Wie ein Treffen mit alten Freunden… „Five Man London Jam“ von Tesla
In solchen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, ist man dankbar für jede Konstante. Tesla sind eine davon. Im Sommer 1990 tourte die Band mit den Kollegen von Mötley Crüe, die seinerzeit nur zu drei Konzerten pro Woche in der Lage waren, durch Amerika. Tesla nutzten die freien Tage dazwischen, um Radiosender zu besuchen, Interviews zu geben und dabei Akustikversionen ihrer Songs zu spielen. Das Ganze gipfelte schließlich in einer speziellen Akustikshow in Philadelphia, die im November des gleichen Jahres unter dem Titel „Five Man Acoustical Jam“ veröffentlicht wurde. Das Album gilt quasi als Initialzündung für die Unplugged-Welle der Neunziger Jahre. Ich habe es abgöttisch geliebt, auch wenn ich die Hardrocker aus Sacramento im Laufe der vergangenen dreißig Jahre mehr und mehr aus den Augen verlor. Bis heute ist „Five Man Acoustical Jam“ das erfolgreichste Album der Bandgeschichte. Grund genug es mit einer Neuauflage zu ehren.
Dieser Tage erscheint also „Five Man London Jam“. Wie der Name schon sagt wurde die Reminiszenz an ihr drei Jahrzehnte altes Kultalbum bei einer Live-Session am 12. Juni 2019 vor kleinem Publikum in den Londoner Abbey Road Studios aufgenommen und enthält dreizehn Songs, darunter zahlreiche Klassiker, aber auch Stücke ihres aktuellen Albums „Shock“ (ein Review dazu findet ihr hier). Übrigens ist „Five Man London Jam“ nicht die erste Akustik-Scheibe von Tesla nach 1990. Bereits 2011 erschien „Twisted Wires & The Acoustic Sessions“, das unter anderem die letzten Aufnahmen mit dem legendären Original-Gitarristen Tommy Skeoch enthält, der 2006 von Dave Rude abgelöst wurde. Ansonsten ist das Line-Up mit Brian Wheat am Bass und Piano, Frank Hannon an der Gitarre, Sänger Jeff Keith und Schlagzeuger Troy Luccketta immer noch dasselbe wie bei der Bandgründung 1984. Von wegen Konstante und so.
Der uns vom Label vorab zur Verfügung gestellte Stream von „Five Man London Jam“ hat mir Ende Februar eine Zugfahrt von Köln nach Münster versüßt, die dadurch zu einer musikalischen Reise in meine Vergangenheit wurde. „Tape is rollin‘, we are ready“ sagt Jeff Keith zu Beginn der Aufnahme und als er „Comin‘ Atcha Live Truckin“ anstimmt habe ich sofort Gänsehaut und sehe tausend Bilder aus meiner Studentenzeit vor mir. Der Mann hat nach wie vor diese einzigartige Stimme, die Steven Tyler von Aerosmith noch immer erfolglos zu imitieren versucht. Daneben finden sich mit dem Beatles-Cover „We Can Work It Out“, „Paradise“, „Love Song“ und „Signs“ noch vier weitere Stücke, die bereits auf „Five Man Acoustical Jam“ vertreten waren. Letzteres ist die erfolgreichste Tesla-Single aller Zeiten und im Original von der Five Man Electrical Band. „Shock“ kommt mit drei Songs zu seinem Recht: „Tied To The Tracks“, „Forever Loving You“ sowie „California Summer Song“, der hier seine Live-Premiere erlebt und im Schneetreiben irgendwo zwischen Düsseldorf und Duisburg für gute Laune im Zugabteil sorgt. Die übrigen fünf stammen seltsamerweise von nur zwei weiteren Alben, nämlich „Psychotic Supper“ von 1991 und „Into The Now“ von 2004.
Macht aber nix. „What You Give“ gehört mit seinen fast acht Minuten Spielzeit ebenso zu den Höhepunkten wie „Miles Away“ und „Call It What You Want“, das durch sein mehrstimmiges Gitarrenspiel besticht oder das hymnische „Stir It Up“, an dessen Ende Jeff Keith „Peace and love for everyone“ wünscht. Ohnehin sind die Bandmitglieder handwerklich exzellent unterwegs und beeindrucken immer wieder durch eine filigrane Soloarbeit. Zwischen den Songs wird viel gelacht und Jeff Keith erzählt die ein oder andere kleinere Anekdote. Das kommt auch ohne Bild extrem entspannt rüber und wem das nicht reicht, der kann sich ja direkt die dazugehörige Blu-ray zulegen. Zum Schluss haben Tesla mit „All You Need Is Love“ noch eine Botschaft für uns, die heutzutage wichtiger ist denn je.
Alleine aus Respekt vor der Leistung der Band in den vergangenen 36 Jahren hätte „Five Man London Jam“ schon die Höchstwertung verdient. Aber Tesla verdienen sie sich noch zusätzlich dadurch, dass sie ein Live-Album geschaffen haben, das zu keiner Sekunde eintönig wird und das mit dem hier und da geäußerten Vorurteil, nur ein Abklatsch erfolgreicher Zeiten zu sein, gründlich aufräumt. Es klingt so, als würde man nach langer Zeit einen alten Freund wiedertreffen, den man zwar im Moment nicht in den Arm nehmen darf, der einem aber sofort wieder so vertraut vorkommt, wie es nur alte Freunde können.