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Urheber/Fotograf: Christian Hedel / Reeperbahn Festival

JULI, Mighty Oaks 18.09.2024 - 19.09.2024 Reeperbahn / Hamburg

Reeperbahn Festival 2024 – Mittwoch und Donnerstag – Konzertberichte

Und wieder wird die Reeperbahn zum Nabel der Musikwelt. Es ist schon enorm, wie viele Labels und Promoter mich im Vorfeld des Festivals anschreiben, um ihre Acts zu bewerben. Aber absolut sinnvoll. Über 800 Programmpunkte für 45.000 Fans in unendlich vielen Clubs und Locations, dazu die öffentlichen Open Air Events auf Heiligengeistfeld und Spielbudenplatz, für die man kein Ticket braucht – wer soll da den Überblick bewahren? Man kann sich treiben lassen, hört hier und dort interessante Klänge, besucht die Clubs, wenn gerade keine große Schlange davor steht, oder man sucht gezielt nach bestimmten Genres, hält sich an die Topacts, whatever…

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Am Mittwoch ließ mich zunächst mal die Deutsche Bahn im Stich und der ICE hatte ganze zwei Stunden Verspätung. Also „Opening Show“ ade. Stattdessen kam ich kurz nach 19 Uhr im Festival Village an und hatte mit jolle gleich eine quirlige Deutschpop-Künstlerin im Ohr. Sie hat ihre Karriere 2020 in einer Hamburger Karaokebar gestartet. Also ein Heimspiel hier, das sie hervorragend nutzte und die Fritz Kola Bühne rockte. Laut und mit viel Pep setzte sie eine erste Duftmarke beim Festival. Die Rap-Parts waren frisch und beeindruckend.

Weiter ging es mit Amy Warning. Wieder auf deutsch, wieder mit Rap. Sie hat 2014 ihr erstes Album veröffentlicht und bewegt sich zwischen Soul, Pop und Reggae. Mit ihrem aktuellen Album „Auszeit“ glänzte sie auf der Village Acoustics Bühne. Einziges Manko: Es ist schwer, sich auf einer kleinen Bühne akustisch durchzusetzen, wenn im Hintergrund stampfende Dancebeats und die verstärkte Musik einer anderen Bühne ertönen. Daran könnten die Veranstalter noch arbeiten, um allen Acts eine reelle Chance zu geben. Amy ließ sich aber nicht entmutigen und das Publikum skandierte mit Ihr „Ich war dabei“.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Im Bahnhof Pauli, einer Untergrund Location, die einem echten U-Bahnhof nachempfunden ist, spielte Paula Dalla Corte ein einstündiges Set mit großer Bandbesetzung. Die Indie-Künstlerin ist durch „The Voice of Germany“ bekannt geworden und hat sich mit dem Song „Good Girl Killer“ eine ordentliche Fanbase erarbeitet. Auch in St. Pauli wurde sie abgefeiert. Die Stimme etwas rauchig, womit sie auch beeindruckend tiefe Töne perfekt trifft. Auftreten und Style melodramatisch mit weitgreifenden Gesten und starker Bühnenpräsenz. Es war definitiv ein Genuss, sie auf der Bühne zu erleben, und für mich das Highlight des ersten Tages.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Auf der Bühne am Spielbudenplatz hatten sich inzwischen Judi & Cocho als „Bavarian Export“ eingefunden. Es gibt häufiger solche Mottobühnen und hier wurde das Line-up von Bands aus Bayern gestellt, was man am Mundart-Akzent des Sängers leicht feststellen konnte. Die Musik ging in Richtung Jeremias und AnnenMayKantereit. Verlebt raue Vocals und Partystimmung. Damit hatte man das Publikum auf seiner Seite. Eigentlich sind Julian Deller und Johannes Winkler vor allem ein Indie-Duo, doch hier wurde man von einer formidablen Band begleitet. Ein perfekter Spätsommerabend mit einer Temperatur von noch 15 Grad nachts um 23 Uhr sorgte zudem für entspannte Stimmung und Feierlaune.

Zum Abschluss gab es im Krimi-Theater Imperial eine besondere Überraschung. Ana Lua Caiano ist fest in Jazz, Fado und portugiesischer Folklore verwurzelt. Doch wie sie das darbot, war überwältigend. Allein auf der Bühne mit unzähligen Instrumenten und Loop-Station. Live nahm sie ihre Tonspuren auf und stellte das Ergebnis zu Songs zusammen. Dabei war sie immer in Bewegung und lieferte mit elektronischen Mitteln, viel Pathos, enormem Stimm- und Körpereinsatz sowie mitreißender Energie eine überwältigende Performance ab. Auch komplett a cappella, nur von einem Tambourin begleitet, riss sie das Publikum quasi von den Sitzen. Ein grandioses Konzert, das mal wieder zeigte, wie vielseitig das Reeperbahn Festival sein kann.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

In den Donnerstag bin ich schon um 13 Uhr mit einem Besuch im East Hotel gestartet. Dort fand ein Panel der Reeperbahn Konferenz statt. Das Festival ist ja auch ein Treffen von ca. 4.500 Delegates aus der Musikbranche, die an einem informativen Programm teilnehmen können. In diesem Fall waren dort zwei großartige Sängerinnen am Start, um zum Thema „Stairway to Heaven or Highway to Hell – Künstler*innen auf der unternehmerischen Reise in die Zukunft“ zu sprechen. Zum einen Inéz, die vor allem durch die Kollaboration „Zukunft Pink“ mit Peter Fox bekannt geworden ist, und Deutschpop-Künstlerin Wilhelmine. Die beiden gaben gute Einblicke in ihre Arbeit, Irrungen und Wirrungen der Karriere, Marketing und Social Media, Abhängigkeiten und Freiheiten, einschneidende Erlebnisse und vieles mehr.

Im Bahnhof Pauli stand mit Gregor Hägele wieder ein Künstler auf der Bühne, dem „The Voice of Germany“ die erste große Bühne bot. Die Casting-Flügel hat er definitiv abgelegt und lieferte hier eine rasante Rockshow mit Songs seines neuen Albums. Viel Deutschrock, aber auch einige Balladen. Zwischen zeitlich begab er sich nur mit Gitarre in die Menge und schuf bewegende Momente inmitten des Publikums. Zum Song „Paracetamol“ schnappte er sich den anwesenden Florian Künstler, um den Mitsing-Refrain zu üben. Mit Songs wie „Sophie“ und „Ich liebe mich“ übertrug er seinen Vibe mühelos auf die Anwesenden.

Foto: Christian Hedel / Reeperbahn Festival

Singer/Songwriterin Soffie hatte die Fritz Kola Bühne im Sturm erobert. Sie war allein auf der Bühne und begleitete sich elektronisch. Spätestens mit der Hymne „Für immer Frühling“ wussten die Anwesenden, wer da vor ihnen stand. Seit sie dieses Stück Anfang des Jahres bei TikTok hochgeladen hat, ist es zum ultimativen Protestsong gegen Rechts geworden. Toleranz und Mitmenschlichkeit sind der Sängerin ein großes Anliegen.

Zurück im Bahnhof Pauli bot Kati K Deutschrock mit leichten Techno-Vibes. Als Sängerin und Influencerin macht sie seit 2015 mit Gesangsvideos über Beziehungstipps auf sich aufmerksam. Doch keine Sorge, es wurde nicht zu esoterisch oder kopflastig. Die Münchnerin bot ein solides Rockkonzert mit emotionalen Ausflügen (Pianoballade „Weißes Kleid“) und einem von den Prinzen entliehenen Song, im Original „Alles nur geklaut“, den sie mit einem Text übers Fremdgehen füllte.

Auf der Village Acoustics Bühne dann Jule Gelhar, ein frisches Hamburger Talent mit ihrem erst fünften offiziellen Auftritt. Das merkte man der Künstlerin aber nicht an, die ihre EP „Im Regio weinen“ in einer Mischung aus Indie und Punk präsentierte. Allein mit Klampfe sang sie auf deutsch – akustisch, laut, rotzig, schnell und mit tollen Texten. Vor allem ihr Stück zum Thema Sexuelle Gewalt war beeindruckend und hinterließ Spuren.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Anna B Savage stand barfuß auf der MOPO-Bühne und sang mit ihrer hervorragenden, klassisch anmutenden Stimme und viel Pathos zur akustischen Gitarre. Die in Irland lebende Engländerin ist ein wirkliches Ausnahmetalent der Independent-Szene. Sie war ständig in Bewegung, aber auch manchmal ganz in sich versunken. Ihre Stimme ging durch Mark und Bein, musste sich aber leider gegen dumpfe Techno-Beats aus dem Hintergrund durchsetzen. Wieder schade, dass man diese Überschneidungen in der Lautstärke nicht in den Griff bekam. Bewundernswert, dass Anna sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Im Schmidtchen gab es jetzt eine Lesung, an der ich unbedingt teilnehmen wollte. Die Journalist*innen Daniel Drepper und Lena Kampf haben zum Thema „Gewalt und Missbrauch in der Musikindustrie“ recherchiert und das Buch „Row Zero“ verfasst, wobei die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann Auslöser ihrer Arbeit waren. Was sie zu berichten hatten, war gleichwohl erschütternd wie ernüchternd. Die juristische Handhabe gegen geschilderte Taten von Nötigung und Gewalt ist schwierig, solange Aussage gegen Aussage steht und die Beweisführung zu allem, was backstage und in Hinterzimmern geschieht, kaum möglich ist. Begriffe wie Druck und Machtgefälle stehen hier gegen die Unschuldsvermutung. Es entwickelte sich eine spannende Diskussion mit den Anwesenden und die Zeit war viel zu schnell vorbei.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

Die Village Acoustics Bühne war jetzt mit Revelle besetzt. Die Wahlberlinerin aus der Nähe von Wien ist mittlerweile fester Bestandteil der Deutschpop-Playlisten. Sehr quirlig, sympathisch und frisch nahm sie die Anwesenden mit auf eine 45minütige Reise durch luftige, meist fröhliche Popsongs, die sie sehr reduziert interpretierte. Revelle singt glasklar und hat emotionale Lyrics zu bieten. Damit traf sie den Nerv des Publikums und man spürte „Nur Liebe“. Man sah ihr die Freude über den Auftritt merklich an und die halbe Stunde verging wie im Flug. Sie versäumte es nicht, auf die Flutkatastrophe in Niederösterreich hinzuweisen und eine Spendenaktion für eine befreundete Familie zu starten. So gab es im Anschluss die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen und Unterstützung zu leisten.

In der Großen Freiheit 36 ein weiteres Konzert, auf das ich mich sehr freute: Das Comeback von JULI, meinen Helden aus Anfang der 2000er. Der Club war brechend voll, aber gut organisiert kam man ohne Warteschlange vor die Bühne. Es war ein absolut magischer Moment, als die ganze Freiheit zum Eröffnungsstück „November“ minutenlang „Und es ist Juli“ sang. Eine sichtlich bewegte Eva Briegel und eine jubelnde Menge waren das Ergebnis dieses Liebesbeweises. Der Gig wurde zum perfekten Happening für Nostalgiker und neue Fans. Eine mitreißende Setlist bot „Elekrisches Gefühl“, aber auch ganz neue Stücke und natürlich Klassiker wie „Geile Zeit“ und „Perfekte Welle“. Gerade bei letzteren Songs bat Eva die Social-Media-Generation, ihre Handys wegzulegen und den Moment zu genießen. Das gelang dann auch tatsächlich und man sah nur ganz wenige erleuchtete Bildschirme. Stattdessen eine riesige Party, die 80 Minuten andauerte und mit einer Zugabe endete. JULI hatten alles gegeben und bewiesen, dass das 20jährige Jubiläum des Debütalbums nicht zu seliger Ruhe, sondern zu Rastlosigkeit und neuer Energie führt.

Foto: Robin Schmiedebach Photography / Reeperbahn Festival

 

Im Imperial-Theater sollten die Mighty Oaks den krönenden Abschluss für meinen zweiten Festivaltag bilden. Hier hatte sich eine riesige Menschenmenge in geordneter Schlange eingefunden, um an diesem ganz besonderen Event teilzunehmen. Der Amerikaner Ian Hooper, der Engländer Craig Saunders und der Italiener Claudio Donzelli haben sich vor über zehn Jahren in Hamburg gefunden und seitdem ganz dem Folk verschrieben. Sie wollten unbedingt wieder im Imperial spielen, weil dort beim RBF ihr großer Durchbruch begann. „Seid ihr sicher?“, fragten die Veranstalter. „Ja.“ Allerdings, wie Ian jetzt zugab, hatte man das Theater größer in Erinnerung. Für die Anwesenden war es ein Fest. Ian mit launigen Ansagen auf deutsch. Der harmonische Satzgesang im Trio. Alte und neue Hits, perfekt vorgetragen. Das neue Album „High Times“ ist gerade erschienen und führt definitiv in neue musikalische Höhen. Ein begeistertes Publikum trieb das Trio von Song zu Song und die 75 Minuten waren viel zu schnell vorbei. Entspannte, harmonische Songs, ein reduziertes Album –  akustisch und (wie Ian sagte) „a little bit durcheinander“ waren die Mighty Oaks brillant auf der Bühne. Zur Zugabe stellte man sich zu dritt vors Mikro und brachte die Einheit als Band perfekt zum Ausdruck. Ein wundervoller Abschluss für Tag zwei.

Mighty Oak and Little Willow (Never Ending Bedtime Stories)

Letzte Aktualisierung am 20.09.2024 um 14:19 Uhr / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Bezahlte ANZEIGE

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