Die Scherben, Gymmick und Corona – ein Livekonzert in Saarburg, 14.8.2020

Mit viel Engagement, Enthusiasmus und dem richtigen Gespür für die Erfordernisse unserer Zeit führt Christof Kramp von Station K seine kleine Open-Air-Konzertreihe im beschaulichen Saarburg fort. Das Gelände an der Alten Kaserne in der Irscher Straße – fernab vom Stadtgeschehen – ist perfekt geeignet. Ein lauschiges Plätzchen mit Parkmöglichkeiten. Man kann Stühle weit auseinander stellen, Abstand halten, mit Maske zum Verkauf gehen – und doch im geschützten Rahmen feiern, ohne sich Sorgen machen zu müssen.

Es gab schon große Liveshows mit bis zu 500 Zuschauern und kleine idyllische Picknicks. Am 14. August war eine Art Mittelding am Start. Die harte Fanschar der Freunde von Ton, Steine, Scherben und Rio Reiser fand sich in Saarburg ein, um Kai & Funky mit Gymmick zu lauschen. Den Anfang machte aber die Songwriterin Ana Onyx allein an der Gitarre. Pünktlich um 20.30 Uhr startete sie mit verträumten naiven Protestsongs, die sich gegen Faschismus, Staat und Kirche richteten. Dabei stellte sie ihr erstes Album „Leben verboten“ vor. Es waren vierzig kurzweilige Minuten einer sympathischen Sängerin, die gar nicht fassen konnte, dass sie ja länger als geplant spielen darf. Kein Problem, denn der Umbau dauerte nur wenige Minuten. Und mit dem Motto „Habt Spaß, habt Sex“ überließ sie den Scherben die Bühne, die dann 21.15 Uhr loslegen konnten.

„50 Jahre Ton, Steine, Scherben“. Das ist ein Motto, das gefeiert werden muss! Ausgerechnet im Corona-Jahr… Gründungsmitglied Kai Sichtermann und sein Kollege Funky K. Götzner (seit 1974 dabei) konnten das Jubiläum bei weitem nicht so zelebrieren wie geplant. Die große Zeit der Politrock-Band war 1970 bis 1985. Danach sollte es einige Jahrzehnte ruhig sein, bis man 2014 wieder anfing zu touren und inzwischen auch neue Songs schrieb.

Natürlich ist Rio Reiser nicht zu ersetzen. Müßig, das überhaupt zu erwähnen. Doch es geht darum, die Scherben-Songs und den alten Esprit weiter leben zu lassen. Dazu gehören die Klassiker und auch die Solosongs von Rio. Mit dem Cartoonisten, Humoristen, Liedermacher und Sänger Gymmick hat man jemanden gefunden, der die Lücke gut füllen kann. Er hat die raue Stimme und die schnoddrige Ansage, um ein Gefühl von Rio aufkommen zu lassen. Außerdem nutzt er sein Talent nicht zur Imitation, sondern redet frei von der Leber weg und erzählt zwischen den Songs schöne Anekdoten aus der Scherben-Zeit, die den Auftritt fast schon zur biographischen Lehrstunde machen.

Ich habe viele Väter
Und ich habe viele Mütter
Ich habe viele Schwestern
Und ich habe viele Brüder
Meine Väter sind schwarz
Und meine Mütter sind gelb
Meine Brüder sind rot
Und meine Schwestern sind hell

Ich bin über zehntausend Jahre alt
Und mein Name ist Mensch“
So begann der Konzertreigen mit einem wahren Klassiker und díe Party konnte starten. Das gemischte Publikum von Alt-68ern bis zu jungen Rock- und Punkfans war zum Teil von sehr weit angereist, wie man anhand der Auto-Kennzeichen feststellen konnte. Und gemeinsam mit dem Trio auf der Bühne machte man das Konzert zum großen Fest. Es gab Mitsing-Songs wie „Land in Sicht“, melancholische Rio Stücke wie „Lass uns ein Wunder sein“ und neue Scherbensongs („Wie der Wind“). Es war ein sehr atmosphärisches Konzerterlebnis mit philosophischen Texten. Wer einen Eindruck davon haben will, dem empfehle ich den Mitschnitt „Radio für Millionen“, der 2017 entstand. Zum Ende des ersten Teils gab es nach 50 Minuten die ruhigen Stücke „Halt dich an deiner Liebe fest“ und „Zauberland“.
Zauberland ist abgebrannt
Und brennt noch irgendwo
Zauberland ist abgebrannt
Und brennt noch lichterloh“
Inzwischen war es dunkel auf dem Konzertgelände und die Lightshow konnte ihre Wirkung entfalten. Es ging so schön und verträumt weiter wie vor der Pause: „Für immer und dich“ gehört seit Jahrzehnten zu meinen Lieblingssongs. „Macht kaputt was euch kaputt macht“ wurde ebenso gefeiert wie die bekannten Stücke „Alles Lüge“ und „Mendschenfresser“ von Rio. Der Rundumschlag war perfekt. Politisch ging es in Richtung Wohnungsnot und Obdachlosigkeit – mit ganz neuen Stücken aus dem Scherben-Repertoire und dem Backkatalog von Gymmick. Und „Keine Macht für Niemand“ ließ zum Ende hin den Scherben-Pathos wieder hoch leben. Das Publikum war begeistert mit dabei.
Ab 23.15 Uhr begann der Zugabenblock mit einer gelungenen Akustikversion des „König von Deutschland“ und der Gegenwart angepassten Textzeilen. Der nostalgische „Shit-Hit“ sorgte allgemein für Belustigung. Dann durfte man sich aber nochmal verträumt zurücklehnen. „Der Traum ist aus“ ging dem wunderschönen „Junimond“ voraus. Für mich und viele andere einer der schönsten deutschsprachigen Songs überhaupt – und Vorreiter für alles, was sich heutzutage Deutschpop oder Deutschpoesie nennen lässt. Aber als Klang für die nächtliche Heimreise blieb mir eher der Traum im Kopf:
Ich hab‘ geträumt, der Winter wär‘ vorbei
Du warst hier und wir waren frei
Und die Morgensonne schien
Es gab keine Angst und nichts zu verlieren
Es war Friede bei den Menschen und unter den Tieren
Das war das Paradies“
Es war wieder ein wundervolles, unvergessliches Konzerterlebnis in Saarburg. Man lernt die kleinen Ereignisse zu schätzen und es ist einfach ein schönes Umfeld. Wer in den nächsten Wochen mit dabei sein will – hier die Konzertreihe:
  • 22.8.2020 – MAM rockt BAP (Tribute Band)
  • 29.8.2020 – EZIO (Best of aus 30 Jahren)
  • 05.9.2020 – STILL COLLINS (The music of Phil Collins & Genesis)
  • 19.9.2020 – KASALLA (Kölschrock aus der Stadt mit K)

Karten unter https://www.station-k.de