Amphi Festival 2016 – Das Amphi kehrt zum Tanzbrunnen zurück
Tag 1
Nach dem letztjährigen Ausflug in die Kölner Lanxess Arena und das umgebende Areal ist das Amphi Festival zur Freude vieler Besucher wieder nach Hause zurückgekehrt. Auch wenn der Amphi Eventpark mit der riesigen Halle doch einige Vorteile hatte, schlugen die Herzen der langjährigen Besucher für das Ambiente des Tanzbrunnens. Als zweite Bühne diente dieses Jahr das Theater auf dem Gelände des Tanzbrunnens und mit der Orbit Stage an Bord, sprich eigentlich im Inneren der fest vertäuten MS Rheinenergie stand eine weitere Bühne zur Verfügung.
Im vergangenen Jahr hatten uns die Moderatoren Oliver Klein und Dr. Mark Benecke versprochen, die Auftritte der aufgrund des Unwetters ausgefallenen Bands in diesem Jahr nachholen zu lassen. Dieses Versprechen haben sie gehalten und so hieß es an diesem Wochenende Bühne frei für Der Fluch, Lebanon Hanover, The Devil & The Universe, Neuroticfish und [x]-Rx, die zwar während einer Umbaupause einige wenige Songs performen durften, jetzt aber mit ihrem vollständigen Set das Festival auf der Main Stage zur frühen Stunde eröffnen durften.
“Put your hands in the air. Welcome to the show. We escalate this place.” Mit diesen Worten begannen [x]-Rx ihren Auftritt mit dem Song „Escalate“ und ernteten direkt rauschenden Beifall von einem Publikum, dass bereits um 11 Uhr vormittags zum Tanzen und Mitmachen aufgelegt war. Bei den treibenden Industrial-Rave-Beats und Songs wie „Hard Bass Hard Soundz“ und „Kein Herz“ war es nicht erforderlich, dass Sänger Pascal Beniesch die Festivalbesucher mit „Jetzt mal die Faust nach oben!“ zur Morgengymnastik aufforderte.
Als zweite Band des Festivals kamen Solitary Experiments auf die Main Stage. Zu diesem Zeitpunkt war das Publikum vor der Bühne bereits deutlich zusammengerückt und ordentlich aufgewärmt. Die vier Herren, deren Markenzeichen leuchtend rote Hemden sind, begannen ihren Auftritt mit dem Song „Delight“ und die Spielfreude war ihnen dabei deutlich anzusehen. „Wir spielen heute nur Hits“ verkündete Sänger Dennis Schober. Ein „Ihr könnt auch mitmachen, wenn ihr wollt“ ließ sich das Publikum nicht zweimal sagen und kommentierte dies mit Klatschen und einer großartigen Stimmung. Dafür wurde es im Laufe des Sets auch mit einem neuen Song belohnt. Mit dem Dreifach-Schlag ihrer Hits „Rise & Fall“, „Epiphany“ und „Stars“ beendeten Solitary Experiments ihr Set, wobei sie bei „Epiphany“ gesangliche Unterstützung von T.O.Y.-Sänger Volker Lutz erhielten.
Eigentlich hätten One I Cinema die Theater Stage am Samstagmittag eröffnen sollen. Da deren Auftritt jedoch aufgrund von Krankheit kurzfristig ersatzlos abgesagt werden musste, übernahmen an dieser Stelle die Niederländer Angels & Agony diese ehrenvolle Aufgabe und legten zur Mittagszeit mit ihrem melodischen Futurepop-Song „Monument“ los. Die ersten drei Songs benötigte das Publikum noch, um etwas wacher zu werden, dann ging es mit härteren Songs weiter und es wurde nun vor dem Hintergrund einer Videoleinwand mit bunten, kaleidoskopartigen Bildern getanzt. Sänger Reinier Kahle ging dabei mit den Fans auf Tuchfühlung, schüttelte Hände und sang gemeinsam – eine sympathische Geste.
Wurde das Theater vor zwei Jahren noch bestuhlt für Lesungen und akustische Darbietungen genutzt, hieß es in diesem Jahr auch für diese Location „back to the roots“. Wer sich noch an das Amphi Festival in Anfangstagen zurückerinnert, der weiß, dass das Theater bis zum Jahr 2007 bereits schon einmal als zweite Bühne diente. Das Staatenhaus wurde damals noch nicht genutzt.
Neu war an dieser Stelle jedoch, dass das Theater jetzt nicht mehr vom Festivalgelände aus zugänglich war. Wer in die Halle hinein wollte, musste durch den Ausgang gehen und entweder immer um das runde Gebäude herum bis zur nächsten Einlasskontrolle laufen oder aber – wie zumeist, sich in etlichen Metern Entfernung in einer langen Warteschlange erneut anstellen. Der Ausgang vom Theater mündete hingegen wieder ins Innere des Festivalgeländes. Die Einlasssituation kam bei vielen Festivalbesuchern nicht ganz so gut an. Vielleicht hätte man hier einfach noch ein paar Meter Bauzaun aufstellen können, um das Prozedere zu vereinfachen. Andererseits hatte die Security auf diesem Wege immer direkt im Blick, ob der Zugang ins Theater aufgrund von Überfüllung gestoppt werden musste. Ein Einlassstopp wurde zwar einmal verhängt, jedoch nicht aufgrund von Überfüllung, sondern wegen blockierter Fluchtwege. Denn passend zu einem Festival der Schwarzen Szene war es im Theater während der Auftritte stockdunkel. Dies ist an und für sich nicht weiter störend. Aber einige Besucher hielten es für eine gute Idee, sich im Dunkeln in die Menschenmenge zu setzen. Durch ein reges Kommen und Gehen während der Auftritte kam es so zu einigen „Stolperunfällen“. Das Sitzen auf dem Boden wurde fortan von der Security unterbunden. Hier hätte im Direktvergleich die Lanxess Arena gepunktet. Insgesamt habe ich jedoch von allen Seiten auf dem Festival vernommen, dass die Besucher glücklich über die Heimkehr des Festivals an den Tanzbrunnen sind.
Hatte es auf dem Weg zu Angels & Agony bereits getröpfelt, dachte sich der Regen bei Megaherz, die auf der Main Stage spielten, es wäre angebracht die herabfallende Wassermenge etwas zu verstärken. Da half auch kein „Himmelsstürmer“, den die fünf schwarz-weiß geschminkten Herren zum Ende ihres Auftritts losschickten. Aber erst einmal sollte es ins „Zombieland“ gehen, bei dem Sänger Alexander „Lex“ Wohnhaas gekonnt seinen Baseballschläger-Mikrophon-Halter schwang. Obwohl die Münchener ein sehr schönes Set hauptsächlich bestehend aus Songs des letzten Albums „Zombieland“ und der aktuellen EP „Erdwärts“ spielten und auch der Kracher „Jagdzeit“ und das allseits bekannte „Miststück“ nicht fehlen durften, konnte auch eine wirklich tolle Performance nicht über den sehr schlechten Sound hinwegtäuschen. Stellenweise war kaum Gesang zu hören und auch Melodie und Gitarrenklänge gingen im Soundbrei gnadenlos unter. Sehr schade für Zuhörer und die Band, die sich ihren ersten Auftritt auf dem Amphi sicherlich anders gewünscht hätte. Die Stimmung wurde dadurch zeitweise etwas getrübt. Überzeugen konnte aber auf jeden Fall die gute Lichtshow.
Parallel zu Megaherz spielte auf der Orbit Stage die österreichische Horrorpunkabilly-Band Bloodsucking Zombies from Outer Space und etwas versetzt auf der Theater Stage gab sich das belgische Electro-Industrial-Projekt Dive um Sänger Dirk Ivens die Ehre.
Ganz großes Kino war der Auftritt der Rammstein-Tribute-Band Stahlzeit am Nachmittag auf der Main Stage. In der 50-minütigen Show, die möglichst nah am Original angelehnt ist, wurden von Sänger Heli Reißenweber und seinen Mannen zehn Songs gecovert. Zum Start gab es als erstes „Bück Dich“ auf die Ohren und dazu eine ordentliche Portion Kunstsperma ins Publikum. Augen zu und durch. Was zählt, ist der Spaß. Und der Unterhaltungswert von Stahlzeit war ausgezeichnet. Bei „Du riechst so gut“ und „Asche zu Asche“ wurde ordentlich Pyrotechnik eingesetzt. Bei „Mein Teil“ musste Keyboarder Thilo Weber in den überdimensionierten Kochtopf steigen und wurde anschließend mit Feuersalven aus einem Flammenwerfer gekocht. Bei „Du hast“ sang auch der letzte Besucher des Tanzbrunnens mit und beim Abschlusssong „Engel“ drehte das ganze Publikum durch und sang und sprang zu den harten Klängen von der Bühne. Die Leistung wurde vom Publikum mit tosendem Applaus honoriert. Mit ihrer schweißtreibenden Pyroshow schafften es Stahlzeit dann sogar Wolken und Regen zu vertreiben.
Parallel zu Stahlzeit begeisterte Laura Carbone mit ihrem wunderschönen, melodischen Dark Wave Pop die Besucher auf der MS Rheinenergie und im Theater gab es von Ewigheim düstere Klänge mit deutschen Texten und der eindringlichen Stimme von Sänger Allen B. Konstanz auf die Ohren.
Nach einer halbstündigen Umbaupause betraten die gutgelaunten Dark Rocker Mono Inc. die Main Stage. Auch hier kam häufig Pyrotechnik zum Einsatz, aber vergleichbar mit Stahlzeit wurden eher kleinere Brötchen gebacken. Mal ehrlich: Wer kann und will sich denn in diesem Punkt auch schon mit einer Rammstein-Tribute-Band messen? Deshalb: Unterhaltsame Feuereffekte als Teil der Mono Inc. Bühnenshow wurden zur Kenntnis genommen und für gut befunden. Bereits der erste Song „Arabia“ offenbarte den Feierwillen des Publikums. Denn weiter ging es mit „Symphony Of Pain“ und der ganze Tanzbrunnen applaudierte und klatschte euphorisch im Takt. Bei „Gothic Queen“ zeigte sich Sänger Martin Engler sehr fan-nah und verließ die Bühne, um auf dem Rollstuhlfahrer-Podest seine Fans zu begrüßen und sich mit ihnen fotografieren zu lassen. Dies zeigt noch einmal deutlich, warum die vier Mitglieder von Mono Inc. in der Szene große Sympathieträger sind. Multiinstrumentalist Martin zeigte sein Können bei „Never-Ending Love Song“ an der Gitarre und im späteren Verlauf am Schlagzeug während der Drum-Battle mit Katha Mia. Der Frontmann hatte das Kölner Publikum während des Auftritts vollkommen im Griff. Speziell beim letzten Song „Voices Of Doom“ sang und klatschte der gesamte Tanzbrunnen bereitwillig mit, so dass es selbst der Kölner Dom noch gehört haben muss. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Mono Inc. seit 2009 bereits zum fünften Mal auf dem Amphi spielen durften.
Auf der Orbit Stage ging es derweil mit düsteren, minimalistischen Wave-Klängen von Lebanon Hanover weiter, während das Theater bei Spetsnaz unter Krachern wie „Apathy“ und „Allegiance“ erbebte. Nach Mono Inc. reihte sich auf der Main Stage Ex-Nightwish-Sängerin Tarja Turunen ein und bot dem Publikum eine einstündige Show voller Power. Pünktlich zu Beginn des Auftritts erschien nun auch die Sonne am Kölner Himmel. Die Fans in den vorderen Reihen sprangen direkt zu den ersten Klängen auf und ab. Im Verlauf des Auftritts fehlten auch nicht etwas ältere Songs wie „Never Enough“ und „Until My Last Breath“. Parallel zu Tarja absolvierten auf der Orbit Stage Whispers In The Shadow ihren einzigen Festivalauftritt für dieses Jahr. Die Österreicher, die 2016 ihr zwanzigjähriges Bandjubiläum feiern durften, präsentierten ihren vom Goth Rock und Dark Wave geprägten Sound. Sänger Ashley Dayour durfte am folgenden Festivaltag noch ein weiteres Mal mit seiner 2013 gegründeten Band The Devil & the Universe auf dieser Bühne auftreten. Das nach zwei Tarotkarten (the devil und the universe) benannte Bandprojekt bot dem Publikum einen eher psychedelischen Musik-Mix, bei dem die Bandmitglieder in Ziegenkostümen auf der Bühne performten.
Im Theater probten derweil Aesthetic Perfection den Abriss desselbigen. Die Warteschlangen vor dem Gebäude erreichten eine unglaubliche Länge. Zusammen mit dem bereits erwähnten Einlassstopp kam es so dazu, dass einige enttäuschte Fans den heißersehnten Auftritt des amerikanischen Projekts um Daniel Graves nicht miterleben konnten. Innerhalb von 50 Minuten wurden elf Songs auf das Publikum losgelassen. Das Set startete mit „A Nice Place To Visit“ und beinhaltete auch die weiteren Singles „Inhuman“, „A Big Bad Wolf“ und natürlich auch den allseits beliebten Tanzflächenfüller „Antibody“. Als weiteren Höhepunkt der Show konnte man sicherlich das Duett von Daniel mit Sven Friedrich (Solar Fake) zum Bonustrack „Never Enough“ des neu aufgenommenen Albums „Blood Spills Not Far From the Wound“ (ehemals unter dem Bandnamen Necessary Response erschienen) bezeichnen. Der Auftritt endete viel zu schnell mit der wunderschönen, melodischen Ballade „Devotion“.
Der Auftritt von Peter Heppner war sicherlich einer, der von sehr vielen Besuchern freudig erwartet wurde. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Die einstündige Show wurde im weiteren Verlauf des Festivals von vielen Besuchern als Highlight genannt, denn der Auftritt war einfach bewegend und für viele Fans mit emotionalen Erinnerungen an vergangene Zeiten verknüpft. Beim Klang von Heppners markanter Stimme, die seine häufig traurigen Geschichten, die das Leben so schreibt, besingt, wurde zuweilen auch das ein oder andere Taschentuch gezückt. Der Rest der schwarzen Schar tanzte glückselig vor sich hin oder lauschte ergriffen. Mit seinem Set sang sich der Mann mit der Ausnahmestimme quer durch die Jahrzehnte, angefangen mit „The Sparrows & The Nightingales“ aus den frühen Wolfsheim-Tagen von 1992 über „Once In A Lifetime“ aus dem Jahre 1999 bis hin zu seinen Werken aus der Soloaktivität wie „Alleinesein“ (2008) und „I Won’t Give Up“ (2012). Nicht fehlen durfte hierbei natürlich „Kein zurück“, bei dem die Stimmung auf dem Höhepunkt angelangt war. Auf der Bühne war Heppner umgeben von bekannten Gesichtern. So saß am Schlagzeug Achim Färber, der zusätzlich auch bei Eisbrecher die Schlagstöcke schwingt und am zweiten Festivaltag noch mit Project Pitchfork auf der Bühne sitzen sollte und an der Gitarre stand Carsten Klatte, den man auch früher schon mal mit Project Pitchfork auf der Bühne gesehen hat.
Auf der Theater Stage spielten derweil auf der Co-Headliner-Position Sascha Mario Kleine und Henning Verlage mit ihrem Synth-Pop Projekt Neuroticfish. Neben Stücken aus dem letzten neuen Album „A Sign Of Life“ wie „Behaviour“ und „Is It Dead“ spielten sie selbstverständlich auch ihren größten Club-Hit „The Bomb“.
Für die Musiker von Der Fluch war das Amphi ein Heimspiel. Die Orbit Stage wurde kurzerhand zum „Geister“schiff erklärt. Hier präsentierten sie mit Songs wie „Rattengift“ und „Halb Mensch halb Tier“ dem Publikum ihren deutschsprachigen Horrorpunk, der thematisch von Horror-B-Movies handelt.
Blutengel durften am ersten Abend als Headliner auf die Main Stage. Dafür hatten sie auch wieder eine ausgefeilte Bühnenshow mit Leinwänden und Feuerspielen dabei. Sänger Chris Pohl war gut gelaunt und wie eigentlich immer in Gesprächslaune. So sagte er „Engelsblut“ mit den Worten „Wer den Song kennt und gut findet, kann direkt mitklatschen“ an. Das Publikum ließ sich nicht lange bitten und so klatschten tausende Hände von Beginn an mit. Auch für’s Auge wurde wieder Einiges geboten. Beim Song „Krieger“ ließen zwei der Tänzerinnen brennende Feuerfackeln rotieren und bei „Dein Gott“ entledigten sich alle Tänzerinnen ihrer Nonnenkostüme, um anschließend leicht bekleidet ihre erotische und leicht blutige Performance vorzutragen. Den Männern im Publikum hat’s sichtlich gefallen. Bei den letzten Songs „You Walk Away“, „Asche zu Asche“ und „Reich mir die Hand“ verwandelt sich der Tanzbrunnen in ein Meer aus Händen und damit endet der erste, erfolgreiche Festivaltag.
Als Hauptact auf der Theater Stage lieferten zeitgleich die kanadischen Industrial-Pioniere Front Line Assembly eine gelungene Show ab. Sänger Bill Leeb und seine Männer sorgten ab den ersten Tönen für gute Stimmung im Publikum. Spätestens ab dem zweiten Song „Killing Ground“ wurden die Beats härter. Die Menge tanzte und sprang, Bier wurde verschüttet. Das ganze Theater hatte sich in eine wilde Party verwandelt. FLA schlossen den Abend mit dem Song „Mindphaser“ ab. Headliner auf der Orbit Stage waren die englischen Gothik Rocker Nosferatu, die bereits seit fast 30 Jahren im Geschäft sind.
Tag 2
Der zweite Festivaltag startet im strahlenden Sonnenschein. Da lässt sich die frühe Uhrzeit doch gleich viel besser ertragen, dachten sich wohl auch die nicht wenigen Festivalbesuchter, die vor der Main Stage warteten und die drei Herren von Beyond Obsession gutgelaunt begrüßten. Es wurde zwar locker gestanden, dafür war dann aber auch ausreichend Platz zum Tanzen vorhanden. Als zweimalige Supportband von And One und zuletzt von Solar Fake waren Beyond Obsession dem einen oder anderen Besucher bereits ein Begriff. Für den reichlichen Applaus bedankte sich die Band mit bekannten Stücken wie „Song For The Dead“ und „Tokio Underground“, aber auch mit der Sparks-/Martin L. Gore-Cover-Ballade „Never Turn Your Back On Mother Earth“ sowie mit einem neuen Song namens „Ghost On Pictures“. Auf der Theater Stage brachten direkt im Anschluss xotox mit stampfenden, elektronischen Beats das Publikum in Bewegung.
Mittags war es dann Zeit für eine Band, auf die ich bereits sehr gespannt war. „Wir sind TÜSN und wir sind schuldig.“ kündigte TÜSN-Sänger Snöt den Song „Schuld“ an. Hatte ich mich zuvor noch gefragt, ob diese Band mit deutschen, düsteren Texten und teils schwermütigen Klängen aus dem Indie Rock/Pop-Bereich live überzeugen kann, wurde ich augenblicklich eines Besseren belehrt. Der Sound aus Schlagzeug, Bass, Synthesizer und zuweilen auch e-Piano wirkt im Zusammenspiel mit der durchdringenden und kraftvollen Stimme von Sänger Snöt fesselnd und zieht das Publikum in seinen Bann. Einige Besucher singen mit, einige tanzen und andere schauen andächtig zu, während TÜSN neun Songs, darunter auch „Ewig allein“ und „Schwarzmarkt“ präsentieren. Von den Berlinern, die kürzlich mit ihrem Debütalbum internationale Künstler wie Hurts und Marilyn Manson auf deren Deutschlandkonzerten supporten durften, werden wir in Zukunft sicherlich noch viel hören.
Während nun im Theater Mantus mit melancholischem Dark-Metal rockten, startete das Programm auf dem Schiff mit der niederländischen Industrial-/Hard Electro-Band XMH.
Auf der Main Stage war es nun Zeit für eine Band mit Garantie für unbeschreiblich gute Stimmung. Die Unzucht gab sich die Ehre und wie bei jedem Festivalauftritt dieser Band fragt man sich unweigerlich, warum sie nicht später im Line-Up spielen. Laut, lauter, Unzucht heißt es, sobald die ersten Töne des deutschsprachigen Dark Rocks erklingen und das Publikum frenetisch mitgeht. Auf der Stelle stehen geht bei Songs wie „Todsünde 8“, „Engel der Vernichtung“ oder dem neuen Brett „Kettenhund“ einfach nicht. Aber auch bei den ruhigeren Songs wie dem melancholischen „Nur die Ewigkeit“ oder „Schweigen“ hat das Publikum ausreichend Gelegenheit zum Mitmachen und wird von Sänger Daniel Schulz auch gerne dazu aufgefordert. Sofern dies überhaupt noch nötig ist. Bei letzteren beiden Songs verwandelt sich der Tanzbrunnen in ein Meer aus schwenkenden Armen. Natürlich durfte auch das obligatorisches Crowd-Surfing des Frontmanns Daniel durch die Menge nicht fehlen. So sieht Fan-Nähe aus.
Während die Unzucht noch bei Sonnenschein rockte, gab es bei den Schweizern The Beauty Of Gemina etwas ruhigere Töne im dunklen und sehr gut gefüllten Theater. Die gute Beleuchtung sorgte jedoch dafür, dass die Musiker ins rechte Licht gerückt wurden. Sänger Michael Sele und seine Bandkollegen begeisterten die Zuschauer mit ihrer Mischung aus Dark Rock und Wave. Beliebte Stücke wie „Run Run Run“ und „Suicide Landscape“ ließen das Publikum tanzen, sofern ausreichend Platz vorhanden war.
Nahtlos ging es weiter mit Solar Fake, dem Electro Projekt von Sven Friedrich. Da der Mann einfach ein Händchen für griffige Melodien hat, lieferten Solar Fake auch an diesem sonnigen Nachmittag eine herrlich tanzbare Show ab, bei der härtere Clubhits wie „Parasites“ und „Reset To Default“ ebenso wenig fehlten wie etwas ruhigere Songs („Where Are You“). Insgesamt war das Set mit über der Hälfte der Songs stark geprägt vom aktuellen Album „Another Manic Episode“. Zeitgleich gab es von den Schweden von Cryo ebenfalls elektronische Musik an Bord der MS Rheinenergie.
Die Liebhaber der härteren, handgemachten Musik fanden sich derweil im Theater ein, um die energiegeladene Show von OST+FRONT zu feiern. Ging es mit dem ersten Song „Sternenkinder“ noch etwas ruhiger zu, geriet das wild tanzende Publikum bei „Denkelied“, „Bruderherz“ oder „Gang Bang“ in der sowieso nicht ganz kühlen und dicht gefüllten Halle kräftig ins Schwitzen. Wer OST+FRONT Shows kennt, weiß aber, dass hier nicht nur etwas für Ohren und Beine geboten wird, sondern auch das Auge nicht zu kurz kommt. Sänger Herrmann Ostfront und seine Mannen präsentieren sich dabei wie üblich in ihren furchteinflößenden Bühnenoutfits, bei denen auch jede Menge Schminke und Kunstblut zum Einsatz kommt. Immer wieder kommt Eva Edelweiß, der Mann an den Tasten, nach vorne auf die Bühne und steht „unfreiwillig“ für Showeinlagen bereit. Bei „Fiesta De Sexo“ trägt Eva einen überdimensionierten Sombrero, bei „Ich liebe es“ darf es dann auch gerne ein Dirndl sein. Zum großen Finale mit „Bitte schlag mich“ leert Eva mehrere Säcke mit schwarzen Luftballons ins Publikum, die während des ganzen Songs durch die Halle fliegen. Das stetige Zerplatzen der Ballons geht zum Ende im tosenden Applaus unter.
Viel Anklang fanden auch Suicide Commando am späteren Nachmittag. Die belgischen Electro-Industrial-Pioniere schafften es, den gesamten Tanzbrunnen in Bewegung zu setzen. Die dicht gedrängten Festivalbesucher tanzten wild zu Songs wie „Cause Of Death“, „God Is In The Rain“ und natürlich auch dem Hit „Bind, Torture, Kill“. Sänger Johan Van Roy schwenkte unterdessen die belgische Fahne und hatte sichtlich Freude daran, das Publikum weiter anzuspornen. Unter anderem forderte er die Masse auf, sich hinzusetzen, um anschließend zu den nächsten harten Takten gemeinsam aufzuspringen. Auf dem Schiff spielten die zuvor bereits angesprochenen The Devil & The Universe, während Dr. Mark Benecke im Theater die Kammercore-Musiker von Coppelius mit dem Gedicht „Das Fest des Wüstlings“ von Christian Morgenstern anmoderierte, da die Band nicht namentlich angesagt werden wollte. Das ist natürlich der spezielle Humor, den die sechs Herren mit ihren klassischen Instrumenten und Schlagzeug an den Tag legen. War der Saal anfangs noch nicht so gut gefüllt, änderte sich das im weiteren Verlauf jedoch sehr schnell. Der harmonische Mehrgesang mit Klarinetten, Cello und Kontrabass regte einfach zum Mitgehen an und da jedes Lied unterschiedlich instrumentalisiert war und auch die Sänger wechselten, konnte auch gar keine Langeweile aufkommen. Die Herren rockten sich durch Songs wie „Der Luftschiffharpunist“, „Locked Out“ und „Reichtum“ und wurden dafür vom Publikum laut jubelnd gefeiert. Es wären nicht Coppelius gewesen, wenn dies nicht in einer energiegeladenen Show der Extra-Klasse geendet hätte.
Die Liebhaber der elektronischen Klänge hatten am frühen Abend die Qual der Wahl zwischen Covenant und Faderhead. Während Faderhead und das feiernde Publikum versuchten, das zum Bersten gefüllte Schiff mit Songs wie „Fistful Of Fuck You, „Stand Up“ und natürlich „Tanz zwo drei vier“ zu versenken, ging es bei Covenant zwar etwas ruhiger zu, was aber nicht heißen soll, dass die Stimmung hier schlechter gewesen wäre. Die Schweden um Sänger Eskil Simonsson ließen Songs wie „Thy Kingdom Come“, „The Men“, die neue Single „Sound Mirrors“ sowie ihr erfolgreichstes Stück „Dead Stars“ auf ihre Fans los, die dies dankbar annahmen. Im Theater betraten unterdessen die Wiener L’Âme Immortelle die Bühne. Sonja Kraushofer und Thomas Rainer haben im Laufe Ihrer zwanzigjährigen Musikkarriere einige „unsterbliche“ Songs geschrieben, die ihre Konzertbesucher jedes Mal wieder in Ekstase versetzen oder zu Tränen rühren, zumindest aber zum Tanzen und inbrünstigen Mitsingen bewegen. Auch der Auftritt auf dem Amphi bildete keine Ausnahme und so sangen sich Band und Fans gemeinsam durch ein Programm mit Songs wie „Life Will Never Be The Same Again“, „Phönix“, Bitterkeit“ oder „5 Jahre“. Das Licht auf der Bühne war wie üblich sehr dunkel gehalten, dies ließ bei den eher dramatisch, emotionalen Songs jedoch erst die richtige Stimmung aufkommen. Es war also ein rundum gelungener Auftritt.
Als vorletzte Bands und somit Co-Headliner des Festivals gingen Escape With Romeo (Orbit), Moonspell (Theater) und Project Pitchfork (Main) ins Rennen. Der Besucher hatte also mal wieder zu entscheiden, was er sehen wollte. Glücklicherweise unterschieden sich die Musikstile dieses Trios deutlich voneinander. Escape With Romeo schlugen ruhigere, aber rockig-punkige Töne mit elektronischen Einflüssen an und gaben Stücke wie „Glitter On The Snow“ und „Ground Control“ zum Besten. Die Portugiesen von Moonspell hatten düstere Klänge aus dem Gothic Metal Genre dabei. Wem die beiden Bands noch kein Begriff sind, dem sei gesagt, dass beide schon alte Hasen im Musikbusiness sind und bereits im Jahre 1989 gegründet wurden. Die elektronischen, basslastigen Klänge von Project Pitchfork bedürfen eigentlich keiner Erklärung mehr. Auch sie sind schon seit 1989 sehr erfolgreich im Geschäft. Ob das Gründungsjahr wohl ausschlaggebend für die Platzierung war? Pitchfork haben auf jeden Fall wieder die volle Live-Besetzung aufgefahren. Auf der Bühne stehen drei Schlagzeuge, die von den Drummern Achim Färber, Christoph „Nook“ Michelfeit und Christian „Léo“ Leonhardt (ehemals Oomph!) heftigst bearbeitet werden. Am Keyboard steht ein ungewohntes und dennoch nicht unbekanntes Gesicht. Daniel Myer von Haujobb und ehemaliger Keyboarder von Covenant ist spontan für den aufgrund von Krankheit ausgefallenen Jürgen Jansen eingesprungen. Sie beginnen ihr Set mit dem neuen Song „What Have We Done“ und preschen dann direkt mit dem Pitchfork-Hit schlechthin vor: „Timekiller“ bringt die Stimmung auf einen ersten Höhepunkt und die Massen in Bewegung. Weitere Höhepunkte im Programm der Herren um Mastermind Peter Spilles sind das Duett mit Sven Friedrich (Solar Fake) zu „The Dividing Line“, der Tanzflächenfüller „Alpha Omega“ und das langsamere, dafür aber umso eindringlichere „Souls“. Stellenweise hatte man das Gefühl, der Boden würde aufgrund des Basses und der Tanzbewegung der Masse beben. Die Pitchfork-Fans am Tanzbrunnen wirkten zum Ende glückselig.
Und nun war es schon Zeit für die letzten Auftritte am Tanzbrunnen für dieses Jahr. Headliner am Sonntag waren Spiritual Front (Orbit), Joachim Witt (Theater) und die Editors auf der Main Stage. Die Italiener von Spiritual Front begeisterten mit ihren melodischen Songs und dem harmonischen Gesang von Simone Salvatori, der von Akustikgitarre, Gitarre und Schlagzeug begleitet wurde. Die Melodien erinnern an die 70er Jahre, klingen nach Fernweh und dem American Way of Life. Trotz der nicht ganz so dicht gefüllten Orbit Stage, singen die Fans bei „I Walk The (Dead)Line“ lautstark mit. Auch Joachim Witt überzeugte auf voller Linie und sorgte mit einem mitreißenden Auftritt für einen gelungenen Abschluss des Festivals. Die Besucher und Fans durften sich über seine Hits wie „Gloria“, „Die Flut“ und „Goldener Reiter“ freuen, bei denen enthusiastisch mitgesungen wurde. Draußen am Tanzbrunnen wartete eine schwarze Masse gebannt – und wohl auch mit gemischten Gefühlen – auf den Auftritt der Editors, die im Vorfeld als Headliner stark diskutiert worden waren. Grund dafür war wohl, dass der Musikstil der Briten größtenteils eher in die Sparte Indie Rock als in die Stilrichtungen der Schwarzen Szene einzuordnen ist. Ihre in Deutschland erfolgreichste Single „Papillon“ ist jedoch fast jedem Szenegänger ein Begriff, der ab und an in Clubs oder auf Partys sein Tanzbein schwingt. Alle Befürchtungen stellten sich als völlig unbegründet heraus, denn auch die Editors hatten eine große Fanbase am Start, die vom ersten Ton an kräftig mitsang und bei „Papillon“ völlig ausrasten sollte. Sänger Tom Smith sorgte mit theatralischen Gesten und Verrenkungen, mal an Gitarre, mal am Piano und mal nur mit Mikrophon bewaffnet dafür, dass das Geschehen auf der Bühne immer im Fokus blieb. An Langeweile war somit nicht zu denken. Ein Schmunzeln bei Band und Publikum kam auf, nachdem ein nur mit Lendenschurz bekleideter Fan aus dem Publikum auf die Bühne kletterte, um sein zuvor dort hochgereichtes, rosafarbenes Plüsch-Steckenpferd-“Einhorn“ wieder abzuholen und damit überschwänglich über die Bühne sprang. Er wurde dann aber schnell unter etwas deutlicherer Überredungskunst von der Bühne befördert. Auch ansonsten schien die Menge so berauscht von dem Auftritt der Engländer zu sein, dass neben dem später im Publikum tanzenden Steckenpferd-Einhorn auch mehrfach knallbuntes Konfetti auf die vorderen Reihen herabrieselte. Tom Smith nahm das Ganze mit Humor und widmete den nächsten Song dann auch gleich „dem kleinen Pony dahinten“. Die Editors hatten einen Bühnenaufbau aus vier großen, rostigen Windrädern und warteten mit einer gut abgestimmten Lichtshow auf. Mit Hits wie dem melodischen Piano-Song „Forgiveness“, dem gefühlvoll vorgetragenen „Life Is A Fear“, dem neuen Song „The Pulse“, und dem finalen “Marching Orders“ führten die Engländer galant durch’s Programm und hinterließen am Ende ein gutgelauntes, leicht wehmütiges Publikum, dass nun ein Jahr auf das nächste Amphi warten muss.
An dieser Stelle noch einmal ein großes Lob für die Veranstalter des Amphi Festivals. Hut ab für den Mut, das Festival trotz Verringerung der Einlassgröße an den Tanzbrunnen zurückzuverlegen und Hut ab dafür, ein sehr gemischtes Line Up anzubieten und nicht im sicheren Fahrwasser zu schwimmen, indem immer gleiche Bands gebucht werden. Also danke, liebes Amphi, für die Möglichkeit durch dich neue Bands und bislang unbekannte Juwelen der düsteren Musik kennenzulernen. Wir sehen uns im nächsten Jahr bestimmt wieder.