H wie… Herrenmagazin – live im Kölner Gebäude 9

Dieses Konzertwochenende, das ganz und gar vom Buchstaben H dominiert wird (Hannah bei Herrenmagazin und Half Moon Run), beginnt mit dem heutigen Herrenmagazin-Konzert im Gebäude 9. Allein der Weg zur Location ist schon ein kleines Abenteuer. Obwohl es noch gar nicht so lange her ist, dass ich zum letzten Mal im Gebäude 9 war, sieht alles gefühlt komplett anders aus – und das hat nicht nur etwas mit meinem schlechten Ortsgedächtnis zu tun. Aufgrund der vielen Baustellen drumherum hat das Gebäude 9 nochmal einen ganz eigenen Charme bekommen: Wir stehen drinnen und hören gemeinsam schunkelnd Diskurspop (ein Begriff, den ich gerade von meinem Freund gelernt habe und hier einmal verwende, weil er klug klingt) und draußen steht eine Gruppe junger Männer in einer Nische im Kreis um ein Smartphone und hört Gangster-Rap. Konträrer könnte es kaum sein.

Beim Betreten der Location leeren wir wie gewünscht unsere Fremdgetränke genau hinter der betreffenden Absperrung und ernten dafür schon das ein oder andere Grinsen. Fröhlichen Mitmenschen begegnen wir auch im Konzertraum, in dem wir uns die Vorgruppe (sagt man das eigentlich auch, wenn die Vor“gruppe“ nur aus einer Person besteht?) Albrecht Schrader anhören. Schrader war bereits bei der letzten Tour 2016 Vorgruppe. (Ich bleibe jetzt einfach dabei.) Dass er uns auch heute in den Abend begrüßt gefällt mir daher sehr; ein Kreis scheint sich zu schließen. Von Queen-ähnlichen Klängen bei „Leben in der Großstadt“ bis zu einem Beat, der an Michael Jackson gemischt mit Sprechgesang erinnert, ist alles dabei. Ein Weinchen darf auch nicht fehlen, ebenso wenig wie eine soziologisch wahrscheinlich nicht 100% fundierte Theorie darüber, dass das Publikum klar in die vier Gruppen Nichtwähler*innen, sozial isolierte Gamer*innen, male overperformer und Finanzbanker*innen einzuteilen sei. Auf die Frage „Ist Beat für euch ein Thema?“ reagiert das Publikum eher verhalten, doch als Schrader mit „Der Übergang“ erst einmal loslegt, sieht man überall im Saal vor- und zurückzuckende Köpfe, so ähnlich wie bei Hühnern, wenn  sie gehen. Also ja, Beat ist eben doch ein Thema.

Mit dieser Bewegung entlässt Schrader uns in eine halbstündige Pause bevor Herrenmagazin anfangen zu spielen. Dies gibt mir die Gelegenheit, mich einmal im Publikum umzuschauen. Wollen wir doch mal sehen, ob ich die Nichtwähler*innen erkennen und zur Rede stellen kann! T-Shirt-Musikgeschmack-mäßig sind viele der Menschen im Publikum und ich auf einer Wellenlänge: Ich erspähe einen Frank Turner-Pulli, sowie T-Shirts von Kettcar, Muff Potter und Matula und natürlich – was in Köln nicht fehlen darf – den obligatorischen lokalpatriotistischen „Paris, London, Tokyo, Ehrenfeld“-Hoodie. Dem Träger sei verziehen, dass wir nicht in Ehrenfeld sind, denn das klingt einfach hipper als „Paris, London, Tokyo, Deutz oder Mülheim, bin mir nicht sicher“.

Doch nun zu dem Teil, der euch Leser*innen wahrscheinlich eigentlich am meisten interessiert: Um 21.00 Uhr legen Herrenmagazin los! Die vier Musiker betreten die Bühne, schlagen die ersten Klänge auf ihren Gitarrensaiten an und als Sänger Deniz Jaspersen die ersten Töne des Openers singt, geht das Publikum nahtlos vom Quatschen-mit-der-Begleitung in den perfekten Sing-along-Modus über. Der Bass bei diesem Song, „Früher war ich meistens traurig“, lässt den Brustkorb vibrieren – nicht zum letzten Mal an diesem Abend, an dem es zwischendurch so scheint, als würde die Location in ihren Grundmauern erschüttert, so sehr dröhnt der Bass durch Menschen und Wände. Direkt weiter geht es mit „Tausend Städte“, welches ich noch vor ein paar Tagen beim Kochen tanzend in der Küche gehört habe. Der Song gibt mir ein Stück Zuhause in dieser Masse fremder Menschen. Die Band lächelt, es geht weiter. Die wahren Herrenmagazin-Fans haben an dieser Stelle schon bemerkt, dass die Hamburger Musiker ihr komplettes, vor elf Jahren erschienenes, erstes Album „Atzelgift“ von vorne bis hinten durchspielen. Bisher haben die Fans gut mitgesungen, doch nun folgt der ultimative Test: Bevor sie den fünften Song anstimmen, fragt Jaspersen ins Publikum „Was kommt jetzt?“ und prompt die Antwort! Die Zuschauer*innen hier kennen sich wirklich aus.

Um mich herum freuen sich die Menschen: Sei es Jaspersen, der immer wieder grinsend dasteht und seine Bandkollegen anschaut oder die Frau, die vor mir steht und bei jedem einzelnen Song eine unglaubliche Freude darüber ausstrahlt, beim Konzert dabei sein zu können. Ich glaube solche Leute wie sie machen Konzerte so besonders; Menschen, die im Moment sind und sich treiben lassen. Und von ihrer Sorte Mensch gibt es heute Abend vor und auf der Bühne so einige. Jaspersen bedankt sich bei uns, dass wir sie auch in ihren fast auf den Tag genau drei Jahren Tour-Abstinenz nicht vergessen haben. Doch wie könnten wir, schließlich hat man mehr das Gefühl, in einem Raum voller Freund*innen zu sein. Besonders schön ist dabei zu sehen, wie die Band mit dem Publikum interagiert und mit ihm spricht, sie nicht nur anfeuert, sondern Fragen stellt und kritische Bemerkungen (wie Verbesserungen, dass ihr erstes Album vor elf und nicht vor zehn Jahren erschien) mit Witz hinnimmt.

Der bereits erwähnte Kreis schließt sich allerdings nicht nur durch die Anwesenheit von Schrader, sondern auch durch die Tatsache, dass die Band um 21.45 Uhr kurz die Bühne verlässt, um sie mit einem Song, der es als Hidden Track auf „Atzelgift“ geschafft hat, wieder zu betreten. So lange wie auf dem Album selbst muss das Publikum allerdings nicht warten. 14:20 Minuten wären auch wirklich lange gewesen, bieten für Jaspersen aber den Anlass aufgrund des 420-Bezugs die Rückfrage „Kiffst du eigentlich noch, Rasmus?“ an Schlagzeuger Rasmus Engler zu stellen – first things first. Weil der Titel ja nirgendwo steht, ist sich Jaspersen diesbezüglich auch gar nicht mal so sicher, wie er allein auf der Bühne stehend zugibt. Ein Bandkollege aus dem Off hilft aus: „Ein Wind“. Was für ein herrliches Lied! In meinen Notizen zum Konzert steht dazu „VOLL SCHÖN!“, na wenn das nicht eindeutig ist.

Danach sind sie dann fertig damit, das erste Album Revue passieren zu lassen. Weiter geht es mit einem Song, der „aus vielen Gründen nirgendwo zu finden ist“, außer auf der ersten Demo-EP der Band. So schlecht war der Song aber gar nicht… Die restliche Band kommt wieder auf die Bühne und es geht nahtlos weiter mit „In den dunkelsten Stunden“, wobei wir nochmal schön das Tanzbein schwingen können. „Alle sind so“ singt das Publikum fast allein und als Herrenmagazin direkt danach die ersten Töne zu „Frösche“ anstimmen, kann ich es kaum glauben: „Frösche“ ist mein persönlicher erster Herrenmagazin-Song und wann immer es passiert, dass eine Band meinen persönlichen ersten Song spielt, dann ist es fast zu schön, um wahr zu sein!

Um 22.10 Uhr gehen die vier Musiker von der Bühne, kehren allerdings noch für eine Zugabe zurück. „Keine Angst“ wäre für mich der perfekte Schluss-Song gewesen, weil er sich so anfühlt, als würde man in eine Kuscheldecke eingehüllt bei Kerzenschein in einem Sessel sitzen. Die warme, orangefarbene Bühnenbeleuchtung verstärkt dieses Bild nur noch. Doch vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Herrenmagazin nicht mit „Keine Angst“ (das sofort in meine Lieblingsplaylist integriert wird), sondern mit „Pelikan“ und „Krieg“ enden, denn so werden wir nochmal wach für den Heimweg hinaus in die kalte Winterluft, hinaus auf den Weg zwischen Fabrikgebäude und Baustellen, irgendwo in Deutz oder Mülheim, bin mir nicht sicher.