Danny Goldberg und seine besonderen „Erinnerungen an Kurt Cobain“
Es gibt wohl kaum eine Geschichte aus dem Leben von Kurt Cobain, die nicht bereits in irgendwelchen Büchern, Filmen, You Tube-Clips oder Artikeln erzählt ist. Im Internet, das zu seinen Lebzeiten kaum eine Rolle spielte, findet man Setlisten von fast allen Konzerten, die Nirvana jemals gespielt haben. Leider nicht die vom Konzert in der Kölner Sporthalle am 14. März 1994. Der Auftritt wurde damals wegen angeblicher Stimmprobleme des Nirvana-Frontmannes in den Herbst desselben Jahres verschoben. Bekanntlich kam es nicht mehr dazu. Am 5. April 1994 erschoss sich Kurt Cobain in seinem Haus in Seattle. Ich hatte eine Karte für das Konzert in Köln, die ich noch heute wie einen Schatz aufbewahre.
Als die Veröffentlichung von „Erinnerungen an Kurt Cobain“ bekanntgegeben wurde, habe ich automatisch gezuckt, mir aber gleichzeitig die Frage gestellt, was denn nun an einem weiteren Buch über Kurt Cobain so spannend sein soll. Nach der Lektüre der 295 Seiten weiß ich es. Danny Goldberg, der Nirvana ab Anfang 1991 managte und so intensiv die Zeit miterlebte, in der die Bandmitglieder zu Ikonen einer ganzen Generation aufstiegen, zeichnet ein anderes Bild als das des depressiven und verstörten Künstlers aus den üblichen Cobain-Legenden. Goldberg erlebte ihn als Musiker voller Leidenschaft und Ehrgeiz und vor allem als überwiegend netten Kerl: „Wenn er echte Fans traf, war er sehr grosszügig und ihnen zugewandt; er war sich stets bewusst, wie nervös sie waren, und versuchte dafür zu sorgen, dass sie sich entspannten. Er vergaß nie, dass er bei allem Erfolg der Band nichts anderes war als sie: ein Indie- und Underground-Fan“. Danny Goldberg war es auch, der die letzte Trauerrede bei der privaten Beerdigungsfeier hielt, die Courtney Love für ihren Mann organisiert hatte.
In seinem Buch setzt er die Entwicklung von Nirvana zu internationalen Superstars in den musikalischen (Punk), politischen (Präsidentschaft von Ronald Reagan) und kulturellen (Grunge, MTV) Kontext jener Zeit. Goldberg beschreibt die ersten Konzerte, Nirvana’s Zeit beim lokalen Sub Pop-Label, die Aufnahmen zu „Nevermind“ und wie das Album nach seiner Veröffentlichung im September 1991 durch die Decke schoss und sich die Welt für Dave Grohl, Krist Novoselic und besonders für Kurt Cobain komplett veränderte. Er war hautnah dabei, als sich die drei Bandmitglieder in dieser für sie völlig neuen Welt zurechtfinden mussten und sich Kurt Cobain und Dave Grohl bei einem Konzert gleichzeitig nicht trauten backstage ihr grosses Idol Ozzy Osbourne anzusprechen. Goldberg schildert die gesundheitlichen Probleme von Kurt Cobain, die ihn schließlich in die Heroinsucht treiben, ebenso lebendig wie dessen väterliche Fürsorge für seine Tochter Frances Bean. Er nimmt uns mit zu den Aufnahmen von „MTV Unplugged“ im November 1993, die erst posthum veröffentlicht wurden und analysiert die damaligen verbalen Scharmützel mit Axl Rose sowie die oftmals überinterpretierten Auseinandersetzungen zwischen Nirvana und Pearl Jam. In der Zeit bis zu Cobain’s Tod wird Danny Goldberg von dessen Business-Berater zu einem engen Freund und Vertrauten. Sein Selbstmord, für alle Nirvana-Fans weltweit ein großer Schock, traf auch ihn persönlich hart.
Rein biographisch betrachtet hat „Erinnerungen an Kurt Cobain“ nicht viel Neues zu bieten. Das Neue ist, dass Danny Goldberg darin nicht so sehr Cobain’s innere Konflikte in den Blickpunkt stellt, sondern ihn als den genialen Schöpfer eines Kulturphänomens darstellt, das eine ganze Generation prägte und bis heute prägt: „Auch 25 Jahre nach Kurts Tod ist es sein poetisches, ungefiltertes Verständnis für den Schmerz der Jugend, das junge Menschen dazu bringt, Nirvana-T-Shirts zu tragen, weil für sie damit ein gewisses Statement verbunden ist“. Dabei verließ sich Goldberg nicht allein auf seine eigenen Erinnerungen und Aufzeichnungen, sondern führte zahlreiche Gespräche mit Musikerkollegen, Familienmitgliedern und Medienvertretern. Für ihn war Kurt Cobain der hochsensible Image-Schöpfer der ultimativen Anti-Image-Band. „Erinnerungen an Kurt Cobain“ ist das facettenreiche und tiefgründige Porträt einer vielschichtigen Persönlichkeit, die sich mit den Worten “It’s better to burn out than to fade away” viel zu früh von dieser Welt verabschiedet hat.