André Rieu: der Superheld der Klassik in der Arena Trier

Am Tag nach Aschermittwoch – immer noch in leicht angesäuselter Schunkelstimmung – kann man sich doch gerne mal wieder André Rieu mit seinem Johann Strauss Orchester geben. Das dachte nicht nur ich, sondern zugleich weit über 3000 Zuschauer in der Arena Trier. Und es war mal wieder ein wundervoll opulentes Mahl, das der niederländische Orchesterleiter, Violinist und Arrangeur da auftischte.

„Walzer machen glücklich“ oder „Musik bringt die Menschen zusammen“, so sollten die Botschaften des Abends lauten. Und um das zu beweisen hatte man ordentlich aufgefahren: ein gut 50köpfiges Orchester in eleganter Kostümierung, ein ewig-lustiger Backgroundchor aus beschwingten Damen, drei platinbehaftete Tenöre und drei namhafte Sopranistinnen, die immer wieder für stimmgewaltige Abwechslung sorgten.

André Rieu versteht das Spiel mit Stimmungen. Die Bühne verbreitete ein Wiener Flair und die riesige LCD-Leinwand passte sich stets den Emotionen an, die vermittelt werden sollten. Dabei lud die Bilderkulisse zu einer Weltreise von Trier über Italien und Ungarn, vorbei an Schloss Neuschwanstein bis an die ewig blaue Donau ein. Der Stargeiger selbst war vielleicht gar nicht der beste Violinist des Abends, doch er ist ohne Zweifel ein hervorragender Entertainer, der sein Publikum fest im Griff hatte.

Der Dreivierteltakt dominierte den Abend, doch es gab auch lange Ausflüge in die Metiers Operette und Musical. Das komplette populärmusikalische Repertoire für die Ü50 also. Und ich stellte mit Schrecken fest, dass ich bei Stücken wie „Da geh ich zu Maxim“ und anderen orchestralen Schlagern die Melodien ohne Weiteres mitsummen konnte. Vom „Weißen Rössl“ und dem „Radetzky Marsch“ ganz zu schweigen. Das halbe Jahrhundert naht mit großen Schritten.

Rieu versucht gar nicht erst, die schwierigeren Stücke der alten Meister an den betagten Mann und die betuchte Frau zu bringen. Sein Programm bietet ein Best Of Klassik in einer Gratwanderung zwischen Kitsch und Anspruch. Sahnehäubchen waren die Gäste. Egal, ob die Platintenöre eine italienische Arie schmetterten oder die Damen etwas für Ohr und Auge boten. Es entsteht eine Magie auf seinen Konzerten, eine Stimmung, die sich durch die Reihen trägt. Plötzlich flirrt die Luft und man hört, wie rechts und links die Menschen die Melodien mitsingen und -summen und sich eine allgemeine Glückseligkeit breit macht.

André Rieu ist ein fantastischer Entertainer. Seine sympathischen Ansagen gaben die gute Laune wieder, die er mit seinem Orchester verbreitete. Anekdoten zu der Musik, „die besser heilt als jede Medizin“ oder zum alten Spruch „wo man singt, da lass dich ruhig nieder“. Er traf damit die Zuschauer mitten ins Herz und ließ bisweilen den ganzen Saal im dreitausendköpfigen Arena-Chor mitsingen.

Im zweiten Teil gab es eine Reihe gesanglich wertvoller Elemente. Iva Schell interpretierte herzzerreißend Lehárs „Liebe du Himmel auf Erden“, Anna Majchrzak bot eine äußerst emotionale Version von Andrew Lloyd-Webbers „Denk an mich“ aus dem Musical Phantom der Oper und Carmen Monarchas Puccini-Arie „Un bel di, vedremo“ riss auch die letzten Skeptiker von den Sitzen.

Kurz vor der Zugabe gab es endlich den ersehnten Johann Strauss. Natürlich: „An der schönen blauen Donau“. Und auf gutes Zureden des Meisters wurde auch unvermittelt getanzt in der Arena. Paare erhoben sich zum Walzertanz, wenn kein Mann in greifbarer Nähe war, tanzte Frau mit Frau, und eine ganz einsame Seele nutzte den Platz vor der ersten Reihe zum Alleintanz. Das war nicht kitschig, sondern sehr bewegend.

Auch für die Erheiterung jenseits aller Melancholie wurde gesorgt: beim „Schneewalzer“ begann es plötzlich von der Decke zu schneien und die mittleren Reihen wurden von einer feinen Pulverschicht überzogen. Zum Ende des Liedes ging gar über dem hinteren Teil des Publikums eine wahre Lawine runter und die Kamera hielt freudig auf die verdutzten Gesichter, die nun in Großaufnahme die Leinwände zierten. Die skeptischen Blicke nach oben, als Rieu dann verkündete, im nächsten Stück gehe es um Wasser, waren Gold wert.

Der letzte Song entführte in ein Land „were children can run free“, wie Rieu ankündigte. Mit allen Solisten sang man „This land is mine“ und erntete stehende Ovationen. Mit einem Regen aus bunten Luftballons endete der Konzertabend. Im langen Zugabenblock gab es den Radetzky-Marsch und Klassiker wie den Gefangenen-Chor von Nabucco sowie Bizets „Auf in den Kampf Torero“. Nur Leonard Cohens „Hallelujah“ hätte ich nicht in diesen Block gesteckt. Da ging dann leider jede Feinheit des Songs im übertriebenen Vibrato unter.

Die Freude der Menschen um mich herum war echt. Da war der kleine Junge auf dem Arm seiner Mutter, die sich schunkelnd nach vorne drängten, um einen Luftballon einzufangen. Oder das von der Bühnenkamera eingefangene Mädchen, das nach den letzten Takten jubelnd an seiner Mama hoch sprang. André Rieu verstand es wieder, sein Publikum zu verzaubern. 66 Jahre ist er alt und hat viele Tiefen unbeschadet überstanden. Mit seinem Orchester bleibt er Superheld der Klassik.