Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass mindestens eine neue CD von Steve Hackett erscheint. Diesmal handelt es sich um ein Livekonzert, an dessen Ende er das komplette „Foxtrot“-Album in der Songreihenfolge des Albums stellt. Das ist auch der meiner Meinung nach bessere Teil.
Im ersten Drittel gehen mir Saxophon und Klarinette irgendwann auf den Keks, hat eher etwas von einer Jamsession. Aber mit den „Foxtrot“-Interpretationen macht das Album wirklich Spaß, obwohl er stark am Original bleibt. Mir wurde mit diesem Album erst wieder bewusst, das Foxtrot ein klasse Album von Genesis war, die mich eigentlich erst ab „The Lamb Lies Down on Broadway“ richtig begeistert haben.
Damit die richtige Liveatmosphäre aufkommt, wurden die Ansagen nicht herausgeschnitten. Als Zugabe gibt es noch die Burner „FirthofFifth“ und „Los Endos“. Grandios. Die „Supper’sReady“-Version bringt es auf 27,5 Minuten und ist damit doppelt so lang wie der zweitlängste Titel, das erwähnte „FirthofFifth“.
Trotz der 134 Minuten lässt das Album kaum Zeit für Langeweile. Dennoch hätte ich auf die ersten acht Titel verzichten können, wenn auch „DevilsCathedral“ an einen Mission-Impossible-Film erinnert und „Shadow oft he Hierophant“ noch der hörenswerteste Titel der ersten Albumhälfte ist. Anspieltipps: alle Titel vom „Foxtrot“-Album, „FirthofFifth“ und „Los Endos“.
In der CD-Ära, die inzwischen von der Streaming-Ära verdrängt wird, wurde der Abstand zwischen zwei Alben des gleichen Künstlers immer größer (wohl auch, weil man auf einer CD mehr Material als auf 2 LP-Seiten unterbringen kann), aber nicht so bei Steve Hackett. Er wirft mindestens eine neue CD pro Jahr auf den Markt, und wenn es mal nichts Neues gibt, dann werden eben die Genesis-Geschichten wieder neu zubereitet. Im Gegensatz zu Peter Gabriel, zu dem die obligatorische Bezeichnung Ex-Genesis-Singer schon lange nervt, ist der Verweis bei Steve Hackett, obgleich auch schon rund 45 Jahre Geschichte, sehr wohl angebracht, gehören doch die frühen Genesis-Werke zum festen Bestandteil seiner Werke.
Die Frage, ob man als Fan der frühen Genesis, eine Neuauflage des Live-Klassikers Second out braucht, stellt sich mir nicht. Das Original ist meine Lieblings-LP dieser Genesis-Ära und der nahezu 1:1 gelungenen Umsetzung von Steve Hackett und seiner Band ist es zu verdanken, dass mir dies erstens wieder bewusst wurde und zweitens, dass ich mir die verstaubte Original-LP (nur das Cover verstaubt!) wieder auflegte.
Bevor sich Hackett „Seconds Out“ widmet, stehen 6 Titel aus seinem Solowirken, die es ebenso gut auf ein damaliges Genesis-Album hätten schaffen können („Every Day“ oder „Shadowofthe Hierophant“). Letzteres ist mit 11:02 nur unwesentlich kürzer als die „Cinema Show“. Aber dann geht es los, genau in der Reihenfolge, wie das Original-Album „Seconds Out“ 1977 erschienen ist, mit einer Ausnahme: Zwischen „The Cinema Show“ und „Dance on a Volcano“ fügt Hackett das Stück „AisleofPlenty“ ein, mit 1:32 das kürzeste Stück auf der Doppel-CD mit einer Laufzeit von 2 Stunden und 19 Minuten. Mein absoluter Favorit ist unverändert das über 25-minütige Supper’sReady“.
Was bringt es dem nicht unbedingten Fan dazu, sich dieses Album zuzulegen? Nun, auch wenn Hackett nahezu originalgetreu „Seconds Out“ aufführt, findet man dennoch einige Veränderungen bei genauem Hinhören. Zum Beispiel sind mehr Bläsereinsätze zu hören, ebenso weichen ein paar Soli vom Original ab oder werden zusätzlich eingestreut. Bei „Fifthoffifth“ wird auch das Intro mit dem Piano mitgeliefert und mein absoluter Lieblings-Genesis-Song „CarpetCrawlers“ (welcher auf meiner Original-Genesis-LP als „Carpet Crawl“ bezeichnet wird) wird komplett mit der ersten Strophe gespielt und das bereits weiter oben erwähnte „AisleofPlenty“.
Für mich ist diese Hackett-Werk kein Remake, sondern wie der Name „Revisited“ sagt, eine Rückkehr in die Zeit, als ich mich – auch von der Musik von Genesis inspiriert – für Musik zu interessieren begann. Ein melancholischer Farbtupfer, aber Hand aufs Herz: so oft wie sich „Seconds Out“ auf meinem Plattenteller drehte, wird es „Revisited“ niemals schaffen.
Ein gelungenes Solowerk hat der als Keyboarder bei „Spocks Beard“ bekannte RyoOkumoto mit „The Myth oft he Mostrophus“ vorgelegt. Freunde der Prog-Musik dürften voll auf ihre Kosten kommen, zumal namhafte Musiker an dem Album mitgewirkt haben und zu hören sind, wie Steve Hackett (Genesis) und unverkennbar Michael Sadler (Saga).
Die sechs Titel der knapp über eine Stunde dauernden CD, auf deren Cover ein feuerspeiender Godzilla durch eine postapokalyptische Landschaft trampelt und jedem Zweifelnden klarmacht, dass es sich bei RyoOkumoto um einen Japaner handelt, machen Hoffnung auf einen Klangkosmos mitreißender Longtracks. Da ist bei Weitem kein Song in Sicht, der an die radiotauglichen dreieinhalb Minuten heranreicht. Mit 6:25 ist „The Watchmaker“ noch der kürzeste Track auf dem Album. Über ein Drittel der Spielzeit geht auf das Konto des Schluss- und Titeltracks „The MythoftheMostrophus“.
Diese CD voll sattem, dynamischem Sound und einprägsamen Synthiepassagen kann man gerne mehrmals hintereinander hören und entdeckt bei jedem Durchgang neue Nuancen. Der Schlusssong, gleichzeitig auch mein Lieblingssong, wartet mit eingestreuten Akustikgitarren auf, außerdem erklingen Violinen, ein Saxophon und ein Piano.
Beim Versuch „Mostrophus“ zu googeln, fand ich keinen Hinweis außer dem Verweis auf dieses Album. Wahrscheinlich entstammt „Mostrophus“ nicht der griechischen Mythologie, sondern fußt auf der Idee des Künstlers bei der Schaffung einer Godzillaähnlichen Kreatur.
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Der schwedische Progressive Rocker Nad Sylvan, bürgerlich Hugh Erik Stewart, ist der breiten Musikwelt vor allem durch seine Tätigkeit in Steve Hacketts „Genesis revisited“ Projekt bekannt. Dort besticht er mit seiner Ausnahmestimme, die vor allem den alten Stücken der Kultband gut steht. Nad verfügt über eine enorme Ausdruckskraft und kann in unterschiedlichen Stimmlagen bestehen.
Auch solo ist der Gute äußerst aktiv und veröffentlichte zuletzt im Zweijahresrhythmus seine Alben bei InsideOut. Da waren schon einige Songperlen zu finden, vor allem auf dem 2017er Release „The Bride Said No“.
Das neue Werk „The Regal Bastard“ allerdings finde ich etwas enttäuschend. Das Album klingt ziemlich trist und man findet keine neuen Ideen. „I Am The Sea“ bietet in über sieben Minuten Länge einen sehr poppigen Start. Mit dem Aloha-Song „Oahu“ kann ich gar nichts anfangen. Danach wird es etwas besser: Vor allem der lange Titeltrack und das starke „Whoas (Always Been With You)“ wissen zu überzeugen.
Dann noch „Leave Me On These Waters“ mit Steve Hackett-Einschlag. Davon würde man sich mehr anhören.
Nad Sylvan hat eine Hammer-Stimme und er kann den 70er-Retro-Touch in seinen Vocals nicht verleugnen. Daher ist auch „The Regal Bastard“ kein wirklich schlechtes Album. Es sind halt die Songwriter-Qualitäten der alten Genesis-Recken, die ihm fehlen. Das sollte man ihm aber nicht zum Vorwurf machen. Das neue Album ist ein solides Solowerk des 60jährigen. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
In der neuen Staffel der „Original Album Classics“ sind endlich mal ein paar ordentliche Prog-Titel dabei. Das freut mich ungemein. Da wären Pain Of Salvation aus Schweden und der legendäre Genesis Gitarrist Steve Hackett.
Pain Of Salvation gehören zum Besten, was der Progressive Metal zu bieten hat. Ihr Frontmann Daniel Gildenlöw ist ein echter Wunderknabe, der auch schon mit Transatlantic zusammen arbeiten durfte. Das Set umfasst die ersten fünf Alben aus den Jahren 1997 bis 2004. Da finden sich die düsteren Klänge der Anfangszeit und vor allem das bewegende Meisterwerk „Remedy Lane“. Zudem gibt es mit „12:5“ ein akustisches Livealbum, das den schweren Songs eine ganz andere Musikalität verleiht. Wer PoS noch nicht kennt, sollte hier dringend zugreifen.
Zu Steve Hackett muss man eigentlich nichts sagen. Neben Ray Wilson ist er der einzige, der die Genesis-Fahne noch weit nach oben hält. Sein Solowerk ist um einiges sperriger als die Genesis-Alben, an denen er beteiligt war. Doch es lohnt sich immer, diesen Songs ein Ohr zu gönnen. Das vorliegende Paket enthält Alben aus den Jahren 1984 bis 2006. Kommerziell gesehen zwar keine Erfolge, und doch sind es starke Rockalben, die an seine besten Zeiten erinnern.
Die im Frühjahr 2008 gestartete CD-Reihe „Original Album Classics“ avancierte seither zu einer der erfolgreichsten CD-Serien Deutschlands. In Summe der einzelnen Alben der 3- bzw. 5-CD-Boxen wurden inzwischen weit mehr als sechs Millionen Tonträger verkauft. Für Sammler und Musikinteressierte bieten die Sets ein höchst interessantes Angebot. Neben Klassikern aus dem Repertoire der Labels ist die Serie auch eine Schatzkiste für lange nicht mehr aufgelegte Alben und Raritäten. Einige Boxen aus dem ursprünglichen Repertoire sind bereits vergriffen – und mittlerweile gesuchte Raritäten. Aktuell umfasst der lieferbare Katalog an „Original Album Classics“-Sets mehr als 200 Titel (151 x 5er CD-Boxen und 51 x 3er CD-Boxen).
Zu den attraktiven Neuheiten (alles im 5er Box-Set) gehören in diesem Herbst neben den oben genannten Künstlern u. a. Soloalben von Byrds Frontmann Roger McGuinn, Hit-Alben von Balladenkönig Michael Bolton und Alben der 1970er Rocklegenden The Guess Who mit einer echten Rarität: „So Long Bannatyne“ war bisher in Deutschland auf CD nur als Import erhältlich.
Nach der Regenschlacht vom vergangenen Jahr hatte das traditionelle Festival an der Burg Herzberg wahrlich gutes Wetter verdient. 2012 mussten die Landwirte der Umgegend aktiviert werden, um Fahrzeuge auf die Zeltplätze zu schleppen und später wieder raus zu holen. Nächtelang hörte man die Motoren dröhnen – aber das Festival konnte stattfinden und war wie immer ein Zeugnis von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Trotzdem hatte das die Veranstalter auf eine harte Probe gestellt, war der Aufwand doch mit hohen Kosten verbunden. Umso erlösender die Nachricht, dass das Event auch 2013 stattfinden kann. Mit ordentlichem Line-up und (wie sich in den mittleren Juli-Tagen herausstellte) unter hervorragenden Wetterbedingungen. Es war den rührigen Leuten vom Herzberg-Team mehr als gegönnt.
Foto: Horst Müller
Alteingesessene Besucher waren bereits seit Dienstag vor Ort, das Festival startete donnerstags, ich selbst traf erst am Freitag ein. Strahlender Sonnenschein, ein aufgeräumter Zeltplatz, die gewohnt hervorragende Infrastruktur. Ich weiß, dass für viele Besucher, die der Hippie-Kultur frönen, der musikalische Aspekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, doch es darf wieder gesagt werden, dass es einige Hochkaräter zu bestaunen und einige Perlen zu entdecken gab.
In der Nachmittagshitze hatte es sich die Band um den Bluesgitarristen Bassekou Kouyate auf der Bühne bequem gemacht und unterhielt mit einer bunten Mischung aus westafrikanischem Blues und weltmusikalischen Elementen. Hier standen das Beherrschen der Instrumente und die Verbreitung entspannter Stimmung im Vordergrund. Ein perfektes Ensemble für den durstigen Nachmittag.
Foto: Horst Müller
Um 18 Uhr standen dann die Progrocker Riverside aus Polen auf der Bühne. Gerne wird das Quartett um Mariusz Duda mit Bands wie Marillion, Porcupine Tree oder gar Pink Floyd verglichen. Und tatsächlich haben sie in den letzten Jahren einen immer höheren Grad an musikalischer Perfektion erreicht. Die Reise geht vom psychedelischen Prog der 70er über Blues und Jazz bis hin zu den rockigen, bisweilen gar metallischen Klängen der Gegenwart. Dies bewiesen sie auch im Rahmen des Festivals und legten einen klanglich perfekten Auftritt hin. Mariusz ist kein Exzentriker auf der Bühne, aber er besticht immer wieder durch sein Können. Das brachte die Zuschauer nicht zum Tanzen, aber oft genug zum Staunen. So funktioniert Prog – ob man will oder nicht.
Foto: Horst Müller
Steve Hackett war der zweite Topact am Freitag. Wenige Tage später musste ich im Rolling Stone lesen, dass er „die schlimmste Musik der Welt“ fabriziert. Obacht! Natürlich ist das ellenlange Instrumental-Gedudel großer Progwerke nicht jedermanns Sache. Natürlich bewegen sich manche Prog-Götter nur sporadisch auf der Bühne und schwelgen darüber hinaus in elegischen Passagen. Aber Hackett? Gerade, wenn er mit der Genesis-Show unterwegs ist? Er hat einen charismatischen Sänger bei sich, der auffällt, der die Bühne einnimmt und einen extrovertierten Peter Gabriel gibt. Manchem mag das affig erscheinen, doch es passt zu der Musik, die man darbietet. Hier leben die Genesis der 70er Jahre weiter und es macht große Freude, Klassiker wie „The Musical Box“, „I Know What I Like“ und vor allem das halbstündige „Supper’s Ready“ vom Gitarrenmeister himself zu hören.
Foto: Horst Müller
Der Abschluss mit Agitation Free und Orange lud dann wieder mehr zum Schwofen ein. Die Atmosphäre am Ende des heißen Tages war sehr entspannt und man konnte sich umso mehr auf den interessanten Samstag freuen. Der begann für mich mit den gitarrenlastigen Cactus und einer furiosen Rockshow in der Sonne. Die Musiker standen meist mit Sonnenbrillen auf der Bühne, um das grelle Licht zu ertragen. Die Zuschauer freute es hingegen, dass die Sonne auf den Rücken brannte und nicht das Sichtfeld einengte.
Erstes Highlight am Samstag waren The Levellers. Die Briten halten seit Ende der 80er Jahre den Geist des Folkrock hoch und übertragen ihn locker in die Gegenwart. Musik mit Banjo und Fiddle, viele akustische Elemente, eine raue Stimme, viel Kraft, viel Mut und eine Menge musikalischer Einfälle zeichnen die sechs Musiker aus. Hymnen wie „What A Beautiful Day“ luden die Zuschauermassen zum Tanzen ein und verwandelten die Wiese zu einem einzigen großen Fest. Die Darbietung war perfekt und erreichte ihren Höhepunkt mit Einsatz eines Didgeridoos, der das Geschehen mit basslastiger Klangfülle zur Vollendung brachte.
Foto: Horst Müller
Die hochgelobten Gov’t Mule waren dann so gar nicht mein Fall. Ihr Southern Rock begleitete den sonnigen Tag über den Sonnenuntergang hinaus, war aber in seiner eintönigen Ausrichtung auch recht langweilig. Die Songs erreichten ständig Überlänge (10+) und das, was ich beim modernen Prog so liebe – nämlich dass man nur schwerlich auf den Punkt kommt – war hier ziemlich nervig. Das Geschehen auf der Hauptbühne fand aber genug begeisterte Fans. Für viele war es also genau das Richtige.
Fast um Mitternacht traten dann endlich Crippled Black Phoenix auf die Bühne. Zu meiner Schande muss ich gestehen, diese famose Band bisher nicht live gesehen zu haben. Das ging vielen Anwesenden so und die Truppe nutzte ihre Chance, ein aufnahmefähiges Publikum zu verzaubern. Hymnische Klangkonstruktionen, filigrane Balladen und durchaus psychedelische Klänge lassen mal wieder Erinnerungen an die seligen Pink Floyd hoch kommen – und auch CBP gehören zu den Bands, die diesen Vergleich verdienen und sich ihm stellen können. Die atmosphärische Dichte des Auftritts war einfach fantastisch und wohl keiner wird bereut haben, das Träumen am Lagerfeuer noch ein wenig aufzuschieben.
Ich war meist vor der Hauptbühne zu finden. Das Lesezelt hatte die richtigen Autoren zur falschen Zeit, die Protagonisten auf den kleinen Bühnen wurden beim leichten Antesten meist zu Ohrenquälern. Allerdings fanden sie immer ihr begeistertes Publikum – und das ist die Hauptsache. Leider musste ich am Sonntag bereits abreisen, so verpasste ich beispielsweise die Party mit den Spin Doctors. Doch man muss sich seine zeitlichen Kapazitäten nun mal gut einteilen. Zum Entschleunigen haben zwei Tage Herzberg allemal gereicht.
Foto: Horst Müller
Das Herzberg-Festival kann einem schnell ans Herz wachsen. Zehntausend Besucher plus Kinder konnten die Veranstalter vermelden. Also ausverkauft. Zwar würden noch mehr Besucher auf das Gelände passen, doch man will das Konzept nicht überstrapazieren. Kinder unter 14 Jahren sind traditionell frei und es wird einiges für die Kleinen geboten. Der große Spielplatz ist eine Attraktion, ebenso die selbstgebastelten Musikinstrumente und die Konzerte, die man damit gibt. Überhaupt findet viel abseits des großen musikalischen Geschehens statt: Immer wieder findet man Einzelpersonen und Musikgruppen am Wegrand, die sich spontan ein ordentliches Publikum erarbeiten und für manche Lacher sorgen. Mein Kompliment gilt den Veranstaltern, die immer präsent waren und für einen friedlichen Ablauf sorgten. Und auch das Publikum lebte Friede, Freude und biologisch wertvolle Lebensmittel. Die stets präsente Müllentsorgung nicht zu vergessen – so wird man zum Musterbeispiel für ein nachhaltiges Festival.
Schon wieder war Ray Wilson in der Westpfalz und böse Zungen könnten behaupten, dass es langsam langweilig wird, wenn der umtriebige Schotte hier mehrmals im Jahr Station macht. Doch diese haben vermutlich noch nie eines der Konzerte besucht. Ray Wilson bietet facettenreiche Shows – und diese können ganz unterschiedlich ausfallen. Allein mit Gitarre, gemeinsam mit einem Pianisten oder der Band Stiltskin – bisweilen gar in orchestraler Ausführung, wenn er „Genesis Classic“ präsentiert. Diesmal war es die ganze große Nummer mit neun Musikern auf der Bühne und dem funkelnagelneuen Programm „20 years and more“, das erst zwei Tage zuvor in Berlin Premiere feierte.
Doch zunächst noch ein kleiner Schritt zurück. Es gab nämlich ein kurzes Vorprogramm, das eng mit Rays Band verknüpft ist. Leadgitarrist Ali Ferguson hat vor wenigen Jahren ein eigenes Album auf den Markt gebracht, das ganz im elegischen Stil von Pink Floyd gehalten ist und das er hier mit zwei weiteren Bandmitgliedern präsentieren durfte. Der Titel „The Windmills And The Stars“ impliziert schon eine klischeehafte Nähe zum Progressive Rock. Musikalisch ging es in eine Art Märchenwelt oder zumindest in die klangvolle Weite der einsamen Natur. Das gesampelte Vogelgezwitscher war für manche anhand der draußen vorherrschenden Temperaturen zwar etwas befremdlich, trotzdem wurde Ferguson mit mehr als wohlwollendem Applaus bedacht. Immerhin gab er einen kleinen Vorgeschmack darauf, welch hervorragende Gitarrenarbeit für die nächsten Stunden zu erwarten war.
Ray Wilson brauchte dann zum Glück keine lange Umbaupause, um die Bühne im Sturm zu erobern. Seine Mähne wird immer länger – und wenn er mit einer solch großen Band auftritt, muss er seltener selbst zur Gitarre greifen, kann also seine Entertainerqualitäten noch stärker in den Vordergrund rücken. Der Programmtitel „20 years and more“ nahm viel vom Ablauf des Abends vorweg. Ray Wilson ist seit zwanzig Jahren im Geschäft. In den Tiefen meines Archivs finde ich noch Aufnahmen, die er im Studio des Schotten Fish Anfang der 90er Jahre gemacht hat. Es gab die Bands Guaranteed Pure und Cut in seiner Laufbahn, das One-Hit-Wonder mit Stiltskin (1994) und natürlich sein Gastspiel als Sänger von Genesis (1997), als Phil Collins mal kurzzeitig keine Lust hatte. Er könnte mit dem Schicksal hadern und sich schmollend aus der Öffentlichkeit zurückziehen. „Calling All Stations“ gehört für mich zu den besten Genesis-Werken. Und nur weil der Zeitgeist nicht den erwünschten Erfolg in den USA brachte, wurde die Zusammenarbeit im Anschluss eingestellt.
Zum Glück machte Ray aus der Not eine Tugend, verarbeitete seinen Frust in dem fantastischen Soloalbum „Change“ und ist inzwischen neben Steve Hackett der einzige, der die Legende Genesis am Leben erhält. Zu Hackett besteht übrigens eine dicke Freundschaft und die beiden planen momentan gemeinsame Konzerte und eine Neuaufnahme von „Carpet Crawlers“. „20 years and more“ resultiert also daraus, dass Ray Wilson eine Reihe von Songs präsentiert, die aus der Zeit vor seiner Gesangskarriere stammen. Für das Konzert in Landstuhl waren das zum Beispiel „That’s All“ und „Follow You Follow Me“ (Genesis), „Another Day In Paradise“ (Phil Collins) und „Solsbury Hill“ (Peter Gabriel). Damit waren die Genesis-Fans zufrieden gestellt. Doch man konnte wieder feststellen, dass hinter Ray Wilson als Solokünstler viel mehr steckt als diese Vergangenheitsbewältigung.
Ray hat Stiltskin aus dem One-Hit-Wonder-Dasein raus geführt und neue, sehr rockige Alben unter diesem Bandnamen veröffentlicht. Und seine Solo-Platten wie „Change“, „The Next Best Thing“ und „Propaganda Man“ sind ruhig, akustisch und oft sehr melancholisch gehalten. Hier zeigt sich Ray von seiner emotionalsten Seite. Das vierte Werk wird den Titel „Chasing Rainbows“ tragen und am 19. April erscheinen. Wieder ein im ersten Anlauf sehr ruhiges Album, das in den Liveversionen, die in Landstuhl gespielt wurden, aber ungemein kraftvoll rüber kam und sich perfekt in die Setlist einband. Da kommt Großes auf uns zu und für alle, die es nicht erwarten können, stellen wir den Preview-Link ans Ende dieses Berichts.
Rays Band bestand aus Ali Ferguson und Rays Bruder Steve an den Gitarren, den Brüdern Ashley und Lawrie Macmillan an Bass und Schlagzeug, sowie Darek Tarczweski am Piano. Das allein ist schon eine geniale Band, die noch um drei Aspekte erweitert wurde: Die Streicherinnen Alicja und Barbara sorgten für orchestrale, bisweilen sphärische Momente – und der Multiinstrumentalist Marcin Kajper bereicherte den Klang wahlweise mit Querflöte, Klarinette und Saxofon. Ein wundervolles Ensemble, bei dem die Harmonie hörbar stimmte. Die Violinistinnen lieferten Solo-Momente wie Steve Hacketts „Horizons“ und konnten im Anschluss während eines kurzen Instrumental-Duells von ihren Qualitäten überzeugen. Eine auch optisch sehr schöne Bereicherung für das Konzert.
Wilson war in Topform. Stimmlich klasse – und der bevorstehende Release des neuen Albums scheint ihn auch emotional zu pushen. Das Konzert begann mit zwei Solostücken und dann folgte schon „That’s All“. So war die Setlist von Anfang an bunt gemischt und deckte alle Schaffensphasen des Sängers ab. Vor allem auf die neuen Stücke war ich gespannt: „Easier That Way“ widmet sich der Finanzkrise, „Follow The Lie“ enthält die titelgebende Textzeile „Chasing Rainbows“ und ist eine Hommage an das Tourleben. Als dritter neuer Titel wurde „Wait For Better Days“ gespielt. Leider war die erste Auskopplung „She’s A Queen“ nicht dabei. Und auch meinen momentanen Lieblingstitel des kommenden Albums („I See It All“) hätte ich gern gehört. Aber es war nun mal kein Wunschkonzert.
Die bekannteren Titel wie „Inside“ wurden begeistert aufgenommen. Doch es wurde einmal mehr deutlich, wie Ray seine Zuschauer mit den eigenen, biographischen Titeln mitnimmt und den Menschen, die vielleicht von dem Label „Genesis“ angelockt wurden, ein ganz neues Bild von sich vermittelt. „The Actor“ ist da ein Paradestück. Vordergründig geht es um einen Schauspieler und sein Leben in Höhen und Tiefen. Doch man spürt, wie Ray in Wirklichkeit von sich selbst spricht. Eine solche Karriere, die ihn einmal vor 70.000 Zuschauern bei Rock am Ring sah und kurze Zeit später vor einer Handvoll Leuten in kleinen Spelunken. Damit muss man erst einmal fertig werden. Ray Wilson legt all diese psychologischen Momente in seine Songs. Und das Tourleben scheint die beste Therapie zu sein, sonst wäre er nicht ständig unterwegs.
Weitere Highlights waren auch die vier Songs des „Calling All Stations“-Albums, das Ray mit Genesis aufgenommen hat. Zwei davon im Zugabenblock. Und davon eingerahmt war „Carpet Crawlers“, das die Zuschauer mit Inbrunst mitsangen. In dieser Mischung hat Ray Wilson momentan wohl die perfekte Setlist gefunden. Das 150minütige Konzert war ein Triumph und ich bin sicher, dass er einige neue Fans gewinnen konnte. Die Macher von Anderswelt-Event haben mal wieder ein großes Lob verdient. Und ich kann nur für die nächsten Konzerte werben: Am 3. Oktober spielt Ray Wilson in Schönenberg-Kübelberg, am 26.10.2013 gibt es FISH in Landstuhl. Weitere Infos: www.anderswelt-event.de