Wingenfelder zwischen Fury und Deutschrock
Langsam aber sicher hat es sich herum gesprochen, dass die Brüder Kai und Thorsten Wingenfelder – ehemals Mitglieder der legendären Band Fury In The Slaughterhouse – inzwischen deutschsprachige Musik machen. Der Weg dahin war nicht einfach: Schon im Jahr 2007 (und damit ein Jahr vor Auflösung der Band) gab es erste Soloalben der beiden. Kai veröffentlichte das Album „Alone“ mit ziemlich typischem Fury-Sound und englischen Texten, Thorsten allerdings wagte sich auf das gefährliche Feld der deutschen Musik und legte mit „360° Heimat“ ein wahres Meisterwerk hin, dessen Titelsong mich auch heute noch bei jedem Hören enorm beeindruckt. Und nach dem Ende der Band machte man zunächst mal was ganz anderes: Thorsten wurde Fotograf, Kai zum Filmemacher.
Das sie jetzt trotzdem im Kleinen Klub der Garage Saarbrücken auf der Bühne standen, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass beide einfach nicht von der Musik lassen können. Es wäre auch ein großer Verlust, denn die bisher erschienenen Alben sind echte Perlen auf dem weiten Feld der deutschsprachigen Musik. Hier haben die Wingenfelders ihre Heimat gefunden. Daran ändert auch die kurzzeitige Jubiläums-Reunion von Fury In The Slaughterhouse nichts
Das 2013er Album „Selbstauslöser“ stand im Mittelpunkt des Konzerts. Fast das komplette aktuelle Werk wurde gespielt. Wingenfelder legten ohne Vorband los, erschienen aber nicht als Duo, sondern brachten eine famose vierköpfige Combo mit. Die Bühne im Kleinen Klub ist nicht riesig, doch es reichte noch für eine LCD-Fläche im Hintergrund, auf der bisweilen Begleitfilme eingespielt wurden.
Die Bandbreite der Songs reichte vom Titelsong „Selbstauslöser“ über den Highspeed-Motivationssong „Petra Pan“ und das erzählerisch starke „Zu wahr um schön zu sein“ bis hin zur nostalgischen Hymne „Klassenfahrt“ und den nachdenklichen Balladen „Du bist die Nacht“ sowie „Oben am Wendehammer“. Ein leichtes Faible zur Sozialkritik ist immer vorhanden – das ging auch aus den Ansagen hervor. Kai und Thorsten erzählten vom Tourleben und besonderen Erlebnisse wie beispielsweise der Nacht mit den Bocholter Dialyse-Schwestern oder von der Tatsache, dass gerade im Osten sehr junge Menschen die Konzerte besuchen und man auf das Problem trifft „Teenies mit Songs für Mittvierziger unterhalten zu wollen“.
Viele Titel stammten auch vom ersten gemeinsamen Album „Besser zu zweit“. Das Repertoire ist inzwischen breit gefächert. „Perfekt“ beispielsweise, die allererste Single-Auskopplung, das melancholische „Dinge, die wir nicht verstehen“ und „Die Unperfekten“ als Stücke, die klangen als seien sie direkt der „Hook A Hey“-Phase von Fury entliehen und pure Gänsehaut verursachten. Wenn dann „Besser zu zweit“ als Mottosong der neuen Ära ertönte, gab es ungewollt Pipi in die Augen.
Kai und Thorsten verzauberten ihre Zuhörer mit einer Mischung aus Melancholie und Rock. Damit bewegten sie sich zielsicher in eine Richtung, wie es Revolverheld vielleicht für die etwas jüngere Generation tun. Als Bonbon an die Fury-Fraktion gab es „When I’m Dead And Gone“, „Won’t Forget These Days“, „Time To Wonder“ und „Trapped Today, Trapped Tomorrow“. Highlights, ganz klar – aber auch jeder andere Song traf den Nerv der Zuschauer.
Ich habe den Weg von Fury lange verfolgt und erinnere mich an ein Konzert in St. Wendel Anfang der 90er, als sie gar nicht mit Spielen aufhören wollten und nach regulärem Konzertende einfach noch eine unendliche Reihe Stones-Titel raus hauten. Dieses Gefühl durfte man auch in Saarbrücken wieder haben: Musik ist ihre Berufung und Livekonzerte sind keine lästige Pflicht. Da gingen Band und Zuschauer nach mehr als zwei Stunden Konzertlänge hochzufrieden nach Hause. Die aktuellen Alben kann ich Freunden handgemachter Musik wärmstens empfehlen.