Nach offizieller Zählung ist “Space for the Earth” bereits das 15. Studioalbum der rührigen Space Rock-Band aus Sommerset, England. Hinzu kommen unzählige Livealben und Compilations. Ja, sie waren fleißig in den 37 Jahren seit Bandgründung. Da verwundert es tatsächlich, dass zwischen dem letzten Release (“Technicians of the Sacred “) und heute ganze fünf Jahre vergangen sind.
Die Musik von Ozric Tentacles ist eine Kombination aus treibenden Basslinien, Keyboards und komplizierter Gitarrenarbeit mit einem Sound, der stark von Künstlern wie Steve Hillage und Gong beeinflusst ist. Viele ihrer Songs enthalten ungewöhnliche Taktarten und überaus komplexe Arrangements. Da macht auch das aktuelle Werk keine Ausnahme, das zudem mal wieder melodische Ausflüge in östliche Gefilde macht und neben den obligatorischen Keyboards und effektlastigen Synthesizern auch ethnisch anmutende Klänge zu bieten hat. Dabei wird mit chorischen Einsprengseln die instrumentale Ausrichtung des Albums beispielsweise im verspielten “Humboldt Currant” durchbrochen.
Das explorative und abwechslungsreiche musikalische Abenteuer wurde 2019/20 komplett im Alleingang von Ed Wynne in den Blue Bubble Studios am Meer geschrieben, programmiert, aufgenommen und produziert. Inspiriert von den schottischen Hügeln, Tälern und Stränden rund um sein Studio wandelt das Album zwischen elegischen Soundscapes, Space Grooves und Ambient-Atmosphären, bisweilen durchbrochen von knallharten Gitarrensoli.
Ein großartiges musikalisches Abenteuer für altgediente Hippies und Freunde des psychedelischen Progressive Rock. Wohlige Erinnerungen an das fröhliche Gedaddel alter Computerspiele inklusive.
Nach der Regenschlacht vom vergangenen Jahr hatte das traditionelle Festival an der Burg Herzberg wahrlich gutes Wetter verdient. 2012 mussten die Landwirte der Umgegend aktiviert werden, um Fahrzeuge auf die Zeltplätze zu schleppen und später wieder raus zu holen. Nächtelang hörte man die Motoren dröhnen – aber das Festival konnte stattfinden und war wie immer ein Zeugnis von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Trotzdem hatte das die Veranstalter auf eine harte Probe gestellt, war der Aufwand doch mit hohen Kosten verbunden. Umso erlösender die Nachricht, dass das Event auch 2013 stattfinden kann. Mit ordentlichem Line-up und (wie sich in den mittleren Juli-Tagen herausstellte) unter hervorragenden Wetterbedingungen. Es war den rührigen Leuten vom Herzberg-Team mehr als gegönnt.
Foto: Horst Müller
Alteingesessene Besucher waren bereits seit Dienstag vor Ort, das Festival startete donnerstags, ich selbst traf erst am Freitag ein. Strahlender Sonnenschein, ein aufgeräumter Zeltplatz, die gewohnt hervorragende Infrastruktur. Ich weiß, dass für viele Besucher, die der Hippie-Kultur frönen, der musikalische Aspekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, doch es darf wieder gesagt werden, dass es einige Hochkaräter zu bestaunen und einige Perlen zu entdecken gab.
In der Nachmittagshitze hatte es sich die Band um den Bluesgitarristen Bassekou Kouyate auf der Bühne bequem gemacht und unterhielt mit einer bunten Mischung aus westafrikanischem Blues und weltmusikalischen Elementen. Hier standen das Beherrschen der Instrumente und die Verbreitung entspannter Stimmung im Vordergrund. Ein perfektes Ensemble für den durstigen Nachmittag.
Foto: Horst Müller
Um 18 Uhr standen dann die Progrocker Riverside aus Polen auf der Bühne. Gerne wird das Quartett um Mariusz Duda mit Bands wie Marillion, Porcupine Tree oder gar Pink Floyd verglichen. Und tatsächlich haben sie in den letzten Jahren einen immer höheren Grad an musikalischer Perfektion erreicht. Die Reise geht vom psychedelischen Prog der 70er über Blues und Jazz bis hin zu den rockigen, bisweilen gar metallischen Klängen der Gegenwart. Dies bewiesen sie auch im Rahmen des Festivals und legten einen klanglich perfekten Auftritt hin. Mariusz ist kein Exzentriker auf der Bühne, aber er besticht immer wieder durch sein Können. Das brachte die Zuschauer nicht zum Tanzen, aber oft genug zum Staunen. So funktioniert Prog – ob man will oder nicht.
Foto: Horst Müller
Steve Hackett war der zweite Topact am Freitag. Wenige Tage später musste ich im Rolling Stone lesen, dass er “die schlimmste Musik der Welt” fabriziert. Obacht! Natürlich ist das ellenlange Instrumental-Gedudel großer Progwerke nicht jedermanns Sache. Natürlich bewegen sich manche Prog-Götter nur sporadisch auf der Bühne und schwelgen darüber hinaus in elegischen Passagen. Aber Hackett? Gerade, wenn er mit der Genesis-Show unterwegs ist? Er hat einen charismatischen Sänger bei sich, der auffällt, der die Bühne einnimmt und einen extrovertierten Peter Gabriel gibt. Manchem mag das affig erscheinen, doch es passt zu der Musik, die man darbietet. Hier leben die Genesis der 70er Jahre weiter und es macht große Freude, Klassiker wie “The Musical Box”, “I Know What I Like” und vor allem das halbstündige “Supper’s Ready” vom Gitarrenmeister himself zu hören.
Foto: Horst Müller
Der Abschluss mit Agitation Free und Orange lud dann wieder mehr zum Schwofen ein. Die Atmosphäre am Ende des heißen Tages war sehr entspannt und man konnte sich umso mehr auf den interessanten Samstag freuen. Der begann für mich mit den gitarrenlastigen Cactus und einer furiosen Rockshow in der Sonne. Die Musiker standen meist mit Sonnenbrillen auf der Bühne, um das grelle Licht zu ertragen. Die Zuschauer freute es hingegen, dass die Sonne auf den Rücken brannte und nicht das Sichtfeld einengte.
Erstes Highlight am Samstag waren The Levellers. Die Briten halten seit Ende der 80er Jahre den Geist des Folkrock hoch und übertragen ihn locker in die Gegenwart. Musik mit Banjo und Fiddle, viele akustische Elemente, eine raue Stimme, viel Kraft, viel Mut und eine Menge musikalischer Einfälle zeichnen die sechs Musiker aus. Hymnen wie “What A Beautiful Day” luden die Zuschauermassen zum Tanzen ein und verwandelten die Wiese zu einem einzigen großen Fest. Die Darbietung war perfekt und erreichte ihren Höhepunkt mit Einsatz eines Didgeridoos, der das Geschehen mit basslastiger Klangfülle zur Vollendung brachte.
Foto: Horst Müller
Die hochgelobten Gov’t Mule waren dann so gar nicht mein Fall. Ihr Southern Rock begleitete den sonnigen Tag über den Sonnenuntergang hinaus, war aber in seiner eintönigen Ausrichtung auch recht langweilig. Die Songs erreichten ständig Überlänge (10+) und das, was ich beim modernen Prog so liebe – nämlich dass man nur schwerlich auf den Punkt kommt – war hier ziemlich nervig. Das Geschehen auf der Hauptbühne fand aber genug begeisterte Fans. Für viele war es also genau das Richtige.
Fast um Mitternacht traten dann endlich Crippled Black Phoenix auf die Bühne. Zu meiner Schande muss ich gestehen, diese famose Band bisher nicht live gesehen zu haben. Das ging vielen Anwesenden so und die Truppe nutzte ihre Chance, ein aufnahmefähiges Publikum zu verzaubern. Hymnische Klangkonstruktionen, filigrane Balladen und durchaus psychedelische Klänge lassen mal wieder Erinnerungen an die seligen Pink Floyd hoch kommen – und auch CBP gehören zu den Bands, die diesen Vergleich verdienen und sich ihm stellen können. Die atmosphärische Dichte des Auftritts war einfach fantastisch und wohl keiner wird bereut haben, das Träumen am Lagerfeuer noch ein wenig aufzuschieben.
Ich war meist vor der Hauptbühne zu finden. Das Lesezelt hatte die richtigen Autoren zur falschen Zeit, die Protagonisten auf den kleinen Bühnen wurden beim leichten Antesten meist zu Ohrenquälern. Allerdings fanden sie immer ihr begeistertes Publikum – und das ist die Hauptsache. Leider musste ich am Sonntag bereits abreisen, so verpasste ich beispielsweise die Party mit den Spin Doctors. Doch man muss sich seine zeitlichen Kapazitäten nun mal gut einteilen. Zum Entschleunigen haben zwei Tage Herzberg allemal gereicht.
Foto: Horst Müller
Das Herzberg-Festival kann einem schnell ans Herz wachsen. Zehntausend Besucher plus Kinder konnten die Veranstalter vermelden. Also ausverkauft. Zwar würden noch mehr Besucher auf das Gelände passen, doch man will das Konzept nicht überstrapazieren. Kinder unter 14 Jahren sind traditionell frei und es wird einiges für die Kleinen geboten. Der große Spielplatz ist eine Attraktion, ebenso die selbstgebastelten Musikinstrumente und die Konzerte, die man damit gibt. Überhaupt findet viel abseits des großen musikalischen Geschehens statt: Immer wieder findet man Einzelpersonen und Musikgruppen am Wegrand, die sich spontan ein ordentliches Publikum erarbeiten und für manche Lacher sorgen. Mein Kompliment gilt den Veranstaltern, die immer präsent waren und für einen friedlichen Ablauf sorgten. Und auch das Publikum lebte Friede, Freude und biologisch wertvolle Lebensmittel. Die stets präsente Müllentsorgung nicht zu vergessen – so wird man zum Musterbeispiel für ein nachhaltiges Festival.
Die Hippie-Bewegung hatte ihre Blütezeit vor allem in den 60er Jahren. Wer heute noch nach diesem seltsamen Völkchen sucht, wird vielleicht auf Ibiza fündig, wo die sehr kommerzialisierten Hippiemärkte gegenwärtig ihren Raum gefunden haben. Oder aber auf einem Musikevent wie dem “Burg Herzberg Festival”, das 1968 erstmals im hessischen Breitenbach stattfand und heute als Europas größtes Hippiefestival gilt. Allerdings gab es in der Geschichte eine längere Pause: von 1973 bis 1990 fand kein Festival statt. Und 1997 musste man von der Burg auf den nahe gelegenen Berg umziehen, um die Zuschauermassen weiter bewältigen zu können. Mit einer Pause im Jahr 2003 findet das Ereignis nun alljährlich im Juli statt und wurde zum größten Happening seiner Art weit und breit, das jährlich um die 10.000 Musikliebhaber anzieht.
Musikalisch sind es nicht die ganz großen Bands, die hier auftreten. Vielmehr erlesene Vertreter einer neuen, progressiven Musikrichtung (wie in diesem Jahr Anathema und Amplifier), alte Recken, die sich ihren Bekanntheitsgrad gewahrt haben (ich nenne mal Jethro Tull und Wishbone Ash), oder aber Bands aus den 70er und 80er Jahren, die nur noch sporadisch auftreten und hier ein kleines Comeback erleben dürfen. Doch um ehrlich zu sein: Die Musik spielt auf dem Burg Herzberg Festival nur eine untergeordnete Rolle. Völlig unbekannte Bands werden genauso bejubelt wie gealterte Helden und sogenannte Topacts. Hauptsache, sie vermitteln die richtige Botschaft – eine Botschaft von Liebe, Frieden und familiärem Beisammensein. Wie das Motto im Jahr 2012: “Make LOVE Work”, das einem Albumtitel der deutschen Band Auletta entnommen ist, die kurioserweise gar nicht auf dem Festival spielte.
Leider musste das Event in diesem Jahr das wetterbedingte Schicksal vieler Festivals teilen: Der Untergrund war sehr nass und die Wiesen hatten sich schon donnerstags (am ersten Konzerttag) in eine Schlammwüste verwandelt. Davon waren sowohl Zeltplatz als auch Festivalgelände betroffen. Beides geht sowieso ineinander über, denn das Herzberg Festival gehört zu den gemütlichen Events, bei denen man quasi direkt vom Zelt zum Bühnengeschehen stolpern kann, ohne weite Wege zurück zu legen. Alles kompakt angelegt. Schwierig war es nur, die Plätze durch die rutschigen Wiesen mit Fahrzeugen zu erreichen. Der Veranstalter hatte zum Glück die Landwirte aus der Umgegend aktiviert, die mit schwerem Gerät ein Auto nach dem anderen auf die freien Lagerplätze schleppten. Manche Gäste – so wurde später erzählt – mussten bis zu acht Stunden ausharren, bevor das Zelt aufgeschlagen werden konnte. Doch davon war keinem etwas anzumerken. Die Stimmung unter den Besuchern, die sich barfuß oder mit Gummistiefeln durch die Wiesen kämpften, war durchweg positiv.
Überhaupt gehörten Gummistiefel zum wichtigsten Ausrüstungsgegenstand. Das durfte ich bei meiner Ankunft freitags pünktlich zum ersten großen Regenguss feststellen. Die Menge kam nur noch schleppend voran und der Weg zwischen Festivalbühne und einem der vielen Verkaufsstände wurde zum kleinen Abenteuer. Und dennoch: Alles war entspannt, man traf nur auf gut gelaunte Menschen, die aus der Not eine Tugend machten und sich im Schlamm vergnügten, die sich gegenseitig halfen und ein großes Miteinander lebten. Man spricht gerne von der Herzberg-Familie und nimmt Neulinge in Windeseile darin auf.
Der Platz an der Festivalbühne füllte sich locker, als Deadman und The Tubes auftraten. Sehr solider Rock von relativ reifen Herren. Das sind Bands, die man sonst vielleicht in kleinen Clubs sieht und gerne mal für ihr Verhaftetsein in der Musik der 70er belächelt. Hier zum Herzberg Festival passten sie perfekt und standen für eine Veranstaltung, die den Geist vergangener Jahrzehnte lebt.
Dafür steht auch Ian Anderson, der momentan zwar nicht unter dem Bandnamen Jethro Tull auftritt, aber doch ganz und gar deren Musik zelebriert. Klar, denn wie kaum eine andere Band wurde und wird Jethro Tull über ihren Frontmann – den Derwisch mit der Querflöte – identifiziert. Und der hat gerade ein Soloalbum auf den Markt gebracht, das einen Klassiker der Band fortsetzt: “Thick As A Brick 2”. Das Konzert stand ganz im Zeichen des Originalalbums und seiner Fortsetzung. Somit wurde auch kein Best-of-Set gespielt, sondern es gab sehr virtuose Songs, zum Teil in epischer Breite und mit langen Solopassagen. Anderson ließ sich von der Menge feiern – bis hin zur sehnlich erwarteten Zugabe “Locomotive Breath”. Er legte aber auch heftige Starallüren an den Tag, ließ nur ausgewählte Fotografen im Graben zu und kommunizierte nicht mit dem Publikum. Musikalisch ein absolutes Highlight, doch menschlich eine herbe Enttäuschung für viele Anwesende.
Da lob ich mir doch Tito & Tarantula. Die US-Rocker, die 1996 durch ihren Auftritt im Kultfilm “From Dusk Till Dawn” bekannt geworden sind, waren nicht zum ersten Mal beim Herzberg Festival. Von den Gründungsmitgliedern ist auch nur noch Sänger Tito Larriva übrig. Doch diese charismatische Persönlichkeit reicht aus – und dazu umgibt er sich mit guten Musikern, zum Teil sehr ansehnlichen Frauen, und brachte die ganze Wiese zum Abrocken. So wurden die Zuschauer auch bis spät in die Nacht vor der Hauptbühne gehalten. Und wem die Mainstage zu sehr Mainstream war, der begab sich einfach zur Freakstage und bewunderte die extravaganten, jungen Musiker, die hier ihre Plattform und ein dankbares Publikum fanden. Oder er ging zum nächstgelegenen Dixi-Klo, in dem sich vielleicht jemand mit Gitarre für ein winziges Privatkonzert breit gemacht hatte. Musik gab es hier wirklich an jeder Ecke.
Was bleibt an Eindrücken? Ein schönes, entspanntes Festival, das sich als großes, familiäres Miteinander erleben lässt. Sicher waren auch Drogen im Spiel (ein Thema, mit dem die Veranstalter sehr offensiv umgehen), doch der Polizeibericht fiel positiv aus – die Zusammenarbeit der Festival GmbH mit den Ordnungshütern fruchtet und man konnte den Drogenkonsum erfolgreich eindämmen. Stattdessen sieht man “Blumenkinder” aus allen Generationen, viele Kinder und viele ergraute Paare. Es liegt kaum Müll auf dem Gelände. Alle nutzen die Entsorgungsplätze (kein Vergleich zu den Müllbergen von Rock am Ring). Greenpeace informiert und Hare-Krishna-Jünger ziehen singend durch die Stände. Man erfreut sich an bunten Kleidungs- und Schmuckstücken, die andernorts eher in die Rubrik “Karneval” fallen würden, man bekommt veganes Essen und allerlei exotische Nahrungsmittel, und vor allem: Man lernt viele nette Leute kennen. Einen Besuch im Jahr 2013 kann ich jedem nur ans Herz legen – dann vielleicht unter besseren Wetterbedingungen.