Árstíðir
Pain of Salvation Turock Essen – Geniale Wohnzimmer-Show für Rocker
Pain Of Salvation aus Schweden können auf eine über 20-jährige Bandgeschichte zurückblicken, in denen sie acht Studioalben veröffentlicht haben, die in keiner Musiksammlung von wahren Prog-Fans fehlen sollten. Mit den letzten Alben „Road Salt 1″ (2010) und „Road Salt 2″ (2011) hatte Frontmann Daniel Gildenlöw eine Richtung eingeschlagen, die sich musikalisch wieder mehr dem Geiste der Siebziger Jahre verschrieben hatte. Vorbei die Zeiten von komplizierten und pathosgeschwängerten Songs, die neue Devise von Pain of Salvation lautet seither: Erdiger Rock ohne Pomp und Gloria. Und so passt es vielleicht auch, dass die Band im Frühjahr 2013 auf eine Akustik-Tour ging. Schon 2012 hatte es ein Akustik-Konzert in Leipzig gegeben, das zunächst als exklusive Show gemeint war und dann doch die Initialzündung für eine ganze Tour wurde.
Die zahlreichen Besucher, die an diesem Sonntagabend in Essen das Turock besuchen, um sich von der akustischen Darbietung von Pain of Salvation überraschen zu lassen, erwartet beim Eintritt ein ganz besonderes Setting: Die Bühne ist zum Wohnzimmer umdekoriert worden, und zwar mit allen Schikanen! Eine alte Couch, mehrere Sesseln, Lampen, Siebziger-Jahre-Tapeten und Jimmy-Hendrix-Poster an der Wand. Die Message: Fühlt euch wie zu Hause. Und sehr familiär geht es dann auch an diesem Abend zu. Es ist die letzte Show von Pain of Salvation und ihrer Supports Anneke van Giersbergen und Árstíðir, als Konzertgänger kann man also auf einige Überraschungen gespannt sein …
Daniel Gildnlöw höchst persönlich begrüßt die Gäste. Während er auf der gemütlichen Couch Platz nimmt, hält er erstmal einen Monolog über den kommenden Abend. Es geht darin um die großen Themen: Demenz, Tod und Ähnliches – allerdings mit einem Augenzwinkern – und dabei erzählt er von der Großmutter seiner Frau, die an Altersdemenz leidet und immer wieder die gleichen Geschichten erzählt, die – so vermutet Gildenlöw – aus irgendeinem bestimmten Grund ihre persönlichen Schlüsselerinnerungen sein müssen. Und während er darüber philosophiert, was wohl seine Schlüsselerinnerungen im Alter sein werden, klingelt es „an der Tür“ und herein kommen die fünf Musiker von Árstíðir aus Island. Gemeinsam mit ihnen eröffnet Gildenlöw den Abend, und zwar mit einer wunderschönen akustischen Version von Pain of Salvations „Road Salt“. Den Rest von Árstíðir muss ich leider verpassen, weil ich das Interview, das ich bereits vor deren Auftritt mit Gildenlöw angefangen habe, weiterführen muss. Ich habe mir aber sagenlassen, dass die Show von Árstíðir wunderschön war: Sanfter und ruhiger Folk mit vielstimmigem Gesang.
Ich komme erst dann wieder in die Halle, als Daniel und seine Mitmusiker Anneke van Giersbergen mitten in ihrem Auftritt überraschen, indem sie jeder mit einem Besen in der Hand die Bühne betreten und die überraschte und belustigt grinsende Anneke gesanglich begleiten. Nach Abgang der Überraschungsgäste habe ich noch das Vergnügen, einige Songs von Anneke, die sie auf der Gitarre vorträgt, mitzubekommen und obwohl ich noch nie ein großer Fan von The Gathering war, muss ich sagen: Annekes Stimme ist einfach großartig und die Frau umwerfend gut (abgesehen davon, dass sie toll aussieht und unheimlich witzig ist). Für besonders heitere Stimmung sorgte übrigens ihr Cover-Song von Dolly Partons „Jolene“, bei dem doch der eine oder andere im Publikum mitsingen musste …
Dann ist es endlich Zeit für den Hauptact und wer gedacht hat, dass er dabei entspannen kann, hat die Rechnung ohne Gildenlöw gemacht. Denn er nimmt das Publikum auf eine abenteuerliche Reise durch das vielfältige Werk der Band. Man kann fast von Neu-Interpretationen reden, denn die Kreativität, mit denen altbekannte Songs wie z.B. „Falling Home“, „Ashes“, „Spitfall“ (Eminem lässt grüßen!) oder „Diffidentia“ neu arrangiert wurden, ist atemberaubend und genial. Hinzukommen noch einige Cover-Songs. Der erste ist Kris Kristoffersons „Help me make it through the night“, der von Daniel gemeinsam mit Anneke und einem der Árstíðir-Musiker auf der Couch dargeboten wird – inklusive Lach- und Kuschelanfällen (ich kann leider nicht sagen, welcher der fünf Árstíðir-Männer es war, denn er trug eine enorm große Perücke mit blonden Locken …). Wenig später gibt es eine absolut hirnverbrannte, aber göttliche Jazz/Reggae-Version von DIOs „Holy Diver“, die die Stimmung im Saal zum Kochen bringt. Richtig getanzt wird allerdings erst bei „Disco Queen“ (quasi DER „Dancefloor-Hit von PoS), und zwar sowohl vor als auch auf der Bühne, denn alle Musiker von Árstíðir und Anneke stürmen während des Songs die Bühne und tanzen sich auf den Tischen und Sesseln die Seele aus dem Leib! Noch ein Cover gibt es, und zwar „Dust in the Wind“ – mit Gildenlöws überirdischer Stimme: Zum Niederknien schön!
Konzerte von Pain of Salvations sind immer musikalische LSD-Trips, berauschend und bewusstseinserweiternd, aber man darf dabei nicht unerwähnt lassen, dass Daniel Gildenlöw auch ein begnadeter Alleinunterhalter ist. So erinnert er sich, wie er als Fünfzehnjähriger gepeinigt vom ersten Liebeskummer den schmalzigen Song „Second Love“ schrieb (ja, er ist schmalzig aber auch wunderschön). Herrlich, wie er sich über Textzeilen wie „you came like the wind“ und „night after night, the stars are shining so bright“ beömmelt, nur um den Song mit einer Innbrust anzustimmen, dass kein Auge trocken bleibt. Der emotionale Höhepunkt und gleichzeitig der Abschluss eines unvergesslichen Konzerts und einer fabelhaften Tour ist aber „1979″ aus dem letzten Album der Band. Für mich DAS heile-Welt-und-gute-Laune-Lied schlechthin Und während der ganze Saal jubelt, klatscht, glücklich lacht und die Chips-Tüte kreisen lässt, die Daniel neben sehr viel Obst im Publikum verteilt hat, lassen sich noch mal alle Musiker auf der Bühne feiern. Wer an diesem Abend nicht mit einem seligen Grinsen nach Hause geht, sollte dringend einen Arzt aufsuchen. Für mich bisher das Konzert des Jahres!