„Die 100 Besten Ostsongs“ – eine Compilation von Amiga und radioeins

Der 14.07.2019 war ein denkwürdiger Sommer-Sonntag! Interessierte Hörer konnten an diesem Tag beim Sender radioeins die Top 100 der größten Ost-Songs hören – ausgewählt von einer Branchen-Jury aus Ost und West. Am 15.11.2019 sind diese „100 Besten Ostsongs“ in einer Box mit sechs CDs erschienen. Im 64-seitigen Booklet der CD-Edition sind persönliche Geschichten der Juroren zum jeweils auserwählten Song festgehalten.

Die Box ist sehr schön aufgemacht im DVD-Format. Für mich hat sie viel Neues zu bieten, da die Musikszene der DDR doch in weiten Teilen ein Buch mit sieben Siegeln für viele BRD-Sozialisierte ist. Okay – City mit „Am Fenster“ auf Platz 1. Das dürfte unangefochten sein. Ein Song, der auch in meiner Lieblingsdisco jeden Abend (und damit meine ich JEDEN Abend) gelaufen ist. Auch Nina Hagen, Silly und Karat haben ihre starken Platzierungen sicher – doch darüber hinaus wird es schon (tja, wie soll ich sagen?) exotisch.

radioeins in Berlin ist seit Jahren einer der Top-Sender in Berlin und Brandenburg. Die „Top 100“-Motto-Sonntage sind eins der Highlights im radioeins-Programm. Im Juli wurde einer dieser Sonntage den Top 100 Songs des Ostens gewidmet – von Position 100 bis zur Nummer 1 wurden alle Songs vorgestellt. Die 10-Stunden-Show von 9 Uhr morgens bis 19 Uhr am Abend war ein riesiger Erfolg. Danach gab es zahlreiche Anfragen, ob es die Top 100 zu kaufen gäbe. Das Label AMIGA ermöglichte diesen Wunsch jetzt in Kooperation mit radioeins und präsentierte am 15.11. ein großartiges Set.

Die Auswahl der Jury war prominent besetzt mit insgesamt 115 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Musik, Funk und Presse. Darunter Anja Caspary (Musikchefin radioeins), Christoph Dieckmann (DIE ZEIT), Jens Uthoff (taz), Maik Brüggemeyer & Max Gösche (Rolling Stone Magazin), Christian Hentschel (SCHALL Magazin), Runa Liebe, Willy Ehmann & Jörg Stempel (Musik Label) weitere Musik-Journalisten, Autoren, Podcaster, Tourveranstalter, Plattenladen- Betreiber und natürlich viele Musiker wie etwa André Herzberg (Pankow), Angelika Mann, Arnim Teutobug Weiß (Beatsteaks), Christian „Flake“ Lorenz (Rammstein), Dieter „Maschine“ Birr (Puhdys), Dirk Zöllner, Gero “Stumpen“ Ivers (Knorkator), Inga Humpe & Tommi Eckart (2raumwohnung), Lutz Kerschowski, Manuel Schmid (Stern Combo Meißen), Ralf Blümner (Goldkind), Ritchie Barton (Silly), Tino Eisbrenner und Toni Krahl (City), um nur einige zu nennen, die natürlich alles, nur nicht sich selbst wählten, dafür aber viel Expertise einbrachten.

Das Ergebnis ist von erwartet bis überraschend ausgefallen. Auf alle Fälle eine tolle und sehr unterhaltende Mischung aus vielen unterschiedlichen Musikstilen, einer Vielzahl von Künstlern, wunderbaren, unvergesslichen Hymnen und zugleich gespickt mit so manchem hörenswerten Außenseiter. Einige davon sogar seit langem oder gar nie auf CD oder online verfügbar.

Die Punk-Hymne “Born in GDR“ von Sandow stürmte Platz 4, den Underground-Helden Herbst in Peking gelang der Sprung in die Top 10 und die Rammstein Vorläufer Feeling B erreichten mit “Artig“ Platz 13. Ohne alles vorwegnehmen zu wollen, solche Preziosen und weitere „Quereinsteiger“ bieten zusammen mit den Legenden des Ostrocks aus Puhdys, Karat, City, Silly und etablierten Könnern wie Pankow, Renft, Manfred Krug, Gerhard Gundermann, Veronika Fischer, Holger Biege, Rockhaus oder electra eine sensationelle Mischung.

Die Box wird von einem umfangreichen Booklet im Heftformat begleitet. Originalzitate und kleine Geschichten der Jury zu deren Songauswahl erweitern das Hörerlebnis der Box über 64 Seiten zu einer spannenden Lesereise. Nachfolgend als Beispiel die Würdigung von Prof. Dr. Hartmut Fladt von der Universität der Künste Berlin zum Nr. 1 Hit „Am Fenster“ von City: „Melancholie im Text, der in den erlebten Farben ein Spiegel des Inneren ist. Dann ein instrumentales Zwischenspiel, das überraschend in eine Scat-Strophe mündet: Die leicht angeraute, verdoppelte Stimme improvisiert lautmalerische Scat-Silben aus dem Jazz, begleitet von den ebenfalls improvisierten Violin-Figurationen.“

Eine Top 100, wie es sie noch nicht gegeben hat, und wenn es einen Soundtrack zum Fall der Mauer gibt, dann ist es dieser hier. 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer eine längst überfällige, dafür aber auch eine ganz besondere Würdigung der Musik der ehemaligen DDR.