In ihrem neuen Album suchen Riverside eine Antwort auf die Frage nach ihrer eigenen Identität. Nach den beiden ersten Hördurchgängen findet man nur noch wenige Gemeinsamkeiten zu den ersten Alben. Riverside machen eine Entwicklung durch, überraschen im Opener auch mit elektronischen Klängen.
In 54 Minuten nehmen sie den Hörer auf eine Klangreise mit, singen über diese seltsamen Zeiten, in der wir uns alle gerade befinden. Sind wir noch authentisch oder spielen wir eine Doppelrolle?
Das Album selbst hat Live-Charakter, obwohl es sich um ein Studioalbum handelt. Dennoch ist die Dynamik ihrer Liveshows spürbar. Die Band nimmt aber Abschied von der Traurigkeit und Melancholie, welche die vergangenen Alben bestimmt hat. Das neue Album ist definitiv der Beginn eines neuen musikalischen Weges.
Die Band hat sich offensichtlich erholt vom Tod ihres Gitarristen Piotr (er starb 2016). Der bandtypische Rock-Metal-Klang ist zwar noch vorhanden, aber in einer überarbeiteten und dynamischeren Form. Die Band klingt auf dem neuen Album selbstbewusster, was dem Konzept und den Texten geschuldet ist.
Auffallend ist auch das neue grafische Design, das Cover erinnert an ein Graffiti. Es präsentiert perfekt das neue Konzept der Band und repräsentiert gleichfalls den früheren Stil der Band. Meine Anspieltipps: „Friend or Foe?“, „I’m done with you“. Das Album erscheint am 23. Januar 2023.
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In der CD-Ära, die inzwischen von der Streaming-Ära verdrängt wird, wurde der Abstand zwischen zwei Alben des gleichen Künstlers immer größer (wohl auch, weil man auf einer CD mehr Material als auf 2 LP-Seiten unterbringen kann), aber nicht so bei Steve Hackett. Er wirft mindestens eine neue CD pro Jahr auf den Markt, und wenn es mal nichts Neues gibt, dann werden eben die Genesis-Geschichten wieder neu zubereitet. Im Gegensatz zu Peter Gabriel, zu dem die obligatorische Bezeichnung Ex-Genesis-Singer schon lange nervt, ist der Verweis bei Steve Hackett, obgleich auch schon rund 45 Jahre Geschichte, sehr wohl angebracht, gehören doch die frühen Genesis-Werke zum festen Bestandteil seiner Werke.
Die Frage, ob man als Fan der frühen Genesis, eine Neuauflage des Live-Klassikers Second out braucht, stellt sich mir nicht. Das Original ist meine Lieblings-LP dieser Genesis-Ära und der nahezu 1:1 gelungenen Umsetzung von Steve Hackett und seiner Band ist es zu verdanken, dass mir dies erstens wieder bewusst wurde und zweitens, dass ich mir die verstaubte Original-LP (nur das Cover verstaubt!) wieder auflegte.
Bevor sich Hackett “Seconds Out” widmet, stehen 6 Titel aus seinem Solowirken, die es ebenso gut auf ein damaliges Genesis-Album hätten schaffen können („Every Day“ oder „Shadowofthe Hierophant“). Letzteres ist mit 11:02 nur unwesentlich kürzer als die „Cinema Show“. Aber dann geht es los, genau in der Reihenfolge, wie das Original-Album „Seconds Out“ 1977 erschienen ist, mit einer Ausnahme: Zwischen „The Cinema Show“ und „Dance on a Volcano“ fügt Hackett das Stück „AisleofPlenty“ ein, mit 1:32 das kürzeste Stück auf der Doppel-CD mit einer Laufzeit von 2 Stunden und 19 Minuten. Mein absoluter Favorit ist unverändert das über 25-minütige Supper’sReady“.
Was bringt es dem nicht unbedingten Fan dazu, sich dieses Album zuzulegen? Nun, auch wenn Hackett nahezu originalgetreu „Seconds Out“ aufführt, findet man dennoch einige Veränderungen bei genauem Hinhören. Zum Beispiel sind mehr Bläsereinsätze zu hören, ebenso weichen ein paar Soli vom Original ab oder werden zusätzlich eingestreut. Bei „Fifthoffifth“ wird auch das Intro mit dem Piano mitgeliefert und mein absoluter Lieblings-Genesis-Song „CarpetCrawlers“ (welcher auf meiner Original-Genesis-LP als „Carpet Crawl“ bezeichnet wird) wird komplett mit der ersten Strophe gespielt und das bereits weiter oben erwähnte „AisleofPlenty“.
Für mich ist diese Hackett-Werk kein Remake, sondern wie der Name „Revisited“ sagt, eine Rückkehr in die Zeit, als ich mich – auch von der Musik von Genesis inspiriert – für Musik zu interessieren begann. Ein melancholischer Farbtupfer, aber Hand aufs Herz: so oft wie sich „Seconds Out“ auf meinem Plattenteller drehte, wird es „Revisited“ niemals schaffen.
Bei dem Bandnamen „For Absent Friends“ kam mir auf Anhieb „Dinner ForOne“ in den Sinn. Und der Titel „Disappear“ passt thematisch auch zum Namen dieser holländischen Band, von der ich zum ersten Mal gehört habe.
For Absent Friends are:
Edwin Roes – guitars, keyboards
Hans van Lint – vocals, piano, keyboards
Ed Wernke – drums & percussion
Clemens Steenweg – piano, keyboards, organ, backing vocals
Jan Nieuwenhuis – bass guitars, bass pedal, backing vocals
Der Musikstil erinnert mich ein wenig an die alten Genesis, der Gesang teilweise an Rush (bei den hohen Tönen). Bei den Songs dominiert die Gitarre neben dem Gesang des Leadsängers. Einige Songs sind sehr folkig, eignen sich für das Durchfahren einsamer Präriestraßen vor der Kulisse eines Wim-Wenders-Filmes. Der Wechsel zwischen bzw. die Mischung aus Balladen und Rocksongs machen das Album aus. Jeder, der auf melodiöse Songs steht, dürfte an diesem Album seine helle Freude haben.
Meine Anspieltipps sind „Random Draw“ und „Keytar“, gefolgt von „58 People“, dem Titelsong „Disappear“ und „Dreamer“. Die Laufzeit der neun Songs beträgt 47 Minuten.
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Als “Take My Head” im Jahr 1999 erschien, liefen Archive noch völlig unter dem Radar. Die Band ist 1994 von Darius Keeler und Danny Griffiths gegründet worden und war zu Beginn ganz vom Style der Trip-Hopper Massive Attack beeinflusst. Die Mischung aus Rap und Alternative Rock erschien auf dem Debüt “Londinium” ganz gefällig, konnte sich aber nicht durchsetzen. Das zweite Album sollte dann viel melodischer und auch poppiger ausfallen als der Erstling.
Als Sängerin wurde Suzanne Wooder verpflichtet, die den Sound mit ihrer traditionellen musikalischen Ausbildung und ihrer melodischen Ausrichtung sehr harmonisch gestaltete. Hinzu kamen spannende sinfonische Elemente.
Dem Album war damals kein kommerzieller Erfolg beschieden. In Anbetracht der fantastischen Entwicklung, die das Soundkollektiv in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, ist es aber ein wichtiger Grundstein. Postrock, der virtuose Melodic Rock und die psychedelischen Elemente späterer Meisterwerke spielen auf “Take My Head” noch kaum eine Rolle und finden nur andeutungsweise statt. Doch es wäre zu kurz gegriffen, das Werk als reines Popalbum zu beschreiben – dafür ist es zu komplex.
Man nehme nur den dialogischen Start mit “You Make Me Feel”. Hart rockende Passagen und sanfter polyphoner Gesang geben sich die Klinke in die Hand. Allein die Mehrstimmigkeit in den Vocals gibt dem Song ordentlich Drive mit. “The Way You Love Me” hätte als Ballade funktionieren können, war aber alles andere als eingängig. “Brother” ist dann das erste Highlight, weil die Pianoakkorde Suzannes Vocals genügend Raum zur Entfaltung lassen.
“Well Known Sinner” hat eine sehr elektronische Seite, “Cloud In The Sky” driftet hingegen ins Orchestrale ab. Der Titeltrack “Take My Head” startet mit einem genialen Orgel-Stakkato, das in roboterhaft wiederholten Vocals aufgegriffen wird. Ein Song, der nervös machen kann, aber irgendwie auch genial rüberkommt. Die Vocals werden im Loop wiederholt und bauen ein Soundgemälde auf, dass sich in krachenden Instrumenten entlädt.
Mit “Love In Summer” und “Rest My Head In You” gibt es einen versöhnlichen, emotionalen Abschluss, der in den zweiminütigen Hidden Track “Home” mündet.
Für sich allein genommen ist “Take My Head” ein spannendes und innovatives Popalbum, das in weiten Teilen ganz auf Suzanne Wooders Stimme zugeschnitten ist. Im Backkatalog von Archive nimmt es aber nur eine untergeordnete Rolle ein. Trotzdem cool, dass es erstmals seit der ersten Veröffentlichung wieder auf Vinyl erhältlich ist. Die Platte wurde auf 180-Gramm-Vinyl in audiophiler Qualität gepresst.
2020 stiegen die Progmetaller CONCEPTION aus Norwegen nach über zwanzig ruhigen Jahren wie Phönix aus der Asche. Der neue Longplayer “State of Deception” hielt die für CONCEPTION typische Weite progressiver Sounds perfekt fest, vom symphonischen Melodrama bis zur Rockriff-Utopie. Die Euphorie war im Nachgang des aktuellen Albums so groß, dass Noise Records jetzt auch die vier genialen Alben aus den 90er Jahren neu auflegen – als CD Digipacks, auf Vinyl, jeweils mit bisher unveröffentlichten Bonustracks. Ein Fest für jeden Fan!
CONCEPTION wurde 1989 in Norwegen vom Dag Østby (Vocals), Tore Østby (Gitarre), Werner Skogli (Drums) und Freddy Samsonstuen (Bass) gegründet. Schon nach einem Jahr stieg Sänger Dag noch vor Erscheinen des Debütalbums aus und der kongeniale Roy Khan kam mit seiner Opernstimme ins Spiel, der nach dem Ende von CONCEPTION bei den US-Metallern KAMELOT tätig wurde.
Zunächst wollte man die aufkommende Thrashmetal-Welle reiten, doch nach und nach kristallisierte sich heraus, dass es in eine ganz andere musikalische Richtung gehen sollte. Das Line-Up wurde an den sich entwickelnden Musikstil angepasst und die lokalen Talente Arve Heimdal am Schlagzeug und Ingar Amlien am Bass verliehen der Band eine solide, groovy und einzigartig klingende Rhythmus-Fraktion. Zudem hatte man mit Roy jetzt einen Vokalisten, der kraftvoll und melodisch interpretierte und Bombast sowie Pathos den Boden bereitete.
“The Last Sunset” war das Debüt und erschien mit altertümlichem Bandfoto-Cover auf eigenem Label. Nach ersten Erfolgen wurde es von Noise Records mit alternativem Cover neu veröffentlicht. Das Album wartete noch mit einem sehr harten Sound auf, der die Wurzeln im Thrashmetal deutlich machte. Roy brachte aber schon seine persönliche, sehr melodische Note mit ein. Und gerade diese Mischung sorgte für Aufsehen und machte das Album so einzigartig.
Nach dem Intro “Prevision” liefert “Building a Force” den perfekten Einstieg, der ebenso machtvoll klingt wie es der Songtitel andeutet. “Bowed Down With Sorrow” und “Fairy’s Dance” bestechen durch ihre energische Dynamik. Es gibt aber auch akustische Gitarren und gar Flamenco-Einlagen von Tore Østby. Der Grundstein für einen ganz eigenen Sound war gelegt. Während Grunge langsam aber sicher die rockigen Charts beherrschte, gingen CONCEPTION einen ganz anderen Weg und schufen sich ein melodisches Alleinstellungsmerkmal.
Als Bonus gibt es mit der Neuauflage drei Demoversionen, die es nicht zur Songreife geschafft haben.
Das erste reguläre Album bei Noise Records war “Parallel Minds”. CONCEPTION hatten sich inzwischen zur formidablen Liveband entwickelt und gossen ihre Energie in neue Songs. Khan und Østby hatten sich endgültig als Songwriter-Duo gefunden, da der Sänger jetzt alle Lyrics lieferte.
Es ist ein druckvolles und zugleich melodisches Album in der Tradition des Powermetal. Zudem machte die instrumentale Brillanz es auch für Freunde von Progressive Rock und Progmetal gut hörbar. Die Gesangs- und Melodielinien variieren von majestätisch bis leidenschaftlich. Ein sporadischer Einsatz von Keyboards rundet den endgültigen Klangkosmos ab, mit dem sich CONCEPTION in der Szene etablieren. Vom rockigen “Roll the Fire” bis hin zum hymnischen Titelsong ist alles möglich.
Im Bonusbereich gibt es das Demo von “Silent Crying” und die genannten Stücke “Roll the Fire” sowie “Parallel Minds” in fulminanten Liveversionen.
Das dritte Album bietet wie der Vorgänger ein fantastisches Cover, das man sich am besten im LP-Format anschaut. Es ist komplexer und progressiver als die Vorgänger und orientiert sich hörbar an Bands wie Queensrÿche sowie den komplexeren Werken von Iron Maiden. Dabei ist es immer Khans Ausnahmestimme, die den Tracks einen besonderen Drive mitgibt.
“Missionary Man” und “Some Wounds” schaffen eine recht mystisch-geheimnisvolle Atmosphäre, während “A Million Gods” als Achtminüter sehr komplex und mit monumentaler Stärke daherkommt. Insgesamt ist “In Your Multitude” ein wirklich episches Album mit komplexen Songstrukturen, das man keineswegs auseinanderreißen darf und immer am Stück hören sollte.
Ergänzt wird der neue Release wieder von zwei Demoversionen, darunter der Titelsong, und vom Stück “Gravity”, das sich ursprünglich als Bonus auf der japanischen Fassung fand.
Bis zum vorläufigen Ende haben CONCEPTION konsequent den Zweijahresrhythmus eingehalten und so erschien auch “Flow” pünktlich im Jahr 1997. Doch musikalisch war plötzlich alles ganz anders, was man schon dem futuristischen Albumcover ansehen konnte. Plötzlich mischten sich elektronische Beats in die Tracks, ohne dass dies aber dem Hörgenuss schadete.
Schon der Opener “Gethsemane” kommt mit sphärisch sterilen Klängen und läutet damit das moderne Albumkonzept ein. Erst wenn Gitarre und Vocals einsetzen, hört man wieder den typischen CONCEPTION-Sound. Roy Khan hat dabei eine sehr erzählende Ausrichtung, die dem Album keineswegs schadet. Mit “Tell Me When I’m Gone” und “Would It Be The Same” geht es dann auch wieder in hart rockende Gefilde. Geheimnisvoll mit einer Mischung aus Synthesizerklängen und starken Riffs war das vorerst letzte Album der Band ein respektablrer Parforceritt, der das Ende der Band umso schmerzvoller machte.
Im Bonusbereich finden sich diesmal das Demo von “Cry”, der Song “Hand on Heart” von der japanischen Pressung und “Sundance”, das ursprünglich ein Bonus auf der “In Your Multitude” LP war.
Fotocredit: Larsen Lanhed
Zur Neuauflage kommen die genialen Macher nochmal selbst zu Wort:
Tore: “Die Band zusammenzustellen und sich gemeinsam auf diese musikalische Reise zu begeben war ein wahres Abenteuer. Mit einem gemeinsamen Drang zu entdecken und uns selbst und unsere Musik weiterzuentwickeln zeigt jedes Album ganz klar die verschiedenen Phasen, die wir von Album zu Album durchlaufen haben. Wir sind heute genauso stolz auf jedes Album wie an den Tagen, als wir die Arbeit an ihnen abgeschlossen haben.”
Roy: “Es hat über die Jahre eine wachsende Nachfrage nach unseren ersten Alben gegeben und wir sind sehr froh, sie in Kooperation mit BMG endlich verfügbar machen zu können. Außerdem freuen wir uns sehr, in diesem Paket auch einige sehr alte Demos und bisher unveröffentlichte Songs aus den absoluten Anfangszeiten von Conception zu veröffentlichen. Diese frühen Demos demonstrieren noch eindeutiger die Reise und Entwicklung der Band vom Anfang bis dahin wo wir heute stehen. Viel Spaß damit!”
Alle vier Alben aus den 90ern seien versierten Metallern ans Herz gelegt. Wer CONCEPTION bisher noch nicht entdeckt hat, sollte jetzt schleunigst zuschlagen. Skandinavische Bands waren schon immer eine Wucht und sind es bis heute.
Long Distance Calling aus Münster ist keine Band, die dem Zeitgeist hinterherläuft – im Gegenteil. Ihr siebtes Album “How Do We Want To Live” entstand vor der Pandemie und nahm fast schon prophetisch vorweg, was uns die nächsten Monate und Jahre beschäftigen sollte. Mit düsterem, instrumentalem Postrock ist das Quartett aus David Jordan und Florian Füntmann an den Gitarren, Jan Hoffmann am Bass und Janosch Rathmer am Schlagzeug seit Jahren an der Speerspitze progressiver Rockmusik aus Deutschland präsent. Zwischenzeitlich gab es immer mal wieder vokale Beimischungen und über einige Jahre gar einen Sänger, doch in den letzten Jahren hat man sich ganz der instrumentalen Musik verschrieben. Manche mag das abschrecken, doch ich kann euch versichern: Man vermisst weder Vocals noch Texte. Die eindringlichen Stücke sprechen für sich und die Themen ergeben sich aus Songtiteln, Melodien sowie strukturellen Elementen.
“How Do We Want To Live?” erreichte 2020 aus dem Stand Platz 7 der deutschen Album Charts. Da die Band aus bekannten Gründen nicht in der Lage war, ihre neue Musik direkt unter die Leute zu bringen, beschloss man stattdessen, sich erneut in den kreativen Prozess zu stürzen. Zunächst entstand in einem abgelegenen Landhaus die Jam EP “Ghost”, die 2021 über das bandeigene Label Avoid The Light Records erschien und physisch nur exklusiv im Bandshop erhältlich war. Dafür startete die Band eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne, um die Produktion zu finanzieren. Das Konzept folgte der Idee der 2014 erschienen “Nighthawk” EP: Keine Vorbereitung, kein doppelter Boden. Nur eine Band, die zusammen aus dem Nichts Musik entstehen lässt, indem sich die Musiker in einer dreitägigen Jamsession Ideen zuwerfen, um damit zu spielen und diese direkt für die Ewigkeit festzuhalten. Experimentierfreude führte zu voluminösen Soundmalereien.
Und die Ideen gehen nicht aus. 2022 erscheint mit “Eraser” endlich wieder ein vollwertiges Album. Das Endergebnis der neuen Kreativität ist sicherlich dazu bestimmt, eine der großen progressiven Platten des Jahres zu werden. Das achte Album von Long Distance Calling widmet sich erneut einem brandaktuellen Thema, als habe man die gegenwärtige gesellschaftspolitische Diskussion um Klimawandel und Zerstörung der Natur vorweg genommen. “Eraser” ist eine direkte und herzliche Hommage an die allmähliche Erosion der Natur. Das auslöschende Element ist nicht – wie in so vielen SF Filmen – eine von außen kommende Katastrophe oder gar eine außerirdische Invasion, sondern natürlich der Mensch selbst, wie im letzten Track des Albums dargestellt.
Fotocredit: Andre Stephan
Die Band hat das Album den gefährdeten Tierarten der Welt gewidmet, wobei sich in jedem Song musikalische Elemente wiederfinden, die auf ein vom Aussterben bedrohtes Lebewesen Bezug nehmen. Man nehme nur die Trägheit des Faultiers im psychedelischen “Sloth”, den Vogelflug im hymnischen “Giants Leaving” und die hektisch wirbelndenen Honigsammler in “Blood Honey”. Vom majestätischen Raubtier in “Landless King” ganz zu schweigen. Die Ideen sind einfach genial umgesetzt.
Während das in Ansätzen recht poppige “How Do We Want To Live” mit sphärischen Klangteppichen und einem elektronischen Wall of Sound ausgestattet war, geht es auf “Eraser” in eine hart rockende Richtung. Endlich wieder! – so möchte man sagen. Dominante Gitarren, starke Riffs und ein fetter Groove bereiten handwerklich perfekt den Boden für 57 eindringliche Minuten, die dem geneigten Hörer die Ohren schlackern lassen. Vom Konzept her erinnert die Idee an ein Klassik-Album wie “Karneval der Tiere” (Camille Saint-Saëns) wobei die Vielfalt der Instrumente bei Long Distance Calling durch einen extrem vielseitigen Klangkosmos ersetzt wird.
Das kurze Intro “Enter: Death Box” kommt mit einer melancholischen und zu Herzen gehenden Pianomelodie. “Blades” ist dem Nashorn gewidmet und bietet ein Riffgewitter mit polyrhythmischem Schlagzeug und starken Akzenten im Bass. So geht es weiter zu anderen Tierarten wie dem Gorilla, dem Grönland Hai, Faultier, Albatros, Biene und Tiger. Zwischenzeitlich durchbrechen melodische Elemente die bedrohliche Kulisse. Jojo Brunn ist mit Pianoklängen am Start, auch Violine, Cello, Posaune und Trompete treten akzentuiert in Erscheinung. So entsteht eine emotionale Standortbestimmung der Extraklasse. Das epische Ende bildet natürlich der “Eraser”, der Mensch. Hier wird nochmal alles an Klangfülle, Bedrohlichkeit und Zerstörungskraft zusammengefasst, um einen wahrlich cineastischen Showdown zu ermöglichen, der aber auch die Melancholie der genannten Streichinstrumente impliziert. Alles in allem haben Long Distance Calling eine wild beschwörende und vielfältige Sammlung von Songs geschaffen. Knisternd vor Live-Energie, aber so nuanciert und atmosphärisch wie alles in ihrem Katalog, ist das Album ein weiterer kühner Schritt für diese höchst eigenwillige Band.
Ganz konsequent verfolgen Band und Label auch für die Vinylproduktion ein umweltfreundliches Konzept. Das Album ist als “Recycled Vinyl“ erhältlich, hergestellt aus 100% recyceltem Farbvinyl – jede LP ist somit ein Unikat und ich kann euch versichern, dass die “Clear Blue” ein echtes Kunstwerk ist und wunderschön aussieht! HIER kann man diverse Formate vorbestellen. Das Albumcover zeigt eine nachempfundene “Earth’s Black Box”. Die Earth’s Black Box – von australischen Wissenschaftlern der Universität von Tasmanien zusammen mit Künstlern und Architekten entwickelt – sammelt Umweltdaten zur Klimakrise auf einer riesigen Festplatte. Aus diesen Daten sollen zukünftige Generationen bei einem Umweltkollaps der Erde lernen. Wäre vermutlich auch sinnvoll, dieses geniale Album digital hinzuzufügen und für die Nachwelt zu erhalten.
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Ein gelungenes Solowerk hat der als Keyboarder bei „Spocks Beard“ bekannte RyoOkumoto mit „The Myth oft he Mostrophus“ vorgelegt. Freunde der Prog-Musik dürften voll auf ihre Kosten kommen, zumal namhafte Musiker an dem Album mitgewirkt haben und zu hören sind, wie Steve Hackett (Genesis) und unverkennbar Michael Sadler (Saga).
Die sechs Titel der knapp über eine Stunde dauernden CD, auf deren Cover ein feuerspeiender Godzilla durch eine postapokalyptische Landschaft trampelt und jedem Zweifelnden klarmacht, dass es sich bei RyoOkumoto um einen Japaner handelt, machen Hoffnung auf einen Klangkosmos mitreißender Longtracks. Da ist bei Weitem kein Song in Sicht, der an die radiotauglichen dreieinhalb Minuten heranreicht. Mit 6:25 ist „The Watchmaker“ noch der kürzeste Track auf dem Album. Über ein Drittel der Spielzeit geht auf das Konto des Schluss- und Titeltracks „The MythoftheMostrophus“.
Diese CD voll sattem, dynamischem Sound und einprägsamen Synthiepassagen kann man gerne mehrmals hintereinander hören und entdeckt bei jedem Durchgang neue Nuancen. Der Schlusssong, gleichzeitig auch mein Lieblingssong, wartet mit eingestreuten Akustikgitarren auf, außerdem erklingen Violinen, ein Saxophon und ein Piano.
Beim Versuch „Mostrophus“ zu googeln, fand ich keinen Hinweis außer dem Verweis auf dieses Album. Wahrscheinlich entstammt „Mostrophus“ nicht der griechischen Mythologie, sondern fußt auf der Idee des Künstlers bei der Schaffung einer Godzillaähnlichen Kreatur.
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Tim Bowness ist Mitglied der Band No-Man, welche stark mit Steven Wilson verbandelt ist, und so verwundert auch nicht, dass „Butterfly Mind“ von Wilson produziert wurde und seine Handschrift trägt.
Das Cover, finde ich, hat eher Ähnlichkeit mit einer Panzersperre als mit einem Schmetterling. Sperrig ist das Album jedoch keineswegs. Die Texte von Bowness‘ Soloprojekt sind tiefgründig. Unterstützt wird er von zahlreichen namhaften Gastmusikern.
Herausgekommen sind epische, gefühlvolle Balladen mit teils cineastischen Breiten. Was mich stört, ist der Anteil von Elektro in den Songs. Tim Bowness hat für meinen Geschmack auch nicht die Stimme, der man länger zuhören möchte. Er singt seine Songs nicht, sondern er spricht sie mehr. Vielleicht auch deshalb war ich nicht enttäuscht, dass die elf Songs in 44 Minuten durchgehört waren.
Mit den Texten muss man sich näher befassen, die Songs selbst eignen sich zum Hören als Hintergrundmusik. Mir fehlen hier echte Höhepunkte oder musikalische Spannungsbögen.
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Wieder eine neue Heavy Metal Band aus Schweden. Ein wenig erinnert sie mich an Europe, wobei der Sänger in einem atemberaubenden Tempo singt, als sei die Viper persönlich hinter ihm her. Songs wie „Slow me down“, „Straight for the Kill“, „Danger“ oder „Cold as Ice“ sowie der Albumtitel „Eat your Heart out“ geben die Richtung vor und erinnern mich vom Sound her dann doch eher an Rainbow oder W.A.S.P.
Die starken Riffs und üppigen Leadgitarren entführen den Hörer in die goldenen Achtziger des Hard Rock. Auf Dauer klingt mir das alles aber doch zu hektisch, wenngleich ich der Band ein ausgeprägtes Gespür für tolle Refrains und starke Riffs mit Durchschlagskraft attestieren kann. Für ein Erstlingswerk sind die elf Songs (48 Min.) beachtlich. Sie klingen retro und müssen den Vergleich mit etablierten Bands nicht scheuen.
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Crystal Palace wurden Anfang der 90er Jahre in Berlin gegründet. Das einzige verbliebene Gründungsmitglied ist heute Yenz Strutz, der ursprünglich nur am Bass auftrat. Anfang 2000 übernahm Yenz auch die Gesangsrolle. Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit zwischen den Musikern wurde viel herausragendes Material geschaffen, so dass die Band Anfang 2013 mit der Aufnahme des Albums “The System of Events” beginnen konnte. 2016 wurde das bis dahin erfolgreichste Album der Band namens “Dawn Of Eternity” veröffentlicht. Damit erreichte man Platz 17 in den internationalen AOR-Charts. Das nächste Album “Scattered Shards” erschien im Frühjahr 2018. Diesmal blieb die Besetzung von Crystal Palace dieselbe, aber die Band wechselte das Label und entschied sich für Progressive Promotion Records. Dort erscheint nun auch “Still There” – das erste echte Konzeptalbum der Berliner Band.
Konzeptalben spielen gerne mal eine Schlüsselrolle im Katalog einer Progband. Man nehme nur “Brave”, das Marillion nach dem Wechsel des Frontmanns Anfang der 90er Jahre den ersten Kick für neue Höhenflüge gab. Und der Vergleich zu “Brave” kommt auch bei “Still There” gar nicht von ungefähr. Beide Alben wurden nämlich von einem Bericht über den Selbstmord einer jungen Frau inspiriert. Die Songwriter machten sich Gedanken um die Hintergründe und woben daraus eine spannende Geschichte.
Bei Yenz und Crystal Palace geht es um den Tod einer jungen Engländerin im Jahr 2014 am Berliner Müggelturm. Diese hatte beim Hinaufsteigen die Worte “Still There” an eine Wand geschrieben und Yenz hatte die Inschrift gesehen, ohne zu diesem Zeitpunkt etwas vom Tod der Frau zu ahnen. Das sind bewegende Eckpfeiler, um daraus eine spannende Geschichte zu weben und diese in sphärische Musik zu packen. Es gibt einen imaginären Freund, einen Abschiedsbrief an die Mutter, viele Emotionen. Letztlich sieht die Protagonistin keinen Platz mehr für sich im Leben und wählt das Ende.
Das Album bietet starke Melodien und ausufernde Soli. Man braucht sich nur die Titelliste (siehe unten) anzuschauen, um der dramatischen Geschichte zu folgen. Schon im Eröffnungssong geht es um die 126 Stufen, die den Turm hinaufführen. Dabei ist das Album absolut nicht songorientiert. Vielmehr ist es eine große Suite, in der die einzelnen Tracks oft ohne Übergang aufeinander treffen.
Crystal Palace sind in dieser Besetzung einfach eine Urgewalt der deutschen Progressive Rock Szene. Sicher nicht mehr die jüngsten, aber voller musikalischer Kreativität. Gitarren und Keyboard sprechen von viel Erfahrung. Und die Rhythmusfraktion ist allererste Sahne. Mit großer Leidenschaft wird eine ausufernde, 76minütige Geschichte erzählt. Lyrics und Musik greifen perfekt ineinander – man nehme nur den inneren Dialog, den die unverstandene Tochter in “Dear Mother” mit ihrer Mutter führt. Solche Momente machen die Story überaus lebendig und halten den Hörer bei der Stange. Auch wenn man sich mal in epischen Passagen und sphärischen Klängen verliert, wird die Erzählung doch nie aus den Augen gelassen.
Ich bedaure ernsthaft die jungen Menschen, deren musikalisches Geschehen sich auf eine um Einzelsongs wachsende Playlist dreht. Sie werden nie erfahren, wie stark und bewegend es sein kann, eine philosophisch anmutende Geschichte über ein Konzeptalbum näher gebracht zu bekommen. Crystal Palace haben hier definitiv ihr Meisterstück abgeliefert. Elegisch und filigran!
Tracks Listing
1. 126 Steps
2. Leaving This Land
3. A Plan You Can‘t Resist
4. Winter‘s End On Water
5. Dear Mother
6. Planned Obsolescence
7. Orange Popsicle Sky
8. Shadows
9. A Scream From The Wall
10. These Stairs
11. The Unquite Window
12. Still There
Line-up
– Nils Conrad / guitars
– Frank Köhler / keyboards
– Jens Uwe Strutz / bass, vocals
– Tom Ronney / drums
– Roxy Köhler / Erzähler
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Wenn es eine meiner proggigen Lieblingsbands gibt, von denen ich in früheren Jahren nicht unbedingt ein “Acoustic Album” erwartet hätte, dann sind es definitiv GROBSCHNITT. Von 1970 bis 1989 und von 2006 bis 2012 hat die Band in verschiedenen Formationen bestanden. Und seit 2019 ist GROBSCHNITT wieder in einer kleinen Besetzung aktiv: Lupo, Willi Wildschwein und dessen Sohn Nuki treten mit einem akustischen Programm auf. Die “Grobschnitt Acoustic Party”-Tournee wurde 2020 durch die COVID-19-Pandemie unterbrochen, doch aktuell und pünktlich zum Erscheinen des akustischen Albums ist man wieder live unterwegs.
Das vorliegende Studioalbum gibt mit 13 Songs in abendfüllenden 74 Minuten einen Eindruck davon, was einen bei den Konzerten erwartet und wie die Band ihre floydesken und psychedelischen Klänge in akustischer Trio-Besetzung umzusetzen vermag. Wildschweins Vocals, drei Gitarren und Nukis Percussion-Elemente erzeugen einen Sound, der die komplexen Kompositionen, die oft von ausschweifenden Improvisationen gelebt haben, auf das Wesentliche reduziert.
Die Albumlänge sagt es schon aus: Natürlich muss kein Fan auf die beliebten Longtracks verzichten. Die beliebte Hymne “Vater Schmidt’s Wandertag” darf natürlich in fast elf Minuten ausgiebig begangen werden. Alle Studio-Alben aus der Zeit von 1972 bis 1987 sind mit je ein bis zwei Nummern vertreten – von “Wonderful Music” vom 1972er-Debüt über deutsch gesungene Titel von “Jumbo” (1976) oder “Anywhere” vom Konzept-Klassiker “Rockpommel’s Land” (1977) bis hin zu “Der Weg nach Haus” vom bisher letzten Studioalbum “Fantasten” (1987). Aber auch so bekannte Longplayer-Songperlen wie “Drummers Dream” (1974) und “Könige der Welt” (1984) fehlen nicht.
Es ist erstaunlich, wie die ehemals für die große Bühne konzipierten Songs auch in diesem intimen Rahmen funktionieren. Das Trio versteht es bestens, den Geist von Grobschnitt am Leben zu erhalten ohne wieder in die instrumentale Superlative zu verfallen. Verschnörkelte Gitarrenmelodien reichen vollkommen aus, um den progressiven Grundton durchgehend zu treffen. Und “Anywhere” ist einfach in jeder möglichen Version eine Perle.
„Eigentlich hatten wir überhaupt nicht geplant, ein akustisches Studioalbum aufzunehmen. Vielmehr wollten wir in bester Grobschnitt-Tradition ein Akustik-Livealbum veröffentlichen. Aufgrund der Pandemie und der damit auf unbestimmte Zeit verordneten Konzertpause, haben wir uns dann aber für die Studiovariante entschieden“, sagt Lupo. Klar hätten die Fans auch ein Livealbum gefeiert. So ist es halt ein Studiowerk geworden, dass perfekt auf die kommenden Konzerttermine einstimmt.
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Der Einstieg ins neue Album von Pure Reason Revolution zieht mich sofort in den Bann. Was nach der Reunion mit „Eupnea“ begann, findet mit „Above Cirrus“ einen starken Nachfolger, der von der ersten bis zur letzten Minute überzeugt.
Pure Reason Revolution machen einen weiteren Schritt nach vorne, obwohl sie zu ihren frühesten Einflüssen zurückkehren, als ich sie im Vorprogramm von Porcupine Tree live in Offenbach gesehen habe. Der Hörer dringt tief in atmosphärisch-cineastische Psych-Prog-Kompositionen ein. Basierend auf dem Kerntrio Jon Courtney, Chloe Alper und Greg Jong gelingt es dem neuen Album, die Klangpalette der Band noch weiter zu erweitern.
Fotocredit: Greg Jong
Es fällt schwer, einen der sieben Songs (46 Minuten) hervorzuheben. Mit knappem Vorsprung würde ich die beiden ersten Songs „Our Prism“ und „New Kind of Evil“ favorisieren, da meiner Meinung nach gegen Ende des Albums die Spannung ein wenig abfällt. Dennoch würde ich „About Cirrus“ als das beste aller bisherigen Pure Reason Revolution-Alben bezeichnen.
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Wow. Beim ersten Anhören schwere Kost. Nicht immer folgt ein Refrain auf eine Strophe. Der Songaufbau entspricht weder einem Pop- noch Rockalbum, was das neue Meisterwerk von Archive auch gar nicht sein will. 104 Minuten reist die Band durch 17 Songs und Klangwelten durch dieses – ist es überhaupt ein Konzeptalbum? Da bin ich mir nicht sicher. Kein Song ähnelt dem anderen, so dass der seidene Faden wie ein Axiom fehlt.
Einer der Frontmänner der zehnköpfigen Band, Darius Keeler, nennt als Referenzwerk das Album “Mellon Collie andthe Infinite Sadness” von den Smashing Pumpkins. Die inhaltliche Ausrichtung spannt jedoch einen weiten Bogen von ausgetüfteltem Progrock der Achtziger über Indierock zur Elektronikmusik. An manchen Stellen kommen mir auch Radiohead oder die Sparks in den Sinn. Als Beispiel für Letztere hält “Freedom” her, womit die zweite CD beginnt.
Fotocredit: Paul Spencer
Dieses Album ist eine Reise. Die dunkle Unterströmung treibt von Anfang an an und baut sich mit einer progressiven, absorbierenden Dynamik auf, die dann in eine wunderschöne Einfachheit umschlägt und dem Album einen unwiderstehlichen Kontrast verleiht, der uns an die tieferen, dunkleren Zeiten erinnert, aber auch an die Momente der Ruhe, die uns oft durch die harten Realitäten aufgedrängt werden! Eine seltsame, zuweilen beunruhigende Inspiration. Hier wird Musik zur Kunst erhoben. Es scheint, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt, aber es gibt immer Schatten in diesem Licht. Paradies und Hölle liegen eng beieinander. Ein aktueller Bezug eröffnet sich mit dem Krieg in der Ukraine und zu Corona (Lockdown), wobei Ersteres bei Fertigstellung des Albums noch eine Utopie war. So wie die Songs an manchen Stellen frustrieren, so sorgen sie an anderer Stelle für Aufbruchstimmung.
Die Veröffentlichung von “ShoutingWithin” folgt auf die Veröffentlichung des über 14-minütigen (!!!), epischen und doch eindringlichen “DaytimeComa”, der ersten Single des Albums. Die Band schielt keinesfalls auf die Charts, mit einer fast viertelstündigen Single gleicht das eher einer Kampfansage dem Mainstream.
Nach mehrmaligem Hören erschließt die Reihenfolge der Songs einen Sinn. Sie sind nicht zufällig so platziert. Einige Songs entfalten ein an Sonic Youth erinnerndes Staccato, ohne zu kopieren.
Das Album erweckt bei mir den Eindruck, über zwei Stunden lang zu sein. Trotzdem ist es kurzweilig und vor allem abwechslungsreich. Wer Musik abseits ausgetretener Pop- und Rockpfaden sucht, ist mit “Call to Arms and Angels” bestens bedient. Nicht grundlos wurde das Album von der Musikzeitschrift eclipsed zum Album des Monats April 2022 gekürt.
Das inzwischen 12. Album von Archive, “Call to Arms and Angels”, ist mein absolutes Lieblingsalbum der Band, allerdings brauchte es dazu ein dreimaliges Anhören.
Für viele Fans ist das achte Album der Kanadier RUSH, das im Jahr 1981 erschien, ihr bestes Werk. Gerade erst war mit “Permanent Waves” ein überaus erfolgreiches Album der Band mit Geddy Lee, Alex Lifeson und Neil Peart erschienen und man wollte dem eigentlich ein Livealbum folgen lassen, doch dann nahm die überbordende Kreativität überhand. “Tom Sawyer” und “Limelight” wurden bereits vor den Albumaufnahmen ins Liveprogramm aufgenommen. Die LP erreichte Platz 1 in den kanadischen Charts sowie Platz 3 in den amerikanische und britischen Charts.
Markenzeichen des Albums sind die genialen Synthesizer-Einlagen, die Anfang der 80er Jahres ihres Gleichen suchten. Doch das war nicht alles. Ein Instrumental wie “YYZ” war ein genialer Schachzug, wurde doch der Morsecode für den Flughafen Toronto in den Song eingebaut, der der Band gar eine Grammy-Nominierung einbrachte. Dazu kommen ein Rocksong wie “Limelight” und das epische “The Camery Eyes” mit elfminütiger Überbreite, aufgeteilt in “Part I, New York” und “Part II, London”.
Mit “Moving Pictures” schafften RUSH den verspielten Sprung ins neue Jahrzehnt und das Ergebnis klingt auch nach vierzig Jahren verdammt zeitlos. Kein Wunder, haben sie doch dem Stadionrock der 80er Jahre den Weg geebnet und waren ein Vorbild für den neuen Sound von Genesis oder für die Supergroup ASIA.
Mir liegt zur Review die 3CD-Version mit einem fulminanten Livekonzert vor, das am 24. und 25. Mäez 1981 in der Heimatstadt Toronto mitgeschnitten wurde. Allein dieses Konzert, das mit der Ouvertüre von “2112” beginnt und das Gesamtwerk von RUSH nach zwölf Jahren Bandkarriere perfekt zusammenfasst, ist den Kauf der “40th Anniversary Edition” wert – zumal es bisher keine offizielle Veröffentlichung besagten Mitschnitts gibt.
Kenner bekommen aber bei hinreichenden Möglichkeiten ihres Geldbeutels ein ganz anderes Rundum-sorglos-Paket: Die Super Deluxe Edition vereint drei CDs, eine Blu-ray Audio-Disc sowie fünf Heavyweight-LPs (schwarz, 180g). Die vierte Disc ist die Blu-ray-Audioversion des Originalalbums – neu abgemischt von den Originalbändern in Dolby-Atmos-Sound sowie in Dolby TrueHD 5.1 und DTS-HD Master Audio 5.1 Surround Sound. Außerdem sind auf der Blu-ray vier Bonusvideos enthalten und alle 180-Gramm-LPs der Super Deluxe Edition wurden mittels Direct to Metal Mastering (DMM) in halber Geschwindigkeit auf audiophiles Vinyl geschnitten.
Das Package enthält außerdem eine ganze Reihe von exklusiven Specials: Ein 44-seitiges Hardcover-Buch mit unveröffentlichten Fotos und neuem Artwork des ursprünglichen Sleeve-Designers Hugh Syme sowie neue Illustrationen zu jedem einzelnen Song. Dazu gibt es ausführliche Liner Notes von Kim Thayil (Soundgarden-Gitarrist), Les Claypool (Primus-Bassist/Sänger), Taylor Hawkins (Foo Fighters-Schlagzeuger), Bill Kelliher (Mastodon-Gitarrist) und Neil Sanderson (Three Days Grace-Schlagzeuger).
Abgerundet wird das massive Bonuspaket durch ein rotes Barchetta-Modellauto (Aufsteller) mit MP40-Nummernschild, zwei Signature-Schlagzeugsticks von Neil Peart (MP40-Logo), zwei in Metall geprägte Gitarrenplektren mit eingeprägten Unterschriften von Geddy Lee und Alex Lifeson, einen Nachdruck des offiziellen Tour-Programms von 1981, eine Emaille-Anstecknadel mit dem MP40-Logo, eine 3D-Lentikular-Lithographie, ein großes Konzertposter (Toronto 1981), einen Nachdruck des Konzerttickets zur Maple Leaf Gardens-Show 1981, ein Poster “Rush Through The Years 1973-1981”, einen YYZ-Gepäckanhänger und einen “All Access World Tour ’81”-Einleger. Der gesamte Inhalt ist in einer hochwertigen Lift-Top-Box untergebracht, auf der das grandios neu interpretierte Cover-Artwork von Hugh Syme zu sehen ist.
Ein Progalbum, das ich mir nur auf Empfehlung angehört habe. Bislang kannte ich die schwedische Band Kaipa nur vom Namen oder kleinen Erwähnungen in der Musikzeitschrift eclipsed, die mich jedoch nicht neugierig machen konnten.
Habe mich beim Hören schlaugemacht und herausgefunden, dass es Kaipa bereits seit fast 50 Jahren gibt. Wie eine Rentnerband hören sich die Schweden allerdings keineswegs an. Nachdem man zunächst Alben in schwedischer Sprache veröffentlicht hat, ging man Anfang des Jahrtausends in Englisch über. Dennoch erschienen 2012 bzw. 2014 mit “Vittjar” und “Sattyg” wieder Alben in Muttersprache.
Beim aktuellen Album “Urskog” ist zumindest der Titel und gleichnamige Song schwedisch. Gemeint ist damit eine von Menschenhand unberührte Waldlandschaft. Wenn man das Album hört, wird man auf eine atemberaubende Reise durch diese Landschaft mitgenommen. Man könnte das Album auch als Soundtrack mitnehmen bei einem Ausflug in die Wildnis. Zeitweise erinnert mich der Sound ein wenig an die Flower Kings, meistens aber finde ich, klingt die Band überhaupt nicht wie ihre nordischen Mitstreiter. Einige Songs werden von der Fiedel dominiert, der Sound macht dann KANSAS alle Ehre.
Die Songs passen auch vom Titel her zur Natur Schwedens. Sie heißen übersetzt unter anderem “Der gefrorene Tod der Nacht”, “In einer Welt von Pinien”, “Wildnis-Exkursion”. Ein geeignetes Album, um die Musik von Kaipa näher kennen zu lernen.
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Gewohnte Kost von den Flower Kings, die wie üblich die Handschrift von Roine Stolt trägt. 18 Songs tragen den Hörer durch eine über anderthalb Stunden dauernde Klangreise. Der kürzeste ist Song 17, “Shrine”, mit 1:08, der längste Song 3, “Blinded”, mit 7:45 Minuten.
Fotocredit: Lillian Forsberg
Ich bin kein ausgewiesener Fan der Band, trotzdem habe ich mir das Album gerade zum dritten Mal angehört. Es ist einfach faszinierend zuzuhören, wenn sich kreativ, blumig und kraftvoll Folk, Symphonic Rock, Elektronic, Jazz, Blues, Funk und der Prog der 1970er verschmelzen. Die epischen Texte tragen ihren Teil zur kurzweiligen Klangreise bei. Das Line-Up ist dank etlicher Gastmusiker länger als die Playlist. Wie bei Progtiteln nicht ungewöhnlich gefallen mir die längeren Stücke besser als die kürzeren.
Anspieltipps: der Opener “The Great Pretender”, “Blinded”, “A Million Stars”, “Revolution” und “Open your Heart”.
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1. The Great Pretender (6:55)
2. World Gone Crazy (5:04)
3. Blinded (7:45)
4. A Million Stars (7:11)
5. The Soldier (5:23)
6. The Darkness In You (5:13)
7. We Can Make It Work (2:48)
8. Peacock On Parade (5:15)
9. Revolution (5:59)
10. Time The Great Healer (6:12)
11. Letter (2:25)
12. Evolution (4:47)
13. Silent Ways (5:01)
14. Moth (4:31)
15. The Big Funk (4:39)
16. Open Your Heart (5:17)
17. Shrine (1:08)
18. Funeral Pyres (7:14)
Die dänischen Progressive Metaller von VOLA gehören zu den Aufsteigern des vergangenen Jahres. Ihr Album “Witness”, das vor gut einem Jahr erschien, war der bisherige Höhepunkt ihrer Diskographie und überzeugte mit einem gelungenen Stilmix aus Progressive Rock, modernem Elektro, Industrial und Extreme Metal. Markenzeichen sind die klaren und emotionalen Gesangslinien von Asger Mygind, die auch gerne mal aggressiv durchbrochen werden.
Der neue Release “Live from the Pool”, der als CD/Blu-ray erscheint, ist ein atmosphärisches Meisterwerk, das genau zur richtigen Zeit in den Handel kommt. Hier konnte man nämlich die Qualitäten aus drei hervorragenden Alben in einem Konzert zusammenfassen, das seinesgleichen sucht.
Im September 2021 spielten VOLA eine intime Streaming-Show in einer atemberaubenden Live-Umgebung. “Live From The Pool” fand im Schwimmbad des verlassenen Militärlagers Auderød auf Nordseeland in der Nähe von Kopenhagen statt. Das von dem weltberühmten Architekten Henning Larsen entworfene Gebäude ist heute Teil des Auderød-Naturparks. Ein Ort, an dem die Natur auf die Geheimnisse eines ehemaligen Militärstützpunktes trifft, der darauf wartet, erkundet zu werden.
Die Show bietet unglaubliche Performances aus ihrem Backkatalog, darunter “Alien Shivers”, “Stray The Skies”, “Whaler”, “Ghosts” sowie Songs aus ihrem aktuellen Album. Das Ambiente des verlassenen Schwimmbeckens, das zum Teil von der Natur zurückerobert wurde, verleiht der Show die Düsterheit von Lost Places. Die mystische Lightshow mit Laser- und Stroboskop-Effekten gibt eine beeindruckende Atmosphäre dazu.
Bassist Nicolai Mogensen sagt zur Show: “Die Idee zu ‘Live From The Pool’ entstand in einer Zeit, in der es besonders schwer war, eine Band mit einer internationalen Fanbase zu sein. Da die Covid-19-Pandemie Live-Shows und Tourneen praktisch unmöglich machte, waren wir gezwungen, sorgfältig und kreativ darüber nachzudenken, wie wir unsere Zuhörer auf neue Weise erreichen können. Wir wollten etwas Spektakuläres machen, das nicht wie ein Kompromiss aussah – und mit viel Hilfe von talentierten Leuten ist es uns gelungen, ein außergewöhnliches Online-Konzerterlebnis zu schaffen. […] Wir haben das gesamte Konzert, das sowohl neues als auch altes Material enthält, in einem verlassenen Hallenbad mit fünf Kameras und einer Drohne gefilmt, wobei die Szenerie von einer wunderschönen Lichtinstallation beleuchtet wurde, die von dem dänischen audiovisuellen Künstlerkollektiv Vertigo speziell für diese Show angefertigt wurde.”
Wer diese fantastische Band bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, sollte sich von dem Live-Release überzeugen lassen. Visuell und auditiv ist das Konzert ein Hochgenuss, der sowohl Fans der härteren Klänge von Opeth und Porcupine Tree, aber auch des Artrock von Riverside und Anathema beglücken wird. Hier werden die besten Elemente der progressiven Genres unter einen Hut gebracht. Chapeau!
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In den letzten 50 Jahren war Bill Bruford einer der originellsten und innovativsten Schlagzeuger in den unterschiedlichsten musikalischen Genres. Die neue 6CD-Box „Making A Song and Dance: A Complete-Career Collection”, die am 29. April von BMG veröffentlicht wird, präsentiert zahlreiche Höhepunkte aus Brufords großartiger Karriere.
Von seinen Anfängen bei der Progressive Rock-Legende YES über ein Vierteljahrhundert bei King Crimson bis hin zur bahnbrechenden Jazz-Fusion, die er mit seinen eigenen Projekten Bruford und Earthworks realisierte, wollte Bill Bruford stets die Grenzen der von ihm gewählten Disziplin voll ausloten – und weiter ausreizen. Dieser Wunsch, Konventionen in Frage zu stellen, ermöglichte einige atemberaubende Momente. Bruford avancierte zu einem der gefragtesten Schlagzeuger für die Zusammenarbeit mit Top-Musikern auf der ganzen Welt.
“Mein Interesse galt dem breiteren Diskurs über das Schlagzeug und das Schlagzeugspielen und nicht irgendwelchen Vorstellungen von Erfolg oder Ruhm”, sagt Bruford. “Auf letzteres konnte ich wenig Einfluss nehmen, aber in den 1960er Jahren war der Diskurs weit offen und ein sinnvoller Beitrag schien überall möglich. Der Kontext, in dem der erste Song des Boxsets entstanden ist, hat fast nichts mit dem Kontext zu tun, in dem der letzte Titel vier Jahrzehnte später entstanden ist.”
Bruford erklärt weiter: “Es wurde sehr viel Wert auf den Begriff des Unterschieds gelegt. Ich wollte anders klingen als Zeitgenossen wie Carl Palmer (ELP), Brian ‘Blinky’ Davison (Nice) oder John Bonham (Led Zeppelin). Ich dachte mir, wenn ich es vorher noch nicht gehört hatte, dann hatten es die anderen Jungs in der Band wahrscheinlich auch nicht. Meine Existenzberechtigung war es, mir interessante Dinge für das Schlagzeug auszudenken. Ich dachte auch, dass sie mich dafür bezahlen würden. Es war mir ziemlich egal, was die Kritiker, Kommentatoren oder Musikwissenschaftler dachten, und das sollte für viele Jahre mein Grundstein, mein Modus Operandi bleiben.”
Für die neue Anthologie hat Bruford Songs aus seiner gesamten Karriere ausgewählt, die Werke von 23 verschiedenen Künstlern und Bands aus einem Zeitraum von 40 Jahren umfassen. “Ich habe es bewusst vermieden, sie in Branchenkategorien wie ‘Progressive Rock’, ‘Fusion’ oder ‘Jazz’ einzuordnen”, fügt Bruford hinzu, “weil die meiste Musik, mit der ich in Verbindung gebracht wurde, nur sehr schlecht in solche Schubladen passt – ich denke da an runde Löcher und eckige Stifte.”
Das 6CD-Boxset „Making A Song and Dance: A Complete-Career Collection“ enthält Tracks von YES, King Crimson, Bruford, Bill Bruford’s Earthworks, seine Arbeit mit den weltberühmten Gitarristen Al Di Meola, Steve Howe und Kazumi Watanabe sowie die Zusammenarbeit mit den Keyboardern Patrick Moraz und Michiel Borstlap und vielen anderen. Die Box bietet weiterhin eine ausführliche, von Bruford verfasste Biografie mit seltenen Fotos. Das äußere Artwork der Box, die aufklappbaren CDs und das Booklet wurden von Brufords langjährigem Künstler und Grafikdesigner Dave McKean entworfen.
Bill Bruford war Gründungsmitglied (1968 – 1972) der Progressive Rock-Pioniere YES und als Musiker und Komponist an deren Genre-definierenden Trilogie „The YES Album“, „Fragile“ und „Close To The Edge“ beteiligt. Als Mitglied von Anderson Bruford Wakeman Howe (ABWH) im Jahr 1989 und für das Album und die Tournee von YES „Union“ folgte in den Jahren 1991 und 1992 eine Fortsetztund dieser Zusammenarbeit. Im Jahr 2017 wurde er als Mitglied von YES in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Bruford, der für seine klingende Metalltrommel, knackige Beckensounds und das Gespür für komplexe Taktarten bekannt war, suchte nach neuen Herausforderungen. Die sich ständig verändernden musikalischen Horizonte von King Crimson boten ihm die Möglichkeit, in den folgenden 25 Jahren zu forschen und zu experimentieren. Bruford vervollständigte seinen Hattrick bei den Prog-Giganten, indem er sich 1976 Genesis anschloss, für deren erste Tournee mit Phil Collins als damals neuen Sänger.
Neben seiner Arbeit mit King Crimson tourte er mit National Health, war Mitglied der All Star Band UK und leitete seine Jazz-Fusion-Band Bruford.
1986 gründete er Bill Bruford’s Earthworks, um seine Liebe zum Jazz weiter zu vertiefen, ein Projekt, das bis zu Brufords Rückzug aus der Musik im Jahr 2009 andauern sollte. Nebenbei gründete Bruford die beiden Plattenfirmen Winterfold Records und Summerfold Records. Er war ein gefragter Partner von Künstlern wie Patrick Moraz und Michiel Borstlap, wirkte aber auch an Werken von Roy Harper, Al Di Meola, David Torn, Kazumi Watanabe und vielen weiteren Musikern mit. Während dieser Zeit gab er weiterhin weltweit Workshops, unterstützt von Tama Drums und Paiste Cymbals.
Bill Brufords Leistungen wurden unter anderem durch die Aufnahme in die Top-20-Liste der “Greatest Drummers of All Time” des Magazins Rolling Stone gewürdigt. Nach seinem Rückzug von öffentlichen Auftritten im Jahr 2009 verfasste Bill Bruford eine Autobiografie (2009) und erhielt 2016 einen Doktortitel in Musikwissenschaft von der University of Surrey. Sein jüngstes Buch „Uncharted: Creativity and the Expert Drummer“ (2018) ist bei der University of Michigan Press erschienen.
Erschreckende fünfeinhalb Jahre ist es jetzt schon her, dass mit dem Album “F.E.A.R. (Fuck Everyone And Run)” das letzte reguläre Studioalbum der britischen Band Marillion erschien. Ein Meisterstück, das eigentlich kaum zu toppen war. So ließ man sich auch Zeit mit dem neuen Werk. Zwischenzeitlich hatte das Rockquintett mit einem in Belgien beheimateten Streicherquartett namens In Praise Of Folly zusammen gearbeitet. Deren orchestrale Einsprengsel in die bekannten Artrock-Arrangements kamen bei den Fans so gut an, dass im Anschluss einige Tourdaten mit den Streicherinnen folgten und es gar eine Compilation von Neuaufnahmen unter dem Titel “With Friends from the Orchestra” gab.
So weit – so gut. Folgt jetzt im Jahr 2022 die Rückkehr zur puren Lehre des Rock? Nicht unbedingt, denn es war schon immer eine große Stärke von Marillion, sich stetig weiterzuentwickeln. Mit Neoprog hat ihre Musik nach dem Ausstieg von Fish im Jahr 1988 nichts mehr zu tun. Die progressive Ausrichtung gestaltete sich unter Steve Hogarth eher in Richtung Artrock und Melodic Rock. Highlights wie “Brave”, “Afraid of Sunlight”, “Marbles” und eben “FEAR” waren die Folge.
Das neue Album wurde wie sein Vorgänger in Peter Gabriels Real World Studios aufgenommen. Der Titel des (je nach Zählung) zwanzigsten Studioalbums der Band hat eine vielseitige Bedeutung. Im englischen Sprachgebrauch handelt es sich dabei unter anderem um die letzte Stunde, in der man als Kind draußen spielen darf. Es ist aber sicher auch eine Anspielung auf den Kampf gegen die Zeit in der Klimakrise. Und geht es hier nicht auch um die letzten Minuten im Leben eines Menschen? Bassist Pete Trewavas hat uns im Interview die Idee folgendermaßen erklärt: “Die Aussage hat verschiedene Bedeutungen – und so ist es bei allen Songs auf dem Album. Alles hängt zusammen und das macht die Magie des Albums aus.”
So wird das neue Werk zum konzeptionellen Album, das sich den Problemen unserer Zeit auf verschiedene Weise nähert. “Reprogram The Gene” befasst sich mit der Klimakatastrophe. Unglaublich, dass der Titelsong des ersten Marillion-Albums mit Hogarth vor 33 Jahren ebenfalls dieses Thema behandelte (“Season’s End”). Gleich zwei Songs beschäftigen sich unterschwellig mit der Corona-Pandemie. “Murder Machines” betrachtet die Menschen als Gefahr für sich selbst, wobei es auch darum geht, einen anderen mit seiner Liebe zu erdrücken (“I put my arms around her and I killed her with love”). Ebenso groß im Pathos ist das abschließende “Care” als Quasi-Titelsong des Albums, der allen Helfern und Pflegern (“Angels on Earth”) gewidmet ist.
Wie von Marillion gewohnt, bekommt man kaum eine Verschnaufpause. Nur das Instrumental “Only A Kiss” lässt den Hörer kurz zur Ruhe kommen. Die sechs großen epischen Tracks sind deutlich songorientierter als manche Titel von “FEAR”, die doch bisweilen arg zerstückelt wirkten. Auch hier gibt es mit Überschriften versehene Einzelkapitel in den Longtracks (siehe Tracklisting ganz unten), aber die Songs wirken eher als Einheit und sind nur thematisch unterteilt.
Das schon als Single-Auskopplung bekannte “Be Hard On Yourself” ist kraftvoll und mit starken Lyrics versehen. Neu ist die Integration eines Chores namens Choir Noir, der stilvoll und sphärisch in die Arrangements integriert wird. Wie die Streicherinnen von In Praise Of Folly, die auch wieder mit dabei sind, hat er seine Beiträge aus der Ferne eingespielt und Produzent Mike Hunter hat sie in das musikalische Geschehen eingewebt. Selbst Meistergitarrist Steve Rothery war diesmal aus Pandemie-Gründen nicht durchgehend im Studio. Das tut allerdings seinen genialen Solo-Einlagen keinen Abbruch.
Klar gibt es Höhen und Tiefen, vor allem in der dynamischen Entwicklung des Albums. Zwei getragene Songs läuten die zweite Albumhälfte ein: “The Crow And The Nightingale” ist eine Hommage an Leonard Cohen. “Sierra Leone” bietet einen cineastischen Sound mit melancholischen Klängen. Doch der hymnische Charakter des Albums überwiegt und die 55 Minuten vollendeten Sounds wirken dann am besten, wenn man das Werk am Stück hört. Man darf gespannt sein auf die Konzerte im Herbst und auf die Herangehensweise der Band an die Songs.
Nach mehreren Marillion Weekend Terminen bis Sommer 2022, begeben sich Marillion im Herbst auf große Europatour mit vier Daten in Deutschland:
Kalle Wallner, geboren 1972 in Freising, ist den meisten Liebhabern des gepflegten Progressive Rock vor allem als Gitarrist der legendären Band RPWL bekannt, die ursprünglich als Pink Floyd Coverprojekt startete, aber schnell einen eigenständigen Sound entwickelte. An deren Entfaltung zur formidablen Artrock-Band ist Karlheinz Wallner nicht ganz unschuldig. Das bewies er daneben über Jahre mit dem Soloprojekt Blind Ego und beweist es ganz aktuell mit dem unter eigenem Namen erscheinenden “Voices”.
Trotz des Albumtitels gibt es nur auf “Three” und “Six” vokalen Gesang. Darüber hinaus ist es vor allem ein Gitarrenalbum, bei dem ihn Yogi Lang an den Keys und Marco Minnemann an den Drums unterstützen. Die Tracks sind ganz minimalistisch durchnummeriert. Der Opener “One” startet mit einem sphärischen Intro, bevor die Gitarren zu sprechen beginnen. Aus diesem Dialog entwickelt sich ein spannender instrumentaler Track.
Auch wenn die Songs für sich stehen, gibt es einen roten Faden durch das Album, wiederkehrende Motive und Melodiefolgen, die es zur musikalischen Einheit werden lassen. Auf “Three” sorgt Arno Menses von Subsignal für ein vokales Highlight. Der Rocktrack kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. “Four” wird mit Synthie-Klängen verfeinert und “Five” klingt in vielen Passagen absolut hymnisch.
Fotocredit: Alexej Testov
Spannend finde ich die Vocals der Sängerin Tanyc auf “Six”, Der Neuneinhalbminüter wechselt zwischen Gitarrenballade und Riffgewitter, während Carmen Tannich-Wallner (so heißt die Österreicherin mit bürgerlichem Namen) ihre Stimme zum Instrument werden lässt und dem starken Albumtitel eine entgegengesetzte Bedeutung gibt.
Auch der letze Titel ist ein Longtrack, diesmal über elf Minuten lang und voller elegischer Soli, bei denen Kalle Wallner zum Abschluss nochmal seine ganze Virtuosität raushaut.
Das Album illustriert den Jetzt-Zustand eines Musikers, der sich die luxuriöse Position erarbeiten konnte, kompromisslos sein zu dürfen. Vielleicht sogar zu müssen. Sieht man sich die rund 26 Jahre seiner Diskographie an, war er das eigentlich schon immer – und es sieht nicht so aus, als würde sich das jemals ändern. Und das finden sehr viele Musikhörer gut so. Mindestens genau so gut wie die Kopfhörer sein sollten, auf denen man es anhört.
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