Swan Lake Reloaded: Tschaikowsky meets Streetdance!
Heute ist Tütü angesagt. Mal was anderes als diese ewigen Rock- und Popkonzerte. Semmel Concerts hat zu „Swan Lake Reloaded“ geladen und gemeinsam mit meiner Tochter – die selbst Ballett und HipHop tanzt – als fachkundiger Begleiterin mache ich mich auf den Weg nach Essen. Schwanensee also, der Inbegriff des klassischen Balletts. Seit seiner Uraufführung 1895 war Pjotr Iljitsch Tschaikowsky’s Meisterwerk eine stetige Inspirationsquelle und Herausforderung für Generationen von Choreografen und Regisseuren. Fredrik Rydman’s „Swan Lake Reloaded“ fügt nun eine völlig neue Facette hinzu: Tschaikowsky meets Streetdance!
Das Colosseum Theater ist mit 1.500 Besuchern ausverkauft. Die ehemalige Industriehalle, in der im 20. Jahrhundert unter anderem Lokomotivrahmen und Kurbelwellen für Schiffe hergestellt wurden, bietet mit ihrem inzwischen samtroten Plüschambiente eine würdige Umgebung für die Deutschlandpremiere von „Swan Lake Reloaded“. Uraufgeführt wurde die Show bereits im Dezember 2011 in Fredrik Rydman’s Heimatstadt Stockholm. Das Publikum setzt sich aus allen Altersklassen zusammen. Ich befürchte allerdings schon jetzt, dass der ein oder die andere in feiner Abendgarderobe etwas irritiert nach Hause gehen dürfte und ich soll Recht behalten. Dabei hätte man durchaus „gewarnt“ sein können, wenn man weiß, dass Rydman einst Mitglied der Streetdance-Kompanie „Bounce“ war und mit „Insane In The Brain“ („Einer flog über das Kuckucksnest“) bereits einen anderen Stoff erfolgreich in die Moderne transportiert hat.
Pünktlich um 20 Uhr gehen im wunderschönen Theatersaal des Colosseums die Lichter aus und Daniel Koivunen als Rotbart tanzt eine diabolisch kühle Eingangsperformance, untermalt von einem spektakulären Lichtdesign. Was folgt ist eine Tanzchoreographie, die mit ihren Streetdance-Elementen hier und da zunächst für ein leichtes Stirnrunzeln sorgt, mit ihrer Power dann aber doch gefangen nimmt. Die Handlung hat es in sich. Bei Fredrik Rydman werden die Schwäne zu heroinsüchtigen Prostituierten, die von Rotbart als ihrem Zuhälter mit Drogen versorgt werden. Als sich zwischen dem Schwan Odette und Prinz Siegfried (getanzt von Robert Malmborg) eine Romanze entwickelt, versucht der finstere Rotbart ihre Liebe mit allen Mitteln zu verhindern. In einem Umfeld aus Lug, Trug, Schein und Sein müssen Odette und Siegfried etliche Hindernisse überwinden, bis sie zum Schluß… aber der soll hier nicht verraten werden.
Ähnlich der Handlung erfährt auch die berühmte Musik Tschaikowskys einen kompletten Neuanstrich und ist durch zahlreiche Beats verfremdet. Neben Remixen angesagter schwedischer Electro-Produzenten standen dafür auch Songs von Moneybrother, Salem Al Fakir oder Adiam Dymott Pate. Hier wurde laut meiner bezaubernden Sitznachbarin allerdings zu dick aufgetragen, wenngleich sie die Leistung der Tänzer als „sehr gut“ einstuft. In der Tat sind besonders die atemberaubenden Headspins des renommierten Breakdancers Fredrik „Kaos“ Wentzel absolut beeindruckend.
Zweifellos ist es Fredrik Rydman mit „Swan Lake Reloaded“ gelungen, die technisch und akrobatisch hoch anspruchsvollen Choreografien einer Streetdance-Show in ein künstlerisches und erzählerisches Konzept einzubinden. Es ist seine Vision des modernen Tanztheaters, in dem sich Hochkultur und Entertainment die Hand reichen. Auch das Essener Publikum honoriert das und erhebt sich am Ende der knapp 90 Minuten fast geschlossen von seinen Sitzen, um der ebenso ausdrucksstarken wie bildgewaltigen Inszenierung fleißig Applaus zu spenden. Ich persönlich fand es teilweise überwältigend, teilweise etwas anstrengend, alles in allem spannend zu sehen und in jedem Fall gewöhnungsbedürftig. Als Dank für ihre kompetente Begleitung muss ich meiner Tochter versprechen, dass wir es bei nächster Gelegenheit dann mal mit der klassischen Variante versuchen. Nach Essen gastiert das Ensemble übrigens noch vom 19.-24.02. im Berliner Admiralspalast, vom 05.-10.03. in der Frankfurter Jahrhunderthalle sowie vom 12.-17.03. im Münchener Prinzregententheater.