Reeperbahn Festival 2024 – Freitag und Samstag – Konzertberichte

Nach den insgesamt noch recht beschaulichen ersten beiden Tagen ist es am Freitag und Samstag beim Reeperbahn Festival doch merklich voller geworden. Logisch – Wochenende. Da ist auf der Reeperbahn ohnehin die Hölle los. Und es kamen ja noch bis zu 15.000 Linkin Park Fans hinzu, die sich die Zeit vor dem Konzert vertreiben mussten und an diversen Fan-Aktionen teilnahmen. Die Marketing-Kampagne, die Warner Music und das LP-Management hier fuhren, vereinnahmte nämlich sowohl ganz Hamburg als auch das RBF im speziellen. Überall Plakate und Graffiti, Straßenkünstler waren engagiert um Songs von Linkin Park zu spielen, am Freitagabend gab es eine spektakuläre Drohnenshow über dem Heiligengeistfeld, um den VÖ-Termin für das neue Album anzukündigen, und in der Thai Oase fand ein groß angelegtes Fanevent statt, vor dem sich eine Hunderte Meter lange Schlange bildete. Was nicht geschah, war allerdings ein Erscheinen oder gar ein Auftritt der Band beim RBF. Wäre auch zu schön gewesen…

Ich startete mein Konzertwochenende mit dem Gig von OSKA bei „Reeperbahn Collide“ im Bunker. Diese neue Attraktion in St. Pauli führt zunächst dazu, dass man viele Treppen steigen muss, um in diesem begrünten Koloss bis zur Georg-Elser-Halle zu gelangen. Die Mühe hatte sich aber gelohnt, denn die Künstlerin aus Wien legte einen fantastischen Auftritt hin, der von speziell designten Visuals auf großer LCD-Leinwand begleitet wurde. OSKA ist einfach wundervoll. Sympathisch, witzig, mit grandios guter Stimme, die ein wenig an Katie Melua erinnert. Es gibt erst ein Album, doch das zweite ist in Arbeit. OSKA war im Sommer als Support von Silbermond und Coldplay unterwegs – und es wird mit jedem Konzert spürbar, wie ihre Fanbase wächst und wächst. Kein Wunder, wer sie einmal live erlebt hat, will das immer wieder tun. Neben vielen Premieren vom nächsten Album gab es auch „Landslide“ von Fleetwood Mac. In diesen 60 Minuten hat OSKA mal wieder eindrucksvoll bewiesen, warum sie zu den besten Pop-Acts der Gegenwart zählt.

Fotocredit: Dominik Friess

Danach wurde es in meinem Zeitplan etwas besinnlich mit dem Besuch der St. Michaelis Kirche („Hamburger Michel“). Das Ambiente dort ist immer ganz besonders für Konzerte. Diesmal waren dort zwei Holländer am Start, Joep Beving und Maarten Vos. Das aktuelle Album „Vision of contentment“ ist im Eindruck des Todes ihres Managers entstanden, daher wurde es sehr sphärisch und mystisch. Das komplett dargebotene Konzeptalbum ist wahre Klangkunst mit Piano, Percussion, Streichern und Elektronik – ganz ohne Worte. Die Musik spricht für sich und wirkte sehr stark in dieser heiligen Halle. Die blaue Stunde zwischen Licht und Dunkel wurde hier perfekt in Szene gesetzt.

Auf dem Spielbudenplatz hatte Ella Ronen die „Swiss Sunset Stage“ eingenommen. Die Musikerin aus Zürich bot Folk-Pop mit feministischer Attitüde. So war auch die Begleitband mit drei Frauen besetzt und es ging um Rollenbilder, beispielsweise im Song „Fuck Cute“. Ihr Album „The Girl With No Skin“ ist gerade erst erschienen und bietet ein gutes Gespür für Worte und Melodien. Die Sängerin ist promovierte Literaturwissenschaftlerin – das merkt man in den tiefsinnigen Lyrics.

Foto: Christian Hedel / Reeperbahn Festival

Dann war endlich Elbphilharmonie angesagt. Alli Neumann hatte eine spezielle Show namens „In Flagranti“ extra für diesen besonderen Auftritt geschaffen. Die Elphi als Location ist jedesmal grandios, allein wegen dem Ambiente und der Akustik. Alli selbst kam mit einem Fagott auf die Bühne. Sie beherrscht dieses Instrument ganz passabel (für ein Musikstudium hat es aber nach eigenen Worten nicht gereicht) und nutzte natürlich die Chance, damit aufzutreten. Überhaupt waren neben der Liveband auch einige Streicherinnen am Start, außerdem Musikerinnen mit Fagott, Saxofon und Querflöte. So konnte man filigrane Passagen mit der typischen Rockshow abwechseln.

Alli ist ja spätestens seit „Sing meinen Song“ einem Massenpublikum bekannt. So fand sie auch in der Elphi eine begeisterte Zuhörerschaft, wobei sie erst klassische begann, manche Songs aber in wahre Freudenschreie ausarten ließ. Die Dynamik veränderte sich mit jedem Stück und vor allem auch während der Interpretation. Eine Rapperin war zu Gast, ein befreundeter polnischer Sänger und Inéz von der Band Ätna. Alli selbst hatte so viel Charisma und Energie, dass man nur staunen konnte. Dabei war sie sichtbar nervös, was man bei den Ansagen merkte, ließ sich aber davon den Moment nicht verderben. Sie war einfach unbändig glücklich, hier spielen zu dürfen, und zeigte das auch.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Ein Gruß ging raus an den Papa, der dann prompt aufstand und huldvoll in die Menge winkte, was Alli wiederum ziemlich aus der Fassung brachte. Ebenso an die Schwester, die wegen Corona per Facetime zugeschaltet war. Alli bedanke sich bei allen, die an sie geglaubt haben – und auch an die, die das nicht taten. „Und jetzt schaut mal, wo ich hier stehe!“, rief sie unter aufbrandendem Jubel.

Es gab ein geiles Fagott-Duett und mit Inéz den Song „So wie du“. Ihr erster deutschsprachiger Song „Orchideen“ war immer mit Streichern geplant – und endlich konnte sie ihn auch so auf die Bühne bringen. Zu „Primetime“ standen alle auf und machten die Elphi zum Tanzparkett. Sie interpretierte einen polnischen Protestsong mit einem Aufruf, für die Demokratie zu kämpfen („in Polen hat das auch funktioniert“).

Alli fühlte sich nach eigenen Worten wie auf ihrer Hochzeit. Und man war selbst ganz mitgerissen von ihrer Freude und Leidenschaft. „Seltsame Welt“ sang sie mit jiddischen Lyrics und das verursachte wieder Gänsehaut. Es gab den passenden Disco-Song „Fühl mich gut“ und nach 75 exorbitant guten Minuten den Song „Frei“ als letzte Zugabe und Schrei der Erleichterung. Mit diesem Konzert hat Alli jedenfalls Geschichte geschrieben – für sich und auch für die Elphi.

Samstags war am vierten Tag in Folge bestes Wetter mit wolkenfreiem Himmel. Nicht zu heiß (knapp 23-25 Grad) und mit einer leichten Brise in den Abendstunden. Auf dem Spielbudenplatz gab es den N-Joy Reeperbus, der jeden Tag Teaser-Shows präsentierte, für die man kein RBF-Ticket brauchte. So war der viertelstündige Showcase von Kate Nash extrem gut besucht. Diese Heldin früherer Tage wollten viele unbedingt mal live sehen. Kate präsentierte keine Radiohits, sondern einige Songs vom neuen Album „9 Sad Symphonies“, doch allein das war schon großartig. Es hielt sie auch nicht auf der Bühne, sondern sie ging direkt rein ins Publikum. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was am Abend in der Großen Freiheit folgen sollte. Die Schlange für Selfies war im Anschluss riesig – und ganz sympathisch nahm sich Kate Nash Zeit für jeden Fan.

OSKA und Redakteur Andi am Reeperbus

Dann durfte ich zum zweiten Mal OSKA erleben. Ihr kurzer Gig vor dem Reeperbus war diesmal rein akustisch mit dem Gitarristen Clemens als Duo, der selbst als Doppelfinger auch bisweilen solo unterwegs ist. Wieder überzeugte die Österreicherin, die eigentlich Maria heißt, mit einem luftigen und fröhlichen Set. Zwischendurch erzählte sie kleine Geschichten zu den Songs und eroberte die Herzen der Anwesenden im Sturm. Der Andrang zum Konzert in der St. Pauli Kirche sollte dann am Abend riesengroß sein. Das hat sie sich durch ihr sympathisches Wesen selbst erspielt. Man muss sie einfach mögen.

Auf der MOPO-Bühne gab Songwriterin jolle ein feines Konzert auf kleiner Bühne. Ich hatte sie schon mittwochs kurz sehen können und wollte den Eindruck noch vertiefen. Hat sich gelohnt! Sie war mit DJ am Start und das war perfekt, um die Geräuschkulisse des Heiligengeistfelds zu übertönen. Jolle war ganz besorgt ob einiger Kinder, die in der ersten Reihe auf dem Boden saßen: „Wenn’s euch zu laut wird, sagt Bescheid.“ Doch die Pänz haben ordentlich mitgefeiert. Kein Problem. Wahlhamburgerin jolle hatte ein T-Schirt mit „FCK NZS“ Aufdruck. Diese politisch sehr korrekte Einstellung spiegelte sich in Songs wie „Schwarzes Wasser“, „Leergetanzt“ und „Grundrauschen“. Es ging um Depressionen und Lebensfreude, aber auch um Haltung. Die Zuschauermenge wurde mit jeder Minute größer. Jolle hatte sich hier wie eine gute Straßenkünstlerin ein Publikum erspielt, das nicht mehr weiterzog. Das hat sie sich verdient. Zum Ende hin gab es die Single „Wir gehen rein“, den Song „Große Freiheit“ passend zur Reeperbahn und – weil noch etwas Zeit war – den Downer „Leeres Statement“.

Im Bunker dann soffie im größeren Setting als Trio. Ja, wieder Treppen steigen bis unters Dach, aber allein der Blick über Hamburg entschädigt für die Strapazen. Und natürlich die Musik von soffie, verfeinert durch Keyboard, Gitarre und Schlagzeug. Die Mittzwanzigerin aus Backnang sorgte mit dem Cover „Oh Johny“ (Jan Delay) für Stimmung und spielte ihren Hit „Für immer Frühling“ gleich zweimal, als das Publikum lautstark nach Zugabe verlangte. Die Visuals waren diesmal nicht so kunstvoll wie bei OSKA, doch es gab auch hier eine schöne Lichtatmosphäre.

Liedermacherin Sarah Lesch hatte bei der Village Acoustics Bühne viele Fans um sich versammelt. Den Anfang bestritt sie noch mit Banjo und Mundharmonika allein, später gesellte sich Gitarristin Thari Kaan hinzu. „Der Tag an dem die Flut kam“ kündigte Sarah noch als „Song zum Fummeln“ an, obwohl das geschilderte Endzeitszenario erschreckend realistisch gezeichnet ist. Danach ging es mehr in Richtung von Protestsongs und politischen Chansons mit glasklaren und nachhaltigen Texten. In Thüringen geboren lebt sie inzwischen in Leipzig und hat sich dem Antifaschismus verschrieben. Stücke wie „Der Einsamkeit zum Trotze“ und „Testament“ sprechen für sich. Gerade in letzterem hat Sarah – wie sie selbst behauptet – bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt, denn es ist ein Plädoyer, besser auf die Kinder zu hören und ihnen zu vertrauen („Die spürn sich noch, die ham Feeling für die Welt“).

Im Vorbeigehen konnte ich einige Takte von Tonbandgerät auf dem Spielbudenplatz erhaschen, die ihr 18jähriges Bühnenjubiläum feierten. Indie-Pop aus Hamburg, der hier extrem viele Zuschauer anlockte. Das in Kürze erscheinende neue Album wird „Ein anderes Leben“ heißen und die Single „So schwer / so leicht“ wurde gerade frisch veröffentlicht.

Aber es ging wieder zu OSKA, diesmal in die St. Pauli Kirche. Erstaunlich, wie unterschiedlich Konzerte sein können, wenn sich das Setting ändert. Nach dem Bunker mit seinen effektvollen Visuals und der reduzierten Performance am Reeperbus wurde es nun ganz romantisch. Leichte Variationen in der Setlist sorgten dafür, dass es nicht langweilig wurde. Die Sängerin hofft darauf, dass sich mal zwei Menschen auf einem ihrer Konzerte verloben. Die heilige Umgebung der alternativ angehauchten Kirche wäre eigentlich perfekt dafür, doch es passierte leider nicht (zumindest nicht öffentlich). OSKA war selbst wie zu einer Hochzeit gekleidet und sang mit filigraner Stimme, die durch die wundervolle Akustik nochmal in höhere Bahnen gelenkt wurde. Die Kirche war proppevoll und das Publikum hing an ihren Lippen. OSKA erzählte viele kleine Anekdoten und freute sich über das Ambiente. Patzer bei der Tonangabe? Geschenkt. Hier konnte der Band nichts die Laune verderben. Es war mystisch, wenn OSKA Gitarre spielte und man im Hintergrund des Altarraums ihren Schatten sah. Zum Schluss standen alle Zuschauer*innen auf und mit „Mona Lisa, a girl’s best friend“ gab es einen fantastischen Song, den man noch nicht aus dem Bunker kannte.

Mein letztes RBF-Konzert war Kate Nash in der Großen Freiheit 36. Hallo, was war da los? Mit großer Bandbesetzung brannte die Songwriterin aus London ein Feuerwerk ab, das für mich der krönende Abschluss des Festivals war. Sie kam im extravaganten Outfit, das ein wenig an Barbie erinnerte, doch ihr Set war alles andere als lieb und beschaulich. Hyperaktiv und immer in Bewegung wirbelte sie durch die weibliche Bandbesetzung, schrie, ließ sich fallen, rannte in die Menge und verausgabte sich völlig in einem Konzert, das am Ende noch länger dauerte als die angekündigten 75 Minuten.