„Die grüne Reise“ führt wieder nach Hamburg
Vor etwas mehr als 78 Jahren wurde Achim Reichel in der Nähe von Hamburg geboren. Seine Band The Rattles machte ihn im Zuge der Beatlemania weltberühmt, doch das war noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Unvergessen ist seine Performance als „Der Spieler“ – und der Smashhit „Aloha heja he“ bescherte ihm Anfang der 90er Jahre ein Comeback abseits jeder NDW Attitüde.
Was dabei etwas in Vergessenheit geraten ist, ist Reichels Wirken mit A.R. & Machines zu Beginn der 70er Jahre. Mit einem Sound aus psychedelischen Klangeffekten, der Musikrichtungen wie Trance und Industrial einfach mal vorweg nahm, war sein Projekt mit Bands wie Kraftwerk und Tangerine Dream in einem Atemzug zu nennen. Nach dem Debüt „Die grüne Reise“ erschienen noch vier weitere Studioalben und ein Livemitschnitt im Jahr 1975, der diese Krautrock-Episode vorerst abschloss.
Die Entstehung der „grünen Reise“ ist so kurios wie das gesamte Oeuvre des Projekts. Achim Reichel hatte mit einer neuen Tonbandmaschine experimentiert und dabei sein eigenes Gitarrenspiel wie eine Schleife aus immer wiederkehrenden Echos gehört – und ganz nebenbei den Vorgänger der heute so gern verwendeten Loop Station erfunden. Dieses Vorgehen wurde zur Grundlage für neue ausufernde Klanglandschaften und Soundgemälde. So futuristisch, dass sie sich bis heute ihre Zeitlosigkeit erhalten haben und in Techno- wie Elektronikkreisen immer noch Kultstatus genießt.
Vinyl 3 des vorliegenden Releases enthält genau dieses Originalalbum als Studioverson im Retrosound. Originell, innovativ und remporeich geht es auf eine progressive Reise, die Reichel fast im Alleingang eingespielt hat. Unterstützt wurde er von zwei Perkussionisten und Claus Schuster als Recording Engineer. Allein dieser furiose Trip mit Maschinensounds und funky Gitarren ist ein Ohr wert. Krautrock at it’s best!
Aber das erklärt natürlich nicht, warum die Hamburger Elbphilharmonie in grünem Layout prominent auf dem Cover der 3LP-Veröffentlichung prangt. Die Zahlenkombi „71/17“ sagt es aus: 1971 hatte ein Konzertveranstalter die Idee, Achim Reichel zu einer Performance des Albums in der Hamburger Musikhalle zu überreden. Im Jahr 2017 gab es natürlich ganz andere Möglichkeiten – nämlich die des schönsten und vielleicht soundtechnisch geilsten Konzerthauses Deutschlands, wenn nicht ganz Europas: der Elphi. Frisch eröffnet konnte der neue Musiktempel am 15. September 2017 für eine Wiederauferstehung von A.R. & Machines herhalten. Und es war ein fulminantes Konzert!
Wer schon einmal Konzerte in der Elbphilharmonie erlebt hat, wird vom Sound in der 25 Meter hohen Konzerthalle schwärmen. 2100 Sitzplätze erfahren eine enorme Klangwirkung – und das funktioniert nicht nur bei klassischer Orchesterbesetzung, sondern besonders gut auch mit elektronischen Soundtüfteleien. So führte Reichel die „grüne Reise“ mit einigen musikalischen Mitstreitern erneut in Hamburg auf. „Was 71 begann, wird 17 eine Transformation erleben“, war das Motto des Abends. Der Meister selbst stimmte das Publikum in einer Ansprache auf den Abend ein: „Wenn der Zauber gelingt, wird des vergangenen Jahrtausends krautrockiger Geist aus seiner Wunderlampe steigen, um dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine wohlwollend beizuwohnen, und dazu einladen, die vorüberziehenden Klanglandschaften auch mit dem inneren Auge zu genießen.“
Das gelingt absolut mit dieser Aufnahme, die von Marcus Herzog (Tonstudio Syrinx) gemischt und gemastert wurde. Es gibt modern aufpolierte Stücke aus der ganzen A.R. & Machines Schaffensphase, die für überragende Klangqualität auf jeweils 180 Gramm schweres Vinyl gepresst wurden. Dem Retrosound der dritten Scheibe steht dabei ein geniales Klangbild der fünf Jahre alten Mitschnitte gegenüber. In der Gegenüberstellung beider Aufnahmen wird der Release zu einem spannenden Stück Musikgeschichte. Und auch optisch ist der Vinyl-Release ein Hochgenuss. Fantastisch!