Ein Thron-Erbe in Reserve

Über die Biographie von Prinz Harry wurde bereits im Vorfeld und auch seit Erscheinen viel geschrieben. Braucht es da wirklich noch eine weitere Review? Vielleicht nicht zwingend. aber zumindest kann ich hier einen relativ neutralen Blickwinkel beisteuern. Mein Wissen über das britische Königshaus beschränkte sich bisher auf das, was man in den normalen Nachrichten und durch die gelegentliche Lektüre von Illustrierten beim Friseur eben mitbekommt. Die sehr persönliche Perspektive von Prinz Harry in „Reserve“ liest sich da durchaus spannend!

Biographien verleiten mich sonst oft zu Querlesen und Springen zwischen einzelnen Kapiteln – „Reserve“ habe ich aber tatsächlich von vorne bis hinten wie einen Roman durchgelesen und war vom unterhaltsamen Schreibstil positiv überrascht. Schon der Einstieg ist sehr gelungen. Harry erzählt von einem Treffen mit William und Charles nach der Beerdigung seines Großvaters, bei dem diese ihr Unverständnis ausdrücken über seine Entscheidung, England zu verlassen. Diese Biographie ist nun sozusagen eine sehr umfassende Erklärung dafür. Auch der Titel „Reserve“ ist bezeichnend – denn die Tatsache, dass sein Bruder William der „Heir“ (der Erbe) und Harry nur der „Spare“ (die Reserve) ist, prägte wirklich sein bisheriges Leben.

Über die ersten Lebensjahre erfahren wir kaum etwas, denn Harry beginnt mit dem einschneidensten Erlebnis seiner Kindheit, dem tödlichen Unfall seiner Mutter. Gerade weil dieses Ereignis eine solche mediale Präsenz hatte, ist es besonders eindrücklich, es aus der Sicht eines unmittelbar Betroffenen mitzuerleben. Hier begründet sich auch Harrys schwieriges Verhältnis zur Presse, das sich fast wie ein roter Faden durch die ganze Biographie zieht. Die ständige Aufmerksamkeit der Medien und die Nachstellungen der Paparazzi tragen nach Harrys Meinung nicht nur eine Mitschuld am Tod seiner Mutter, sondern sind auch für ihn eine große Belastung.

Einen großen Teil des Buches nehmen Harrys Ausbildung beim Militär und seine Erfahrungen im Einsatz ein. Da die Einsätze in Kriegsgebieten nur unter größter Geheimhaltung erfolgten, konnte er sich dort einfach als normaler Soldat fühlen – so paradox dieser Begriff auch klingen mag. Eine gewisse Auszeit vom royalen Leben ist Harry auch auf seinen zahlreichen Reisen nach Afrika vergönnt. Dort lernt er nicht nur Chelsey kennen, die erste Frau, mit der er eine längere Beziehung eingeht, sondern findet in Botswana auch gute Freunde, die ihm immer wieder Zuflucht bieten.

Tatsächlich fast wie in einem Roman liest sich schließlich die Liebesgeschichte mit Meghan, in der Harry die Frau seines Lebens findet, aber auch diese Beziehung ist natürlich überschattet von Nachstellungen der Presse und den Vorgaben des königlichen Protokolls.

Man darf diese Biographie keineswegs als eine sachliche Darstellung von Fakten aus dem Leben des Prinzen verstehen. „Reserve“ ist die ganz eigene, subjektive Wahrnehmung seiner Erfahrungen, und zwischendurch ist die Erzählung auch teilweise sprunghaft und es bleiben offene Fragen.

Letztendlich kann man natürlich darüber diskutieren, ob es für ein Mitglied des britischen Königshauses statthaft ist, ein solches Buch zu schreiben. Aber zumindest ich kann nach der der Lektüre gut nachvollziehen, warum Harry mit seiner Familie schlussendlich keine Perspektive mehr in seinem Heimatland gesehen hat – und ich wünsche ihnen so viel Normalität, wie es unter den gegebenen Umständen eben möglich ist!