Über Sonne und hohe Celsiusgrade freut sich der Festivalist bekanntlich sehr. Nichts ist ärgerlicher als bei kalten Temperaturen und Regen im Zelt zu sitzen und zu hoffen, dass das Plastikzelt auch wirklich wasserdicht ist und der Verkäufer aus dem Camping-Laden einen nicht komplett über den Tisch gezogen hat. Seit dem diesjährigen Area 4 – Festival weiß ich, dass es auch anders gehen kann. Doch von vorne:
Donnerstag, 16.08.2012:
Gegen Nachmittag kommt man auf dem Flugplatz Borkenberge, einem der wohl schönsten Festivallocations in ganz Deutschland, nach endlosem Verfahren endlich an. Sei es die Nähe zum Festivalgelände, der Red Bull Bus mitten auf dem Campingplatz oder die riesige Rollbahn, welche als eine Art Campinghauptstraße/Partybisindiemorgenstundenallee samt Fressbuden und Uncle Emma Laden benutzt wird: Die Location macht das Area 4 zu einer Klasse für sich. Von den Temperaturen, welche uns noch bevorstehen werden, ist noch nicht wirklich etwas zu merken. Noch freuen sich alle, dass sie das Wetter in solchen Zügen genießen können. Noch…
Schon am Abend geht es mit den ersten Bands auf dem Red Bull Bus los. Die Sieger des „Kings 4 A Day” Wettbewerbs Leitkegel geben sich auf ihrem wohl ersten Festival die Ehre (ganz abgesehen von dem Zeltnachbarn, der die ganze Zeit Backstreet Boys und N Sync vor sich hin plärrt), klingen jedoch eher schlecht als recht. Ganz anders sieht es da bei der Combo Supershirt aus. Ihr Sound, der sehr an Frittenbude erinnert, lässt Füße springen und die ersten Kehlen mitgrölen. Die abschließenden Bondage Fairies aus Russland stehen dem in nichts nach.
Freitag, 17.08.2012:
Die Hitze beginnt. Wenn man am Morgen noch von „recht angenehmen Temperaturen” sprechen kann, ist man zwischen 12:30 und 15:00 Uhr wie ausgeknockt. Selbst der betrunkene Nachbar verzichtet gegen Mittag auf sein Boyband-Gegröle und torkelt einfach nur ziellos die Hauptstraße rauf und runter. Das hält Montreal ab 15:30 Uhr jedoch nicht davon ab die Main Stage des Festivals angemessen zu eröffnen. Lauthals brüllen die paar Tausend Waghalsigen, die sich der Mittagssonne aussetzen, aus voller Inbrunst „Solang die Fahne weht”, „Ein Duo mit2 Fäusten” und „Walkman Revolution” mit. Danach ist erst mal Siesta angesagt. Man begibt sich zum Beck’s Stand, um sich mit einem Bier abzukühlen (was auch nur bedingt gelingt) oder versucht beim Sierra Stand mittels Dosenwurf einen Sombrero für sich zu gewinnen.
Gegen Abend wird es wieder laut. Die Sonnenstrahlen haben sich verzogen. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre, als die Donots die Bühne betreten und das Area 4 komplett auseinander nehmen. Crowdsurfing soweit das Auge reicht, ein Ingo Knollmann in bester Form und das abschließende „So Long” reichen aus, um die Ibbenbürener als die Band des Tages betiteln zu dürfen. Manche mögen da anderer Meinung sein, schließlich kommen anschließend Heaven Shall Burn auf die Bühne, um auch die letzten verbliebenen Wahnsinnigen in das Land der Blutergüsse und Platzwunden zu schicken.
Altherrenzeit heißt es dann um 23:30 Uhr als Social Distortion die Bühne betreten und mit ihrem Gassenhauer „I Was Wrong” das letzte Konzert des Abends einläuten. Stimmungstechnisch scheinen Mike Ness & co eher für die ruhigen Gemüter angedacht zu sein, lediglich ein halbnackter tätowierter Hüne mit Bandana rammt einen Festivalbesucher nach dem Nächsten in den Boden. Ein wenig asozial werden Sie meinen? Kein Vergleich zu dem, was in der ersten Reihe vor sich ging. Kurzfassung: Jüngling wird geschubst, fliegt unglücklich gegen muskelbepackten Altherren, Altherr packt Jüngling am Schlafittchen, setzt sein teuflischstes Joker grinsen auf, holt aus und – genau in dem Moment wird er von der Security gepackt und aufs Gründlichste ermahnt. Puh, das war knapp! Generell muss man an dieser Stelle erwähnen, dass die Security am ganzen Wochenende einen hervorragenden Job geleistet hat.
Samstag, 18.08.2012:
Sonne. Hitze. Verbrennen. Schon ab 12 Uhr ist man nicht in der Lage mehr aufzustehen, gekochtes Bier aus der Dose kriegen selbst die erfahrenen Festivalgänger kaum noch runter. Die einzige Rettung ist die Wasserstelle, auf diese Idee kommen nur dummerweise einige Leute. Und dies führt zu einem der spaßigsten und entspanntesten Momente des Festivals. Gründe dafür:
1) Einmal von oben bis unten mit eiskaltem Wasser begossen zu werden. Bei diesen Temperaturen hat das schon Charakter von einer Taufe.
2) Einfach nur „TROCKÖÖÖÖÖÖÖN” zu brüllen und auf eine x-beliebige Person zu zeigen, welche noch nicht nass gemacht wurde. Und zack, hat der/die Betroffene 20 Liter Wasser im Gesicht. Vor allem bei Leuten, die nicht nass gemacht werden wollen, eine sehr unterhaltsame Beschäftigung.
3) Humba tanzen und dabei es aus allen Flaschen, Eimern und sonstigen Gefäßen regnen lassen. Sehr erfrischend und gemeinschaftsfördernd.
Achja, und Bands gibt es ja heute auch noch: Da wären einmal am späten Nachmittag die Subways, die in gewohnter Stärke ihr Set herunter spielen und mit lustigen Mitmach-Einlagen zu unterhalten wissen. Nur allmählich müsste sie nun auch jeder Musikfan mindestens einmal gesehen haben. Einziges Manko ist, dass „Mary” nicht in der Setlist vertreten ist. Sonderwünsche hin oder her… Gegen 19 Uhr vernehme ich ein leises Krächzen von der Bühne, welches immer lauter wird und auf einmal zu einem Song namens „Auf und Davon” mutiert. Der wohl umstrittenste Künstler des Festivals, Casper, zeigt dem Festival mehr als deutlich, dass auch Hip Hop eine Berechtigung auf dem Area 4 hat. Mag auch vielleicht daran liegen, dass der Bielefelder einige Zeit lang Sänger mehrerer Metal-Core Bands war und genau weiß, was die Leute hören wollen.
Dass The Gaslight Anthem mit ihren Live-Qualitäten mehr als überzeugen, ist kein Geheimnis mehr. Spätestens seit der Regenschlacht beim Area 4 2010 habe ich sie in mein Herz geschlossen. Sind die Ansagen von Fallon heute reichlich unverständlich, macht die Band dies mit großartiger Live-Musik locker wieder wett. Auch alte Songs wie „Wooderson” und „We Came To Dance” sind neben Klassikern wie „The 59 Sound” und „American Slang” in diesen großartigen 75 Minuten zu hören. Da macht aber jemand gut Werbung für eine Headliner-Kandidatur in den folgenden Jahren.
Davon hätte sich die anschließende Band mal ein wenig inspirieren lassen sollen und zwar in allen Bereichen: Spielfreude, Songauswahl und sogar Länge! Der Headliner des Samstages, Bullet For My Valentine schafft es tatsächlich ein 60-minütiges, stinklangweiliges Set auf die Beine zu stellen und dieses genau so langweilig runter zu spielen. Zu wenige Emotionen, zu wenig Spielfreude, zu wenig von allem. Um uns dies in Erinnerung zu rufen, wir sprechen hier vom HEADLINER. Als Veranstalter könnte man für diesen Ranz glatt mit einer Klage wegen nicht erbrachter Leistung vorbei kommen. Eine Unverschämtheit, was die Waliser hier und heute geboten haben. Die Nerven müssen mit mehreren kühlen Beck’s und einer Trash-Party auf dem Rollfeld beruhigt werden. Die Gummibärenbande, Darkwing Duck und das Dschungelbuch ballern aus den Boxen des Nachbarn (ja, der mit dem Boyband-Gegröhle) bis halb 5 aus den Boxen. So ist schon nach einiger Zeit der “Headliner” des Tages wieder vergessen und bleibt zurück als irgendein böser Albtraum.
Sonntag, 19.08.2012:
Die Luft steht. Im gesamten Rheinland werden Temperaturen bis zu 40 Grad Celsius gemessen. Was hilft dagegen am besten? Genau, Bewegung! Die Ami-Hardcoreband A Wilhelm Scream eröffnen um 12.30 Uhr die Mainstage an diesem heißesten aller Tage. Und wie! Zwar sind die meisten nur mit Boxershorts und Sonnenbrille bekleidet, doch das hindert sie auch nicht barfuß in einen Moshpit von 15 Mann reinzuspringen, bei dem fünf Leute bestimmt elegante Springerstiefel anhaben. Verletzt wird zum Glück niemand. A Wilhelm Scream sind übrigens ein perfektes Exempel für die wirre Legung diverser Bands auf diesem Festival. Hätte die Band vom Bekanntheitsgrad her locker in den Nachmittagsbereich gepasst, ist es bei einigen Bands anschließend so leer wie ich es selten gesehen habe. Dies mag auch daran liegen, dass insgesamt 16.000 verkaufte Tickets (inkl. Tageskarten) nun wahrlich kein ausverkauftes (Festival-)Haus bestätigen.
Bei Sick Of It All verwandelt sich die Center Stage in ein mittelalterliches Schlachtfeld. Matsch und Wasserfarben machen aus den Besuchern bemalte Vagabunden, welche lediglich Wut und Zerstörung im Kopf haben. Höhepunkt dieses Spektakels ist eine Wall Of Death im Regen, kreiert durch einen Security, welcher beim Losrennen der beiden Seiten eine riesige Wasserfontäne aus einem Feuerwehrschlauch auf die Menge nieder regnen lässt. Nach einem soliden Sportfreunde Stiller Auftritt (Gott sei Dank ohne „54, 74, usw.”), kommt der wirkliche Headliner des Area 4 Festivals. Die Beatsteaks treten mit Wucht auf und ließen die 16.000 Begeisterten noch ein letztes Mal zu „Hand in Hand”, „Milk & Honey” oder dem halb vergessenen Song „Barfrau” aufjubeln, bevor es dann heißt: „Auf Wiedersehen, Area 4!”.
Himmel, Herrgott, war das ein Überlebenskampf. Letztendlich hat man ihn aber doch gut überstanden. Einen leicht verbrannten Rücken, ein stark verbranntes Gesicht und einen verkokelten Nacken nimmt man doch gerne für ein Festival wie das „Area 4″ in Kauf. Ausnahme ist hierbei natürlich diese walisische Invalidenband. Als Fazit muss man (mal wieder) sagen: Danke Area 4.
Für deine Location.
Für deine Top Organisation.
Für die mehr als hilfsbereiten Securities.
Für Wasserpreise von 1 € auf dem Festivalgelände.
Für vier großartige Tage.
Für die Musik!
Danke!