Joe Jackson und der geheimnisvolle Max Champion
Ob es den sagenumwobenen Max Champion wirklich gegeben hat? Oder hat sich der umtriebige Joe Jackson kurzerhand ein alter Ego zugelegt, um frank und frei im Genre der ehrwürdigen Music Hall zu schwelgen und diese altertümliche Unterhaltungsform zu neuem Leben zu erwecken? Das ist ihm allemal zuzutrauen. Und es passt einfach, eine Kunstfigur zu erschaffen, die die neuen Songs tragen soll. Wie es auch sei – das Album „Mr. Joe Jackson presents: Max Champion in WHAT A RACKET!“ ist ein ganz besonderes musikalisches Vergnügen und somit als Konzeptwerk absolut gelungen.
Aber zuerst sollte man ein wenig ausholen, um den Stil zu erklären: Das Genre Music Hall war die erste Form der Massenunterhaltung, die von der Arbeiterklasse geschaffen wurde. Seine Anfänge lagen in den Pubs und Straßen Londons in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und obwohl es nie wirklich als „respektabel“ galt, wurde es um 1900 in opulenten Theatern vor einem riesigen Publikum aus allen Gesellschaftsschichten aufgeführt. Die Music Hall war eine Art von Veranstaltungsort, der eine Mischung aus Live-Musik, Comedy, Varieté-Acts und anderen Unterhaltungsformen bot. Prostituierte und Prinzen gleichermaßen sangen zusammen mit Superstars, von denen viele heute legendär sind und deren Lieder im Vereinigten Königreich noch immer bekannt sind. Künstler in der Music Hall waren oft Multitalente, die sowohl singen als auch komisch sein konnten. Die Shows waren für die meisten Menschen bezahlbar und boten eine Form der Unterhaltung für alle sozialen Schichten.
Falls es ihn wirklich gegeben hat, ist über Max Champion nur wenig bekannt, außer dass er 1882 im Londoner East End geboren wurde und vermutlich mit dem großen viktorianischen Unterhaltungskünstler Harry Champion verwandt war – so sagt es Joe Jacksons Legende. Als aufstrebender Künstler teilte er die Bühne mit Stars wie Gus Ellen und Vesta Tilley, aber seine Karriere wurde (ähnlich wie die Music-Hall-Ära selbst) durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und seine Lieder gerieten in Vergessenheit. Das heißt bis 2014, als Max-Champion-Noten auftauchten: zuerst in Malta, dann in England und interessanterweise auch in Belgien, wo Max wahrscheinlich in den Schützengräben sein Ende fand. Bis 2019 waren genug Lieder wieder aufgetaucht, um Joe Jackson zu ermöglichen, sie mit einem 12-köpfigen Orchester wiederzubeleben.
Der britische Songwriter, Sänger und Pianist Joe Jackson ist schon seit den späten 70er Jahren erfolgreich im Musikgeschäft und hat sich im Laufe seiner Karriere mit verschiedensten Musikstilen und Projekten beschäftigt. Dabei war er auch stets für Überraschungen gut. Seine Musik ist für ihre künstlerische Raffinesse und ihre Fähigkeit, verschiedene Genres zu verschmelzen, bekannt.
„What A Racket!“ bietet großartige Musik, der man den Showcharakter von Beginn an anhört. „Why, Why, Why?“ und „What A Racket!“ klingen wie hektische Zirkusmusik, „The Sporting Life“ atmet den Geist eines großen Events, „Dear Old Mum“ funktioniert als schwelgerische Ballade. Max Champion alias Joe Jackson liefert charismatische Vocals zu den orchestral aufgebauten Songs und oft klingt das wie aus alten Stummfilmklassikern. „Monty Mundy“ wird mit chorischen Elementen aufgepeppt, „Shades of Night“ hat ein sinfonisches Arrangement, „The Bishop and the Actress“ lebt von seinen erzählerischen und frivol-lebendigen Momenten.
„Think of the Show“ hat viel von einem guten Musicalsong. Und genau so könnte man sich eine Aufführung des Albums auch vorstellen. Es sind 41 grandiose Minuten, die auf hoher See enden, wo die schlimmen Dinge passieren. Zumindest sind Pläne in Arbeit, dieses Projekt im Jahr 2024 als Live-Show zu präsentieren. Man darf gespannt sein – und kann sich hier schon mal auf die Geschichte von Max Champion einstimmen: