Stark und unzerbrechlich

Wenn man Patricia Kelly mit der Kelly Family auf der Bühne erlebt, wird einfach deutlich, wie sie den Laden zusammenhält. Trotz ihrer großen Solo-Erfolge gibt es da keine Spur von Starallüren. Die Familie steht im Mittelpunkt. Und das zieht sich durch ihr ganzes Leben und ihre Karriere. Vor allem imponiert mir, wie ehrlich und authentisch sie auftritt. Mit den Solowerken „Grace & Kelly“ und „One More Year“ hat sie dabei noch einen Riesenschritt nach vorne gemacht.

Patricia spricht unverblümt über ihren Glauben, ihr Leben und ihre Gefühle. Auch musikalisch kehrt sie dabei das Innerste nach außen. Man nehme nur dieses wundervolle Album „One More Year“ mit dem herzzerreißenden Titelsong (HIER unsre Review). Der Hintergrund war ernst, denn nach ihrer Krebserkrankung im Jahr 2009 bat sie Gott um weitere zehn Jahre, um ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Jetzt war die Zeit abgelaufen und die Hymne „One More Year“ ist die mantra-artige Bitte um ein weiteres Jahr. Dazu gab es ein Video, das Patricia mit schonungslosen Bildern durch ihre Krankheit begleitete. Für mich das Album des Jahres 2020, denn auch die übrigen Stücke schlugen den Bogen von Schmerz zu Stärke und waren äußerst emotional.

Genau so geht es Ende 2021 weiter. Woher nimmt man die Stärke, um Krisen zu überstehen? Wie behält man sein Lachen, wenn das Leben den Humor verliert? Fragt man Patricia Kelly, kommt die Antwort ohne Zögern: „Meine Kraftquelle ist die Liebe. Die meines Ehemannes, meiner Kinder, meiner großen Familie. Mein Glaube und meine Songs.“ Von dieser unerschöpflichen Ressource berichtet sie auf ihrem neuen Album, das während der vergangenen anderthalb Jahre entstanden ist. Und es kann allen Hoffnung machen, die in den Jahren der Pandemie in eine Sinnkrise gefallen sind: „Ich stehe auf der Bühne seit ich fünf Jahre alt bin und es war das erste Mal in 45 Jahren, dass ich nicht live spielen und meine Musik mit einem Publikum teilen konnte. Das war unglaublich schwer. Alles stand still: keine Tour-Termine, keine Ablenkung – ich fühlte mich eingesperrt. Aber dann habe ich festgestellt, dass es auch eine wichtige Erfahrung war. Ich habe mich mit allen Aspekten meines Lebens auseinandergesetzt und trotz aller Sorgen und trotz des Verlustes wichtiger Menschen in meinem Umfeld eine Antwort auf meine Fragen gefunden: pure Dankbarkeit.“

Die Titelhymne spricht mit orchestraler Melodie von Stärke und Unzerstörbarkeit. Patricia Stimme ist einfach wundervoll und mäandert durch die Emotionen. Doch es gibt auch tanzbare Songs wie „Doll“, hervorragend produziert und mit ihrer unvergleichlichen Stimmfarbe eingesungen. Es finden sich Anleihen an Folk und Gospel, doch diesmal ist der Pop-Anteil höher als beim letzten Werk. Anspieltipp ist definitiv eine Pianoballade wie „Hurts“, doch auch die Latin-Rhythmen von „Venga Chica“ haben ihren Reiz.

„Your Love“ hat biographische Elemente und „Fighter“ marschiert wacker nach vorne. Sehr gelungen finde ich das Duett „Brave“ mit Daniel Powter und der Abschluss „Back Again“ kommt als optimistische Zukunftshymne gerade im richtigen Moment. Patricia Kelly reflektiert ihr Leben. Sie war fast tot – und ist so stark wie nie. Schade, dass sie ihre Herbsttour aufgrund einer Fußverletzung abbrechen musste. Dann kam auch noch eine Corona-Infektion hinzu, die sie sich im Krankenhaus eingefangen hat. Doch sie bleibt einfach unerschütterlich.

Das Album ist stimmig vom ersten bis zum letzten Song. In meinen Augen fällt es zwar nach „One More Year“ leicht ab, doch das mag am kurzen Abstand zwischen den beiden Veröffentlichungen liegen. „Unbreakable“ ist ein furchtloses, internationales Pop-Album einer spannenden, gereiften Künstlerin, die weiß was sie will – und das definitiv nicht nur ihre Fans bedingungslos lieben werden.

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