Kristoffer Gildenlöw ist vor allem bekannt als ehemaliges Mitglied der skandinavischen Progressive Rocker Pain of Salvation, die unter der Ägide seines Bruders Daniel bis heute federführend in der Szene wirken. Kristoffer hat sich bereits 2006 von der Band verabschiedet, um einen eigen musikalischen Weg zu gehen. Die Zusammenarbeit mit der Band des Bruders war immer schwieriger geworden, da er in den Niederlanden lebte – also weit weg von Schweden. Auf Solopfaden hat er nun mit Größen wie Lana Lane, Neal Morse, Flaming Row und Damian Wilson gearbeitet, die überaus erfolgreiche Supergroup Dial musikalisch unterstützt, Veteranen wie Kayak begleitet und mit „Homebound“ veröffentlicht er bereits das dritte Soloalbum seit 2012.
Das Solowerk von Kristoffer Gildenlöw ist durchgehend in leisen Tönen gehalten. Seine Vocals klingen sehr düster, sehr zerbrechlich. Er hat eine sanfte Stimme, die bisweilen ins weinerliche ausschlägt. So erwartet den Hörer eine emotionale Reise, die Fans von Roger Waters, Anathema und Elbow durchaus begeistern dürfte. Der Einsatz von Instrumenten ist dabei sehr dezent – als wolle man die musikalischen Gedankengänge des Sängers möglichst wenig stören.
Ein Song wie „Like Father To Son“ enthält alles, was die Musik von Gildenlöw ausmacht: Pure Emotionen und der Hang zum Erzählen. Poetisch und berührend! Und wer nach Überraschungen sucht, höre einfach den Blues von „Our Home“ oder den filigranen Piano-Abschluss „You Need Not Stay (Away)“.
Alles in allem ist “Homebound” eine sehr verträumte Reise durch Erinnerungen und Träume – eine Mischung aus Ambient, Art Rock und Folk. Wer sich darauf einlässt, bekommt ein wunderbares und stimmungsvolles Album, das in sich sehr geschlossen klingt.
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In der neuen Staffel der „Original Album Classics“ sind endlich mal ein paar ordentliche Prog-Titel dabei. Das freut mich ungemein. Da wären Pain Of Salvation aus Schweden und der legendäre Genesis Gitarrist Steve Hackett.
Pain Of Salvation gehören zum Besten, was der Progressive Metal zu bieten hat. Ihr Frontmann Daniel Gildenlöw ist ein echter Wunderknabe, der auch schon mit Transatlantic zusammen arbeiten durfte. Das Set umfasst die ersten fünf Alben aus den Jahren 1997 bis 2004. Da finden sich die düsteren Klänge der Anfangszeit und vor allem das bewegende Meisterwerk „Remedy Lane“. Zudem gibt es mit „12:5“ ein akustisches Livealbum, das den schweren Songs eine ganz andere Musikalität verleiht. Wer PoS noch nicht kennt, sollte hier dringend zugreifen.
Zu Steve Hackett muss man eigentlich nichts sagen. Neben Ray Wilson ist er der einzige, der die Genesis-Fahne noch weit nach oben hält. Sein Solowerk ist um einiges sperriger als die Genesis-Alben, an denen er beteiligt war. Doch es lohnt sich immer, diesen Songs ein Ohr zu gönnen. Das vorliegende Paket enthält Alben aus den Jahren 1984 bis 2006. Kommerziell gesehen zwar keine Erfolge, und doch sind es starke Rockalben, die an seine besten Zeiten erinnern.
Die im Frühjahr 2008 gestartete CD-Reihe „Original Album Classics“ avancierte seither zu einer der erfolgreichsten CD-Serien Deutschlands. In Summe der einzelnen Alben der 3- bzw. 5-CD-Boxen wurden inzwischen weit mehr als sechs Millionen Tonträger verkauft. Für Sammler und Musikinteressierte bieten die Sets ein höchst interessantes Angebot. Neben Klassikern aus dem Repertoire der Labels ist die Serie auch eine Schatzkiste für lange nicht mehr aufgelegte Alben und Raritäten. Einige Boxen aus dem ursprünglichen Repertoire sind bereits vergriffen – und mittlerweile gesuchte Raritäten. Aktuell umfasst der lieferbare Katalog an „Original Album Classics“-Sets mehr als 200 Titel (151 x 5er CD-Boxen und 51 x 3er CD-Boxen).
Zu den attraktiven Neuheiten (alles im 5er Box-Set) gehören in diesem Herbst neben den oben genannten Künstlern u. a. Soloalben von Byrds Frontmann Roger McGuinn, Hit-Alben von Balladenkönig Michael Bolton und Alben der 1970er Rocklegenden The Guess Who mit einer echten Rarität: „So Long Bannatyne“ war bisher in Deutschland auf CD nur als Import erhältlich.
Pain of Salvation sind eine der wenigen Bands, denen ich durch alle meine musikalischen Anwandlungen hindurch (sei es Dark-Wave, Black Metal oder Power Metal), treu geblieben bin. Genauer gesagt verfolge ich seit der Veröffentlichung von „The Perfect Element“ im Jahr 2000 die musikalische Entwicklung der Band von Prog Metal zum Siebziger-Jahre-Rock auf den letzten beiden „Road Salt“-Alben. Daniel Gildenlöw, Frontmann und einzige Konstante der Band, ist für mich einer der genialsten Musiker und besten Sänger im Rock-Bereich, und daher war es für mich ein wunderbares Erlebnis, endlich ein Interview mit ihm führen zu können – auch wenn der Ort dafür etwas bequemer hätte ausfallen können als das kalte Treppenhaus des Wohnhauses neben dem Turock in Essen. Aber der Backstage ist voll mit den singenden Isländern des Support-Acts Árstíðir und so bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ins Treppenhaus zu hocken und die ein- und ausgehenden Bewohner des Hauses höflich zu begrüßen.
Ich habe bei diesem Interview übrigens darauf verzichtet, Fragen zum Mitgliederkarussel in der Bandgeschichte zu stellen, da Daniel Gildenlöw in allen möglichen Interviews schon dazu Stellung genommen hat. Daniel ist übrigens ein sehr gesprächiger Interview-Partner, den man schwer unterbrechen kann, anderseits kann man ihm auch stundenlang zuhören, auch wenn er von Hölzchen auf Stöckchen kommt. Aber lest selbst …
Daniel, das letzte Mal, als ich euch gesehen habe, war das in Leipzig auf einer exklusiven Akustik-Show. Und jetzt seid ihr mit dieser Akustik-Show auf Tour gegangen. Wie kam es dazu?
Daniel: Wir wurden damals gefragt, ob wir nicht diese Akustik-Show in Leipzig machen wollen, und wir fanden, dass es eine coole Idee war. Ich mag es, neue Sachen auszuprobieren und das schien mir eine gute Gelegenheit dafür zu sein. Wir wollten die Show aufnehmen, weil sie eben so exklusiv war, aber dann versagte auf der Show die Technik und das mit der Aufnahme klappte nicht. Aber wir wollten trotzdem gerne ein Akustik-Album aufnehmen, einfach alles im Proberaum durchspielen und es mixen lassen … Das machten wir, hatten aber wieder Probleme mit den Aufnahmen. Dann kam die Idee auf, mit der Show richtig auf Tour zu gehen. Gleichzeitig hatten wir die Idee, das Ganze in einer Art Wohnzimmer stattfinden zu lassen, bzw. wir hatten das schon für die „Road Salt“-Tour angedacht, aber das schien damals nicht das richtige Setting für die Tour zu sein. Für die Akustik-Tour schien das aber genau richtig. Wir begannen also damit, die „Wohnzimmer“-Tour zu planen und hatten eine Menge Ideen, wir wollten z. B. eine Couch und einen Kühlschrank und all so was.
Seid ihr dann richtig auf Flohmärkte gegangen, um die Requisiten zu finden?
Daniel: Ja, wir haben alle möglichen Charity- und Antiquitäten-Läden aufgesucht, um die Möbel zusammenzusuchen, die diesen Vibe hatten, hinter dem wir herwaren. Das gestaltete sich aber schwieriger als wir dachten. Es ist richtig schwer, Siebziger-Jahre-Möbel zu finden. Achtziger sind kein Problem, aber Siebziger sind eine Herausforderung. Und es war in diesem einen letzten Laden, kurz bevor sie Ladenschluss hatten, dass ich durch eine Tür in den Lagerraum sah und da diese coole, große und schwere Couch sah. Und ich musste eine richtige Charmoffensive starten, damit der Angestellte uns hineinließ. In diesem Lager fanden wir viele der Möbel, die wir jetzt auf der Bühne haben.
Ich hatte wirklich gedacht, dass es sehr einfach sein würde, dieses Wohnzimmer zusammenzustellen, aber letztendlich war es viel Arbeit. Ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten auf der Tour selbst. An manchen Grenzübergängen hat man uns schon ziemlich schräg angeguckt, als sie diese braun-orangenen Tapeten und das ganze Mobiliar sahen.
Es war euch sehr wichtig, das alles auf euch zu nehmen, um diesen Traum wahrzumachen …
Daniel: Ja, aber es kamen auch noch so viele andere Dinge so schön zusammen. Das Setting sollte natürlich stimmen, aber auch was die Support-Acts anging war ich auf der Suche … ich bin schon seit 1998 Fan von Annekes Stimme, als ich The Gatherings Alben hörte. Und in Griechenland war sie mit Agua de Annique unser Support. Dort spielten sie diese energetische Siebzigerjahre-Musik. Ich fand, dass das perfekt für die Road-Salt-Tour sein würde, aber das haute damals zeitlich nicht hin. Ragnar kannte außerdem diese isländische Band Árstíðir, die ich mir im Netz angeschaut habe und von denen ich richtig beeindruckt war. Für die Akustik-Tour haben wir Anneke und Árstíðir dann noch mal gefragt, und diesmal klappte alles. Anneke und ich spielen übrigens auch auf dieser Tour einen Song zusammen …
Einen Song von Pain of Salvation?
Daniel: Hehe, nein, ich kann es ja jetzt sagen, denn das Interview wird auf keinen Fall vor diesem letzten Gig veröffentlicht werden. Wir singen zusammen einen Song von Kris Kristofferson … obwohl wer weiß, wahrscheinlich ist es schon überall auf youtube zu sehen, was eigentlich richtig schade ist. Denn obwohl ich es cool finde, auf youtube präsent zu sein, finde ich es schade, dass die Leute auf Konzerten mittlerweile in einem Wald voller iPhones stehen, anstatt ihre Feuerzeuge hochzuhalten.
Diese Nostalgie, von der du sprichst, erinnert mich ein wenig an die Nostalgie, die in „1979″ anklingt. Ich habe ja immer diese Astrid-Lingren-Welt vor meinen Augen, wenn ich diesen Song höre. Ist das die Welt, nach der du dich sehnst?
Daniel: Wahrscheinlich ist das so, dass jede Generation dazu neigt, die Zeit, in der sie aufgewachsen ist, zu idealisieren, egal wann das war. Das ist wahrscheinlich in unserer Natur. Aber ich bin der Meinung, dass, obwohl ich wirklich versuche, objektiv zu sein, wirklich etwas verlorengegangen ist. Die Sechziger sind für mich – und ich spreche wirklich nur von meinen Empfindungen – ein Jahrzehnt der Revolution, wo man viel ausprobiert hat und frei war. In den Achtzigern war alles plötzlich wieder so kontrolliert und der Erfolg sehr wichtig. Die Siebziger stechen für mich heraus als eine Art angenehme Pause, eine Art natürliche Brücke zwischen den wilden Sechzigern und den Achtzigern, die für mich beide nicht so interessant sind, auch musikalisch nicht. In den Achtzigern gab es diesen übertrieben Einsatz von Hall und diesen kalten Effekten. In den Siebzigern gab es dieses Gefühl der Ruhe, die politische Bewegung war noch stark, aber nicht mehr so radikal wie in den Sechzigern.
Und diese Zeit zelebrierst du ja auch auf den letzten „Road Salt“-Alben. Wie sieht es mit dem kommenden Album aus, wie geht es von hier aus weiter?
Daniel: Diese Tour entstand ja eigentlich aus einer gewissen Planlosigkeit heraus. Was immer auch jetzt passiert, ist schwer berechenbar. Im Rückblick ist es immer viel einfacher zu sehen, wie natürlich es war, dass die Dinge aufeinander folgten. „Be“ zum Beispiel ist das natürliche Ergebnis der vorherigen Alben, auch „Scarsick“ war die natürliche Weiterführung der vorangegangenen Alben. „Scarsick“ ist intensiver, wütender und politischer als „12:5″ und „Be“, die nicht das richtige Forum für die Ideen gewesen waren, die es auf „Scarsick“ gab. Im Rückblick ist es wirklich einfacher zu sagen, warum dieses oder jenes entstanden ist, andersherum ist es sehr schwierig. Ich kann also momentan nicht sagen, was sein wird.
An der Stelle werden wir erstmal von der Tourmanagerin unterbrochen, denn Daniel soll den Abend eröffnen und einen Song mit Árstíðir spielen – was er dann auch tut. Danach treffen wir uns wieder im Treppenhaus, um das Gespräch fortzuführen.
Weiter geht’s … Es war gar nicht mal so schlecht, diese Unterbrechung zu haben. Ich hatte keine Ahnung, dass die Show so sein würde. Du hast jetzt einige Themen des Abends angesprochen, als da wären der Tod, Demenz und hast ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert usw. … ist das nicht riskant?
Daniel: (lacht) Ja schon, aber ich mag es ganz gerne, bei Shows eine Art Intimität zum Publikum herzustellen und einen Rahmen für die Show zu schaffen.
Wie ist die Reaktion bisher gewesen?
Daniel: Sehr positiv eigentlich, allerdings habe ich heute Abend auch viel mehr geredet, weil es die letzte Show dieser Tour ist. Aber ja, jedes Publikum reagiert anders. Ich taste mich da meistens langsam heran und versuche herauszufinden, ob das Publikum darauf steht oder lieber nur Musik hören will. Heute waren die Leute im Publikum cool, ich hatte das Gefühl, dass sie gerne zugehört und reagiert haben.
Hast du keine Angst, dass es die Leute völlig deprimiert?
Daniel: (lacht) Aaaalso, wenn es irgendwas gibt, das sich in den Jahren mit PoS gelernt habe, ist, dass die Leute durch deprimierende Dinge aufgebaut werden. Ich kann das verstehen, denn stell dir vor, dir geht es schlecht und du hörst fröhliche Musik á la „alles ist voll toll!“ Du wirst dich damit nicht identifizieren können und fühlst dich vielleicht noch isolierter. Aber wenn jemand sagt: „Weißt du was, das Leben ist manchmal halt echt kacke, aber wir sollten versuchen, etwas Cooles draus zu machen, weil es doch wertvoll ist!“, dann kannst du dich eher damit identifizieren … die ersten Jahre sind oft Leute nach Gigs zu uns gekommen, denen wirklich schreckliche Dinge passiert sind – z. B. der Verlust von Eltern, Freunden oder gar Kindern – und unsere Musik hat ihnen anscheinend durch diese schwierigen Zeiten geholfen. Ich habe mich damals gewundert, aber so ist es anscheinend.
Ich habe das Gefühl, dass du dich in den letzten Jahren sehr von dieser schweren und aggressiven Musik verabschiedet hast. Die „Road Salt“-Alben kommen ja viel beschwingter und fröhlicher rüber …
Daniel: Fröhlich?? Wirklich??
Ja schon, obwohl ein paar Themen natürlich nicht weg sind. Als großer Fan darf man ja manchmal auch Scherze über seine Lieblingsmusiker machen …
Daniel: Ja, klar. Na ja, vielleicht … okay, sag es! (lacht)
Okay, bring mich nicht um, es ist ja nur mein Eindruck … in deinen Texten gibt es so viele leidende Frauen. Sie weinen immer und sterben und leiden …
Aaaaaaah, hmm, also, da bräuchte ich mehr Details … ja, es ist entweder persönliche Erfahrung, dann ist es halt so und man sollte nicht erwarten, dass es politisch korrekt ist. Aber wenn du z. B. „Mrs. Modern Mother Mary“ nimmst, geht es im Text genau darum, wie Frauen über die Jahrhunderte hinweg unterdrückt wurden. Gerade dieser Song handelt von dem Kampf um Gleichberechtigung und wie Religion die Gesellschaft beeinflusst. Du hast auf der einen Seite Maria Magdalena und auf der anderen Seite Maria, die Mutter. Und das hast du immer noch – und beide Marias leiden. Die Marias sind heute immer noch zu Hause und versuchen, Kinder aufzuziehen und die anderen sind im Internet, auf Porno-Seiten zu sehen. Die Heiligen und die Huren eben, wenn man es vereinfacht darstellen will.
Hmm, da du gerade eben das Thema Religion ansprichst. Wie sieht es damit aus? Ihr spielt ja des Öfteren ein Cover von „Halleluja“ am Ende eurer Konzerte. In Leipzig hast du auf der Bühne gesagt, in dem Song ginge es um Sex und nicht um Religion …
Daniel: (lacht) Ja, und es stimmt ja auch, da geht es gar nicht um Religion. In „Halleluja“ geht es darum, sich in der Sexualität und in Beziehungen zu verlieren. Es geht aber darum, dass Beziehungen in Kämpfe ausarten, in denen es um Gewinnen und Verlieren geht. Auf eine gewisse Weise geht es darin auch um Sucht. Meine Vermutung ist, dass er (Anm. d. Redaktion: Leonard Cohen) zu einem Zeitpunkt in seinem Leben sexsüchtig war und dass es in diesem Song auch um die Trauer geht, ein Problem mit Beziehungen zu haben. Ich finde den Text wunderschön, sehr sinnlich und gleichermaßen positiv und sehr traurig. So ein bisschen wie die Freude einer Ejakulation (lacht), es ist schön, aber gleichzeitig kommt danach eine Leere. Es ist das Fehlen von Größe und Erfüllung im Leben. Das Leben ist letztendlich ein Halleluja des Kommens – in jemandem (Anm. d. Red.: okay, im Original sagt er: „a halleluja of coming into someone“). Für was für ein Magazin war dieses Interview noch mal? (lacht)
Playgirl halt … es ging von Anfang an nicht um Prog sondern Pornos …
Daniel: Dann bin ich ja froh. (lacht)
Okay, also wie steht es denn jetzt mit der Religion. Oder findest du die Frage doof?
Daniel: Nein nein, aber wenn Leute nach Religion fragen, dann habe ich das gleiche Gefühl, wie wenn Leute nach Prog fragen. Dann denke ich immer, okay, ich kann jetzt höflich sein und die Frage umschiffen, ohne sie wirklich zu beantworten, und ohne irgendwelche Leute anzugreifen. Ich persönlich habe keinen Vertrag mit Religion. Ich bin der Meinung, dass jede Art von Religion falsch ist. Darum geht es z. B. in „Be“, obwohl seltsamerweise unheimlich viele religiöse Menschen dieses Album toll finden. Wo doch die Essenz des Albums ist, dass viele Dinge, die als Werkzeuge für die Menschen geschaffen wurden, die Menschen beherrschen. Und Dinge, die dazu da geschaffen wurden, die Menschen zu beherrschen, am Ende nur Werkzeuge werden. Es gibt also eine ständige Verschiebung der Paradigmen: Wir erschaffen Geld als Werkzeug und es wird zum Herrscher über alles, wir kreieren Gott als unseren Herrscher und er wird zum bloßen Werkzeug. Ich habe in einem meiner frühen Interviews eine Parabel aufgestellt: Religion ist für mich wie, wenn zwei Menschen in einer zweidimensionalen Welt leben und für eine Sekunde einen Zylinder zu sehen bekommen. Beide sehen diesen Zylinder von einer anderen Seite, der eine sieht ein Rechteck, der andere einen Kreis. Und in der zweidimensionalen Welt dieser beiden gibt es keine Figur, die sowohl ein Rechteck als auch ein Kreis sein könnte. Das funktioniert nicht, weil es auf einer höheren Ebene existiert als sie es sich vorstellen können. Und so gründet der eine die Rechteck-Religion und der andere die Kreis-Religion. Und bis zum Ende ihrer Tage und der Tage ihrer Kinder und Kindeskinder werden sie nicht aufhören, sich darum zu prügeln oder gar zu töten. Für mich ergibt das Ganze keinen Sinn. Dieser Kampf muss aufhören. Das ist für mich das Wichtigste.
Ich war im Urlaub im Jordan und wir waren am Strand. Unser ältester Sohn war gerade mal ein Jahr alt und spielte mit einem arabischen Jungen, der mit seinem Vater da war. Und es kam uns so wunderschön vor, so nach dem Motto „Ach, wie schön, Kinder kümmern sich nicht um Hautfarbe und Nationalitäten, sie spielen einfach.“ Wir fühlten uns sehr stolz und plötzlich fingen sie an, sich richtig zu kloppen, so dass ich und der Vater des anderen Jungen dazwischen gehen mussten. Wir hatten solche Angst und haben versucht, sie dazuzubringen, sich zu versöhnen, während wir uns mit einem leicht entschuldigenden Lächeln anguckten. Danach war alles wieder in Ordnung. Und so eine Funktion sollte Gott eigentlich haben, er sollte die Leute davon zurückhalten, miteinander zu kämpfen. Darum geht es bei Religion vielleicht auch, nämlich darum, dass Menschen ab und an jemanden brauchen, der die Elternrolle übernimmt und ihnen sagt, was sie tun sollen.
Man denkt, wenn man erwachsen ist, bräuchte man keine Eltern, weil man kein Kind mehr ist. Aber ich glaube, dass man egal wie alt man ist, in erster Linie eine Person ist, und als eine Person brauchst du manchmal einen Elternteil, der einem sagt, was man tun und lassen sollte.
Ich bin der Überzeugung, dass Religion von Menschen gemacht sein muss und allein schon aus diesem Grund kann sie nicht unfehlbar sein. Wenn ein zweidimensionales Wesen versucht, dreidimensional zu sein, dann wird das einfach nicht funktionieren. Religionen haben zwar ganz nette Regeln und Gebote, aber am Ende gehen sie hin und töten einander. Sie nutzen Gott also als ein Werkzeug. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass wenn es Gott gäbe, dass das in seinem oder ihrem Sinne wäre, dass er oder sie als Werkzeug benutzt wird.
Wie sieht es denn mit Spiritualität aus?
Daniel: Ich weiß nicht genau, was Spiritualität bedeutet. Ich kenne Leute, die Selbstfindungskurse besuchen, wo sie in eine Tapete eingewickelt werden und einer setzt sich auf sie, damit sie die Geburt neu erleben können. Das nennen sie dann Spiritualität. Oder Leute, die meditieren und versuchen, dabei an rein gar nichts zu denken, und das dann Spiritualität nennen. Manche versuchen, die Zukunft vorherzusehen und nennen wiederum Spiritualität. Für mich ist Spiritualität ein großer Mülleimer für alles, was sich nicht mit empirischem Wissen belegen lässt.
Und Spiritualität einfach als die Fähigkeit zu sehen, sich in etwas zu verlieren?
Daniel: Ja, das unbedingt. Musik, Bücher, Kunst, wenn du das alles meinst, bin ich dabei. Für mich ist das Leben binär, existent und nicht-existent. Und ich ziehe einfach das Lebendige vor.
Ich bin überrascht, denn ich habe dich aufgrund deiner Musik für einen spirituellen Menschen gehalten. Und ich hätte nicht gedacht, dass du so ein rational denkender Humanist bist.
Daniel: Oh, ich kann auch sehr irrational sein (lacht). Ich denke, wenn es etwas gibt, das größer als das Leben ist, dann werde ich es eh nicht verstehen. Letztendlich musst du einfach nur nett sein und auf dein Herz hören oder manchmal auch nicht, hehe, und mehr kannst du auf dieser Welt nicht tun. Ich bin sicher, dass selbst wenn irgendwer uns erschaffen hat, was ich für sehr unglaubwürdig halte, dass er dafür sorgen wird, dass diejenigen, die sich gut verhalten haben, auch dann in diese bessere Welt eintreten, wenn sie nicht eine bestimmte Religion hatten. Ich kann das Konzept des Glaubens schon irgendwie verstehen, aber ich habe keine Wertschätzung für Religion. Selbst bin ich einfach zu alt, um zu glauben. Ich habe es versucht, aber ich habe das alles hinter mehr oder werde wohl auch nicht mehr zurückkehren.
Das ist eine sehr abgeklärte Haltung. Hat sich das auch in der Entwicklung deiner Musik niedergeschlagen? Wenn man es simpel verpacken will, kann man ja sagen, dass auf den Frust und die pubertären Elemente in der Musik – wenn ich das so sagen darf …
Daniel: (lacht) Ja, es war pubertär!
… doch eine viel erwachsenere geerdetere Musik gefolgt ist. So als wärst du mit dir mehr oder weniger im Reinen.
Daniel: Nee, ich denke nicht, dass ich mit mir im Reinen bin. Ich habe einfach neue Wege gefunden, meine Gefühle zu kanalisieren. Die Texte der „Road Salt“-Alben zum Beispiel beschäftigen sich immer noch mit ähnlichen Themen wie die Alben davor, aber es ist nicht mehr alles so in-the-face, sondern tiefgründiger. Ich würde sagen, dass sie subtiler sind, während die alten Alben melodramatischer und pompös daherkommen mit großen Gesten – was allerdings auch manchmal wichtig sein kann. Wenn ich es mit Filmen vergleichen würde, dann würde ich meine jetzige Musik mit „Being John Malkovich“, „Vergiss mein nicht“, „Adaptation“ oder „The Big Lebowski“ vergleichen. Diese Filme handeln von großen Themen, haben aber auch viel Humor und Wärme. Man kann sie sich auf viele verschiedene Arten anschauen. Und sie handeln alle von der Komplexität des Lebens. Denn wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, ist es die Tatsache, dass das Leben sich nicht für den Ernst interessiert. Du kannst sich in einer ernsten Situation befinden und trotzdem passiert zur gleichen Zeit etwas Witziges, denn das Leben zielt nicht auf irgendetwas hin. Manche religiöse Menschen würden jetzt sicherlich widersprechen. Aber ich könnte jetzt einen Anruf bekommen, dass mein Vater gestorben ist und während ich mich hastig aufmache, könnte ich im Treppenhaus stolpern. Das würde in normalen Filmen nicht passieren, aber im normalen Leben passiert so was andauernd. Und in diesen Filmen, die ich genannt habe, wird gerade diese Unvorhersehbarkeit des Lebens, die gleichzeitig schön und traurig ist, zugelassen. Es ist, was ist es. Eine meiner Lieblingsfilmszenen ist die Szene in „The Big Lebowski“, wo Walter und der Dude Donnys Asche verstreuen, mit diesem militärischen Ernst und dann bekommt der Dude die ganze Asche ins Gesicht. Der Dude rastet richtig aus, aber am Ende umarmen sie sich wieder, denn das ist ihre Art, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Das ist traurig und unheimlich witzig zugleich. Ich liebe das sehr! Das Gleiche gilt auch für meine Musik, denn man braucht eine große Anzahl verschiedener Emotion, damit sie wirklich funktioniert und echt ist.
Zum Schluss geht es natürlich um die Zukunft. Wie sehen deine Pläne für PoS aus?
Daniel: Die letzten Alben haben wir in Proberäumen aufgenommen und ich würde so gerne wieder in ein Studio gehen. Ich möchte allerdings auch nicht die Intimität verlieren, die so typisch für Pain of Salvation ist. Das ist aber alles, was ich jetzt gerade dazu sagen kann. In ein paar Jahren werden wir uns wahrscheinlich treffen und sagen: „Mensch, dass war doch klar, dass da dieses oder jenes Album kommen musste.“ Wir werden es sehen!
Daniel, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
Pain Of Salvation aus Schweden können auf eine über 20-jährige Bandgeschichte zurückblicken, in denen sie acht Studioalben veröffentlicht haben, die in keiner Musiksammlung von wahren Prog-Fans fehlen sollten. Mit den letzten Alben „Road Salt 1″ (2010) und „Road Salt 2″ (2011) hatte Frontmann Daniel Gildenlöw eine Richtung eingeschlagen, die sich musikalisch wieder mehr dem Geiste der Siebziger Jahre verschrieben hatte. Vorbei die Zeiten von komplizierten und pathosgeschwängerten Songs, die neue Devise von Pain of Salvation lautet seither: Erdiger Rock ohne Pomp und Gloria. Und so passt es vielleicht auch, dass die Band im Frühjahr 2013 auf eine Akustik-Tour ging. Schon 2012 hatte es ein Akustik-Konzert in Leipzig gegeben, das zunächst als exklusive Show gemeint war und dann doch die Initialzündung für eine ganze Tour wurde.
Die zahlreichen Besucher, die an diesem Sonntagabend in Essen das Turock besuchen, um sich von der akustischen Darbietung von Pain of Salvation überraschen zu lassen, erwartet beim Eintritt ein ganz besonderes Setting: Die Bühne ist zum Wohnzimmer umdekoriert worden, und zwar mit allen Schikanen! Eine alte Couch, mehrere Sesseln, Lampen, Siebziger-Jahre-Tapeten und Jimmy-Hendrix-Poster an der Wand. Die Message: Fühlt euch wie zu Hause. Und sehr familiär geht es dann auch an diesem Abend zu. Es ist die letzte Show von Pain of Salvation und ihrer Supports Anneke van Giersbergen und Árstíðir, als Konzertgänger kann man also auf einige Überraschungen gespannt sein …
Daniel Gildnlöw höchst persönlich begrüßt die Gäste. Während er auf der gemütlichen Couch Platz nimmt, hält er erstmal einen Monolog über den kommenden Abend. Es geht darin um die großen Themen: Demenz, Tod und Ähnliches – allerdings mit einem Augenzwinkern – und dabei erzählt er von der Großmutter seiner Frau, die an Altersdemenz leidet und immer wieder die gleichen Geschichten erzählt, die – so vermutet Gildenlöw – aus irgendeinem bestimmten Grund ihre persönlichen Schlüsselerinnerungen sein müssen. Und während er darüber philosophiert, was wohl seine Schlüsselerinnerungen im Alter sein werden, klingelt es „an der Tür“ und herein kommen die fünf Musiker von Árstíðir aus Island. Gemeinsam mit ihnen eröffnet Gildenlöw den Abend, und zwar mit einer wunderschönen akustischen Version von Pain of Salvations „Road Salt“. Den Rest von Árstíðir muss ich leider verpassen, weil ich das Interview, das ich bereits vor deren Auftritt mit Gildenlöw angefangen habe, weiterführen muss. Ich habe mir aber sagenlassen, dass die Show von Árstíðir wunderschön war: Sanfter und ruhiger Folk mit vielstimmigem Gesang.
Ich komme erst dann wieder in die Halle, als Daniel und seine Mitmusiker Anneke van Giersbergen mitten in ihrem Auftritt überraschen, indem sie jeder mit einem Besen in der Hand die Bühne betreten und die überraschte und belustigt grinsende Anneke gesanglich begleiten. Nach Abgang der Überraschungsgäste habe ich noch das Vergnügen, einige Songs von Anneke, die sie auf der Gitarre vorträgt, mitzubekommen und obwohl ich noch nie ein großer Fan von The Gathering war, muss ich sagen: Annekes Stimme ist einfach großartig und die Frau umwerfend gut (abgesehen davon, dass sie toll aussieht und unheimlich witzig ist). Für besonders heitere Stimmung sorgte übrigens ihr Cover-Song von Dolly Partons „Jolene“, bei dem doch der eine oder andere im Publikum mitsingen musste …
Dann ist es endlich Zeit für den Hauptact und wer gedacht hat, dass er dabei entspannen kann, hat die Rechnung ohne Gildenlöw gemacht. Denn er nimmt das Publikum auf eine abenteuerliche Reise durch das vielfältige Werk der Band. Man kann fast von Neu-Interpretationen reden, denn die Kreativität, mit denen altbekannte Songs wie z.B. „Falling Home“, „Ashes“, „Spitfall“ (Eminem lässt grüßen!) oder „Diffidentia“ neu arrangiert wurden, ist atemberaubend und genial. Hinzukommen noch einige Cover-Songs. Der erste ist Kris Kristoffersons „Help me make it through the night“, der von Daniel gemeinsam mit Anneke und einem der Árstíðir-Musiker auf der Couch dargeboten wird – inklusive Lach- und Kuschelanfällen (ich kann leider nicht sagen, welcher der fünf Árstíðir-Männer es war, denn er trug eine enorm große Perücke mit blonden Locken …). Wenig später gibt es eine absolut hirnverbrannte, aber göttliche Jazz/Reggae-Version von DIOs „Holy Diver“, die die Stimmung im Saal zum Kochen bringt. Richtig getanzt wird allerdings erst bei „Disco Queen“ (quasi DER „Dancefloor-Hit von PoS), und zwar sowohl vor als auch auf der Bühne, denn alle Musiker von Árstíðir und Anneke stürmen während des Songs die Bühne und tanzen sich auf den Tischen und Sesseln die Seele aus dem Leib! Noch ein Cover gibt es, und zwar „Dust in the Wind“ – mit Gildenlöws überirdischer Stimme: Zum Niederknien schön!
Konzerte von Pain of Salvations sind immer musikalische LSD-Trips, berauschend und bewusstseinserweiternd, aber man darf dabei nicht unerwähnt lassen, dass Daniel Gildenlöw auch ein begnadeter Alleinunterhalter ist. So erinnert er sich, wie er als Fünfzehnjähriger gepeinigt vom ersten Liebeskummer den schmalzigen Song „Second Love“ schrieb (ja, er ist schmalzig aber auch wunderschön). Herrlich, wie er sich über Textzeilen wie „you came like the wind“ und „night after night, the stars are shining so bright“ beömmelt, nur um den Song mit einer Innbrust anzustimmen, dass kein Auge trocken bleibt. Der emotionale Höhepunkt und gleichzeitig der Abschluss eines unvergesslichen Konzerts und einer fabelhaften Tour ist aber „1979″ aus dem letzten Album der Band. Für mich DAS heile-Welt-und-gute-Laune-Lied schlechthin Und während der ganze Saal jubelt, klatscht, glücklich lacht und die Chips-Tüte kreisen lässt, die Daniel neben sehr viel Obst im Publikum verteilt hat, lassen sich noch mal alle Musiker auf der Bühne feiern. Wer an diesem Abend nicht mit einem seligen Grinsen nach Hause geht, sollte dringend einen Arzt aufsuchen. Für mich bisher das Konzert des Jahres!