Vor knapp 30 Jahren erschien das erste echte Techno Album ever: „Das Boot“ von U96. In der Zeit davor beschränkten sich die Techno DJs und Produzenten Teams in erster Linie auf die Veröffentlichung aktueller Tracks und Remixes auf dem 12” Vinyl Format. Grundstein für dieses Album war, wie der Name schon sagt, der erste nennenswerte Charterfolg der Technokultur: „Das Boot“ von U96 machte das Genre Techno nicht nur über die Szene hinaus salonfähig, sondern erreichte weltweit Spitzenpositionen in den Charts. Allein in Deutschland hielt sich die Maxi monatelang auf Platz 1 und verkaufte sich mehr als 1.000.000-mal. U96 war der kommerzielle Vorreiter der Techno Bewegung. Damals eine noch undergroundige, junge Szene, die mit der „Mayday“ und dann der „Loveparade“ in den 90er Jahren zur internationalen Bewegung avancierte.
Danach gab es diverse weitere U96 Hits: „Heaven“, „Club Bizarre“, „Love Religion“ und „Love Sees No Colour“ genießen bis heute Kultstatus. Allein auf Spotify haben U96 fast eine halbe Million monatliche Hörer. Mastermind und Macher Alex Christensen ist allerdings inzwischen nicht mehr beim Projekt dabei. Während er seine Karriere als erfolgreicher Klassik-Crossover-Produzent („Classical 80s Dance“, „Classical 90s Dance“) vorantreibt, beschäftigen sich Hayo Lewerenz und Ingo Hauss weiterhin mit ihrer größten Liebe: Elektronischer Musik und der Weiterentwicklung der U96 Geschichte.
Das neue Album heißt „20.000 Meilen unter dem Meer“ und spielt damit natürlich unumwunden auf „Das Boot“ an. Das futuristische Cover ist jedenfalls ganz gut gelungen, aber ansonsten ist der Digipack recht dürftig ausgestattet. Statt eines Booklets gibt es nur die unbedingt notwendigen Infos auf der inneren Klappseite.
Inspiriert ist das Album von Jules Vernes Klassiker. Es gibt instrumentale Songs oder Vocals mit Vocoder-Verzerrung, aber dabei auch einige bekannte Klänge: Donovans Klassiker „Atlantis“ erfährt nämliche eine sphärische Wiederauferstehung. Hinzu kommt Schauspieler Claude-Oliver Rudolph mit seiner charismatischen Stimme als Erzähler bei einigen Stücken.
Die Tracks sind ganz stimmig und folgen den Ideen der 90er Jahre, aber irgendwie ist die Zeit der Synthesizer-Techno-Esoterik-Melodien vorbei. Man lässt sich von den Klängen einlullen, hat sie aber auch schnell wieder vergessen. Vermutlich funktioniert das Konzept ganz gut als Liveshow, für das es ja eigentlich auch konzipiert ist. Ohne die entsprechenden visuellen Effekte fehlt ein wichtiges Element. So bleibt ein Soundtrack, der vermutlich dann eine stärkere Wirkung erzielt, wenn man die Show zuvor gesehen und die Bilder im Kopf behalten hat.
Stellen wir uns die Musik als Universum vor. Harmonien rauschen wie Sternschnuppen durch die Galaxie. Melodien umkreisen Sterne und verbünden sich mit Himmelskörpern, deren innere Pulse elektrisierende „Beats per Minute“-Spannungsfelder freisetzen. Mittendrin absorbieren Kreative das viele rhythmische und klangliche Treiben, um von ihren Entdeckungsreisen musikalischen Goldstaub mitzubringen. Dessen Verdichtung kann nur eins bedeuten: Hits! Einer der wichtigsten Musikreisenden der letzten 30 Jahre ist Alex Christensen. Von seinem Heimatplaneten Dance aus ging er 2016 auf Entdeckungsreise. Sein Plan: der Musik der 90er-Jahre, die von ihm maßgeblich mitinitiiert worden war, wollte er jenseits starrer Techno-Dance-Gesetze neue Horizonte eröffnen.
Im Oktober 2017 konnte er stolz „mission accomplished!“ vermelden, „Classical 90s Dance“ stand nicht lange in den Läden, bevor die große Nachfrage mehrere zehntausend Nachpressungen erforderte. Neu arrangierte Dance Music-Hits der 90er-Jahre wie „Das Boot“ und „Rhythm Is A Dancer“ klangen darin völlig anders. Sowas hatte man noch nie gehört! Die Formel „Elektronik trifft auf Orchestersounds“ wurde selbst ein Hit. Mehr als 100.000 verkaufte Einheiten brachten Alex Christensen in Deutschland einen weiteren Gold-Award und dem Berlin Orchestra den allerersten ein. „Classical 90s Dance 2“ setze die Erfolgsgeschichte ein Jahr später, inzwischen ebenfalls vergoldet, fort. Gerade mal 12 Monate später, Anfang November 2019, folgte „Classical 90s Dance 3“, mit dem Christensen endgültig ein neues Genre etablierte: Orchestral Dance Music. Insgesamt über 300.000 abgesetzte Tonträger dauerrotieren seither bei Musikliebhabern, während die Einzeltracks der Albumreihe weit über 100 Millionen Audio- und Video-Streams verbuchen konnten.
Selbstverständlich gäbe der Fundus an großartigen Hits aus den 90er-Jahren für die Fortsetzung der Alben-Serie genug her. Aber Alex Christensen hätte sich nicht den erstklassigen Ruf eines Musikpioniers erarbeitet, wenn er über die Jahrzehnte kein flexibler Impulsgeber geblieben wäre. Sein neues Album verharrt nicht in den 90’s, der Dekade, die Christensen als DJ, Producer, Talent-Scout und Songwriter gigantische Erfolge bescherte. „Classical 80’s Dance“ geht ein paar Jahre zurück, in die der 80er-Jahre, die auf ihn prägenden Einfluss hatten. Der Longplayer kommt gut gelaunt daher und lässt auch gleich wohlfühlen: mit diesen Allzeit-Melodien, die in beinahe jedem Gedächtnis verankert sind, und mit Orchester-Arrangements, deren Harmonien weite Bögen um starre Genre-Grenzen machen.
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube. Mehr erfahren
Die Hits der 80er-Jahre bekommen auf „Classical 80’s Dance“ eine neue Heimat – zeitlos melodisch in Szene gesetzt und frei von festgelegten Sightseeing-Tour-Routen durch ein besonderes Musikjahrzehnt. Dafür waren die 80er-Jahre auch viel zu bunt. „Wenn wir uns an Ikonen dieser Zeit, an Boy George und Divine, oder an Songklassiker wie ‚Smalltown Boy‘ erinnern, wurden Freiheitsaussagen getroffen, von denen wir in der Techno-Dance-Bewegung ein paar Jahre später, in den 90er-Jahren, stark profitierten“, sagt Alex Christensen. „Die Kernbotschaft war damals: Liebe wen auch immer du willst! Der Übergang zwischen der Freiheitsbewegung in den 80er-Jahren und unserer Techno-Bewegung in den 90’s war fließend. Wir trieben die 80’s auf die Spitze, denn bei uns war alles erlaubt: Love, Peace, Happiness. Mein neues Album zollt dem Geist der 80’s Tribut. Dieser Spirit lieferte mir die wichtigste Anregung dafür, etwas komplett anderes auszuprobieren. Mein neues Album feiert die Songs mit denen ich aufwuchs, während ich die Musik des Folgejahrzehnts aktiv mitgestalteten konnte.“
80’s-Electro-Pop ebnete prominenten Techno-DJs und-Komponisten den Weg für eine radikal andere Beat-Form in den 90’s. Die Titelauswahl für „Classical 80’s Dance“ fiel entsprechend nicht schwer. Neu arrangiert wurden Songs die Christensen besonders berührten. Geografisch betrachtet, sind es vor allem Hits aus dem Vereinigten Königreich, wo man sich wiederum früh von Pionieren der elektronischen Musik aus Deutschland beeinflussen ließ. Deswegen standen selbstverständlich auch Hits deutschen und französischen Ursprungs weit oben auf seiner Prioritätenliste. „Voyage, Voyage“, der frankophone Nummer-1-Smash von Desireless, entwickelt in Christensens neuem Arrangement, gesungen von der französisch-algerischen Berühmtheit Chimène, besonderen Sog.
Gerade wegen des Verzichts auf den Beat in der Einleitung, dem ein opulenter Orchesteraufbau im Anschluss an den Refrain folgt, verströmt die neue Version besonders einnehmenden Charme. „Die Nummer ist ein gutes Beispiel für meinen Ansatz, Songs, die schon oft durchgekaut wurden, zu entstauben. Ist das geschafft, kann man sie ganz neu betrachten“, kommentiert Alex Christensen. Aus der ursprünglich hölzernen 80’s-Produktionsweise befreit er zusammen mit keinem geringeren als Weltstar Ronan Keating den „Smalltown Boy“ von Bronski Beat, der dem Leben jetzt lässiger, vielschichtiger entgegenläuft. Die vielfach platin-dekorierte „Murder On The Dancefloor“-Eignerin Sophie Ellis-Bextor beschwört die „Sweet Dreams“, die den Eurythmics einen Top-5-Hit bescherten, voller neuer Spannung anders herauf und verleiht „Self Control“ mehr weibliche Selbstbestimmung.
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube. Mehr erfahren
Mit seiner aktuellen SängerInnen-Wahl umgeht Christensen zusätzlich das Risiko, „Classical 80’s Dance“ wie einen Besuch im 80’s-Pop-Museum wirken zu lassen. Um die richtigen Stimmen zu finden, bräuchte der Freund vieler etablierter Stars lediglich seine Smartphone-Kontakte durchgehen. Aber die Nennung des Namens Alex Christensen würde ohne sein beständiges Ausschauhalten nach ganz jungen Gesangsartisten nicht weit über das Branchen-Establishment hinaus wohlklingend nachhallen. Auf „Classical 80’s Dance“ bringt er den hippen, aufstrebenden Nachwuchs mit beständigen Talenten zusammen. Die gebürtige Portugiesin Ana Kohler, die mit über 1,7 Millionen Social Media Followern in kurzer Zeit zum Star im Netz avancierte, interpretiert Giorgio Moroders „Never Ending Story“ und der unaufhaltsame deutsche Sänger, Schauspieler und „Deutschland sucht den Superstar“-Juror Mike Singer, dessen noch junge Karriere bereits drei Nummer-1-Alben aufweist, interpretiert Rick Astley‘s „Never Gonna Give You Up“. Weltstar Bonnie Tyler singt mit ihrer einzigartigen Stimmencharakteristik eine gegenwärtige Version von „Total Eclipse Of The Heart“.
Die Monrose- und Popstars-Senkrechtstarterin Mandy Capristo unterstreicht den eingängigen Chorus von „Fade To Grey“ mit ihrem Stimmenvermögen modern-catchy und der Schweizer Soul-Star Seven mehrdimensioniert „Killer“ mit tiefem Seelengesang. Violinen-Superstar David Garrett zieht die Zuhörer unter der Regieführung von Christensen mit einer genialen Instrumentalversion des Soft Cell-Hits „Tainted Love, der sagenhafte 17 Mal auf Platz 1 ging, in seinen Bann. Gary Barlow, Take Thats Dauer-Hit-Anwärter, singt eine mitreißende Version des Crowded House-Ohrenschmeichlers „Don’t Dream It’s Over“, den Christensen mittels Beats und Synth-Bass in sein Jahrzehnt, die 90er-Jahre, transportiert. „Ich bin halt Kind der 90er“, lacht er. „80’s und 90’s mischen sich bei mir mit der Neuzeit. Wie alle anderen, komme ich nicht aus meiner Haut heraus.“ Zum Glück! „Classical 80’s Dance“ ist gerade deshalb purer Goldstaub für die Ohren und die Seele.
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube. Mehr erfahren
Über manche Machwerke der 90er Jahre kann man getrost den Mantel des Vergessens hängen, doch es gibt durchaus einige Songs, die es wert sind, auch zwanzig Jahre später noch gehört zu werden. Ob es dann aber im Orchestersound sein muss? Oh ja – man braucht sich nur die gewaltige sinfonische Version von „Rhythm Is a Dancer“ anzuhören. Das macht doch einiges her! Ein strahlendes, durchgreifendes Arrangement ist da entstanden.
Alex Christensen, DJ erster Stunde war tonangebender Mitinitiator der Techno-Dance- und Eurodance-Bewegung. Er ließ erst Deutschland, dann Europa und schließlich die ganze Welt tanzen. Beinahe im Alleingang. „Ritmo de la noche“, der Sommerhit des Jahres 1990, stammte aus seiner Feder. Danach ging es für den selbsternannten Musikverrückten aus Hamburg Schlag auf Schlag. 1991 zündete er einen Knaller ungeahnten Ausmaßes: Das Boot von U96 hielt sich geschlagene 13 Wochen auf #1 der deutschen Singles-Charts, sorgte europaweit für Furore und ebnete der Techno-Szene eigenhändig den Weg in den Mainstream.
Mehr als 25 Jahre sind seitdem vergangen und der DJ geht gekonnt neue Wege. Klassik meets Techno – dahinter verbergen sich die orchestralen Interpretationen von Hits wie „What Is Love“, „Nessaja“ (Scooter), „No Limit“ und „Tears Don’t Lie“. Da kann der Spätberufene noch gekonnt mitträllern. Eigens für dieses Album rief Alex Christensen das 49-köpfige Berlin Orchestra ins Leben, eine Zusammenkunft der besten Orchestermusiker der Hauptstadt. Und er engagierte ausschließlich junge Sängerinnen. Ivy Quainoo, Asja Ahatovic, Nicole Cross und Yass sind unter anderem mit dabei.
Hinzu kommen einige Instrumental-Werke. Das im Original so minimalistische „Children“ klingt hier wie eine große Suite. „Das Boot“ ist natürlich mit dabei und auch Titel wie „Sonic Empire“ kommen zu neuen Ehren.
Manchmal ist es gewöhnungsbedürftig, wie sich Streicher, Bläser und Techno-Beats vermischen, doch insgesamt finde ich das Konzept sehr gelungen. Alex Christensen erweckt die angestaubten Dance-Tracks zu neuem Leben und das Berlin Orchestra macht einen klasse Job – von emotionalen Tönen bis hin zum Geschwindigkeitsrausch.