Ich habe selten ein mir ansprechendes Solo-Album eines Schlagzeugers gehört. Dazu gehört auch nicht das Debütalbum von Gavin Harrison, „Sanity & Gravity“, das am 4. Februar als 25-Jahres-Edition wiederveröffentlicht wird.
Die fast durchgängig instrumentalen Stücke plätschern so dahin. Ich hätte mich besser vorher informiert, dass Harrison ursprünglich aus dem Jazz kommt, einem Musikstil, mit dem ich wenig anfangen kann. Ich kenne ihn hauptsächlich von Porcupine Tree, King Crimson oder zuletzt The Pineapple Thief und habe mich von deren Musik auf den Holzweg führen lassen.
Man hört fernöstliche Klänge, bei „Darest Blood“ erklingt auch eine Sängerin in chinesischer oder japanischer Sprache, es klingt teilweise wie zwischen Geisha und Thai Buffet, insgesamt gefällt mir dieser Stil aber von Ryuichi Sakamoto besser. „Sonata in H“ und „Witness (Reprise)“ sind so kurz, dass es sich wie Soundschnipsel aus einer unbekannten Filmmusik oder irgendwelchen Outtakes anfühlt.
Ich habe beim ersten Hören das Album nur im Hintergrund angehört, da dauerte es gefühlt noch nicht einmal eine halbe Stunde. Tatsächlich laufen die zehn Titel 49 Minuten. Beim zweiten, diesmal konzentrierten Hören, dauerte es dann gefühlt anderthalb Stunden. Die Musik zieht sich spannungslos dahin ohne Höhepunkte.
Das Album ist allenfalls etwas für echte Harrison-Fans oder Hörer, die Jazzmusik gegenüber geneigter sind als ich. Mich spricht das Album überhaupt nicht an. Mehr als 2 von 9 Punkten sind von mir nicht drin.
„Versions of Truth“ heißt das aktuelle Album der britischen Progressive Rocker um den genialen Bruce Soord. So ist der Albumtitel „Nothing but the Truth“ ein klares Understatement, denn es werden keineswegs nur Songs des letzten Studio-Longplayers gespielt. Im Gegenteil! Das Livealbum ist ein gelungener Ritt auf zwei Silberscheiben durch die Bandgeschichte.
Die Entstehung ist – wie sollte es anders sein – der Pandemie geschuldet. Das Quintett konnte nicht live auftreten und entschied sich für ein Streaming-Event. Man nutzte die besondere Situation und schuf ein intimes Ambiente mit einer Band, die sich im Kreis aufstellte und von unzähligen Kameras gefilmt wurde. So entstand ein cineastischer Konzertfilm, der jetzt auch auf DVD und Blu-ray erhältlich ist.
Fotocredit: Greg Holland
Hier soll es aber um die 2CD-Version gehen. Und auch die hat es in sich. Seit fünf Jahren ist Schlagzeuger Gavin Harrison mit an Bord und hat inzwischen ebenso großen Einfluss auf den Sound der Band wie Gitarrist und Sänger Bruce Soord. So dürften Kenner der älteren Tracks aufhorchen, wenn sie die neuen Arrangements hören, die einen enormen rhythmischen Drive bekommen.
Soord kommentiert zu „Someone Pull Me Out Of Here“: It felt really special to do this song after so many years, it’s still one of my favourite compositions and with Gavin adding his brand-new drums it feels completely new. From a compositional point of view, it’s quite unique in that, even though on the surface it’s a straightforward rock song, it travels through quite a lot of time signature changes. Although the key for me is that no one is supposed to notice that…”
Die Doppel-CD klingt wie ein Studioalbum, hat aber viel mehr Charme als eine Compilation neuer und älterer Songs im Remix. Der Flow von Track zu Track ist stimmig und führt uns eine spielfreudige Band vor Augen, die das Beste aus der ungewöhnlichen Situation macht. So kombiniert man die Energie eines Livekonzerts gekonnt mit auditiv beeindruckenden Studioaufnahmen.
Seit Jahrzehnten gehören The Pineapple Thief zur Speerspitze des melodischen Artrocks. Sie liefern atmosphärische Musik sowie epische Momente – und ziehen hier alle Register ihres Könnens. Wie immer dominieren ruhige Songs, es kann aber auch mal heftig krachen („Break It All“). Und in „Far Below“ wird die Gitarrenarbeit deutlich ausgebaut.
Es war die erste Liveperformance der neuen Songs – und gleichzeitig haben The Pineapple Thief ein Gesamtkunstwerk abgeliefert. Sie standen auf ihren „kleinen Inseln“ (wie Soord es ausdrückt) und lieferten das vielleicht beste Konzert ihres Lebens ab. Magisch!
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Seit Jahrzehnten gehören The Pineapple Thief zur Speerspitze des melodischen Artrocks. Und in steter Regelmäßigkeit von zwei Jahren veröffentlichen die britischen Progressive Rocker ein Meisterwerk nach dem anderen. Daran ändert auch die Pandemie nichts. Kürzlich erschien ihr neues Album „Versions of Truth“ – im Zeitalter von Fake News und Verschwörungstheorien ein Titel, der den Nerv der Zeit trifft. Es ist ein Album, das das Chaos und den Konflikt des Lebens im 21. Jahrhundert widerspiegelt. Daraus resultiert eine Unschärfe zwischen dem Wirklichen und dem Wahrgenommenen, zwischen Sinn und Absicht. Der Titel sagt alles: Dies ist der Soundtrack für eine postfaktische Welt – eine Welt nach der Wahrheit.
Wie auf Bruce Soords letztjährigem Soloalbum bekommen wir atmosphärische Musik und epische Momente zu hören. Die ruhigen Songs dominieren das komplette Album – nur selten wird es mal lauter – und Bruce‘ Stimme schwebt bisweilen durch die Sphären. Die Songs kombinieren weitläufige Klanglandschaften mit nachdenklichen Refrains, vorgetragen von emotionalen Vocals.
Der Titeltrack als Opener klingt sehr nach den Soundeskapaden von Peter Gabriel und auch stimmlich sind Ähnlichkeiten nicht von der Hand zu weisen. „Versions of Truth“ gehört zu den dunkleren Stücken des Albums und wirkt sehr vertrackt. Danach wird es deutlich unaufgeregter. Ein filigraner Rhythmusaufbau zieht sich durch das komplette Album. So sind die meisten Stücke sehr eingängig und gehen für Progressive Rock-Tracks ungewöhnlich schnell ins Ohr. Das ist aber kein Nachteil.
Mit über 7 Minuten ist „Our Mire“ der Song, der den im Prog so beliebten Longtracks noch am nächsten kommt. Alles andere bewegt sich im normalen Rahmen von 3-4 Minuten. So erzählt das Album Geschichten vom Aufleben und Zerbrechen von Beziehungen – voller Melancholie und ohne sich in hektischen Ausbrüchen zu verlieren.
Längst haben The Pineapple Thief es geschafft, einen eigenen Sound aus rockigen Gitarren und spacigen Synthies zu kreieren. Maßgeblich für den Sound ist außerdem die vielseitige Stimme Soords, die ich am liebsten mag, wenn sie die ruhigen Töne anschlägt. „Versions of Truth“ ist ein weiteres Meisterwerk, an dem Freunde von Gazpacho, Blackfield und Anathema ihre Freude haben werden.
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Die Briten The Pineapple Thief lassen seit vielen Jahren die Herzen von Progfans höher schlagen. Mit ihrer atmosphärischen Musik und epischen Momenten führen sie die kunstvolle Rockmusik auf eine neue Ebene. Hohen Anteil daran hat zweifelsohne der Sänger, Gitarrist und Keyboarder Bruce Soord, der dieser Tage sein zweites Soloalbum „All This Will Be Yours“ veröffentlicht hat.
Wer die ruhige und melancholische Seite von The Pineapple Thief liebt, erfährt hier die Vollbedienung. Man möchte ihm bisweilen ein Tachentuch reichen, so tränenrührig sind die gebotenen Stücke. Steve Hogarths „whiny voice“ ist nichts dagegen.
„All This Will Be Yours“ ist ein Album mit akustischen und persönlichen Visionen von Bruce Soord. Es wurde von Soord wie ein Beobachtungsprotokoll beschrieben und ist inspiriert von der Freude, die er bei der Geburt seines dritten Kindes verspürte.
Bruce erklärt: „Emotional gesehen war es eine ziemlich einzigartige und ereignisreiche Zeit. Meine Frau sollte zu dieser Zeit unser drittes Kind bekommen, aber sie schaffte es, nach der Show an diesem Abend das letzte Konzert der Tour im Londoner Shepherd’s Bush Empire zu sehen. Wir kehrten nach Hause zurück und am nächsten Tag kam unser kleines Mädchen an. Wir hatten also dieses neue Leben in unserem Leben und es eröffnete eine ganz andere Perspektive auf die Welt um mich herum. Ich war total begeistert und habe fast sofort angefangen zu schreiben.“
Soord war so beseelt, dass er die Geräusche seiner Heimatstadt aufnahm und auf dem Album verewigt hat. Schreiende Kinder, ein singender alter Mann, jaulende Sirenen. Im Vordergrund aber stehen seine emotionalen Vocals, die er nach eigenen Worten aufnahm, während das Neugeborene im Studio döste. Vermutlich erklärt dies auch den rührseligen Albumtitel mit dem Zitat aus „König der Löwen“. Persönlicher und emotionaler geht’s nicht!