A-Seite Top, B-Seite Flop: „Citizens Of Boomtown“ von den Boomtown Rats
Die Verdienste der Boomtown Rats um die Musikgeschichte im allgemeinen und die ihres Heimatlandes Irland im speziellen sind unbestritten. Mit einer ganzen Reihe von Top 10-Hits und Platin-Auszeichnungen avancierte das Sextett um Frontmann Bob Geldof zu einer der größten Bands der späten 70er und 80er Jahre. Die Boomtown Rats waren die erste irische Formation, die mit „Rat Trap“ einen Nr.1-Hit in den britischen Singlecharts landen konnte, bevor sie sich mit „I Don’t Like Mondays“ quasi selbst unsterblich machten. Bis zu ihrer Auflösung 1986 veröffentlichte die Band sechs Alben. Für immer unvergessen bleibt natürlich auch das von Bob Geldof und Midge Ure organisierte Live Aid-Festival am 13.07.1985 als bis dahin größtes Rockkonzert aller Zeiten, das parallel im Londoner Wembley Stadion und im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia stattfand. Nicht nur bei mir zuhause dürfte der Videorecorder während der mehr als 16-stündigen Fernsehübertragung heiß gelaufen sein. Danach wurde es abgesehen von einer kurzen Reunion 2013 still um die Boomtown Rats.
So schlug Mitte Januar die Nachricht wie eine Bombe ein, dass die Band nach 36 Jahren Pause ein neues Album veröffentlicht. Die Single „Trash Glam Baby“ war der erste Vorbote und wurde von Bob Geldof höchstpersönlich geschrieben. Produziert von Rats-Bassist Pete Briquette sind darauf die Original-Mitglieder Bob Geldof (Gesang), Pete Briquette (Bass), Simon Crowe (Drums) sowie Garry Roberts (Gitarre) zu hören, die von Alan Dunn am Klavier und Darren Beale an der Gitarre unterstützt werden. In dieser Formation entstand dann auch das Comeback-Album, das auf den schönen Namen „Citizens Of Boomtown“ hört. Parallel feiert die gleichnamige Boomtown Rats-Dokumentation von Billy McGrath im Rahmen des Dublin Filmfestivals Premiere und am selben Tag wie das Album wird über Faber Music das Buch „Tales Of Boomtown Glory“ mit Texten und Bob Geldofs gesammelten Erinnerungen erscheinen. Anschließend geht die Band auf UK-Tour, die am 26. März in Brighton startet und deren Finale für den 2. Mai in Newcastle vorgesehen ist. Sofern das Corona-Virus nicht noch zu einer Absage führt. Das nenne ich mal einen Rundumschlag.
Die bereits erwähnte Single „Trash Glam Baby“ ist gleichzeitig der Album-Opener und man fühlt sich sofort in die 80er Jahre zurückversetzt. Ein vielversprechender Auftakt, der Hoffnung auf eine ebenso würdevolle Rückkehr macht, wie sie zuletzt The Who vollzogen haben. Auch „Sweet Things“ ist erfreulich schön aus der Zeit gefallen und in etwa bei The Kinks gelandet. Mit „Monster Monkeys“ bewegen wir uns dann langsam auf die Gegenwart zu und finden uns ungefähr dort wieder, wo U2 mit „Pop“ ihre Metamorphose vollendeten, also Ende der 90er Jahre. Auch der straighte Rocker „She Said No“ macht Laune, bevor die hymnische (Klavier-)Ballade „Passing Through“ nach fünf von insgesamt zehn Songs den Wendepunkt markiert. Bis hierhin klingt das alles frisch, originell und spannend. Was dann folgt ist allerdings nur noch gruselig.
Das Gruseln geht mit der bluesigen Mitklatschnummer „Here’s A Postcard“ noch recht unspektakulär los. „K.I.S.S.“ ist eine Mischung aus Kinderlied und Karnevalsschlager und man fragt sich leise, welche Substanzen bei der Entstehung dieses Stückes wohl mit im Spiel gewesen sein mögen. Dass sie zu einer Bewusstseinstrübung geführt haben müssen, bestätigen die Boomtown Rats anschließend mit „Rock’N Roll Yé Yé“, dessen grenzdebiler Titel nur noch von Textzeilen wie „Yeah Yeah Rock’n’Roll“ oder „Come on, come on Rock’n’Roll“ übertroffen wird. Solche billigen Mitgröhlrefrains dürfen eigentlich nur Status Quo ungestraft unter das Kirmesvolk bringen. „Get A Grip“ ist mit seinen stampfenden und künstlichen Synthiesounds dann endgültig zum Weglaufen, doch wenn man glaubt es kann nicht mehr schlimmer kommen, dann kommt es noch schlimmer. Das einzig Gute am Closer „The Boomtown Rats“ ist, dass der Song das Album beendet. Mit dem (Achtung!) Dancefloor-Track will sich die Band vermutlich selbst feiern und macht sich dabei nur vollkommen lächerlich. Das geht auch als Selbstironie nicht mehr durch. Diese Art von nervtötenden Beats hört man permanent in den hippen Klamottenläden auf der Kölner Ehrenstraße und wundert sich dabei, wie die Verkäuferinnen diese Dauerbeschallung den ganzen Tag aushalten ohne durchzudrehen.
Am Ende bleibt nach dem Genuss von „Citizens Of Boomtown“ ein schaler Geschmack auf der Zunge hängen. Es ist ja bekanntlich nicht so, dass jedes Comeback automatisch dazu führt den einmal erworbenen Legendenstatus zu untermauern. Es gibt Bands, die wieder aus der Versenkung auftauchen, wo sie besser geblieben wären, nur um ihre eigenen Denkmäler in Schutt und Asche zu legen. Die Boomtown Rats pendeln sich da mit „Citizens Of Boomtown“ irgendwo in der Mitte ein. Im Fußball würde man sagen: Das Album hat zwei völlig verschiedene Halbzeiten. Oder um noch einmal in die seligen Vinyl-Zeiten aus der ersten Schaffensphase der Band zurückzukehren: A-Seite Top, B-Seite Flop. Die vergangenen 36 Jahre haben die alten Rebellenlieder der Boomtown Rats zu Klassikern geschliffen, die immer noch Gehör finden, weil sie relevant und zeitlos klingen. „Citizens Of Boomtown“ hat dem leider nichts hinzuzufügen.