Des Pudels Kern
„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ lautet eines der berühmten Zitate aus Goethes „Faust“, die längst in den allgemeinen Wortschatz übergegangen sind. Es ist Margarete, die diese Frage stellt, darum nennt man sie auch „Gretchenfrage“. Religion kann dabei als Sammelbegriff für alle Gewissensfragen gelten, die sich im Alltag so stellen können und auf die man oft ausweichend antwortet. Dabei muss man gar nicht so sehr in die Tiefe gehen. Fragen nach Schlagermusik, Dieter Bohlen oder dem Eurovision Song Contest können auch zu ausweichenden Antworten führen. Und natürlich: „Wie hast du’s mit dem Volkslied?“. Eine Antwort darauf gibt das vorliegende Album.
Die Band Gretchens Pudel hat sich nach dem „Faust“ benannt – heißt es da doch „Das also war des Pudels Kern!“, als es um die Auflösung des großen Rätsels geht. So entpuppt sich das Tier in der Tragödie als der finstere Mephisto. Und warum jetzt so viel Goethe? Weil es der Band um Sänger Ralf Eßwein gelungen ist, altbekanntes deutsches Liedgut zu entstauben und auf ihren Kern zurück zu führen. Das tut das Quintett mit einer jazzigen Herangehensweise und sehr schönen neuen Arrangements.
Da sind die Volkslieder „Du, Du, Du“ und das Titelstück „Kein schöner Land“ in peppigen Swingversionen. Zu „Beide Augen zu“ kommt wieder Johann Wolfgang v. Goethe ins Spiel und es gibt einen poetischen Text, der von Bigband-Melodien umspielt wird. Der ohnehin schon grauselige „Augustin“ wird in der neuen Version mit erzählter Einleitung zur schaurigen Moritat.
Großartig auch „Fuchs“, das den Kindervers „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ zum Charleston verwandelt und dem Text eine ganz neue, sehr frivole Bedeutung verleiht. Johannes Brahms ist mit dem 3. Satz seiner 3. Sinfonie vertreten und auch dieses Stück wird zum veritablen Jazz-Instrumental.
„Die Gedanken sind frei“ erklingt sehr eindringlich, „Weißt du wieviel? Du weißt nichts!“ bezieht sich natürlich auf die berühmten Sternlein, bekommt aber in diesem Chanson eine ganz neue, gesellschaftskritische Bedeutung. Endlich kommt bei „Horch was kommt von draußen rein“ der tragische Hintergrund der Geschichte zur Geltung und versteckt sich nicht mehr hinter einer fröhlichen Melodie. Vom umtriebigen „Männlein“ mit dem purpurroten Mantel gar nicht zu reden, das ganz auf soziale Medien verzichtet und in Verschwörungstheorien eingebunden wird.
Das Ganze ist bei Konstantin Weckers Label Sturm & Klang erschienen. Wie gewohnt wird dann der Meister auch selbst aktiv und trägt zu „Wunderliches Wort“ einen Text von Rainer Maria Rilke vor, der von Jan Kamps melancholischer Posaune umspielt wird. Ebenfalls ein großartiges Stück!
Den Ideenreichtum und die Konsequenz in der Umsetzung kann man bei Gretchens Pudel nur bewundern. Jan Kappes aus Stuttgart am Kontrabass, Julian Losigkeit aus Mannheim am Schlagzeug, Pianist, Komponist und Bandleader Adrian Rinck aus Landau, Sänger Ralf Eßwein aus Germersheim und Posaunist Jan Kamp an der Posaune legen hier ein fantastisches Album vor, das altbekannte Melodien in ein frisches Gewand kleidet, neu interpretiert, mit weiter gehenden Texten versieht und einem Jazzpublikum gekonnt vermittelt. Das Ergebnis dürfte nicht nur Jazzfreunden gefallen.