Filigraner Deutschpop von Jan Josef Liefers und Radio Doria
Für mich war es eine Überraschung, Jan Josef Liefers mit Radio Doria als Sänger einer Popband zu erleben. Das wollte so gar nicht zu dem steifen Professor Börne aus dem Tatort passen. Um so überzeugender das Ergebnis, das er mit dem Debütalbum „Die freie Stimme der Schlaflosigkeit“ erzielte. Eine weiche, sehr jugendliche Tenorstimme, akustische Gitarren, luftige Pianomelodien. Es war ein poetisches, feinsinniges Album mit viel Tiefgang. Erst später entdeckte ich bei einem Livekonzert am Merchandise, dass Liefers schon viel länger mit seiner Band Oblivion (englischsprachige) Musik machte. Auf jeden Fall ist er als Sänger eine lohnenswerte Entdeckung – und trotz seiner inzwischen 53 Jährchen klingt der gebürtige Dresdner wie ein junger Hüpfer. Chapeau!
Jetzt also das zweite Album. Mit „2 Seiten“ haben Radio Doria einen weiteren großen Schritt nach vorn gemacht. Meist schreibt Liefers Musik und Texte im Bandgefüge mit. Er ist also nicht nur Aushängeschild des Sextetts, sondern wichtiger musiksalischer Bestandteil. Das Album setzt sich mit Lebensfreude und den Launen des Lebens auseinander. Es feiert den Zusammenhalt, das Miteinander, die Nachdenklichkeit und die Liebe. Also weder Weltschmerz oder herbe Rebellenpose, noch dauergrinsende “Feel-Good”- Beschallung. Es gibt feine Melancholie in „Jeder meiner Fehler“ und „So schön“, nostalgische Nachdenklichkeit in „Eigentlich“ und den gesellschaftspolitischen Optimismus von „Das weisse Haus“.
Das musikalische Profil von Radio Doria ist vielfältiger geworden. Von deutlich hörbaren Einflüsse aus den 80er und 90er Jahren über funky Grooves bis hin zu klassischen, fast filmmusikalischen Streichersätzen führen uns Liefers und seine Band durch das Radio Doria Universum von 2017. Jeder Song transportiert eine andere Grundstimmung und zu Albummitte gibt es einen kleinen Bruch, wenn „So schön“ mit einer langen orchestralen Passage ausklingt.
Dann die vertraute Stimme von Reinhard Mey, der „Nie egal“ im Duett mit Liefers singt. Ein wundervoller Song über das Teilen von Erlebnissen. Liefers versucht die Grundstimmung des Albums so zu beschreiben: „Als wir begannen, neue Songs zu schreiben, wehte gerade ein ziemlich schneidender Wind durch unser Land. Es sah aus, als würde es vor allem an der Flüchtlingsfrage auseinanderbrechen. Der Ton im Internet, aber auch in der Politik, wurde aggressiv und verächtlich, es schien die Stunde der ‚Hater‘. Und mitten in dieser Stimmung sollte nun eine Pop-Platte entstehen! Es war nicht leicht, den für uns richtigen Einstieg zu finden.“ Darum ist es aber noch lange kein kritisches, sondern ein sehr optimistisches Album geworden.
„Wir sind“ stellt das Leben in den Mittelpunkt und „Geister“ die belebenden Unterschiede der Menschen. „Nochmal zum ersten Mal“ ist eine Ode an die Liebe und „Wie es nie war“ eine Hommage ans Träumen. Das Album endet mit dem „Abendlied“, das ein Mantra als Fazit enthält: „Es sieht gut für uns aus“. Und so ist es tatsächlich. Radio Doria scheinen als Band zusammen gewachsen zu sein. Die Produktion ist jenseits jeder Sterilität und liefert immer neue, interessante Arrangements. Mit „2 Seiten“ hält man eine fantastische Pop-Platte in Händen, die auch nach vielen Hördurchläufen nicht langweilig wird.