Steve Vai, inzwischen knackige 61 Jahre alt, begann das Gitarrenspiel im Alter von 13 Jahren und hatte zunächst Unterricht bei keinem Geringeren als Joe Satriani, der in seiner Nachbarschaft lebte. Es war der Start einer großartigen, inzwischen 40 Jahre andauernden Karriere, die den Ausnahmegitarristen in die Band von Frank Zappa und später an die Seite von David Lee Roth führte. Einer der Besten sein und von den Besten lernen – das war Vais Devise von Anfang an.
Man sagt von vielen Gitarristen, sie haben das Instrument neu erfunden, doch es gibt kaum einem, bei dem dies eher stimmt. Das Cover von „Inviolate“ zeigt den Künstler mit verbundenen Augen. Die eigentümliche, wunderschön anzuschauende Trio-Gitarre namens HYDRA steht ganz im Vordergrund. und so wird sie beschrieben: „Es ist ein Biest von einem Instrument – eine einteilige, zweiköpfige, dreiköpfige Kreatur, die unter anderem Folgendes umfasst: 7- und 12-saitige Gitarren, ein 4-saitiger Bass mit ¾-Mensur, 13 sympathische Harfensaiten, halbfreie Hälse, Single-Coil-, Humbucking-, Piezo-, MIDI- und Sustainer-Tonabnehmer, schwebende und feste Tremolo-Brücken, Phasensplitter und vieles, vieles mehr.“
Virtuos spielt sich Steve durch neun instrumentale Tracks. Drums, Bass und Keyboard kommen hinzu, jedoch keine Vocals. Die hat Vai auch nicht nötig. Er lässt die Gitarre sprechen, er lässt sie alle Emotionen ausleben. Virtuos und rhythmisch versiert glänzt der Meister in allen Tracks. Das ist zum einen magisch, kann aber auf Dauer auch ermüden.
Man sitzt vor den Boxen und staunt ob der meisterlichen Fähigkeiten. Viel lieber würde man ihm aber zusehen und eine Liveshow erleben. Dann wäre er auch nicht mehr inviolate, unverletzlich, unantastbar.
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Im Laufe seiner mehr als 40-jährigen Karriere hat Steve Vai regelmäßig das scheinbar Unmögliche in etwas sehr, sehr Mögliches verwandelt… was im Grunde ganz schön unverschämt ist. Von seinen Tagen als Frank Zappa „Stunt-Gitarrist“ bis hin zu seinen neueren, expansiven und forschenden Soloarbeiten hat Vai immer wieder die Vorstellungen von traditionellem Gitarrenspiel und Komposition in Frage gestellt – und bei mehr als einer Gelegenheit sogar selbst das Instrument neu erfunden.
Was, wie er zugibt, nicht unbedingt seine Absicht ist. „Ich sitze nicht herum und sage: Okay, was kann ich jetzt tun, um Grenzen zu überschreitet“, erklärt Vai seine Herangehensweise an die Gitarre. „Was ich zu mir selbst sage, ist: Okay, Vai – was wirst du jetzt tun, das dich interessieren wird, das dich faszinieren wird und das anders ist als alles, was du bisher gemacht hast?“
Die Antwort auf diese Frage kommt in Form von Vais neuestem und zehntem Soloalbum Inviolate, einem Werk mit neun Songs, das (sorry Steve) in der Tat die Grenzen der instrumentalen Gitarrenmusik verschiebt – dieses Mal hat Vai buchstäblich nicht nur eine neue Gitarre, sondern auch eine neue Gitarrentechnik erfunden.
Gleichzeitig präsentiert Inviolate seine fokussierteste, straffe und vielleicht belebendste Musik seit Jahren. „Es ist sehr ‚Vai‘, was auch immer das heißen mag“, sagt er und lacht dann. „Jemand anders kann vielleicht besser erklären, was das ist als ich. Aber es ist einfach sehr ehrliche Musik. Denn viele meiner Platten sind lang und es gibt viele Konzepte und Geschichten, mit denen ich herumspiele. Diese Platte hat nichts von alledem. Es handelt sich um neun ziemlich dichte, rein instrumentale Kompositionen, die ich festhalten und aufnehmen wollte, damit ich sie den Fans auch live präsentieren kann.“
Der Wunsch, diese Songs auf die Bühne zu bringen, stand im Mittelpunkt des Konzepts von Inviolate. Zu Beginn der Pandemie war Vai mit den Aufnahmen für ein ganz anderes Album beschäftigt, das hauptsächlich aus akustischen Solosongs mit Gesang bestand. Aber wie wir alle in den letzten Jahren gelernt haben, hat das Universum manchmal andere Pläne für uns.
In Vais Fall war er nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei ernsthaften Leiden außer Gefecht gesetzt – drei gerissene Sehnen in seiner rechten Schulter, die operiert werden mussten, und ein Anfall von schnellenden Finger (Triggerfinger) in seinem linken Daumen, was es ihm äußerst schwer machte, sein Instrument zu spielen. Als er den Genesungsprozess hinter sich gebracht hatte, begann sich die Welt wieder zu öffnen und er blickte – ziemlich aufgeregt – auf eine Liste von mehr als 200 Tourdaten. Und so wurde das Akustik-Album auf Eis gelegt und das deutlich mehr für die Bühne gemachte Inviolate entstand. Und natürlich ist es einfach, sich vorzustellen, wie Vai und seine Band im Jahr 2022 zu den elektrisierenden Klängen auf die Bühne stürmen.
Die bereits von ihm Anfang 2021 aufgenommenen Songs, wurden nun von einer Band unterstützt, die aus Bassisten Bryan Beller, Philip Bynoe und Henrik Linder, sowie Keyboarder David Rosenthal bestand. Am Schlagzeug ist Zappa-Kollege Terry Bozzio und Vinnie Colaiuta zu hören.
„Eines der großartigen Dinge an der Gitarre ist, dass man kein Virtuose sein muss, um seine kreative Vision auszudrücken“, sagt Vai. „Ich meine, Bob Dylan spielt die Gitarre perfekt für seinen Ausdruck. Das gilt auch für John McLaughlin. Man muss nur entscheiden, wie viel Technik man will oder braucht, um ans Ziel zu kommen. Ich selbst wollte und brauchte das alles. Wenn es um meine Musik geht, habe ich nicht das Gefühl, dass ich irgendetwas beweisen oder mich an etwas anpassen muss. Ich liebe es einfach, mir kreative Ideen auszudenken und sie dann mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen.“
Und genau das hat er mit Inviolate wieder einmal getan. „Eine unantastbare (inviolate) Inspiration ist eine, die völlig rein zu dir kommt“, erklärt er. „Sie erscheint fast in ihrer Vollständigkeit, und man erkennt, dass sie für einen richtig ist. Da gibt es für dich keine Ausreden mehr. Du wirst nur noch die Erkenntnis haben und kannst dann deiner Kreativität freien Lauf lassen. Hoffentlich ist mir das mit dieser Platte gelungen.“
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