In der heutigen Samstagnacht ging das 19. Reeperbahn Festival zu Ende. Rund 45.000 Besucher*innen erlebten über vier Tage ein internationales und vielfältiges Angebot aus 800 Programmpunkten, davon 480 Konzerte von 450 Acts aus 35 Nationen sowie 40 Lesungen, Live-Podcasts und Ausstellungen.
Für die rund 5.000 Fachbesucher*innen der Branchenplattform hielt das Programm 240 Veranstaltungen bereit, u.a. Networking-Events, Showcases, Award-Shows und Sessions, in denen 400 Sprecher*innen aus 52 Nationen diskutierten. Weitere 130 Punkte umfassten die Programme der Partner-Konferenzen TINCON und re:publica. Die Genderquote des diesjährigen Programms lag bei 50/50.
Unter dem diesjährigen Motto „Let The Music Grow” lag der Fokus der Konferenz mit Künstlicher Intelligenz, der Rettung der Grassroots Kultur, Diversität und Nachhaltigkeit auf den drängendsten aktuellen Problemen der Musikwirtschaft. Hervorzuheben ist die erneut gestiegene Internationalität der Delegierten, die sich in einer verstärkten Präsenz aus Großbritannien, den USA oder auch Vertreter*innen internationaler Märkte wie Taiwan, Indien, Brasilien, Lateinamerika, Südafrika bemerkbar machte.
Ein Höhepunkt war die Nacht des Universal-Labels Vertigo, bei der ein starkes Line-Up aus skuth, Ronja, Aaron, Fil Bo Riva und Milano am Donnerstagabend für ein begeistertes und durchgängig volles Docks sorgte und bei der der Überraschungs-Headliner Ski Aggu für seinen Hit „Friesenjung” sogar seinen Duett-Partner Otto Waalkes mit auf die Bühne brachte.
Insgesamt bildete das Musikprogramm ein nochmals erweitertes Genrespektrum ab. So war in diesem Jahr erstmals die Heavy Metal-Branche mit fünf Receptions & Sessions sowie drei Showcases vertreten. Das neue Techno- und Rave-Format Track ID machte im Uebel & Gefährlich und Turmzimmer zwei Nächte deutlich länger.
Am Samstagabend wurde im St. Pauli Theater von der diesjährigen Jury um Tayla Parx (USA), Emily Kokal (USA), Julia Stone (AUT) und Tim Bendzko (DEU) der Anchor Award an strongboi (DEU) verliehen. Die neue Formation, zu der u.a. Songwriterin Alice Phoebe Lou zählt, gelang es im Laufe ihrer Show, sich gemeinsam mit ihrem Publikum in einen wahrhaft euphorischen Zustand zu spielen, dem sich auch die Jury nicht entziehen konnte. Die Begründung der Jury:
„We were truly blown away by the incredible talent displayed by all the nominees. Every artist showed up with such passion, delivering beautiful sets. Watching them made it clear how much hard work, how much connection these people were bringing to their art. Regardless of who we chose, we want to note that we thank each nominee for being involved and we all hope to see each of the artists continue on their path in the world of creating music both in the studio and live. So, in the end, after much deliberation, we chose to award an artist who brought a magic blend of great songs, strong musicality, and a sense of community to the stage. Despite facing some technical challenges early in the set, by the end of their show, the crowd was dancing, swaying, lost in the dreamy, ethereal soundscape they created. Our hope is that this award allows them to continue evolving and sharing their sound with the world.”
Im diesjährigen Wettbewerb spielten am Donnerstag und Freitag im Gruenspan Moonchild Sanelly (ZAF), Enji (DEU), Milan Ring (AUS), KÄSSY (AUT), Beth McCarthy (GBR) und strongboi (DEU) um die begehrte Trophäe. Die Konzerte der diesjährigen Anchor-Nominees waren im Livestream bei Arte zu sehen und sind in der Mediathek via arte.tv und YouTube abrufbar.
Im Rahmen des Reeperbahn Festivals wurden die Gewinner*innen des HELGA! Festival Awards und VIA – VUT Indie Awards gekürt. Das 20. Reeperbahn Festival findet vom 17.09. – 20.09.2025 statt. Der Vorverkauf hat begonnen. Die Preise für die Festivaltickets bleiben für das kommende Jahr unverändert, die Early Bird Tickets für Fachbesucher*innen sind in limitiertem Umfang günstiger als im Vorjahr verfügbar.
Nach den insgesamt noch recht beschaulichen ersten beiden Tagen ist es am Freitag und Samstag beim Reeperbahn Festival doch merklich voller geworden. Logisch – Wochenende. Da ist auf der Reeperbahn ohnehin die Hölle los. Und es kamen ja noch bis zu 15.000 Linkin Park Fans hinzu, die sich die Zeit vor dem Konzert vertreiben mussten und an diversen Fan-Aktionen teilnahmen. Die Marketing-Kampagne, die Warner Music und das LP-Management hier fuhren, vereinnahmte nämlich sowohl ganz Hamburg als auch das RBF im speziellen. Überall Plakate und Graffiti, Straßenkünstler waren engagiert um Songs von Linkin Park zu spielen, am Freitagabend gab es eine spektakuläre Drohnenshow über dem Heiligengeistfeld, um den VÖ-Termin für das neue Album anzukündigen, und in der Thai Oase fand ein groß angelegtes Fanevent statt, vor dem sich eine Hunderte Meter lange Schlange bildete. Was nicht geschah, war allerdings ein Erscheinen oder gar ein Auftritt der Band beim RBF. Wäre auch zu schön gewesen…
Ich startete mein Konzertwochenende mit dem Gig von OSKA bei „Reeperbahn Collide“ im Bunker. Diese neue Attraktion in St. Pauli führt zunächst dazu, dass man viele Treppen steigen muss, um in diesem begrünten Koloss bis zur Georg-Elser-Halle zu gelangen. Die Mühe hatte sich aber gelohnt, denn die Künstlerin aus Wien legte einen fantastischen Auftritt hin, der von speziell designten Visuals auf großer LCD-Leinwand begleitet wurde. OSKA ist einfach wundervoll. Sympathisch, witzig, mit grandios guter Stimme, die ein wenig an Katie Melua erinnert. Es gibt erst ein Album, doch das zweite ist in Arbeit. OSKA war im Sommer als Support von Silbermond und Coldplay unterwegs – und es wird mit jedem Konzert spürbar, wie ihre Fanbase wächst und wächst. Kein Wunder, wer sie einmal live erlebt hat, will das immer wieder tun. Neben vielen Premieren vom nächsten Album gab es auch „Landslide“ von Fleetwood Mac. In diesen 60 Minuten hat OSKA mal wieder eindrucksvoll bewiesen, warum sie zu den besten Pop-Acts der Gegenwart zählt.
Fotocredit: Dominik Friess
Danach wurde es in meinem Zeitplan etwas besinnlich mit dem Besuch der St. Michaelis Kirche („Hamburger Michel“). Das Ambiente dort ist immer ganz besonders für Konzerte. Diesmal waren dort zwei Holländer am Start, Joep Beving und Maarten Vos. Das aktuelle Album „Vision of contentment“ ist im Eindruck des Todes ihres Managers entstanden, daher wurde es sehr sphärisch und mystisch. Das komplett dargebotene Konzeptalbum ist wahre Klangkunst mit Piano, Percussion, Streichern und Elektronik – ganz ohne Worte. Die Musik spricht für sich und wirkte sehr stark in dieser heiligen Halle. Die blaue Stunde zwischen Licht und Dunkel wurde hier perfekt in Szene gesetzt.
Auf dem Spielbudenplatz hatte Ella Ronen die „Swiss Sunset Stage“ eingenommen. Die Musikerin aus Zürich bot Folk-Pop mit feministischer Attitüde. So war auch die Begleitband mit drei Frauen besetzt und es ging um Rollenbilder, beispielsweise im Song „Fuck Cute“. Ihr Album „The Girl With No Skin“ ist gerade erst erschienen und bietet ein gutes Gespür für Worte und Melodien. Die Sängerin ist promovierte Literaturwissenschaftlerin – das merkt man in den tiefsinnigen Lyrics.
Foto: Christian Hedel / Reeperbahn Festival
Dann war endlich Elbphilharmonie angesagt. Alli Neumann hatte eine spezielle Show namens „In Flagranti“ extra für diesen besonderen Auftritt geschaffen. Die Elphi als Location ist jedesmal grandios, allein wegen dem Ambiente und der Akustik. Alli selbst kam mit einem Fagott auf die Bühne. Sie beherrscht dieses Instrument ganz passabel (für ein Musikstudium hat es aber nach eigenen Worten nicht gereicht) und nutzte natürlich die Chance, damit aufzutreten. Überhaupt waren neben der Liveband auch einige Streicherinnen am Start, außerdem Musikerinnen mit Fagott, Saxofon und Querflöte. So konnte man filigrane Passagen mit der typischen Rockshow abwechseln.
Alli ist ja spätestens seit „Sing meinen Song“ einem Massenpublikum bekannt. So fand sie auch in der Elphi eine begeisterte Zuhörerschaft, wobei sie erst klassische begann, manche Songs aber in wahre Freudenschreie ausarten ließ. Die Dynamik veränderte sich mit jedem Stück und vor allem auch während der Interpretation. Eine Rapperin war zu Gast, ein befreundeter polnischer Sänger und Inéz von der Band Ätna. Alli selbst hatte so viel Charisma und Energie, dass man nur staunen konnte. Dabei war sie sichtbar nervös, was man bei den Ansagen merkte, ließ sich aber davon den Moment nicht verderben. Sie war einfach unbändig glücklich, hier spielen zu dürfen, und zeigte das auch.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Ein Gruß ging raus an den Papa, der dann prompt aufstand und huldvoll in die Menge winkte, was Alli wiederum ziemlich aus der Fassung brachte. Ebenso an die Schwester, die wegen Corona per Facetime zugeschaltet war. Alli bedanke sich bei allen, die an sie geglaubt haben – und auch an die, die das nicht taten. „Und jetzt schaut mal, wo ich hier stehe!“, rief sie unter aufbrandendem Jubel.
Es gab ein geiles Fagott-Duett und mit Inéz den Song „So wie du“. Ihr erster deutschsprachiger Song „Orchideen“ war immer mit Streichern geplant – und endlich konnte sie ihn auch so auf die Bühne bringen. Zu „Primetime“ standen alle auf und machten die Elphi zum Tanzparkett. Sie interpretierte einen polnischen Protestsong mit einem Aufruf, für die Demokratie zu kämpfen („in Polen hat das auch funktioniert“).
Alli fühlte sich nach eigenen Worten wie auf ihrer Hochzeit. Und man war selbst ganz mitgerissen von ihrer Freude und Leidenschaft. „Seltsame Welt“ sang sie mit jiddischen Lyrics und das verursachte wieder Gänsehaut. Es gab den passenden Disco-Song „Fühl mich gut“ und nach 75 exorbitant guten Minuten den Song „Frei“ als letzte Zugabe und Schrei der Erleichterung. Mit diesem Konzert hat Alli jedenfalls Geschichte geschrieben – für sich und auch für die Elphi.
Samstags war am vierten Tag in Folge bestes Wetter mit wolkenfreiem Himmel. Nicht zu heiß (knapp 23-25 Grad) und mit einer leichten Brise in den Abendstunden. Auf dem Spielbudenplatz gab es den N-Joy Reeperbus, der jeden Tag Teaser-Shows präsentierte, für die man kein RBF-Ticket brauchte. So war der viertelstündige Showcase von Kate Nash extrem gut besucht. Diese Heldin früherer Tage wollten viele unbedingt mal live sehen. Kate präsentierte keine Radiohits, sondern einige Songs vom neuen Album „9 Sad Symphonies“, doch allein das war schon großartig. Es hielt sie auch nicht auf der Bühne, sondern sie ging direkt rein ins Publikum. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was am Abend in der Großen Freiheit folgen sollte. Die Schlange für Selfies war im Anschluss riesig – und ganz sympathisch nahm sich Kate Nash Zeit für jeden Fan.
OSKA und Redakteur Andi am Reeperbus
Dann durfte ich zum zweiten Mal OSKA erleben. Ihr kurzer Gig vor dem Reeperbus war diesmal rein akustisch mit dem Gitarristen Clemens als Duo, der selbst als Doppelfinger auch bisweilen solo unterwegs ist. Wieder überzeugte die Österreicherin, die eigentlich Maria heißt, mit einem luftigen und fröhlichen Set. Zwischendurch erzählte sie kleine Geschichten zu den Songs und eroberte die Herzen der Anwesenden im Sturm. Der Andrang zum Konzert in der St. Pauli Kirche sollte dann am Abend riesengroß sein. Das hat sie sich durch ihr sympathisches Wesen selbst erspielt. Man muss sie einfach mögen.
Auf der MOPO-Bühne gab Songwriterin jolle ein feines Konzert auf kleiner Bühne. Ich hatte sie schon mittwochs kurz sehen können und wollte den Eindruck noch vertiefen. Hat sich gelohnt! Sie war mit DJ am Start und das war perfekt, um die Geräuschkulisse des Heiligengeistfelds zu übertönen. Jolle war ganz besorgt ob einiger Kinder, die in der ersten Reihe auf dem Boden saßen: „Wenn’s euch zu laut wird, sagt Bescheid.“ Doch die Pänz haben ordentlich mitgefeiert. Kein Problem. Wahlhamburgerin jolle hatte ein T-Schirt mit „FCK NZS“ Aufdruck. Diese politisch sehr korrekte Einstellung spiegelte sich in Songs wie „Schwarzes Wasser“, „Leergetanzt“ und „Grundrauschen“. Es ging um Depressionen und Lebensfreude, aber auch um Haltung. Die Zuschauermenge wurde mit jeder Minute größer. Jolle hatte sich hier wie eine gute Straßenkünstlerin ein Publikum erspielt, das nicht mehr weiterzog. Das hat sie sich verdient. Zum Ende hin gab es die Single „Wir gehen rein“, den Song „Große Freiheit“ passend zur Reeperbahn und – weil noch etwas Zeit war – den Downer „Leeres Statement“.
Im Bunker dann soffie im größeren Setting als Trio. Ja, wieder Treppen steigen bis unters Dach, aber allein der Blick über Hamburg entschädigt für die Strapazen. Und natürlich die Musik von soffie, verfeinert durch Keyboard, Gitarre und Schlagzeug. Die Mittzwanzigerin aus Backnang sorgte mit dem Cover „Oh Johny“ (Jan Delay) für Stimmung und spielte ihren Hit „Für immer Frühling“ gleich zweimal, als das Publikum lautstark nach Zugabe verlangte. Die Visuals waren diesmal nicht so kunstvoll wie bei OSKA, doch es gab auch hier eine schöne Lichtatmosphäre.
Liedermacherin Sarah Lesch hatte bei der Village Acoustics Bühne viele Fans um sich versammelt. Den Anfang bestritt sie noch mit Banjo und Mundharmonika allein, später gesellte sich Gitarristin Thari Kaan hinzu. „Der Tag an dem die Flut kam“ kündigte Sarah noch als „Song zum Fummeln“ an, obwohl das geschilderte Endzeitszenario erschreckend realistisch gezeichnet ist. Danach ging es mehr in Richtung von Protestsongs und politischen Chansons mit glasklaren und nachhaltigen Texten. In Thüringen geboren lebt sie inzwischen in Leipzig und hat sich dem Antifaschismus verschrieben. Stücke wie „Der Einsamkeit zum Trotze“ und „Testament“ sprechen für sich. Gerade in letzterem hat Sarah – wie sie selbst behauptet – bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt, denn es ist ein Plädoyer, besser auf die Kinder zu hören und ihnen zu vertrauen („Die spürn sich noch, die ham Feeling für die Welt“).
Im Vorbeigehen konnte ich einige Takte von Tonbandgerät auf dem Spielbudenplatz erhaschen, die ihr 18jähriges Bühnenjubiläum feierten. Indie-Pop aus Hamburg, der hier extrem viele Zuschauer anlockte. Das in Kürze erscheinende neue Album wird „Ein anderes Leben“ heißen und die Single „So schwer / so leicht“ wurde gerade frisch veröffentlicht.
Aber es ging wieder zu OSKA, diesmal in die St. Pauli Kirche. Erstaunlich, wie unterschiedlich Konzerte sein können, wenn sich das Setting ändert. Nach dem Bunker mit seinen effektvollen Visuals und der reduzierten Performance am Reeperbus wurde es nun ganz romantisch. Leichte Variationen in der Setlist sorgten dafür, dass es nicht langweilig wurde. Die Sängerin hofft darauf, dass sich mal zwei Menschen auf einem ihrer Konzerte verloben. Die heilige Umgebung der alternativ angehauchten Kirche wäre eigentlich perfekt dafür, doch es passierte leider nicht (zumindest nicht öffentlich). OSKA war selbst wie zu einer Hochzeit gekleidet und sang mit filigraner Stimme, die durch die wundervolle Akustik nochmal in höhere Bahnen gelenkt wurde. Die Kirche war proppevoll und das Publikum hing an ihren Lippen. OSKA erzählte viele kleine Anekdoten und freute sich über das Ambiente. Patzer bei der Tonangabe? Geschenkt. Hier konnte der Band nichts die Laune verderben. Es war mystisch, wenn OSKA Gitarre spielte und man im Hintergrund des Altarraums ihren Schatten sah. Zum Schluss standen alle Zuschauer*innen auf und mit „Mona Lisa, a girl’s best friend“ gab es einen fantastischen Song, den man noch nicht aus dem Bunker kannte.
Mein letztes RBF-Konzert war Kate Nash in der Großen Freiheit 36. Hallo, was war da los? Mit großer Bandbesetzung brannte die Songwriterin aus London ein Feuerwerk ab, das für mich der krönende Abschluss des Festivals war. Sie kam im extravaganten Outfit, das ein wenig an Barbie erinnerte, doch ihr Set war alles andere als lieb und beschaulich. Hyperaktiv und immer in Bewegung wirbelte sie durch die weibliche Bandbesetzung, schrie, ließ sich fallen, rannte in die Menge und verausgabte sich völlig in einem Konzert, das am Ende noch länger dauerte als die angekündigten 75 Minuten.
Bunt, unerschrocken und die Besten der Besten – die Gewinner*innen stehen fest!
Im Rahmen des Reeperbahn Festivals fand am Donnerstagabend, den 19. September 2024, die Verleihung des Helga! Festival Awards im Neo House im Festival Village auf dem Heiligengeistfeld statt. Jedes Jahr ist der Helga! Festival Award für alle Festivalmacher*innen aus ganz Deutschland ein guter Anlass zusammenzukommen – egal, ob nominiert oder als Gäst*innen. Denn abseits der Verleihung bleibt stets Raum zum Austausch und den neuesten Erkenntnissen aus der Festivallandschaft.
Der Helga! Festival Award zeichnet sich durch wechselnde Kategorien aus. Eine Fachjury sowie das Publikum wählen in verschiedenen Abstimmungsphasen am Ende ihre Festival-Lieblinge.
Im Public Voting sind die diesjährigen Gewinner*innen “Bestes Festival”:
● Summer Breeze Open Air – Bestes Festival
Die hochkarätige Fachjury kürte 2024 diese Festivals zu Gewinner*innen:
● SNNTG Festival- Gemischteste Tüte
● Orange Blossom Special – Grünste Wiese
● HASTAM – Just because I am – Unerschrockenste Haltung
● Tapefabrik – Feinstes Booking
● Für Hilde Festival – Wohligste Wohlfühloase
Jedes Festival – egal ob groß oder klein – hat eine echte Chance auf den Helga! Festival Award, denn bei der Abstimmung werden die Stimmen ins Verhältnis zur Größe des Festivals gesetzt. Insgesamt stimmten beim Public Voting über 22.000 Festival-Fans für ihre Lieblinge ab.
Über 70 Festival-Bewerbungen gingen dieses Jahr für den Helga! Festival Award 2024 ein. Und für den Jury-Entscheid fand sich eine 33-köpfige Fachjury zusammen: Darunter Festival-Insider*innen, Branchen-Profis, Verbandsmitglieder*innen oder Künstler*innen wie
z.B. Roy Bianco & die Abbrunzati Boys und viele mehr. Einige der Bewertungskriterienwaren unter anderem: Anspruchsvolle und hochwertige Programmauswahl, Originalität, Kreativität, Innovation sowie soziale und gesellschaftliche Positionierung, Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion.
Detlef Schwarte – Director Reeperbahn Festival: „Open-Air-Festivals machen eine schwere Zeit durch. Preissteigerungen, Personalmangel und verhaltene Ticket Sales stellen viele Festivals vor wirtschaftliche Probleme. Darum gibt es keine bessere Zeit, um die Festivals zu feiern und ihre kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung und auch ihre positiven ökonomischen Effekte auf die jeweils regionalen Umfelder zu betonen. Die große Resonanz aus der Szene und von den Fans auf den HELGA! spricht für sich. Festivals sind die einzige Möglichkeit! Support and celebrate Festivals!“
Die Preisverleihung moderierten in diesem Jahr Kira Taige – Geschäftsführung Feel Festival und Ludwig Henze – Moderator/Musiker.
Bestes Festival 2024: Summer Breeze Open Air
In der Kategorie „Bestes Festival” entscheiden Deutschlands Festival-Fans über den Award der Awards. Im Public Voting über zwei Runden schafften es diesmal unter die Top 6: Ab geht die Lutzi! Festival Burning Pants Festival Deichbrand Festival Herzberg Festival Open Flair Summer Breeze Open Air
Bereits in der ersten Abstimmungsrunde zeigte sich, dass es dieses Jahr wieder ein Kopf an Kopf Rennen geben wird, zumal nicht nur fünf Festivals unter die Top Favorit*innen kamen, sondern gleich sechs, da zwei Festivals über die gleiche Stimmenzahl verfügten. Am Ende war es ein klarer Sieg für das Summer Breeze Open Air, das bereits seit 1997 auf dem Flugplatz des Aeroclubs im bayerischen Dinkelsbühl stattfindet und Metal-Fans begeistert. Nominierte und Gewinner*innen des diesjährigen Helga! Festival Awards:
Bunt gewürfelt für “Gemischteste Tüte” waren das Pinot and Rock, Rock for Tolerance Open Air Festival und das SNNTG Festival. Die Auszeichnung geht dieses Jahr an das SNNTG Festival. Die Jury ist der Meinung, dass das SNNTG Festival das ganzheitlichste Konzept hat, was zu einer “Gemischtesten Tüte” gehört. So achten sie zum Beispiel stark auf Diversität und hinterfragen sich selbstkritisch. Sogar nach ihrem Gewinn im Jahr 2022 in dieser Kategorie war es für sie Ansporn genug, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern an sich zu arbeiten, um sich weiterzuentwickeln – es hat sich gelohnt, um erneut den Helga! Festival Award mit nach Hause zu nehmen.
Die „Grünste Wiese” hinterließen in diesem Jahr das Ehrenhof Open, Orange Blossom Special und Skandaløs Festival. Durchgesetzt hat sich Orange Blossom Special, die für die Jury in ihrem Konzept ganzheitlich auftreten und darüber hinaus Besucher*innen animieren, nachhaltig zu handeln – auch im Hinblick auf die An- und Abreise. Sogar das Programm vereint Kultur mit Natur, so gibt es z.B. eine Vogeltour für Festivalbesucher*innen.
Eine weitere, neue Kategorie, die gerade in politisch schwierigen Zeiten eine wichtige Rolle einnimmt, ist die „Unerschrockenste Haltung” und die bewiesen das HASTAM – Just because I Am, Kein Bock auf Nazis Festival und Rock gegen Rechts. Am Ende setzte sich das Hamburger Festival HASTAM – Just because I Am durch, bei dem sich Ende August 2024 eine neue Generation von mutigen Musiker*innen und Kunstschaffenden aus dem Iran präsentieren und ihre Stimmen im Kontext der Frauen-Protestbewegung “Jin – Jiyan – Azadi” eine Bühne geben.
Die Nominierten in der Kategorie „Feinstes Booking” waren: Jenseits von Nelken und Pralinen, Metropolink Festival und Tapefabrik. Am Ende gewann die Tapefabrik. Für die Jury schaut das Festival über den Tellerrand und schafft es, als genrespezifisches Hip-Hop Event, divers zu sein. Hervorgehoben wird insbesondere die Entwicklung vom Underground Hip-Hop Festival zu einem modernen Festival, das traditionelle Segmente mit neuen, modernen Stilen vereint.
In der Kategorie „Wohligste Wohlfühloase” schafften ein unvergessliches Ambiente das Für Hilde Festival, Skandaløs Festival und das Zurück zu den Wurzeln Festival. Am Kuscheligsten war es für Festivalliebhaber*innen beim Für Hilde Festival. Denn was Besucher*innen dort vorfinden, ist einfach eine Wohlfühloase: Authentisch, mit Liebe zum Detail, mit Chill-Out Bereichen, Schattenplätzen und kinderfreundlichen Plätzen. Laut Jury ist es dort einfach “schnuckelig” und fühlt sich an wie ein Besuch bei Oma und Opa.
Über den Helga! Festival Award:
Der unabhängige Helga! Festival Award wird seit 2013 verliehen und zeichnet die besten Festivals Deutschlands in jährlich wechselnden Kategorien aus. Der Helga! Festival Award ist der erste und einzige Award ausschließlich für Musikfestivals in Deutschland und bietet auch kleinen Festivals die Chance auf Anerkennung. Der Helga! Festival Award wird vom Reeperbahn Festival in Kooperation mit der LiveKomm und Höme – Für Festivals präsentiert.
Und wieder wird die Reeperbahn zum Nabel der Musikwelt. Es ist schon enorm, wie viele Labels und Promoter mich im Vorfeld des Festivals anschreiben, um ihre Acts zu bewerben. Aber absolut sinnvoll. Über 800 Programmpunkte für 45.000 Fans in unendlich vielen Clubs und Locations, dazu die öffentlichen Open Air Events auf Heiligengeistfeld und Spielbudenplatz, für die man kein Ticket braucht – wer soll da den Überblick bewahren? Man kann sich treiben lassen, hört hier und dort interessante Klänge, besucht die Clubs, wenn gerade keine große Schlange davor steht, oder man sucht gezielt nach bestimmten Genres, hält sich an die Topacts, whatever…
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Am Mittwoch ließ mich zunächst mal die Deutsche Bahn im Stich und der ICE hatte ganze zwei Stunden Verspätung. Also „Opening Show“ ade. Stattdessen kam ich kurz nach 19 Uhr im Festival Village an und hatte mit jolle gleich eine quirlige Deutschpop-Künstlerin im Ohr. Sie hat ihre Karriere 2020 in einer Hamburger Karaokebar gestartet. Also ein Heimspiel hier, das sie hervorragend nutzte und die Fritz Kola Bühne rockte. Laut und mit viel Pep setzte sie eine erste Duftmarke beim Festival. Die Rap-Parts waren frisch und beeindruckend.
Weiter ging es mit Amy Warning. Wieder auf deutsch, wieder mit Rap. Sie hat 2014 ihr erstes Album veröffentlicht und bewegt sich zwischen Soul, Pop und Reggae. Mit ihrem aktuellen Album „Auszeit“ glänzte sie auf der Village Acoustics Bühne. Einziges Manko: Es ist schwer, sich auf einer kleinen Bühne akustisch durchzusetzen, wenn im Hintergrund stampfende Dancebeats und die verstärkte Musik einer anderen Bühne ertönen. Daran könnten die Veranstalter noch arbeiten, um allen Acts eine reelle Chance zu geben. Amy ließ sich aber nicht entmutigen und das Publikum skandierte mit Ihr „Ich war dabei“.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Im Bahnhof Pauli, einer Untergrund Location, die einem echten U-Bahnhof nachempfunden ist, spielte Paula Dalla Corte ein einstündiges Set mit großer Bandbesetzung. Die Indie-Künstlerin ist durch „The Voice of Germany“ bekannt geworden und hat sich mit dem Song „Good Girl Killer“ eine ordentliche Fanbase erarbeitet. Auch in St. Pauli wurde sie abgefeiert. Die Stimme etwas rauchig, womit sie auch beeindruckend tiefe Töne perfekt trifft. Auftreten und Style melodramatisch mit weitgreifenden Gesten und starker Bühnenpräsenz. Es war definitiv ein Genuss, sie auf der Bühne zu erleben, und für mich das Highlight des ersten Tages.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Auf der Bühne am Spielbudenplatz hatten sich inzwischen Judi & Cocho als „Bavarian Export“ eingefunden. Es gibt häufiger solche Mottobühnen und hier wurde das Line-up von Bands aus Bayern gestellt, was man am Mundart-Akzent des Sängers leicht feststellen konnte. Die Musik ging in Richtung Jeremias und AnnenMayKantereit. Verlebt raue Vocals und Partystimmung. Damit hatte man das Publikum auf seiner Seite. Eigentlich sind Julian Deller und Johannes Winkler vor allem ein Indie-Duo, doch hier wurde man von einer formidablen Band begleitet. Ein perfekter Spätsommerabend mit einer Temperatur von noch 15 Grad nachts um 23 Uhr sorgte zudem für entspannte Stimmung und Feierlaune.
Zum Abschluss gab es im Krimi-Theater Imperial eine besondere Überraschung. Ana Lua Caiano ist fest in Jazz, Fado und portugiesischer Folklore verwurzelt. Doch wie sie das darbot, war überwältigend. Allein auf der Bühne mit unzähligen Instrumenten und Loop-Station. Live nahm sie ihre Tonspuren auf und stellte das Ergebnis zu Songs zusammen. Dabei war sie immer in Bewegung und lieferte mit elektronischen Mitteln, viel Pathos, enormem Stimm- und Körpereinsatz sowie mitreißender Energie eine überwältigende Performance ab. Auch komplett a cappella, nur von einem Tambourin begleitet, riss sie das Publikum quasi von den Sitzen. Ein grandioses Konzert, das mal wieder zeigte, wie vielseitig das Reeperbahn Festival sein kann.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
In den Donnerstag bin ich schon um 13 Uhr mit einem Besuch im East Hotel gestartet. Dort fand ein Panel der Reeperbahn Konferenz statt. Das Festival ist ja auch ein Treffen von ca. 4.500 Delegates aus der Musikbranche, die an einem informativen Programm teilnehmen können. In diesem Fall waren dort zwei großartige Sängerinnen am Start, um zum Thema „Stairway to Heaven or Highway to Hell – Künstler*innen auf der unternehmerischen Reise in die Zukunft“ zu sprechen. Zum einen Inéz, die vor allem durch die Kollaboration „Zukunft Pink“ mit Peter Fox bekannt geworden ist, und Deutschpop-Künstlerin Wilhelmine. Die beiden gaben gute Einblicke in ihre Arbeit, Irrungen und Wirrungen der Karriere, Marketing und Social Media, Abhängigkeiten und Freiheiten, einschneidende Erlebnisse und vieles mehr.
Im Bahnhof Pauli stand mit Gregor Hägele wieder ein Künstler auf der Bühne, dem „The Voice of Germany“ die erste große Bühne bot. Die Casting-Flügel hat er definitiv abgelegt und lieferte hier eine rasante Rockshow mit Songs seines neuen Albums. Viel Deutschrock, aber auch einige Balladen. Zwischen zeitlich begab er sich nur mit Gitarre in die Menge und schuf bewegende Momente inmitten des Publikums. Zum Song „Paracetamol“ schnappte er sich den anwesenden Florian Künstler, um den Mitsing-Refrain zu üben. Mit Songs wie „Sophie“ und „Ich liebe mich“ übertrug er seinen Vibe mühelos auf die Anwesenden.
Foto: Christian Hedel / Reeperbahn Festival
Singer/Songwriterin Soffie hatte die Fritz Kola Bühne im Sturm erobert. Sie war allein auf der Bühne und begleitete sich elektronisch. Spätestens mit der Hymne „Für immer Frühling“ wussten die Anwesenden, wer da vor ihnen stand. Seit sie dieses Stück Anfang des Jahres bei TikTok hochgeladen hat, ist es zum ultimativen Protestsong gegen Rechts geworden. Toleranz und Mitmenschlichkeit sind der Sängerin ein großes Anliegen.
Zurück im Bahnhof Pauli bot Kati K Deutschrock mit leichten Techno-Vibes. Als Sängerin und Influencerin macht sie seit 2015 mit Gesangsvideos über Beziehungstipps auf sich aufmerksam. Doch keine Sorge, es wurde nicht zu esoterisch oder kopflastig. Die Münchnerin bot ein solides Rockkonzert mit emotionalen Ausflügen (Pianoballade „Weißes Kleid“) und einem von den Prinzen entliehenen Song, im Original „Alles nur geklaut“, den sie mit einem Text übers Fremdgehen füllte.
Auf der Village Acoustics Bühne dann Jule Gelhar, ein frisches Hamburger Talent mit ihrem erst fünften offiziellen Auftritt. Das merkte man der Künstlerin aber nicht an, die ihre EP „Im Regio weinen“ in einer Mischung aus Indie und Punk präsentierte. Allein mit Klampfe sang sie auf deutsch – akustisch, laut, rotzig, schnell und mit tollen Texten. Vor allem ihr Stück zum Thema Sexuelle Gewalt war beeindruckend und hinterließ Spuren.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Anna B Savage stand barfuß auf der MOPO-Bühne und sang mit ihrer hervorragenden, klassisch anmutenden Stimme und viel Pathos zur akustischen Gitarre. Die in Irland lebende Engländerin ist ein wirkliches Ausnahmetalent der Independent-Szene. Sie war ständig in Bewegung, aber auch manchmal ganz in sich versunken. Ihre Stimme ging durch Mark und Bein, musste sich aber leider gegen dumpfe Techno-Beats aus dem Hintergrund durchsetzen. Wieder schade, dass man diese Überschneidungen in der Lautstärke nicht in den Griff bekam. Bewundernswert, dass Anna sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließ.
Im Schmidtchen gab es jetzt eine Lesung, an der ich unbedingt teilnehmen wollte. Die Journalist*innen Daniel Drepper und Lena Kampf haben zum Thema „Gewalt und Missbrauch in der Musikindustrie“ recherchiert und das Buch „Row Zero“ verfasst, wobei die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann Auslöser ihrer Arbeit waren. Was sie zu berichten hatten, war gleichwohl erschütternd wie ernüchternd. Die juristische Handhabe gegen geschilderte Taten von Nötigung und Gewalt ist schwierig, solange Aussage gegen Aussage steht und die Beweisführung zu allem, was backstage und in Hinterzimmern geschieht, kaum möglich ist. Begriffe wie Druck und Machtgefälle stehen hier gegen die Unschuldsvermutung. Es entwickelte sich eine spannende Diskussion mit den Anwesenden und die Zeit war viel zu schnell vorbei.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Die Village Acoustics Bühne war jetzt mit Revelle besetzt. Die Wahlberlinerin aus der Nähe von Wien ist mittlerweile fester Bestandteil der Deutschpop-Playlisten. Sehr quirlig, sympathisch und frisch nahm sie die Anwesenden mit auf eine 45minütige Reise durch luftige, meist fröhliche Popsongs, die sie sehr reduziert interpretierte. Revelle singt glasklar und hat emotionale Lyrics zu bieten. Damit traf sie den Nerv des Publikums und man spürte „Nur Liebe“. Man sah ihr die Freude über den Auftritt merklich an und die halbe Stunde verging wie im Flug. Sie versäumte es nicht, auf die Flutkatastrophe in Niederösterreich hinzuweisen und eine Spendenaktion für eine befreundete Familie zu starten. So gab es im Anschluss die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen und Unterstützung zu leisten.
In der Großen Freiheit 36 ein weiteres Konzert, auf das ich mich sehr freute: Das Comeback von JULI, meinen Helden aus Anfang der 2000er. Der Club war brechend voll, aber gut organisiert kam man ohne Warteschlange vor die Bühne. Es war ein absolut magischer Moment, als die ganze Freiheit zum Eröffnungsstück „November“ minutenlang „Und es ist Juli“ sang. Eine sichtlich bewegte Eva Briegel und eine jubelnde Menge waren das Ergebnis dieses Liebesbeweises. Der Gig wurde zum perfekten Happening für Nostalgiker und neue Fans. Eine mitreißende Setlist bot „Elekrisches Gefühl“, aber auch ganz neue Stücke und natürlich Klassiker wie „Geile Zeit“ und „Perfekte Welle“. Gerade bei letzteren Songs bat Eva die Social-Media-Generation, ihre Handys wegzulegen und den Moment zu genießen. Das gelang dann auch tatsächlich und man sah nur ganz wenige erleuchtete Bildschirme. Stattdessen eine riesige Party, die 80 Minuten andauerte und mit einer Zugabe endete. JULI hatten alles gegeben und bewiesen, dass das 20jährige Jubiläum des Debütalbums nicht zu seliger Ruhe, sondern zu Rastlosigkeit und neuer Energie führt.
Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival
Im Imperial-Theater sollten die Mighty Oaks den krönenden Abschluss für meinen zweiten Festivaltag bilden. Hier hatte sich eine riesige Menschenmenge in geordneter Schlange eingefunden, um an diesem ganz besonderen Event teilzunehmen. Der Amerikaner Ian Hooper, der Engländer Craig Saunders und der Italiener Claudio Donzelli haben sich vor über zehn Jahren in Hamburg gefunden und seitdem ganz dem Folk verschrieben. Sie wollten unbedingt wieder im Imperial spielen, weil dort beim RBF ihr großer Durchbruch begann. „Seid ihr sicher?“, fragten die Veranstalter. „Ja.“ Allerdings, wie Ian jetzt zugab, hatte man das Theater größer in Erinnerung. Für die Anwesenden war es ein Fest. Ian mit launigen Ansagen auf deutsch. Der harmonische Satzgesang im Trio. Alte und neue Hits, perfekt vorgetragen. Das neue Album „High Times“ ist gerade erschienen und führt definitiv in neue musikalische Höhen. Ein begeistertes Publikum trieb das Trio von Song zu Song und die 75 Minuten waren viel zu schnell vorbei. Entspannte, harmonische Songs, ein reduziertes Album – akustisch und (wie Ian sagte) „a little bit durcheinander“ waren die Mighty Oaks brillant auf der Bühne. Zur Zugabe stellte man sich zu dritt vors Mikro und brachte die Einheit als Band perfekt zum Ausdruck. Ein wundervoller Abschluss für Tag zwei.
Am frühen Mittwochabend wurde heute das 19. Reeperbahn Festival der Opening Show im Operettenhaus Hamburg eröffnet.
Festivalleiter Detlef Schwarte begrüßte die rund 1.200 anwesenden Gäste und stellte mit „Let the music grow“ das übergreifende Motto des diesjährigen Festivals vor. Sich als Musikbranche den teils existentiellen Herausforderungen wie Klub-Krise, Fair Pay im Streaming oder KI gemeinsam zu stellen und dennoch die positive Kraft der Musik ungebrochen zu feiern, sei das Gebot der Stunde und die Besonderheit des Reeperbahn Festivals.
In seinem Grußwort hieß Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher die internationale Musikwelt in der Hansestadt willkommen und Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, hob anschließend in ihrer Rede die Notwendigkeit von Kultur als verbindende Kraft in unserer konfliktreichen Zeit hervor.
„Das Reeperbahn Festival in Hamburg ist Europas größtes Showcase-Festival und das wichtigste europäische Treffen für Popmusikkultur. Hier tanzt und feiert ein internationales Publikum Musik, Vielfalt, Respekt, Toleranz und Freiheit. Das sind die Werte, für die das Reeperbahn Festival seit Jahren einsteht.”
– Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien
„Das Reeperbahn Festival ist einzigartig in Europa. Es bietet neuen Talenten eine internationale Bühne und dem Publikum erstklassige Live-Musik. Seit dem ersten Festival 2006 ist es zu einem zentralen Branchentreffen der Musik- und Digitalwirtschaft geworden, die sich in Hamburg über Innovationen und aktuelle Entwicklungen austauscht. Ich wünsche den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und allen Gästen interessante Meetings und Konzerte und einen schönen Aufenthalt in Hamburg.”
– Dr. Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister
Moderator Aurel Mertz führte danach durch das Programm welches mit einer Überraschungs-Live-Performance von Bastille Presents Ampersand (GBR), dem neuen Projekt von Lead Sänger Dan Smith startete. Sie performten zwei Songs aus dem neuen Album „&“, welches im Oktober erscheint.
Weitere Performances gab es von Rachel Chinouriri (GBR) und Alli Neumann (DEU), die zudem von der Leiterin der Europäischen Kommission in Deutschland Barbara Gessler für ihr Engagement für mehr Gendergerechtigkeit mit dem Keychange Inspiration Award ausgezeichnet wurde.
„Ich bin froh über jede Plattform die darauf aufmerksam macht, dass in der Musikindustrie noch viel aufzuarbeiten ist, bis zur Gleichberechtigung. Keychange hilft dabei, Aufmerksamkeit und Repräsentation für FLINTA*-Artists zu schaffen.”
– Alli Neumann, Musikerin
Die Jury des internationalen Wettbewerbs Anchor besteht in diesem Jahr aus den Musikerinnen Emily Kokal (USA), Julia Stone (AUS), Songwriterin, Produzentin, Schauspielerin und Unternehmerin Tayla Parx (USA) und dem Songwriter Tim Bendzko (DEU).
Die sechs nominierten Bands und Künstler*innen Milan Ring (AUS), Moonchild Sanelly (ZAF), Enji (DEU), KÄSSY (AUT), strongboi (DEU) und Beth McCarthy (GBR) werden bei ihren Reeperbahn Festival Konzerten am Donnerstag und Freitag im Gruenspan um den Gewinn der renommierten Auszeichnung spielen, die am Samstagabend im St. Pauli Theater verliehen wird.
Mit einer fesselnden und intensiven Keynote erläuterte Autor und Wirtschaftsjournalist Tim Harford (GBR) unter anderem wie Krisen Möglichkeiten für Wachstum sein können, bevor Bastille Presents Ampersand (GBR) die Besucher*innen in vier Tage voller aufregender neuer Musik und Gesprächen entließen.
Bereits am Nachmittag startete im Festival Village Konferenz für digitale Jugendkultur TINCON mit einem Angebot für insgesamt 3.500 Schüler*innen ab 13 Jahren, bei denen neben Inhalten zur digitalen Lebenswelt junger Erwachsener auch Einblicke ins Musikbusiness vermittelt werden.
Am Abend starten in den Clubs Bahnhof Pauli, Uwe und Prinzenbar die Konzerte der diesjährigen neun Teilnehmenden des Musikexportprogramms German Music Talent, mit Paula Della Corte, WizTheMc, Easy Easy, Salomea, Meagre Martin, Aka Kelzz, Enji, AFAR und Willow Parlo.
Insgesamt erwartet die Besucher*innen über vier Tage ein Angebot aus rund 800 Programmpunkten in 80 Spielstätten. Dazu zählen 480 Konzerte von 450 Acts aus über 30 Nationen sowie 40 Lesungen, Live-Podcasts und Ausstellungen.
Das Angebot für Fachbesucher*innen mit 200 Sprecher*innen aus 52 Nationen enthält 270 Programmpunkte, davon 50 in Rahmen der TINCON und 80 im Programm der re:publica. Die Gender-Quote im Programm beträgt 50/50.
Das Reeperbahn Festival erwartet in diesem Jahr rund 45.000 Besucher*innen, davon 4.000 Fachbesucher*innen.
Mit der Bestätigung weiterer 36 Acts für das diesjährige Reeperbahn Festival (18. bis 21.9.2024 auf St. Pauli) erhöht sich die Gesamtanzahl des Konzert-Programms auf insgesamt mehr als 160 Bands und Künstler*innen.
Neu dabei sind Efterklang (DNK), die bereits mehrfach beim Reeperbahn Festival aufgetreten sind und jedes Mal mit neuen Facetten ihres Sounds überrascht haben: Von atmosphärischen Soundsprenkeln zwischen Ambient, Art-Pop, Indie- und Post-Rock bis hin zu Kammermusik und Neoklassik ist die Formation bekannt für konstanten Wandel, wie ihre Alben „Magic Chairs“ und „Windflowers“ zeigen. In diesem Jahr stellen sie ihr neues Werk „Things We Have In Common“ in ihrer aktuellen Trio-Besetzung vor.
Ebenfalls zu dritt sind Mighty Oaks (DEU), bekannt für ihren warmen, lebensbejahenden Indie-Folk, der sie mit bislang vier Alben wie u.a. „Mexico“ auf die Bühnen in ganz Europa geführt hat. Beim Reeperbahn Festival spielen sie einen rein akustisch gehaltenen Rückblick über ihr bisheriges Schaffen und schlagen so einen Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft.
Für den wilden, experimentellen Stilmix seiner Band Black Midi wird Frontmann, Sänger, Songwriter, Gitarrist und Multitalent Geordie Greep (GBR) allerorten bewundert. Auch als Solo-Künstler gelingt ihm das Kunststück, auf den ersten Blick scheinbar unvereinbare Einflüsse wie King Crimson, Miles Davis, Boredoms, John Eliot Gardiner, argentinischen Tango, Gospel und viele mehr zu einer – in seinem Falle tatsächlich zutreffenden Umschreibung – neuen Form der Rockmusik zu vereinen.
AUSSERDEM BESTÄTIGT: WizTheMC (CAN/DEU/ZAF), jolle (DEU), MODULAR (DEU), Jesper Munk (DEU), Late Night Drive Home (USA), LIZ (DEU), Searows (USA), Wallners (AUT), Milan Ring (AUS), Willow Parlo (DEU), ADMT (GBR), Aka Kelzz (DEU), Later. (FRA), RAT BOY (GBR), Girl and Girl (AUS), Gretta Ray (AUS), Stuzzi (SWE), HINTERLANDGANG (DEU), Nathalie Froehlich (CHE), Astral Bakers (FRA), Thérèse (FRAU), Edb (CHE), C’est Karma (LUX), SKUPPIN (DEU), THEM LIGHTS (LUX), Rowli (DEU), LIM KIM (KOR), Sion (KOR), Touched (KOR), HYPNOSIS THERAPY (KOR), Pleasing (LUX), Ryvage (LUX), boebeck (HUN).
Das Showcase-Programm des Reeperbahn Festivals wächst beständig:
Der Kooperationspartner Kultur | lx – Arts Council Luxembourg präsentiert mit Electro-Noir von THEM LIGHTS, Electro-Pop von Künstlerin C’est Karma, Synthwave und Ambient-Techno von Ryvage sowie dem Post-Rock der Band Pleasing die enorme musikalische Bandbreite des kleinen Landes.
Das ungarische Musikexportbüro Hungarian Oncoming Tunes (HOTS) zeigt am Festival-Donnerstag die Singer-Songwriterin boebeck.
Mehr als nur K-Pop: Die Korea Creative Content Agency (KOCCA) stellt mit dem Rap-Duo HYPNOSIS THERAPY, der Indie-Rock-Band Touched, Rapper Sion und Sängerin LIM KIM vier Vertreter*innen der äußerst vielschichtigen Musik-Szene Koreas vor, während KREATIVES SACHSEN den Synthie-Pop-Newcomer SKUPPIN auf die Bühne bringt.
Nach Vermeldung der Acts, die in diesem Jahr in der Elbphilharmonie auftreten, kommt hier die erste Ankündigungswelle mit 47 Bands und Künstler*innen, die im Live-Programm des Reeperbahn Festivals 2024 zu sehen sind.
Die Karriere von Juli (DEU) ging 2004 mit ihrem Hit „Perfekte Welle“ durch die Decke. Seitdem hat die Band um Frontfrau Eva Briegel die deutsche Popgeschichte über zwei Dekaden mitgeprägt und regelmäßig neue Alben veröffentlicht, die belegen, dass ihnen das Händchen für Ohrwürmer nie abhandengekommen ist. Sie freuen sich, gemeinsam mit ihren Fans das 20. Jubiläum ihres Durchbruchs auf dem Reeperbahn Festival zu feiern!
Der Komponist und Pianist Joep Beving (NLD) durchforstet in seiner Musik innere Welten, um ihre Bilder auf Leinwandgröße nach außen zu projizieren und sein Publikum daran teilhaben zu lassen. „Zugängliche Musik für komplexe Emotionen“ nennt er das in aller Bescheidenheit – und wie Recht er damit hat, zeigt sein aktuelles Album „Hermetism“, ein kleines Meisterwerk impressionistischen Songwritings.
John Ryan Kaiser alias Yot Club (USA) landete mit seiner Single „YKWIM?“ einen viralen Hit auf TikTok und gilt mit seiner Mischung aus Bedroom Pop, Indierock, Surf und Punk inzwischen als einer der gefragtesten Songwriter seiner Heimat Mississippi – all diese Einflüsse und Stimmungen zwischen melancholisch und euphorisch verwandelt er in packende, catchy Songs, die besonders live absolut mitreißend sind.Eine Tatsache, die auch auf das siebenköpfige Kollektiv Ibibo Sound Machine (GBR) mehr als zutrifft, deren Anspruch es ist, die Distanz zur Tradition so fulminant wie nur irgend möglich aufzulösen: Ob die nigerianische Pop-Variante Highlife, die auf den Konventionen brechenden R’n‘B der 80er Jahre oder den hochenergetischen Drum and Bass der 90er und den französischen House-Hype der 2000er trifft, ob auf ihren inzwischen fünf Alben, darunter ihr aktuelles „Pull The Rope“ – warum diese Band zu den heißesten der Gegenwart gezählt wird, erklärt sich, sobald sie auf der Bühne stehen!
Dass gelebtes Understatement und Excitement sich keinesfalls ausschließen müssen, beweisen Songwriterin Alice Phoebe Lou und Ziv Yamin mit ihrem Duo strongboi (DEU), dessen reduzierte Bedroom Pop Perlen ihres gleichnamigen Album Debuts von 2023 zunehmend mehr Fans finden – im September dürften noch ein paar mehr dazukommen!
AUSSERDEM BESTÄTIGT
Zimmer90 (DEU), The Kiffness (USA), wavvyboi (DEU), NESS (DEU), Benjamin Amaru (CHE), Ellice (DEU), Master Peace (GBR), JAS (DEU), Suuns (CAN), Zartmann (DEU), Holly Macve (IRL), Des Rocs (USA), Mothica (USA), Bess Atwell (GBR), Kite (SWE), Somebody’s Child (GBR), SERPENTIN (DEU), RAR (DEU), Pale Blue Eyes (GBR), SALOMEA (DEU), Endless Wellness (AUT), Siggi (DEU), Maria Chiara Argirò (ITA), Porches (USA), Ão (BEL), error (DEU), Molly Payton (NZL), LEILA (CHE), RVG (AUS), Porcelain Id (BEL), swim school (GBR), Hohnen Ford (GBR), Meagre Martin (DEU), Leocardo DiNaprio (DEU), Andrew Cushin (GBR), Marathon (NLD), Humane The Moon (GBR), Elimako (DEU), Eaves Wilder (GBR), Güner Künier (DEU), Enpal (DEU), Voodoo Beach (DEU).