Eddie Vedder lässt mit „Earthling“ den kreativen Knoten platzen

Vor elf Jahren veröffentlichte Pearl Jam-Frontmann Eddie Vedder sein zweites und bislang letztes Soloalbum „Ukulele Songs“. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger „Into The Wild“, dem Soundtrack zum gleichnamigen Film von Sean Penn, war „Ukulele Songs“ ein Album zum Vergessen und man war fast dankbar, dass sich der mittlerweile 57-Jährige danach hauptsächlich wieder auf seine Stammband konzentrierte. Als seine Plattenfirma Universal im November letzten Jahres tatsächlich ein neues Soloalbum von Eddie Vedder ankündigte, dürfte es vielen Pearl Jam-Fans ähnlich ergangen sein wie mir. Man hatte ein wenig Angst davor, dass sich damit ein weiteres Idol früherer Tage endgültig selbst vom Sockel schießt. Knapp drei Monate später erweist sich diese Sorge zum Glück als unbegründet.

“Can you hear…? Are we clear…? Cleared for liftoff… takeoff…”, ruft Eddie Vedder im Opener „Invincible“ und ja, ich bin bereit mich entweder überraschen zu lassen oder komplett desillusioniert zu werden. Ein paar der neuen Songs hatte Vedder schon beim letztjährigen Ohana Festival in Kalifornien präsentiert, doch ich hatte sie mir bewusst nicht angehört. Für seine Live-Band The Earthlings, die ihn auch auf seiner US-Tour begleitet, versammelte er Chad Smith am Schlagzeug, Josh Klinghoffer (Keyboards, Gitarre, Vocals), Bassist Chris Chaney, Glen Hansard (Gitarre, Vocals) und seinen Produzenten Andrew Watt an der Gitarre. Ein durchaus illustres Völkchen also.

„Invincible“ verrät noch nicht wohin die Reise geht. Ein fröhlicher Auftakt, nett anzuhören und durchaus tanzbar. Auch „Fallout Today“ und „The Dark“ plätschern eher so vor sich hin. Erstmals spannend wird es mit „Power Of Right“, bei dem die Headbanger-Fraktion voll auf ihre Kosten kommt. Das folgende „Long Way“ ist eine Reminiszenz an den grossartigen Tom Petty. Gut gemeint, aber Tom Petty zu kopieren ist ungefähr so clever wie gegen Usain Bolt zum 100-Meter-Lauf anzutreten. Aussichtslos. Eine weitere Hommage ist „Brother The Cloud“, diesmal an einen von Vedder’s besten Freunden, den 2017 viel zu früh verstorbenen Chris Cornell. Ein eigentlich knackiger Song, der zwischendurch immer wieder in sich zusammenfällt und auch mal auf der Stelle stampft.

Mit „The Haves“ wird die zweite Albumhälfte eingeläutet und auf dieser macht Eddie Vedder sehr vieles richtig. „The Haves“ ist eine verträumte Ballade, die von Vedder’s nach wie vor unnachamlicher Stimme in melancholische Höhen gehoben wird. „Good And Evil“ ist das krasse Gegenteil dazu. Eine schweißtreibende Rocknummer mit Punkeinschlag, die an frühere Pearl Jam-Songs wie „Worldwide Suicide“ erinnert. Mit dem ebenfalls atemlosen Rocker „Rose Of Jericho“ geht weiter die Post ab. Für mich persönlich der vielleicht beste Song des gesamten Albums. Auch „Try“ ist wie gemacht für den Moshpit. Dabei bekommt Eddie Vedder Unterstützung von seiner Tochter Olivia und, haltet euch fest, Stevie Wonder an der Mundharmonika. Spätestens jetzt macht „Earthling“ mindestens ebenso viel unerwarteten Spass wie der bisherige Saisonverlauf des 1. FC Köln.

Zum Ausklang der 47 Minuten langen musikalischen Reise um die Erde wird es dann wieder ruhiger. Auf „Picture“ steuert Sir Elton John die Vocals bei und tatsächlich ergänzen sich seine und Eddie Vedder’s Stimme trotz aller Gegensätzlichkeit nahezu perfekt. Okay, „Picture“ ist eigentlich ein Elton John-Song, aber das Experiment darf als geglückt bezeichnet werden. „Mrs. Mills“ klingt verdächtig nach den Beatles, was sich dadurch erklären lässt, dass hier mit Ringo Starr tatsächlich einer der legendären Pilzköpfe die Schlagzeugfelle bearbeitet. Mit seinen Streichern und Hörnern wirkt „Mrs. Mills“ fast schon orchestral und Ringo Starr hat hörbar gute Laune dabei. „On My Way“ ist dann der sentimentale und etwas rätselhafte Abgesang des Albums, in dem Eddie Vedder mit seinem vor 40 Jahren verstorbenen Vater Edward Severson Jr. Frieden schließt.

Ohne Zweifel ist „Earthling“ Vedder’s bisher bestes weil kreativstes Solowerk. Er hat dafür noch einmal tief in die Schatztruhe der musikalischen Stile gegriffen, kräftig darin herumgewühlt und sich das für ihn Beste herausgepickt. Das war so nicht unbedingt zu erwarten, weil er mit Pearl Jam seit den Zeiten von „Backspacer“ (immerhin auch schon 13 Jahre alt) künstlerisch mehr oder weniger auf der Stelle tritt. Zwar werden die Puristen unter den Pearl Jam-Fans immer noch genug Haare in der Suppe finden, aber seit langer Zeit machen die Songs von Eddie Vedder wieder Appetit auf mehr.

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