AC/DC erheben sich mit „Power Up“ wie Phönix aus der Asche
Als 2014 mit „Rock Or Bust“ das bislang letzte AC/DC-Album erschien, war die Welt noch (halbwegs) in Ordnung. Donald Trump galt bestenfalls als eine Randfigur in der amerikanischen Politik und Corona hatten wir bis dahin nur im Spanienurlaub getrunken. Nun erscheint mit „Power Up“ der langersehnte Nachfolger und wirft man einen Blick zurück auf die vergangenen sechs Jahre, dann ist seitdem nicht nur um uns herum einiges aus den Fugen geraten, sondern auch in der Geschichte von AC/DC. Kurz nach der Veröffentlichung von „Rock Or Bust“ musste der langjährige Schlagzeuger Phil Rudd die Band verlassen. 2016 erklärte Bassist Cliff Williams seinen Ausstieg. Im gleichen Jahr legte Frontmann Brian Johnson aus gesundheitlichen Gründen eine Pause ein und wurde für den Rest der „Rock Or Bust“-Tournee durch Axl Rose ersetzt, der seine Sache überraschend gut machte. 2017 starb dann schließlich mit Malcolm Young das neben seinem Bruder Angus letzte noch verbliebene Gründungsmitglied. Sein Tod stürzte die Band endgültig in eine tiefe Sinnkrise.
Inzwischen sind Phil Rudd und Cliff Williams wieder in den Schoß der AC/DC-Familie zurückgekehrt und auch Brian Johnson hat seine drohende Taubheit überwunden. Zusammen mit dem unverwüstlichen Angus und Stevie Young, dem Neffen der Young-Brüder, bilden sie die aktuelle Besetzung des legendären Quintetts aus Sydney. Ende Oktober erschien mit „Shot In The Dark“ der erste Vorbote des neuen Albums, den die eingefleischten Fans allerdings schon aus dem Soundtrack des Dodge-Kurzfilms „Family Motto“ kennen dürften. Die übrigen elf Songs entstanden unter der Regie von Produzentenguru Brendan O’Brien, der bereits bei „Black Ice“ von 2008 und „Rock Or Bust“ an den Reglern saß.
Auf „Power Up“ machen AC/DC das, was sie seit nunmehr 47 Jahren tun. Dreckigen, fetten Rock, hier und da gewürzt mit einer Prise Blues. Wer sich nach fast fünf Jahrzehnten noch immer musikalische Innovationen und überraschende Wendungen aus Australien erhofft, der glaubt vermutlich auch noch, dass die Erde eine Scheibe ist. In Zeiten, in denen jegliche Konstante zu fehlen scheint, ist der Drei-Riff-Rock von AC/DC grossartiger denn je. Es ist so, als würde man alte Kumpels treffen, die einem auf die Schulter klopfen und sagen: Hey, lass uns zusammen einen trinken gehen, schlüpfrige Witze erzählen und einen lustigen Abend haben.
Bestes Beispiel dafür ist „Wild Reputation“, ein schwitzendes und nach verschüttetem Bier stinkendes Stück Mitgröhlrock, das Erinnerungen an geballte Fäuste und durchgebrüllte Stimmbänder weckt. „I’m gonna make you fly“, verspricht Brian Johnson im schnörkellosen Opener „Realize“, der mit seinem „Hey-hey-hey-hey“-Intro ein wenig an „Shoot To Thrill“ erinnert. Obwohl der inzwischen auch schon 73-jährige Johnson gesanglich nach wie vor hundertprozentig auf der Höhe ist, fällt auf, dass auf „Power Up“ ungewöhnlich viel Wert auf den Backgroundgesang gelegt wird. In „Demon Fire“ knurrt der Sänger mit tiefer Stimme los und fällt sich dann selbst ins Wort. Ein echter Headbanger wie ihn eben nur AC/DC hinkriegen.
Auch „No Man’s Land“ ist eine stampfende Hymne an die guten alten Zeiten, in denen man auf AC/DC-Konzerten noch aus einem Bierbecher trank und danach mit wildfremden Menschen Rücken an Rücken in der Kloschlange stand um nicht umzufallen. Der Rest ist Angus. Sein typisch fiebriges Gitarrenspiel dominiert nicht nur „Witch’s Spell“, sondern ist nach wie vor das erste Erkennungsmerkmal eines guten AC/DC-Songs. Und davon gibt es auf „Power Up“ eine Menge. „Shot In The Dark“ ist wie gemacht für seinen berühmten Duckwalk.
„Systems Down“ klingt im Vergleich dazu fast schon poppig, wobei der Begriff Pop im Zusammenhang mit AC/DC ungefähr so viel Sinn ergibt wie auf eine Deutsche Meisterschaft des 1. FC Köln zu wetten. Nämlich gar keinen. Auch bei „Through The Mists Of Time“ vergaloppiert sich die Band etwas in Kenny Loggins-Gefilden, aber das sind auch schon die einzigen beiden kleinen Schwachpunkte auf „Power Up“. Wenn man denn überhaupt welche suchen möchte.
Am Ende singt Brian Johnson „Feelin‘ the Rock’n’Roll mood, gonna make you feel good“ und man kann dem Mann nur beipflichten. „Power Up“ ist ein Album wie aus einem Guss und es zeigt AC/DC so energiegeladen und lebendig wie schon lange nicht mehr. Von Abnutzungserscheinungen oder gar gähnender Langeweile ist hier weit und breit nichts zu hören. Im Gegenteil. AC/DC nehmen den Titel ihres Albums mehr als wörtlich. Wem nach den knapp 40 Minuten nicht die gute Laune wie die Sonne aus dem Hintern scheint, dem ist nicht mehr zu helfen.