt der Soundmann die spezielle Akustik der Philharmonie in den Griff. Spätestens bei „When Your Mind’s Made Up“ sind dann auch die Kölner hellwach. Zwischen den Songs hat ihnen Glen Hansard eine Menge zu erzählen. So etwa die Geschichte zu „The Closing Door“, das er nach dem Besuch eines Bob Dylan-Konzertes geschrieben hat, weil der Altmeister dabei aussah wie eine geschlossene Tür. Wahlweise darf das Stück aber auch als Plädoyer für mehr Umweltschutz verstanden werden. Oder dass „McCormack’s Wall“ seiner heimlichen Liebe Lisa O’Neill gewidmet ist. Oder dass sich das Leben auf Tour in etwa so anfühlt wie in „Das Boot“. Diese spezielle Verbindung zwischen Glen Hansard und seinen Fans wird an vielen Stellen des Konzertes deutlich. Vor „Revelate“ stellt er fest, dass sie ja doch in der Lage sind mitzusingen und erntet dafür ein halbes Dutzend zugerufener Songtitel. Ich überlege kurz ob ich „Viva Colonia“ beisteuern soll, entscheide mich dann aber doch dagegen. Als er Whiskey zum Geburtstag für zwei seiner Bandmitglieder bestellt, lassen sich die Kölner nicht lumpen und steuern mit „Zum Geburtstag viel Glück“ und „Viel Glück und viel Segen“ (als spontanen Wechselgesang!) zwei Volkslieder zur Setliste bei.

So entsteht Stück für Stück eine ganz besondere und intime Atmosphäre, zu der die Musik natürlich ihren Teil beiträgt. „Grace Beneath The Pines“ singt Glen Hansard gänzlich ohne Mikro und in der Philharmonie kann man eine Stecknadel fallen hören. Neben dem ebenfalls von ihm alleine an der Gitarre vorgetragenen „Leave A Light“ ist das sicherlich der größte Gänsehautmoment des Abends. Aber daneben wird auch ausgiebig gefeiert wie bei „Way Back In The Way Back When“ (das mich stark an Tom Waits erinnert) oder „Falling Slowly“. Glen Hansard vollführt dazu eine Art Schlangentanz. Einen Part, den er nach „Her Mercy“ an seinen befreundeten Theaterschauspieler François Lecoq aus Paris übergibt, der als Special Guest mit seiner Bühnenpräsenz für leuchtende Augen sorgt. Im Hintergrund liefert Hansard’s exzellente Band den Klangteppich, auf dem sich der Protagonist nach Herzenslust austoben darf. So endet der Abend nach „Good Life Of Song“ standesgemäß – mit Standing Ovations.

Aber Glen Hansard wäre nicht Glen Hansard, wenn das schon alles gewesen wäre. Als Zugabe gibt es zunächst „Song Of Good Hope“, bevor er und die gesamte Band ihre Instrumente packen und nicht etwa nach Hause gehen, sondern in den Oberrang der Philharmonie marschieren und bei voller Saalbeleuchtung mitten unter den Fans eine mitreißende Akustikversion des Pete Seeger-Klassikers „Passing Through“ zelebrieren. Danach geht es zurück zur Bühne, wo sich alle nochmal tief verbeugen und sich so kollektiv für einen außergewöhnlichen Abend bedanken. Mit seiner atemberaubend virtuos aufspielenden Band hat Glen Hansard in Köln alle Nuancen zwischen klassischem Folk, lässigem Soul und kraftvollem Rock ausgelotet. Er selbst kommt dabei stets als der charismatische und nahbare Singer-/Songwriter von nebenan rüber. Die an Höhepunkten bestimmt nicht arme Geschichte der Philharmonie ist seit heute abend um ein ganz spezielles Kapitel reicher. Go raibh maith agat, Mister Hansard!