Nach drei Studio-Alben und einer ausverkauften Headliner-Tour zum letzten Album „Wir waren nie hier“, haben Emma6 Ende Januar eine neue 4-Songs-EP mit dem Titel „Möglichkeiten“ veröffentlicht. Darauf klingt das Trio abgespeckt, mehr nach Akustikgitarre und doch erkennt man den unverwechselbaren Emma6-Sound wieder. Nach vierzehn Bandjahren und drei Alben hat die Band offensichtlich Lust in kleineren Sinneinheiten zu fühlen und zu denken. So gibt es passend zur EP auch noch eine Video-Tetralogie. Grund genug für Musicheadquarter-Redakteurin Hannah Kröll bei Emma6-Schlagzeuger Henrik Trevisan nachzufragen.
Ihr habt euch für das Schreiben eurer neuen Songs in eine Hütte im Schwarzwald eingeschlossen. Klingt sehr idyllisch! Wie seid ihr auf diese Idee gekommen und warum ausgerechnet der Schwarzwald?
Henrik Trevisan: Das hat sowohl pragmatische als auch romantische Gründe. Wir leben mittlerweile alle am Rhein zwischen Köln und Karlsruhe. Dadurch gibt es nicht mehr zwangsläufig einen einzelnen naheliegenden Ort, an dem wir uns treffen. Hinzu kommt, dass der Schwarzwald eine wirklich schöne Gegend ist und man dort Plätze findet, die sehr abgelegen sind, was sehr inspirierend ist.
Wieso habt ihr euch denn dazu entschieden die Songs über einen längeren Zeitraum einzeln zu veröffentlichen und nicht, wie sonst ja oft üblich, alle auf einen Schlag in einer EP?
Henrik Trevisan: Wir haben festgestellt, dass die Zeiträume zwischen zwei Alben bei uns immer recht lang sind. Es gibt Songs, die sehr früh in dieser kreativen Phase zwischen den Veröffentlichungen entstehen, und andere, die erst spät dazukommen. Wir wollten den Zeitpunkt zwischen Entstehung und Veröffentlichung gerne verkürzen, daher die Entscheidung zur EP. Zusätzlich hatten wir die Idee eines Kurzfilms, der die Songs begleitet und zunächst nur Stück für Stück veröffentlicht wird. Das fanden wir sehr passend.
Bei „Möglichkeiten“ beschreibt ihr nach meiner Lesart den Konflikt zwischen den tausenden Möglichkeiten, die sich auftun und der damit zusammenhängenden Überforderungsproblematik. Hattet ihr beim Schreiben von „Möglichkeiten“ ein bestimmtes Dilemma im Kopf oder geht es bei dem Song mehr um etwas Generelles?
Henrik Trevisan: Deine Lesart trifft die Idee des Songs. Es geht einerseits um die großen Möglichkeiten im Leben, also Fragen wie: Wo möchte ich leben? Wie möchte ich leben? Was ist mir eigentlich wichtig, was nicht? Andererseits sind aber auch die Kleinigkeiten gemeint, bei denen man jeden Tag die Wahl hat und auch dort nicht immer klar ist welche Auswirkungen diese kleinen Entscheidungen haben. Daher kann es durchaus sinnvoll sein sich Gedanken darüber zu machen, was man wählt. Denkt man aber zu viel nach, kann es wiederum sein, dass man Dinge versäumt.
Bei „Nirgendwo“ hat mich der Teil „Nichts passiert hier im Nirgendwo, wo du warst ist es seltsam leer. Nichts passiert, das war schon immer so, aber mit dir weniger schwer“ sehr an „Seit du weg bist, ist hier nichts mehr wie es war. Nur ich bin noch da“ aus „Köln – Wien“ von eurem Album „Passen“ erinnert. Hängen die Songs irgendwie zusammen?
Henrik Trevisan: Das Grundgefühl der beiden Songs ist ähnlich, es gibt auf jeden Fall gewisse Parallelen. Bei „Nirgendwo“ geht es aber um eine Freundschaft, während „Köln – Wien“ eine Fernbeziehung thematisiert.
In Bezug auf „Nirgendwo“ würde ich natürlich auch gern noch wissen, ob mein Tipp aus dem Review (hier zum Nachlesen) stimmt und ihr euch mit der Line „Doch irgendwer Schlaues hat einmal gesagt ‚Irgendwann ist auch nur ein anderes Wort für nie!‘“ wirklich auf Kettcars „Benzin und Kartoffelchips“ bezieht oder ob ich mir diese Verbindung nur einbilde?
Henrik Trevisan: Diese Verbindung bildest du dir definitiv nicht nur ein. Große Schreiber wie Kettcar darf und sollte man auch mal zitieren. Vor allem, wenn einem selbst keine bessere Zeile einfällt (grinst).
Die neue Emma6-EP „Möglichkeiten“ wurde am 24.01.2020 beim Label Ferryhouse Productions veröffentlicht.
Hattet ihr beim Schreiben von „Meine Wege deinetwegen“ eine bestimmte Person im Kopf und wenn ja, war es dann bei euch allen drei dieselbe?
Henrik Trevisan: Der Text ist von Peter (Trevisan, Sänger von Emma6, d.Red.). Er ist letztes Jahr Vater geworden und der Song war das Geschenk an seine Frau zur Geburt.
„Überwintern“ ist für mich ein ganz spezieller Song, weil der Text und die Musik sehr aufmunternd wirken und fast schon fröhlich, eigentlich ist das Thema des Songs ja aber auch etwas Trauriges, nämlich Niedergeschlagen-Sein und eben das Fehlen des Gedankens, dass es besser wird, zumindest bei denjenigen, die ihr ansprecht. Warum habt ihr euch für einen solchen „Kontrast“ entschieden? Oder würdest du es gar nicht als einen solchen Kontrast ansehen?
Henrik Trevisan: Wir haben das Gefühl, dass gute Zeiten nur deshalb so gut sind, weil es auch weniger gute gibt. Wenn ich nur mein Umfeld betrachte, dann stelle ich fest, dass viele Menschen unzufrieden sind, obwohl sie objektiv betrachtet wohl alles haben, was sie brauchen und damit meine ich nicht nur materielle Dinge. Ganz persönlich gibt es unsere Band nun schon wirklich sehr lange und jeder von uns hat in dieser Zeit Gutes und weniger Gutes erlebt. Oft waren die schwierigsten Zeiten die, in denen wir uns am besten kennengelernt und etwas für die guten Zeiten mitgenommen haben.
Eure Songs wirken so persönlich, aber ich konnte sowohl bei „Möglichkeiten“ als auch bei „Überwintern“ auch Zusammenhänge zu großen Themen gesellschaftlichen Zusammenlebens erkennen. Wie viel gesellschaftliche Kritik steckt denn in den neuen Liedern?
Henrik Trevisan: Wir sind wie alle anderen auch Teil einer Gesellschaft. Ich denke persönliche und gesellschaftliche Dinge bedingen sich daher gegenseitig. In den allermeisten persönlichen Songs gibt es daher auch eine gesellschaftlichen Komponente.
Woher kam eigentlich die Idee eine Video-Tetralogie zu den Songs aufzunehmen?
Henrik Trevisan: Das Format der EP, also einer Veröffentlichung mit in unserem Fall nur vier Songs, war für uns neu. Zwar haben wir am Anfang der Bandgeschichte schon selber Songs aufgenommen und diese dann auf CDs gebrannt, die vier bis fünf Songs enthielten, aber das liegt schon länger zurück. Nun hatten wir das Gefühl, dass die Songs, die als Paket entstanden sind, auch visuell als Paket präsentiert werden sollten. Damit war die Idee geboren, dass wir in den Videos eine zusammenhängende Geschichte erzählen wollen. Das Drehbuch hat schließlich Dominik (Republik, spielt Bass bei Emma6, d.Red.) geschrieben.
Und zu guter Letzt noch die Frage, die uns wohl allen unter den Nägeln brennt: Wird die EP der Anstoß für eine erneute Tour sein?
Henrik Trevisan: Wir werden Ende des Jahres einige Konzerte spielen. In welchen Städten wir einen Stopp machen werden, kann ich leider noch nicht sagen, aber es wird Konzerte geben. Wir freuen uns jetzt schon und machen uns bereits Gedanken wie wir die neuen Songs live präsentieren möchten.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Wir bedanken uns vielmals für deine Zeit und freuen uns auch schon darauf euch wieder live sehen zu können.
Ein Dankeschön geht ebenfalls an Jenny Gottstein von ferryhouse productions für die nette Vermittlung des Interviews!
Nach dem Konzert im „Kleinen Klub“ am 14.10.2014 in Saarbrücken hat sich Ross Learmonth von Prime Circle spontan Zeit für ein kurzes Interview über das neue Album genommen
Die südafrikanische Band „Prime Circle“ gilt in ihrer Heimat als erfolgreichster Rock-Act in der Geschichte Südafrikas. Passend zum 6. Studioalbum, das am 13.06.14 erschienen ist, sind Prime Circle wieder auf Europa-Tournee um ihre neue CD „Let the night in“ am 14.10.14 in Saarbrücken zu präsentieren. Wir haben Frontsänger Ross Learmonth zum neuen Album befragt.
„Let the night in“ ist nun das sechste Album von euch. Wie lange habt ihr daran gearbeitet?
Ross: An manchen Songs habe ich schon seit vier Jahren gearbeitet. Anfangs war ich etwas verunsichert, den anderen aus der Band die Songs vorzustellen, da sie für mich doch recht persönlich sind. Als ich ihnen im Studio die Lieder präsentiert habe, waren die anderen begeistert und haben ihre Ideen mit einfließen lassen. Da die Endresultate fantastisch geworden sind und wir die Songs sehr mögen, haben wir beschlossen, diese für das Album aufzunehmen.
Welche Bedeutung hat der Name eures Albums „Let the night in“?
Ross: Wir haben 1½ Monate in den „SABC South African Broadcasting Studios“ verbracht , was für uns eine tolle Zeit war, in der wir viel gelacht haben. An den Wänden hingen Bilder von Bruce Lee. Diese Bilder haben uns bei der Namensgebung inspiriert, denn mit einem „Schlag“ kann man zu dem werden, der man wirklich ist. „Let the night in“, bedeutet beispielsweise, dass die Menschen ihre Arbeitskleidung ablegen und danach zu den Menschen werden, die sie wirklich sind und niemandem etwas vorspielen müssen.
Ihr habt mit eurem neuem Album sehr überrascht. Es ist anders, als die letzten Alben. Mir ist beispielsweise der neue „elektronische Sound“ aufgefallen. Was war der Grund etwas Neues in dieser Richtung auszuprobieren?
Ross: Unser Motto ist „immer anders zu sein“, was auch für die Zukunft gilt. So können wir ständig mit etwas Neuem überraschen. Bei uns kann man nie sicher sein, was kommt. Vielleicht werden wir irgendwann auch einmal ein extremes Metal-Album aufnehmen. Auf dem neuen Album gibt es neue Elemente, da wir unseren Keyboarder einmal nach vorne stellen möchten, da er sonst musikalisch meistens im Hintergrund steht. Dieses Mal konnte er viele neue Sounds ausprobieren und seiner Kreativität freien Lauf lassen. Außerdem spielen Gefühle eine große Rolle auf diesem Album.
Du hast gesagt, dass es ein persönliches Album für dich ist. Was sind deine Lieblingslieder und warum?
Ross: Ich liebe das ganze Album, es ist schwierig für mich einen Lieblingssong auszuwählen. Ein wichtiges Lied für mich ist definitiv „My City“. Ich komme aus einem kleinen Dorf und ich bin umgezogen in eine große Stadt – Johannesburg – und da gab es viele unheimliche Plätze. Die Leute sollen dieses Lied als „ihren Song“ verstehen, denn es geht nicht nur um eine Stadt, es könnte sich neben Johannesburg auch um Berlin oder Saarbrücken oder irgendeine andere Stadt handeln – um einen Ort, an dem man lebt, an den man denkt. Passend zu „My City“ ist für mich das Lied „Not alone“. Es geht darin um die Angst vor Einsamkeit, aber diese Angst ist Unsinn, weil man immer irgendwo dazugehört.
Ihr tourt momentan durch Europa und auch durch Südafrika. Was sind eure Pläne danach?
Ross: Erstmal genießen wir es unser Album in Europa vorzustellen und zu sehen, dass immer mehr Leute zu unseren Konzerten kommen. In Berlin und vielen anderen Orten war es ausverkauft. Als wir hier das erste Mal vor zwei Jahren in Saarbrücken gespielt haben, sind nur fünfzehn Leute erschienen. Heute waren über Hundert da. Wir freuen uns darüber, dass wir hier in Europa immer bekannter werden und das ist ein großer Schritt für die Band. Möglicherweise können wir in einem oder zwei Jahren noch mehr Konzerte in Europa geben. Es wird auch ständig an neuen Songs geschrieben, egal wo wir gerade sind. Wir können nicht aufhören an neuen Dingen zu arbeiten. In Zukunft werden wir noch mit vielen verrückten Dingen überraschen, vielleicht bieten wir auch einige „Open house“ Veranstaltungen und mehr Akustik-Versionen an.
Im Backstage-Bereich habe ich Neil Breytenbach und Dirk Bischoff noch eine unmusikalische, aber praktische Frage gestellt.
Ihr seid mit einem Tourbus unterwegs und schlaft dementsprechend auch darin. Wie ist es für euch auf so engem Raum zu leben und auf Tour zu sein?
Neil/Dirk: Es ist in Ordnung. Wir haben damit keine Probleme. Für uns ist es einfach toll auf Tour zu sein, denn Musik ist unsere „Passion“. Wir lieben, was wir tun und das können wir nicht nur in Afrika, sondern nun auch in vielen Städten Europas zeigen!
Warum bin ich von dieser Antwort nicht überrascht?! Vielen Dank für eure Offenheit!
Ihr erstes, 1997 aufgenommenes Album benannten die Beatsteaks noch nach der Hausnummer ihres Proberaums, 48/49. Inzwischen gehört das Quintett aus Berlin zu den prominentesten Punkrockkapellen des Landes. Im August erschien ihr neues und schlicht „Beatsteaks“ betiteltes siebtes Werk. Ab November lassen sie es dann auf der „Creep Magnet“-Tour wieder so richtig krachen.
Getreu dem Motto „Nach der Tour ist vor der Tour“ ließen sie es sich nicht nehmen, vor der großen Hallentour noch ein paar Clubs zu zerlegen. Am Vortag ihres Auftritts im Kölner Gloria Theater traf sich Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll mit Torsten Scholz zum Interview. Wie immer allerbester Laune und frei Schnauze erzählt der Beatsteaks-Bassist darin ausführlich über 20 Jahre Beatsteaks, seine besondere Beziehung zu Köln, typische Tourtage, den „Rockstar-Rummel“, darüber, welche Frage er sich selbst nicht stellen würde und über’s Wäsche waschen, Klo schrubben und Staubsaugen.
Ihr habt euch 1995 gegründet. Demnach steht im kommenden Jahr euer 20-jähriges Bandjubiläum an. Gibt es schon konkrete Pläne, wie ihr das feiern wollt?
Torsten Scholz: Ja, wir haben Pläne. Und ja, wir wollen es feiern. Glaube ich jedenfalls. Es gibt auch schon Pläne, die relativ konkret werden, nur sind die halt wirklich noch nicht so ausformuliert, dass ich jetzt sagen kann, wir spielen dann und dann und dort und dort. Wir werden auf alle Fälle einige große Sachen spielen, wo der Fokus ganz eindeutig auf diesen zwanzig Jahren ist. Und ich glaube am Ende wird das ganze Jahr so ein bißchen unter dem Deckmantel des 20-jährigen Jubiläums sein. Was man da genau macht, ob man jetzt zum Beispiel mal alle seine Platten spielt, muss man sehen. Ich muss auch gleich, wenn wir hier fertig sind, an meinen Computer, weil ich mit einem Typen noch was wegen einem Poster checken muss.
Euer aktuelles selbstbetiteltes Album schoss im August auf Platz 1 der deutschen Charts. Zur Zeit seid ihr auf „Club Magnet“-Clubtour, unmittelbar danach folgt die große „Creep Magnet“ Hallentournee. Viele Konzerte sind bereits jetzt restlos ausverkauft. Hättet ihr euch vor zwanzig Jahren einen solch überwältigenden Erfolg träumen lassen?
Torsten Scholz: Vor zwanzig Jahren wusste ich nicht mal, dass es diese Band gibt. Ich bin ja erst seit 1999 dabei. Selbst als es dann langsam losging und das erste Video kam, wir zum ersten Mal im Radio gespielt wurden, war man natürlich weit weg davon zu überlegen, dass man mal im Palladium oder in der Wuhlheide oder in der Westfalenhalle spielt. Das ist aber auch gut so, finde ich. Das war immer so: Oh geil, wir können im Underground spielen. Underground ist ausverkauft. Wir spielen jetzt im E-Werk oder im Gloria. Dann ging’s sogar los, dass wir überlegt haben: In der Kölnarena? Nee, nee, auf keinen Fall, lieber nicht. Dann lieber zweimal Palladium. Das waren immer so diese kleinen Schritte. Dabei hatte man, wenn man den einen gemacht hat, den nächsten nicht wirklich vor Augen. Da war immer nur der Fokus: Ey, das Underground ist ausverkauft. Wieviel passen da rein? 300? Hammer! War ausverkauft. Das haben wir zweimal gemacht und grandiose Konzerte gespielt. Das ist wichtig gewesen, dass man diese kleinen Dinger immer vor Augen hatte. Es war immer alles überraschend für uns.
Die Kölnarena hat auch eine beschissene Akustik.
Torsten Scholz: Das war mit ein Grund. Und dann ist die auch sehr groß. Und ich finde, man muss es auch nicht übertreiben.
Morgen spielt ihr ja wieder mal hier im Gloria und dann am 18. und 19. November noch zweimal im Palladium. Es scheint fast so, als hättet ihr eine kleine Liebesbeziehung zu Köln entwickelt. Kann das sein?
Torsten Scholz: Ja, mit Köln läuft gut. Also mit Dortmund läuft es gerade nicht so gut, da könnten noch ein paar Leute mehr in die Westfalenhalle kommen. Ich kenne in Köln auch eine Menge Läden. Ein paar davon gibt es glaube ich schon gar nicht mehr. Gebäude 9 oder Live Music Hall zum Beispiel.
Die gibt es auf jeden Fall noch. Die Live Music Hall finde ich persönlich aber kacke.
Torsten Scholz: Also, wir haben bis jetzt in fast jedem Kackladen hier in der Stadt gespielt und danach auch oft noch in Köln gefeiert. Dann war hier teilweise natürlich auch das Musikfernsehen. Hamburg, München, Köln, Berlin… das sind ja die Städte, wo man immer so die ersten Touren macht, wo jede Band anhält und wo die Leute auch sehr verwöhnt sind. Aber obwohl hier irgendwie alle Bands spielen, sind die Leute nicht satt. Die Mentalität ist super. Wir haben hier auch mal eine Platte aufgenommen. Nette Leute halt. Du bist auch Kölner, wa?
Im Herzen definitiv. Meine Freundin wohnt in Köln. Ich wohne nicht in Köln, bin aber natürlich häufig hier. Ich finde die Stadt grossartig.
Torsten Scholz: Ja, die ist toll. Ich mag Köln komischerweise auch mehr als Hamburg. So vom Bauchgefühl. Aber es ist einfach immer gut gelaufen hier. Hier hat man auch ganz einfach den gesunden Weg gemacht. Und das war immer cool.
„Wir sind ja weit davon entfernt berühmt zu sein“
Du hast ja eben schon gesagt, dass du seit 1999 in der Band bist. Das sind ja immerhin auch schon fünfzehn Jahre. Wenn man mit den anderen Jungs über einen so langen Zeitraum zusammen arbeitet, dann geht man sich doch zwischendurch auch sicher mal tierisch auf den Keks, oder?
Torsten Scholz (grinst): Aber hallo! Richtig doll auf den Sack geht man sich sogar. Aber es ist ein bißchen so wie eine Liebesbeziehung, wie eine Ehe. Ich bin quasi mit vier Typen liiert und muss mich da immer mit allen arrangieren. Das Gute ist, dass man halt älter wird. Man wird erwachsen irgendwann. Hat dann selber Kinder zuhause und weiß, dass es halt wichtig ist über die Probleme, die man hat oder mit sich trägt, zu reden. Dann löst sich das alles. Wenn man das nicht macht, so wie früher und ein paar Sachen in sich reinfrisst und sich anblökt, dann war’s doof. Aber jetzt nervt es manchmal auch noch. Wenn zum Beispiel einer nicht weiß, wann Schluß ist. Aber das ist dann meist immer sehr, sehr humorvoll. Und wenn es wirklich ernsthaft mal nervt oder irgendein Furz quersitzt, dann schnappt man sich den Typen, redet und dann ist eigentlich alles wieder gut. Am Ende muss man wirklich sagen: Das scheint ja schon ganz gut zu funktionieren. Wenn da irgendeine Konstellation in irgendeiner Art und Weise nicht klappen würde, dann würde man nicht fünfzehn Jahre lang zusammenhocken. Wir sind ja jetzt auf der Tour die ganze Zeit zusammen. Da muss ja schon chemisch irgendwas da sein, dass man zusammenpasst. Und das ist offensichtlich gegeben.
Du hast es selbst erwähnt. Ihr habt Familie, Kinder und seid erwachsen geworden. Hilft euch das auch ein bißchen bei diesem ganzen „Rockstar-Rummel“ auf dem Boden zu bleiben? Werdet ihr dadurch geerdet?
Torsten Scholz: Ich finde ja überhaupt nicht, dass es irgendeinen „Rockstar-Rummel“ gibt. Klar ist das hier eine relativ große Suite, aber hier wohnt ja auch unser Tourmanager. Ich hab ein ganz normales Zimmer, was ich mir auch noch mit unserem Soundmann teile (lacht). Wir sind ja so weit davon entfernt Rockstars zu sein. Wir haben uns letztens eine Doku über Aerosmith angeguckt. Weißte, das sind halt Rockstars. Es gibt selbst in unserem Land noch tausende Leute, die richtig berühmt sind. Und wir sind ja weit davon entfernt berühmt zu sein. Deswegen muss ich auch gar nicht groß geerdet werden. Ich empfinde es sogar manchmal als ziemlich anstrengend. Wenn ich jetzt nächste Woche wieder nach Hause komme, bringe ich am Freitag erstmal meine Tochter in die Schule und stehe um 6 auf. Das geht mir eigentlich eher auf den Sack. Ich muss nicht geerdet werden. Ich mache dann meine Wäsche zuhause, ich schrubbe das Klo, ich sauge Staub. Es ist halt toll, dass ich meine Tochter dann wiedersehe, ich fahre mit meinem Renault Kangoo einkaufen und daran ist überhaupt nix Rockstarmäßiges.
Naja, hierzulande seid ihr ja schon eine große Band. In Luxemburg, Österreich und der Schweiz auch. Meine Freundin hat euch sogar schon mal in Budapest gesehen.
Torsten Scholz: Ach echt, ja? In so einem kleinen Club. Ewig her. Das war auch toll da. Europa müssen wir auch mal wieder machen. Gute Idee (lacht)!
Ihr seid ja schon mit einigen geilen Bands getourt. Bad Religion, Die Ärzte, Donots, Die Toten Hosen… gibt es noch eine Band oder einen Künstler, mit dem ihr unbedingt gerne mal zusammen auf der Bühne stehen würdet?
Torsten Scholz: Also mein Traum ist vor ein paar Jahren in Erfüllung gegangen. Wir haben in Lugano in der Schweiz mal mit den Beastie Boys gespielt. Das war grandios. Da muss eigentlich gar nicht mehr viel kommen. Natürlich glaube ich, wenn uns jetzt die Foo Fighters fragen würden, ob wir nicht mit denen durch England touren wollen, dann wäre man schön blöd zu sagen: Nee, machen wir nicht. Oder Queens Of The Stone Age. Ich persönlich höre ja kaum Rockmusik zuhause. Ich hab Rancid halt schon tausendmal live gesehen und finde die live nicht so geil, obwohl die grandiose Platten machen und eine super Punkrockband sind. Mit All haben wir schon gespielt, mit Descendents… da ist auch schon viel passiert in den letzten Jahren. Mein Soll-Haben-Ding ist eigentlich ausgeglichen.
„Helene Fischer findet man einfach kacke“
Wenn du sagst, dass du zuhause keinen Rock hörst, was hörst du dann?
Torsten Scholz: Ich höre eigentlich fast nur Rap. Und da ich immer noch relativ viel auflege in Berlin, ist das oft auch Musik, die im Club läuft. Es gibt auch Rockmusik, die ich gut finde und die mir gefällt, aber ich höre dann lieber Led Zeppelin I, II, III als irgendeine moderne Band. Bei Rock muss dann schon alles stimmen. Beim Rap reicht mir schon, wenn der Beat geil ist. Meine Schwelle zu sagen, das ist gut oder schlecht, ist viel niedriger bei Rapmusik. Deswegen macht das viel mehr Bock für mich und Sinn das zu hören. Es ist wie mit jeder Musik. Ich hocke oft bei einem Freund, der hört nur Black Metal und ich bin total begeistert, wenn ich da bin. Und zuhause höre ich am Ende sowieso nur Bibi Blocksberg (lacht). Mit Rock darfst du meiner Tochter gar nicht kommen. Da bist du gleich raus. Mach mal aus, Papa, das nervt! Mach lieber Cindy Lauper an!
Im Endeffekt ist das ja sowieso alles subjektiv. Entweder Musik gefällt oder eben nicht. Wenn du über Musik schreibst, kannst du ja eigentlich gar nicht sagen, ob das nun gut oder schlecht ist. Es ist letztlich immer nur deine persönliche Wahrnehmung.
Torsten Scholz: Ja, das ist aber eine gute Herangehensweise. Es gibt ja viele, die sich einfach anmaßen zu sagen, das ist schlecht oder das ist gut. Hat man selber ja auch. Helene Fischer findet man einfach kacke. Aber man könnte auch sagen, dass die am Ende ja auch singen kann. Die hat eine Musicalausbildung. Oder eine Band wie Revolverheld. Die gefällt mir jetzt nicht, aber es ist doch durchaus berechtigt, dass jemand sagt: Ja, mir gefallen die. Nur muss ich es ja nicht gut finden.
Stehst du lieber im Studio und feilst an neuen Songs oder auf der Bühne und lässt es krachen? Oder kann man das nicht miteinander vergleichen?
Torsten Scholz: Mir macht ganz eindeutig mehr das Livespielen Spass. Ich finde da wird auch gefeilt. Klar gibt es Konzerte, wo man denkt, mir kann gerade nichts passieren und ist das alles geil. Aber manchmal gibt es Songs, wo ich denke: Ach guck mal, wenn ich den so spiele, dann klingt’s ja so. Da ist dann auch noch sehr viel Musikalität mit drin. Im Studio ist es natürlich manchmal auch ganz schön diese Erlebnisse zu haben. Wenn du mit was kommst und jemand sagt das ist ja geil, dann freust du dich einfach. Grundsätzlich finde ich, ist das Touren und Livespielen das, was die Band am Leben hält.
Plötzlich klingelt es an der Zimmertür…
Torsten Scholz: Ich mache mal kurz auf. Ist ja keine Liveübertragung (lacht).
Die Zimmermädchen möchten das Hotelzimmer reinigen. Torsten Scholz komplimentiert sie auf seine eigene charmante und witzige Art hinaus und vertröstet sie auf später.
Nochmal zurück zur Tour. Wie sieht bei euch ein typischer Tourtag aus?
Torsten Scholz: Das kann ich dir ganz genau sagen. Meistens und je nachdem, wann man ins Bett gekommen ist, ist Aufstehen so gegen 10 oder 11. Wenn du um 11 aufstehst, bist du schon fast der Letzte. Dann gehe ich immer rennen für ne halbe Stunde oder Stunde. Danach mache ich Gymnastik mit Thomas (Götz, dem Beatsteaks-Schlagzeuger, Anmerkung der Redaktion), weil wir beide Rückenprobleme haben. Dann esse ich was, dann duscht man. Dann gibt es meistens so ein, zwei Stunden Ruhe bis zum Soundcheck. Da wird dann entweder mit der Ollen telefoniert oder ein Interview gemacht oder so Sachen. Dann ist Soundcheck um 4, der geht bis um halb 6. Dann ist Essen. Dann habe ich mich jetzt noch ein paarmal in den Bus gelegt und gepennt, weil wenn man um 10 oder 11 aufsteht, aber erst um 5 besoffen ins Bett gefallen ist, ist das meist zu wenig (grinst). Um 8 macht man sich fertig, guckt sich die Vorband ein bißchen an und trinkt das erste Bier. Um 9 geht man auf die Bühne bis um 11. Je nachdem wie das Konzert war, ist danach noch ein bißchen mehr oder weniger ernst diskutieren und unterhalten im Backstage angesagt. Oder es wird danach vor dem Bus rumgecornert. Und dann halt Bierchen, wa?! Leider danach nie wieder Tanz. Ich war auf der Tour jetzt noch nicht einmal tanzen, was ich ganz schlimm finde. Früher war immer Disco danach im Club und deshalb hatte ich mich auch so auf die Clubtour gefreut. Aber nix! Noch nicht einmal war eine scheiß Disco danach. Das sind aber auch ganz oft keine Clubs mehr, sondern so Kulturzentren. Letzter Ton, Bäm, Licht geht an und die Leute werden rausgefegt. Total ungemütlich. Das prangere ich total an. Also ich glaube morgen im Gloria wird’s halt so sein, dass danach nicht unbedingt der Riesentanz ist, aber da ist die Bar noch offen und es läuft noch ein bißchen Mucke. Also ich versacke in Berlin, wenn ich dann mal auf ein Konzert gehe, regelmäßig immer noch irgendwo am Tresen. Weil ich das total blöd finde. Du stehst da mit deinem halbvollen Bier, denkst was für ein geiles Konzert und musst dann direkt umschalten auf Jacke holen, anziehen und nach Hause.
„Die kleinen Brühbirnen hören jetzt mal eine Woche das und danach kommt die nächste Scheiße, die sie konsumieren“
Gab es auf der Clubtour bis jetzt irgendwelche lustigen oder besonderen Erlebnisse, Begegnungen, Ereignisse? Ich sehe dich ja immer auf Facebook, wo du deine Selfies postest mit dem jeweils besten Club der Welt.
Torsten Scholz: Genau. Glücklicherweise sind keine schlimmen Sachen passiert. Gestern im Bus haben wir uns mal wieder gegenseitig tätowiert. Wir machen das jetzt mittlerweile immer beim Fahren (zeigt ein Tattoo an seinem linken Unterarm). Deshalb sieht das auch ein bißchen asozial aus.
Ja, ist ein bißchen verwackelt.
Torsten Scholz: Ja, aber so soll’s auch sein (lacht). Gestern gab es halt mal wieder eine kleine Busparty, als wir von Dortmund nach Köln gefahren sind. Aber das ist alles relativ gesittet. Der Fokus ist immer das Konzert. Und das finde ich eigentlich auch ganz gut. Dass wir uns jetzt heißes Kerzenwachs über den nackten Oberkörper schütten wie vor Jahren… heute ist das alles relativ lahm. Oder normal. Klar wird Bier und auch mal ein Schnaps getrunken, aber das hält sich alles ganz doll im Rahmen. Wir nehmen die Sache glücklicherweise und manchmal auch leider sehr, sehr ernst. Deswegen steckst du da ganz viel Energie und Zeit rein. Party machst du immer nur, wenn dir alles scheißegal ist oder alles total super läuft. Und da gibt es noch genug Sachen, die halt verbesserungswürdig sind. Vom Club, von uns und so. Da ist es wichtiger sich darüber zu unterhalten als feiern zu gehen.
Wenn du zwanzig Termine am Stück spielst und jedesmal feiern gehst, dann bist du ja auch irgendwann durch.
Torsten Scholz: Eben, man muss ja auch die Kirche mal im Dorf lassen. Man ist ja auch keine 19 mehr.
Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben die Musikszene in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Du bist sehr aktiv auf Facebook, dann gibt es Spotify oder iTunes. U2 haben ihr neues Album gerade via iTunes verschenkt. Wird Musik dadurch nicht auch ein Stück weit abgewertet?
Torsten Scholz: Ja und nein. Die U2-Sache finde ich wirklich hochgradig gefährlich. Ungefragt Leuten deine Scheiße unterjubeln, das macht man einfach nicht. Ich finde, das war frech und überheblich. Man regt sich über die NSA auf und dann darf irgendjemand in mein Wohnzimmer gehen, in meinen Plattenschrank eine Platte reinstellen und wieder rausspazieren. Am Ende war es ja so. Und dann noch so ein Gutmenschenidiot wie Bono. Also die sind für mich durch. Mit dem anderen Ding gibt es immer so ein Für und Wider. Ich konsumiere auch Musik aus dem Internet. Ich gehe aber auch los und kaufe mir für 300 oder 400 Euro im Monat Schallplatten. Ich habe auch einen Spotify-Account, den ich aber bisher nur genutzt habe, um mir Beatsteaks-Sachen anzuhören, weil wir auf Tour waren und ich wissen wollte wie der Song geht. Ich finde es toll, dass es das alles gibt. Ich finde das auch gar nicht schlimm, dass es das alles gibt, bei so Leuten wie mir und wahrscheinlich wie dir, weil wir noch ein Bewußtsein dafür haben. Ich sehe Musik immer noch als Ware an, für die ich auch gerne bereit bin Geld zu bezahlen. Das machen bei uns alle. Ich finde es auch okay, wenn die Kids heute mit 13 oder 14 nur noch auf umsonst sind, weil am Ende hat’s die Industrie ja selber vergeigt. Die Leute sind ja bereit für Musik Geld auszugeben. Da ist nur kein Bewußtsein mehr da. Die sind dann teilweise nicht mehr in der Lage das zu abstrahieren. Das ist dann: Wieso? Musik ist umsonst, Alter. Das ist im Netz. Also, ob da die Eltern gepennt haben oder die Industrie oder die Plattenfirmen… da jetzt anzufangen mit dem Holzhammer zu argumentieren oder dem erhobenen Zeigefinger ist schwer. Man muss da bei sich selbst oder seinen Kids wieder so ein Bewußtsein entstehen lassen. Und es funktioniert ja auch, dass Schallplatten wieder so eine Art Revival haben. Wir haben zum Beispiel jetzt für die „Make A Wish“-Single eine Doppel-7″ gemacht. Bißchen Werbung zwischendurch. Haste gemerkt? Profimäßig (lacht). Wir mussten uns echt einen Termin bei dem Plattenpresswerk besorgen. Die Platte kam deshalb auch viel später als geplant, weil das Presswerk ausgebucht ist. Du kriegst keine Termine. Wir haben demnächst was vor, was wir pressen lassen wollen, aber 2014 gibt es keine Termine mehr. Alles voll. Es funktioniert also noch. Leute, die ernsthaft Musik hören und abseits von Helene Fischer und Justin Bieber sind, die gehen auch in den Plattenladen. Klar, warum soll ich mir von so einer Rotze wie Justin Bieber auch eine CD kaufen? Und die kleinen Brühbirnen hören jetzt mal eine Woche das und danach kommt die nächste Scheiße, die sie konsumieren. Meine Tochter ist 6 oder 7 und die hat ein Plattenregal. Da sind halt Märchenplatten drin, aber auch eine Cindy Lauper-Platte, eine Marteria-Platte und eine Peter Fox-Platte. Die hat sie sich selber ausgesucht. Dann kauft die Papa. Und die hat auch noch ihre Kassetten und CDs. Da gibt es halt eine Wahrnehmung. Es gibt Schallplatten im Hause Scholz.
Wenn man sich mal fragt, woran Musiker heutzutage überhaupt noch was verdienen, dann relativiert sich auch vieles finde ich.
Torsten Scholz: Wir haben durch Plattenverkäufe noch nie Geld verdient. Klar, Goldene Schallplatten. 100.000 Schallplatten, das sind am Ende 150.000 Euro, die bei einer Band hängenbleiben. Dann ziehst du die Steuer ab. 40 Prozent Höchststeuersatz. Bleiben am Ende 50.000 Euro. 50.000 Euro durch Fünf sind 10.000 Euro für die letzten zwei Jahre. Dann rechnest du das auf den Monat aus und dann habe ich vielleicht 800 Euro verdient. Von einer Band, die Goldene Schallplatten macht, Platz 1 in den LP-Charts und so weiter und so fort. Da ist doch klar, dass man sagt, die Band geht auf Tour, um Geld zu verdienen. Man verkauft Merch. Ah, der Merch ist cool. Die wollen immer noch 20 Euro für ein T-Shirt haben. Da kauf ich mir dann ein T-Shirt. Und wenn einer sich dann noch eine Konzertkarte gekauft hat und damit 50 Schlappen ausgegeben hat, dann soll er sich von mir aus auch die Platte irgendwo brennen. Kann man nicht verlangen, dass der sich jetzt auch noch die Platte kauft und am besten auch noch die Deluxe. Ist natürlich toll, wenn das jemand macht. Ich mache das auch. Aber wie du schon sagst, da muss man relativieren und gucken, wie weit kann man denn gehen.
Früher sind wir in den Plattenladen gegangen und haben uns eine Platte gekauft, nur weil uns das Cover gefallen hat. Für 15 Mark oder so.
Torsten Scholz: Genau, das hab ich auch gemacht. Dann bist du zum Konzert für 6 Mark und hast ein Bier gekauft für 1 Mark. Das T-Shirt hat 12 Mark gekostet (lacht). Jetzt kostet alles viermal so viel.
„Mich interessiert auch, wie eine Stewardess ihr Kind großzieht oder wenn jemand auf einer Ölbohrplattform arbeitet„
Bist du eigentlich noch nervös, bevor du auf die Bühne gehst?
Torsten Scholz: Total! Egal ob im Gloria oder im Palladium, ich mache mir immer in die Hosen. Ganz schlimm. Das ist bei uns allen so. Dabei haben wir schon mehr als zwanzig Konzerte gespielt (lacht). Wir wollen immer, dass das Konzert, das wir jetzt spielen, das beste Konzert aller Zeiten sein soll. Das klappt natürlich nicht immer. Logo. Und man muss auch einfach mal sagen: Manchmal ist es auch einfach ein Job, den man macht, aber in dem Augenblick, wo wir da stehen, ist der Anspruch so hoch. Es soll toll werden. Und ich weiß, wie toll die Beatsteaks sein können. Für mich, für die anderen vier und für die Leute. Man hofft, dass alle so richtig geil Bock haben. Die Leute zahlen 30 Euro, der Veranstalter hängt da mit Geld drin und mit Zeit, die stehen um 6 auf, die Catering-Dame ist vielleicht um 6 schon am schnibbeln, der Roadie kriegt 8 Euro dafür, dass er die Cases hin und her rollt, alle tun ihren Teil für die ganze Scheiße. Und nun guck mal. Wie wenig Clubs gibt’s noch? Nun ist Köln ja noch ein bißchen verwöhnt, aber am Ende gibt es nur noch diese Kulturzentren. Du hast diese Betonquader, wo so eine Band reingeschoben wird. Vorne werden die Leute reingeschoben, dann dürfen alle kurz zwei Stunden Hallali machen, dann alle wieder raus. Und dann gehen alle wieder in ihren Job, müssen sich mit ihren scheiß Problemen rumschlagen, die jeden Tag mehr werden, mit ihren Geldsorgen und dem ganzen Rotz. Die Verantwortung, die man dann hat, allen mal kurz für zwei Stunden das Gehirn wegzublasen… wir sind halt keine politische Band, sondern den Anspruch den wir haben ist: Wenn man zu einem Beatsteaks-Konzert kommt, dann muss man danach sagen: Ey heute Gloria, morgen Palladium, wann kommen die noch? Wenn Leute nach dem Konzert sagen, es war ganz nett, dann haben wir irgendwas falsch gemacht. Wie jetzt auf der Tour in Freiburg, in Augsburg, in der Schweiz oder in Bremen. Es gab so Konzerte, wo alles rasiert wurde. Deshalb ist die Anspannung auch so groß, weil man es immer besonders, besonders, besonders gut machen will.
Aber der Druck fällt doch nach zehn Minuten oder so auch mal ab, oder?
Torsten Scholz: Ja, wenn ich auf die Bühne gehe ist alles gut. Es gibt zwar noch so Angstsongs wie „I Don’t Care“ oder „Gentleman“, weil das dieselben Akkorde sind, nur versetzt. Aber dann läuft irgendwann auch so ein Automatismus ab. Man ist auf Autopilot und dann will man einfach nur noch eine geile Zeit haben. Der Bernd (Kurtzke, Beatsteaks-Gitarrist, Anm.d.Red.) ist genau andersrum. Der ist ganz ruhig und der wird auf der Bühne immer aufgeregter.
Wenn du dich selber interviewen müsstest, welche Frage würdest du dir dann gerne stellen und welche auf keinen Fall?
Torsten Scholz (überlegt): Ich würde mich fragen, warum ich jetzt hier sitze. Warum soll ich dich denn interviewen (lacht)? Weil ich immer denke, was wollen die Leute denn von dem Bassisten von den Beatsteaks wissen? Na, ich finde so ein paar Sachen schon interessant. Mich interessiert schon wie Leute wie ich, die einen Job haben, der nicht ganz so normal ist, das so hinkriegen im normalen Leben. Also mich interessiert auch, wie eine Stewardess ihr Kind großzieht oder wenn jemand auf einer Ölbohrplattform arbeitet. Das würde mich schon interessieren, wie denn so die normalen Sachen abseits der Musik aussehen. Welche Frage auf gar keinen Fall? Mir kannst du eigentlich jede Frage stellen. Außer in sich geschlossene Fragen. Zum Beispiel: Du findest Nazis toll? Warum denn? Die Frage würde ich natürlich nicht beantwortet haben wollen oder gestellt bekommen. Was soll für eine schlimme Frage kommen? Am Ende sitzt du halt hier und Leute interessieren sich für den Scheiß den du machst. Das ist doch schon großartig genug. Warum soll ich denen noch sagen: Nee, bitte die Frage nicht.
Gibt’s aber…
Torsten Scholz: Ja, ganz viel. Klar kann ich verstehen, dass der Sänger von… wie heißt nochmal diese Schmuseband… ah, Coldplay… dass der sich Fragen zu seiner Ex-Freundin verboten hat. Wenn alle nur noch danach fragen, dann kann ich das verstehen. Aber jetzt mal die Kirche im Dorf. Wenn einer sagt: Ich hab dich ja letztens mit deiner Tochter in Friedrichshain gesehen. Dann sage ich: Ja, nun wohne ich da ja nun mal. Vielleicht wenn es zu persönlich wird. Aber da kann man auch geil aus der Nummer rauskommen. Macht man halt einen blöden Witz und wenn man nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, muss man keine Angst vor schlechten Fragen haben. Außerdem bin ich ja sowieso der Schlaueste von uns. Merkste, wa (lacht)?
Okay, dann mal die letzte Frage: Wenn du ab morgen für den Rest deines Lebens auf einer einsamen Insel leben müsstest, welche fünf Platten würdest du dann mitnehmen?
Torsten Scholz: Ich würde doch auf eine einsame Insel keine fünf Schallplatten mitnehmen. Totaler Bullshit. Kann ich nicht noch eher ein Taschenmesser mitnehmen oder Streichhölzer (lacht)? Aber okay, du sagst, das ist alles da. Was wichtig ist: Sind da auch Weiber?
Die sind auch da.
Torsten Scholz: Okay! Ich würde auf jeden Fall „Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben mitnehmen. Dann würde ich die „Hello Nasty“ von den Beastie Boys mitnehmen. „Tha Carter III“ von Lil Wayne. Wenn Weiber da sind! Ich würde natürlich gucken, dass ich noch ein ganz, ganz langes Album mitnehme. So ein Triple-Progressive-Album von Rush. Wenn du auf einer einsamen Insel bist und du hast nur fünf Platten, dann kennst du die Lieblingsplatten ja sowieso fast auswendig. Aber so eine Riesenplatte von Pink Floyd oder von Rush würde ich mitnehmen, weil man da viel Zeit für bräuchte. Und ich hätte ja dann alle Zeit der Welt. Jetzt sind wir schon bei vier… Und dann gibt es von „11 Freunde“ so ein Hörbuch „Die lustigsten Bundesligaerlebnisse“. Sowas, irgendeine Platte, die nichts mit Musik zu tun hat. Obwohl ist eigentlich auch blöd, weil die kennt man ja auch schnell auswendig. Nee, dann nehme ich lieber noch die „Troublegum“ von Therapy? mit. Dann haben wir’s gepackt.
Genau! Vielen Dank für deine Zeit und das schöne Gespräch!
Wir bedanken uns ebenfalls bei Vanessa Seewald von Prime Entertainment für die Vermittlung und bei Torsten Dohm für die Betreuung vor Ort! Verwendung der „Passfotos“ von Torsten Scholz mit freundlicher Genehmigung der Beatsteaks.
Er ist wahrscheinlich der letzte große Gentleman unter den Sängern dieser Republik. Tom Gaebel macht eine Musik, die an Zeiten erinnert, als Männer noch richtige Männer waren und mit Anzug und Krawatte vor dem Mikro standen. Frank Sinatra, der nicht ganz zufällig auch Tom Gaebel’s großes Vorbild ist, war so ein Typ. Oder Dean Martin. In der einen Hand den Whiskey, in der anderen die Zigarette. Er selbst raucht zwar nicht, aber auf seinem kommenden Album „So Good To Be Me“, das am 19.09. erscheint, liefert Tom Gaebel einmal mehr den perfekten Soundtrack für eine Zeitreise in die Swinging Sixties.
Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll traf sich mit Tom Gaebel zu einem ausführlichen Interview in Köln. Im schönen und an diesem Tag spätsommerlich warmen belgischen Viertel unterhielten sich die beiden bei einer Tasse Kaffee über die Unterschiede zwischen Rock und Jazz, den Kölner Karneval, die Vorteile des Alters und natürlich auch über das neue Album.
Ich bin normalerweise gar nicht auf der Jazz- und Swing-Schiene unterwegs, sondern im Rock zuhause. Wie würdest du jemandem wie mir deine Musik schmackhaft machen?
Tom Gaebel: Die Verbindung zum Rock ist für mich, dass es im Jazz und Swing auch zur Sache geht. Das was ich mache ist ja kein Kammerjazz. Früher auf der Bühne hatte ich auch immer Spaß, wenn die Verstärker knallten. Jetzt habe ich zumindest die fette Band und die Trompeten. Der gemeinsame Nenner ist also, dass man es gerne ein bißchen lauter macht. Ich habe immer schon alten Rock gehört. Ich war ein riesiger Queen-Fan. Das ist natürlich für jemanden, der mehr diesen erdigen Rock mag, unter Umständen schon wieder etwas zu üppig. Das sind aber schon so ein bißchen meine Wurzeln. Ich habe viel melodiöse Sachen gehört, zum Beispiel die Beatles. Lieber die Beatles als die Rolling Stones. Die Stones fand ich im Vergleich zu den Beatles immer eher langweilig. Bei den Beatles gab es mehr Streicher oder Spezialarrangements, während die Stones überwiegend bluesy waren. Da habe ich schon gemerkt, dass ich diese Richtung eher mag als dieses erdverbundene. Und auf der anderen Seite hatte ich mit meinem Bruder Colin jemanden, der eine Zeitlang in die allerkrasseste Richtung gegangen ist und wo es dann anfing mit Sodom und solchen Sachen. Inzwischen hat er sich allerdings wieder zurückentwickelt. Wir treffen uns jetzt irgendwo in der Mitte mit AC/DC als gemeinsamen Nenner (lacht).
Hörst du privat also auch überwiegend Swing und Jazz?
Tom Gaebel: Eigentlich alles mögliche an Popmusik. Aber eher aus den Fünfziger, Sechziger oder Siebziger Jahren. Ich höre ganz selten mal Achtziger Jahre-Musik. Mit dieser Musik, die ja auch die Musik meiner Jugend war, kann man mich jagen. Es ist witzig, dass die Leute sich immer einbilden, dass die Musik, die sie in ihrer Jugend gehört haben, so ziemlich die Beste war. Ich habe mir zuletzt bei YouTube ein paar Videos aus den Achtzigern angesehen, um festzustellen, ob ich die immer noch so scheiße finde wie früher. Und in den Kommentaren dazu hieß es dann oft: „Die armen jungen Leute von heute. Die müssen mit Lady Gaga leben“. Das ist absurd.
Ich finde, die Achtziger waren musikalisch ein absolut totes Jahrzehnt.
Tom Gaebel: Da fingen alle an, ob im Rock oder anderswo, mit Computern und Sounds zu arbeiten. Und das hat fast niemandem gut getan. Alle Bands, die in den Siebzigern geile Platten gemacht haben, klingen in den Achtzigern plötzlich so, dass du denkst: Alter Schwede, was ist denn da los? (lacht)
Am kommenden Freitag erscheint dein neues Album „So Good To Be Me“. Ist der Titel auch so ein wenig persönliches Programm?
Tom Gaebel: Wie der Titel zum Album gekommen ist, ist ganz einfach. Es gibt einen gleichnamigen Song und ich fand den Titel griffig für das ganze Album. Es sollte etwas positives ausdrücken und nicht die Bedeutung haben „Ich bin der Coolste“. Der Song drückt sowas aus wie „Heute ist einfach ein guter Tag, um Ich zu sein“. Das soll aber auf jeden anderen bezogen sein. Auf der anderen Seite habe ich gerade auch eine gute Zeit. Ich denke oft darüber nach, wie schön es ist, dass ich gerade so coole Sachen machen kann, weil mir der Beruf so viel Spaß macht. Zum Beispiel als wir das neue Video zu „The Cat“ gedreht haben. Das war so wie Film spielen mit Freunden. Wir haben tierisch Spaß dabei gehabt.
Du hast mal gesagt „Ich möchte mich mit jedem neuen Album auch selbst überraschen“. Ist dir das mit „So Good To Be Me“ gelungen?
Tom Gaebel: Es hat ja mit dem neuen Album sehr lange gedauert. Die größte Überraschung war, als es endlich fertig war (lacht). Es ist mein Lieblingsalbum. Das sagt man immer, ich weiß, aber das ist auch oft so, weil man dann gerade voll da drin ist. Bei dem neuen Album habe ich so viel selber gemacht und so viel Einfluss gehabt, was im negativen dazu geführt hat, dass es sich so lange hingezogen hat. Ich konnte halt sagen: Die Streicher nehmen wir nochmal auf oder die Bläser machen wir anders. Man hat quasi die Macht. Ich konnte genau das machen, was ich wollte. Mit der Macht hat man aber auch die Verantwortung. Das habe ich gemerkt. Und dann musst du eine knallharte Disziplin an den Tag legen. Bei den letzten Alben davor hatte ich auch schon ein eigenes Studio. Das habe ich jetzt immer noch. Dazu habe ich mein eigenes Label gegründet. Tomofon heißt das. Deshalb bin ich mit dem Album auch in keinster Weise unsicher. Zumindest ich weiß, dass ich das, was ich erreichen wollte, mit dem Album erreicht habe. Es macht mir selber von vorne bis hinten Spaß.
Wenn man sich mit Musik beschäftigt, dann schmort man ja immer so ein bißchen im eigenen Saft. Als Musiker vielleicht nochmal anders, aber auch wenn man darüber schreibt. Wenn ich mir meine CD-Wand zuhause angucke, dann ziehe ich am Ende doch immer wieder dieselben Dinger raus.
Tom Gaebel: Und das wird nicht besser, je älter man wird (lacht). Angenommen ich hätte die Streicher aus Kostengründen vom Computer genommen und dann würde das jemand erwähnen. Das wäre mir richtig unangenehm. Aber wenn jemand wie du sagt, das ist überhaupt nicht meine Musik, dann mag das für dich so sein und ich bin trotzdem sehr zufrieden damit. Vielleicht hat das auch was mit dem Alter zu tun. Man wird sicherer in dem was man macht. Früher hat man mehr rumprobiert.
Du bist ja was deine Karriere betrifft sowieso eher ein Spätstarter. Als 2004 das „Tom Gaebel & Band spielen Frank Sinatra“-Album erschien warst du fast 30. Hilft dir dein Alter heute auch dabei gelassener mit dem ganzen „Star-Rummel“ umzugehen?
Tom Gaebel: In dem was ich mache gibt es diesen Star-Rummel ja eigentlich nicht. Es gibt ja keine Aufläufe oder Leute, die unangenehm sind und dir ungefragt auf die Schulter klopfen. Das liegt aber natürlich auch an der Musik. Ich habe halt keine kreischenden 15-jährigen Fans. Ich glaube, die Musik, die ich mache hat den Vorteil, dass ich damit auch alt werden kann. Ich weiß, dass ich in fünf oder zehn oder fünfzehn Jahren noch solche Musik machen kann, ohne dass die Leute mich auslachen. Wenn man in einer Boyband ist, dann muss man sich schon überlegen, was man macht, wenn man mal 30 ist. Entweder es knallt richtig und man hat richtigen Erfolg und segelt dann gemütlich in den Ruhestand. Aber macht das Spaß? Was machen denn so Leute wie Take That? Die machen ein Comeback. Alle zwar ein bißchen gealtert, aber es funktioniert irgendwie. Ich habe das Gefühl, bei mir kommen noch ein paar schöne Sachen. Ich muss nicht immer von der Vergangenheit zehren.
„So Good To Be Me“, das neue Album von Tom Gaebel erscheint am 19.09. bei Tomofon Records / Tonpool
Du hast bereits einige Jazz Awards abgesahnt. Was bedeuten dir solche Auszeichnungen?
Tom Gaebel: Leider eigentlich nichts. Manchmal wünsche ich mir, dass ich mehr Spaß an sowas hätte. Ich habe auch die Neigung, dass wenn zwei Leute heiraten, ich schon immer denke: Mal gucken, wie lange das dauert. Meine Mutter findet diese Awards immer ganz toll. Bei mir geht das leider relativ schnell vorbei. Auf der anderen Seite hat diese Geisteshaltung auch ihre Vorteile. Man erlebt nicht so schnell eine Enttäuschung. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass man sich freut, wenn man einen Oscar bekommt. Aber wer richtig gut ist, der weiß im Grunde seines Herzens auch, dass da viel Glück dabei ist.
Ich habe gelesen, dass du ein Multiinstrumentalist bist. Wieviele Instrumente spielst du genau?
Tom Gaebel: Also, ich habe Schlagzeug und Posaune studiert und spiele auch noch leidlich Klavier. Damit komponiere ich auch. Und ich habe immerhin zwölf Jahre Geigenunterricht gehabt. Das konnte ich also auch mal halbwegs. Davon ist im Laufe der Jahre aber leider sehr viel verloren gegangen. Seit meinem Abitur bis jetzt habe ich die Geige vielleicht noch fünfmal in der Hand gehabt für insgesamt anderthalb Stunden. In zwanzig Jahren ist das sehr sehr wenig. Multiinstrumentalist liest sich immer gut, die Wahrheit ist dann aber doch nicht ganz so prickelnd (lacht).
Du bist in Gelsenkirchen geboren, aber in Ibbenbüren aufgewachsen. Am 31. Januar trittst du im dortigen Bürgerhaus auf. Sind Konzerte in deiner „Heimatstadt“ nochmal etwas besonderes für dich? Gibt es noch Kontakte dorthin?
Tom Gaebel: Ja, es gibt immer noch Kontakte. Es ist ja auch nicht so weit weg, dass ich da nicht immer mal wieder wäre. Also ist es nicht so, als ob der verlorene Sohn nach Hause kommt. Wir geben fast einmal im Jahr ein Konzert in Ibbenbüren. Das macht natürlich schon besonderen Spaß, weil man immer wieder alte Bekannte trifft. Früher war mir das eher unangenehm, da hatte ich immer Angst, dass die Leute denken: Ach guck mal der Gaebel, das ist aber nicht gut. Die Befürchtung habe ich mittlerweile nicht mehr.
Du wohnst hier in Köln. Sieht man dich da auch im Karneval oder ergreifst du da eher die Flucht?
Tom Gaebel: Früher habe ich eher die Flucht ergriffen oder es sagte mir überhaupt nichts. Mittlerweile kann ich aber schon richtig mitfeiern und habe Spaß. Es ist ja bizarr. Nachdem man drei Stunden irgendwo angestanden hat, ist man plötzlich in so einem Biotop der guten Laune. Wenn man genug Kölsch getrunken hat, dann funktioniert das irgendwie. Aber auf den organisierten Karneval gucke ich trotzdem manchmal noch wie auf Außerirdische. Wieviel Bürokratie dabei ist und wieviel Geschäft. Es ist so eine von oben verordnete Fröhlichkeit. Ich fand es immer schon witzig mich zu verkleiden. Nur mit diesen Leuten, die meinen sie könnten sich jetzt mal so richtig gehen lassen, nur weil Karneval ist, mit denen kann ich gar nichts anfangen.
Rein optisch würde ich dich jetzt mal in die Kategorie „Schwiegermutter-Schwarm“ einordnen. Gibt es auch Situationen, in denen du richtig unangenehm werden kannst?
Tom Gaebel: Das höre ich nicht zum ersten Mal, deshalb kann ich damit umgehen (lacht). Ich glaube eher nicht, weil ich mich tendenziell für einen gut gelaunten Menschen halte, der einigermaßen höflich und gut erzogen ist. Ich glaube, dass ich mich in meinem Leben kein einziges Mal geprügelt habe. Ich bin also niemand, der von irgendwelchen schlimmen Aggressionen heimgesucht wird. Das einzige was wohl manchmal unangenehm ist, ist dass ich in Diskussionen immer alles geklärt haben möchte. Das wurde mir jedenfalls verschiedentlich schon von Frauen vorgeworfen. Wenn man sich schon mal angefangen hat zu streiten, dann will ich es auch wissen (lacht). Das ist vielleicht etwas pedantisch.
Gut, das würde ich jetzt aber trotzdem nicht als unangenehm bezeichnen.
Tom Gaebel (lacht): Du weißt nicht, wie schlimm das werden kann.
Wenn du ab morgen den Rest deines Lebens auf einer einsamen Insel verbringen müsstest, welche fünf Alben würdest du dann mitnehmen?
Tom Gaebel: Ich würde mindestens zwei oder drei Platten von Frank Sinatra mitnehmen. Da wüsste ich auch relativ genau welche. Zum Beispiel „Only The Lonely“. Meiner Meinung nach ist das eine der besten Popmusikplatten überhaupt. Dann würde ich eine Queen-Platte nehmen, wahrscheinlich „Night At The Opera“. Auch so ein Klassiker. Mit Sicherheit was von den Beatles. Da wüsste ich jetzt nicht genau welches Album, aber schon eins von den späteren. Reichen drei nicht erstmal?
Von mir aus können zwei fehlen. Du musst ja für den Rest deines Lebens auf der einsamen Insel bleiben und nicht ich.
Tom Gaebel: Ja, das stimmt natürlich. Ich muss noch eine Big Band-Scheibe haben (überlegt). Etwas von der Clarke Boland Band. Die kommen auch hier aus Köln. Ein Album das „Three Latin Adventures“ heißt. Und noch eine Aufnahme mit klassischen Arien von… (überlegt) … Beniamino Gigli. Das wäre übrigens mein großer Traum, wenn ich nicht das machen würde, was ich mache. Dann wäre ich gerne klassischer Tenor. Und zwar so einer von dem man weiß, wenn er auf die Bühne geht, dann brechen die Leute gleich heulend zusammen, weil er wieder das hohe C hingekriegt hat. Mein Vater war ein riesiger Opernfan. Wir Kinder haben trotzdem nicht so eine richtige Verbindung dazu gehabt. Das kommt aber langsam. Mein jüngerer Bruder geht jetzt ständig in die Oper. Ich habe irgendwann angefangen mich für klassischen Gesang zu interessieren. Das finde ich einfach Wahnsinn. Ich würde mich gerne mal neben Pavarotti stellen und hören, wie laut das eigentlich klingt. Was ist das für ein Organ?
Atmet man dabei nicht schon ganz anders?
Tom Gaebel: Ja man atmet anders. Es ist eine Art optimiertes Singen. Wenn man zum Beispiel Joe Cocker hört, dann weiß man ganz genau, dass der einiges mit seiner Stimme gemacht hat. Komischerweise wird er aber nicht schlechter. Sinatra hatte als junger Mann eine wunderbar klare Stimme und eine super Technik. Im Alter merkte man dann aber, wie die Stimme immer mehr so opamäßig wurde. Dafür dass man denkt, Joe Cocker ist gleich komplett heiser, hält sich seine Stimme erstaunlicherweise noch immer. Es gibt halt Leute, die kriegen das hin. Anders ist das, wenn ich Metal-Gesang imitiere (macht ein grunzendes Geräusch). Da weiß ich mit Sicherheit, dass ich nach einer Minute stockheiser bin.
Dann probieren wir das jetzt lieber nicht aus. Stattdessen danke ich dir für das ausführliche Interview.
Wir bedanken uns ebenfalls bei Kai Manke von networking Media für die freundliche Vermittlung!
Eigentlich ist Wirtz bekannt für seine emotionalen und energiegeladenen Rocksongs. Ein weiteres Markenzeichen seiner bisherigen drei Alben „11 Zeugen“, „Erdling“ und „Akustik Voodoo“ sind die kompromisslosen und ehrlichen Texte. Nachdem er den zweiten Teil seiner „Akustik Voodoo“-Tour beendet hatte, zog sich der 38-jährige Frankfurter ins Studio zurück und spielte alle Songs komplett neu arrangiert mit Cello, Violine und Klavier ein. Das Ergebnis heißt „Unplugged“ und kommt am 21.02. in die Läden.
Man darf sehr gespannt sein wie es klingt, wenn sich Wirtz bis auf die Knochen seziert. Bevor er im März auf eine bereits fast ausverkaufte „Unplugged“-Tour geht, hatten einige glückliche Fans die Möglichkeit, das neue Album vorab exklusiv zu hören. In Kooperation mit Gibson, MyVideo und Joiz TV gab es in drei Städten Pre-Listening-Sessions. Dabei hielt der Gibson Bus auch vor dem Music Store in Köln. Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll nutzte die Gelegenheit um zuzusteigen und sich mit Wirtz über die Zeit von der ersten Idee bis zum fertigen Album, aber auch über die anstehende Tour, das Verhältnis zu seinen Fans (die er nicht so nennen möchte), Justin Bieber oder fehlende Telefonanrufe von Dave Grohl zu unterhalten.
Wir haben uns zuletzt 2008 vor deinem Auftritt im Kölner Luxor unterhalten. Dein Debüt „11 Zeugen“ war gerade erschienen. Damals hast du gesagt, dass es spätestens nach dem dritten Album mit der Solokarriere zünden muss. Hast du heute das Gefühl, dass es gezündet hat?
Daniel Wirtz: Ich habe gesagt, mit dem dritten Album sind wir in der Festhalle, oder (lacht)? Sagen wir es mal so: Ich darf mich weiß Gott nicht beklagen. Dafür, dass ich eigentlich immer noch unter dem Radar fliege und viele Leute überhaupt keine Ahnung haben, dass es mich gibt, hatte ich trotzdem das Glück mittlerweile in der Live Music Hall zu spielen. Das ist schön und macht es auch besonders. Die Tour jetzt einfach aus dem Nichts und mit einem Song, den man ins Internet gestellt hat, fast auszuverkaufen, ist das schönste Kompliment das man von seinen Zuhörern bekommen kann. Ich habe immer ein Problem damit Fans zu sagen. Dieses blinde Vertrauen zu wissen: Wenn der in der Stadt ist, dann ist das gesetzt. Ich habe ja auch noch ein paar Jahre, um mich da weiter hochzurackern. Und auf der anderen Seite wäre es ja blöd, wenn es jetzt schon bergab ginge (lacht). So geht es wenigstens, wenn auch langsam, jedes Jahr stetig bergauf. Aber das ist schon ein langer Weg, wenn man mal so zurückdenkt. Mir kommt er gefühlt wesentlich kürzer vor. Dass es mittlerweile das siebte Jahr ist sieht man nur an den Augenringen (lacht).
Ich habe dich als ehrlichen, offenen und sehr lockeren Typen kennengelernt und ich glaube, das bist du bis heute geblieben, obwohl die Verlockung mal gepflegt abzuheben und den Rockstar raushängen zu lassen zwischendurch sicherlich nicht gerade klein war. Wie hast du dir deine Bodenständigkeit bewahrt?
Daniel Wirtz: In meiner ersten Lebenshälfte mit Sub7even habe ich es genau so gemacht. Da war ich Anfang 20. Wir hatten einen Majordeal bei BMG und ich habe gedacht ich bin jetzt Aerosmith. Das Management hat das auch so fokussiert. Und das ist für ein Kind vom Dorf wie mich dann schon so: Wenn die den Rockstar von mir erwarten, wo sind dann die Bitches (lacht)? Die erste Frage war dann, welche Farbe die Ledergarnitur im Nightliner haben soll. Da habe ich mal beige-rot gesagt (lacht). Wie gesagt, das habe ich alles in meiner Kindheit zelebriert und echt gemerkt, dass das total bescheuert ist. Aber es ist ein ganz normaler Werdegang und ich glaube wenn es so nicht gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht irgendwann mal durchgedreht. Aber so wird das nie wieder passieren. Der Drops ist gelutscht. Dafür ist es auch viel zu viel Arbeit. Man ist sich der Vergänglichkeit und dass morgen alles wieder vorbei sein kann mittlerweile viel zu bewußt. Es ist wie in jedem Job: Arbeite hart, gib alles, dann hast du Erfolg. Wenn du meinst du müsstest Rockstar sein, geh zu „Superstars“, genieß das Jahr und dann verglühst du wieder.
Nehmen wir mal an es wäre morgen vorbei…
Daniel Wirtz: …dann würde ich glücklich auf vier wunderschöne Soloalben zurückblicken und bestimmt was anderes Schönes finden. So wie Peter Fox im „Haus am See“. Ob es so luxuriös ist und für Orangenbaumblätter reicht weiß ich allerdings nicht. Ich würde wahrscheinlich trotzdem weiterhin Musik machen. Ich trommele ja jetzt schon auf den Knien weil ich hier zwei Tage im Bus sitze und keine Gitarre spiele. Aber man kann sein Leben bestimmt auch noch mit anderen Sachen gestalten.
Im März startet deine Unplugged-Tour unter dem Motto „Wirtz zieht den Stecker“, die bereits zu weiten Teilen ausverkauft ist. Bei unserem Interview damals im Luxor hast du mir schon erzählt, dass du von einer Unplugged-Tour durch Kinosäle träumst.
Daniel Wirtz: Genau und jetzt spiele ich in Kirchen. Der Gedanke ist immer schon da gewesen. Wir haben hier und da ein Unplugged-Set gespielt. Oder wenn man auf der Musikmesse von den Gibson Leuten eingeladen war. Und da sind Menschen teilweise 500 oder 600 Kilometer gefahren, um mir bei drei Songs auf der Akustikgitarre zuzuhören. Das war der Anstoß zu sagen: Wenn der Kunde das will, und der Kunde ist bei mir König, dann lasst uns mal eine Unplugged-Tour machen. Aber jetzt einfach loszufahren wäre auch blöd. Es wäre schöner das irgendwie festzuhalten. Also haben wir angefangen die ersten Songs einzuspielen, die Arrangements runterreduziert auf Akustikgitarre und ein bißchen Percussionzeugs gemacht. Aber am Ende war es immer noch ein Gitarrenriff ohne Eier. Ich habe gesungen und Matthias (Hoffmann, Daniel’s Produzent, Anm.d.Red.) sitzt auf der anderen Seite der Scheibe und ich sehe in seinem Gesicht immer, ob es was ist oder nicht. Wir haben beide gedacht, das ist ja total langweilig. Wer soll denn bitte so eine Platte kaufen? Wer braucht das? Ich brauche es nicht. Das mag auf einem Konzert hintenraus vielleicht als Medley noch funktionieren, wenn die Emotionen sowieso blank sind, aber auf einer Platte ist das total scheiße. Ich hatte keinen Bock das zu singen. Damit war das Thema eigentlich schon geknickt und wir wollten uns lieber auf die vierte Rockplatte konzentrieren. Oder wir finden jetzt irgendeine Möglichkeit, wie wir das so interessant gestalten, dass wir uns erstens künstlerisch nochmal herausgefordert fühlen und zweitens dass es Emotionen in uns weckt. Das ist ja immer das Kriterium ob ein Song gut oder schlecht ist. Okay, also dachten wir, bevor wir das Ding endgültig in die Tonne hauen, gehen wir total frei an die Sache ran. Worum geht es eigentlich? Es geht eigentlich bei Wirtz um Textinhalt. Also lassen wir den mal stehen. Alles andere wurde weggewischt. Scheiß auf Melodieführung, scheiß auf Rhythmus, Beat, Geschwindigkeit. Wie würdest du den Text singen, wenn es nur der Worte wegen wäre? Und die Instrumente nur dazunimmst, um die Worte zu stärken. Also letztlich schon fast Hörbuchcharakter. So sind wir immer weiter von dem Original weggekommen. Zum Beispiel sind wir auf dem Klavier hängengeblieben, was so weit weg war von der Originalversion, dass es genau jetzt funktioniert hat. Als die erste Version dann stand und ich diese Klangwelt auf einmal auf dem Kopfhörer hatte und vor dem Mikro stand, da dachte ich nur: Wow. Das macht natürlich Spass hier reinzusingen. Du kannst den Ton oben auch mal abknicken lassen und es fällt einfach mal in die Kopfstimme rein. Ich hatte Platz zum Singen und Wohlfühlen. Auf beiden Seiten der Fensterscheibe gab es ein extremstes Lächeln (lacht).
Ich muss zugeben, dass ich noch gar nicht in das „Unplugged“-Album reinhören konnte. Ich habe nur das Video zu „Geschichten ohne Sieger“ gesehen.
Daniel Wirtz: Ach, du hast die Platte noch gar nicht gehört. Ich habe noch ein zweites Video, das ist heute im Rohschnitt reingekommen. Das würde ich dir nachher gerne zeigen, ob du mir ein Go oder ein No gibst.
Ja, das können wir sehr gerne machen. Das Album erscheint am 21. Februar und enthält insgesamt vierzehn Songs. Nach welchen Kriterien hast du gerade die ausgewählt?
Daniel Wirtz: Alle Songs waren im Pool und wir haben bei allen versucht diese Entfernung zum Original hinzukriegen. Das hat halt nicht bei jedem geklappt. Andere, von denen ich es mir gewünscht hätte waren zu nah dran und haben nicht funktioniert. Teilweise ist es auch am Text gescheitert. „L.M.A.A.“ ist zum Beispiel eine Nummer, die hätte ich gerne da drauf gehabt. So eine Punkrocknummer funktioniert aber nicht, wenn man sie mit einer netten Stimme singt. Da selektiert sich alles aus. Und das waren am Ende die Vierzehn, die stehengeblieben sind. Ich habe jetzt das Gefühl, das sind die Originalsongs und ich hab mal Rocksongs draus gemacht (lacht). Selbst dieser Switch andersrum funktioniert. Wenn jetzt jemand zum ersten Mal von mir erfährt und das hört und der hört sich danach den Rocksong an, dann wird er anders überrascht. Menschen, die normalerweise bei einer E-Gitarre schon ausschalten, werden sich dann vielleicht auch in das Original verlieben. Es ist keine Platte für Zwischendurch. Abends, wenn man nix zu tun hat und bevor man ein Buch nimmt, gibt man sich das Ding am besten über Kopfhörer bei einem Glas Wein. Wir haben es natürlich auch sehr geil aufnehmen lassen. Die Streicher aus dem besten Studio in Hamburg mit den besten Streichern die es in Deutschland gibt. Bis hin zu einem Sensationspianisten (Tom Schlüter, Anm.d.Red.), der in einem Raum, der nur für den Flügel gebaut wurde, für uns gespielt hat. Mit Raumbefeuchter. Total nerd. Der Raum ist auch in dem Video zu sehen. Alles was ich bisher gemacht habe hat noch nie so gut geklungen. Es macht Spass das zu hören. Du kannst bis hinten durchhören. Du hörst jede Pedale und wenn der Flügel kurz atmet.
Gerade in den letzten Monaten habe ich nochmal total viel Musik von dir gehört, weil das auch gerade gut zu meiner persönlichen Situation passte. Dabei ist mir aufgefallen, dass es eigentlich keine fröhlichen Songs von dir gibt.
Daniel Wirtz: Da hast du schon Recht. „Hier“ ist eigentlich das einzige Liebeslied, das auch ein bißchen optimistisch ist. Ich glaube die Tatsache, dass man nicht alleine ist, ist das einzige optimistische an allen Wirtz-Songs. Wenn man musikalisch die Bestätigung kriegt, da ging es einem genauso und der lebt immer noch. Ich bin nicht alleine. Das Leben geht weiter.
Wenn man „11 Zeugen“ mit „Akustik Voodoo“ oder auch „Erdling“ vergleicht, dann finde ich, dass du deine Texte sprachlich mit der Zeit etwas entschärft hast. Würdest du mir da zustimmen?
Daniel Wirtz: Ich sag mal subtiler beschimpft (lacht). Klar kann man jetzt jedes Mal wieder Arschloch sagen, aber ich finde eine Beleidigung wie „Du bist echt häßlich wenn du schläfst“ trifft viel mehr. Vielleicht ist es auch ein bißchen verkopfter geworden. Noch mehr nachgedacht, noch mehr zweite Ebenen eingebaut. „Akustik Voodoo“ hat es glaube ich auf die Spitze getrieben. Wenn du über babylonische Türme singst und du fängst an zu googeln. Was war denn der Turmbau zu Babel? Worum ging es denn da? Gottgleich werden und verschiedene Sprachen. Dass du da immer mal wieder so Falltüren hast für den der sich bemüht und diesen Weg erschnuppert. Ich hatte das Gefühl, dass meine Leute auf diese Schnitzeljagd Bock haben und die Birne auch so weit anhaben, um das mitzufilmen. Dann macht das irre viel Spass. Ich warte zwar immer noch auf den Anruf vom Philosophischen Quartett, aber ich wäre bereit (lacht). Für Leute, die gerne mit Sprache arbeiten ist das grandios. Für den anderen, der sagt, ich bin eher der emotionale Typ, haut „11 Zeugen“ natürlich wesentlich mehr ins Gesicht. Und den Song, wo ich den einen beleidige, habe ich ja schon. Warum soll ich also noch einen zweiten Song schreiben, um den anderen zu beleidigen? Der kriegt den ersten geschickt. Der passt universell auf jeden. Einfach „Wo ich steh“ als Betreff und tschüß.
Heute gibt es hier noch eine Pre-Listening-Session des neuen Albums inklusive Meet & Greet. Der intensive Kontakt zu deinen Fans war dir schon immer sehr wichtig. Ich erinnere mich, dass du nach dem Konzert im Luxor zum Beispiel noch nach vorne gekommen bist, dich mit den Leuten unterhalten, Autogramme gegeben und ein Bier getrunken hast. Inwiefern ist das mit dem steigenden Erfolg schwieriger geworden?
Daniel Wirtz: Man ist ja schon relativ im Wohnzimmer. Wenn man in der Live Music Hall aber jetzt nicht mehr mit jedem ein Bier trinkt, dann ist das glaube ich verständlich. Danach wäre ich ja tot, da könnte ich gleich die Tour absagen. Das ist aber ja das Schöne, auch an einem solchen Meet & Greet. Das sind ja total nette Leute. Mit den Leuten, die etwas mit Wirtz anfangen können, mit denen kann ich mich doch auch super austauschen. Wir haben immer Themen und es sind einfach nette Gespräche. Wenn das jetzt so Dimensionen hätte wie bei Justin Bieber würde ich das nicht einen Tag lang aushalten. Das wäre eher ein Grund, warum ich aufhören würde Musik zu machen. Schmeißt mir bloß keinen Teddy auf die Bühne. Also Achtung da draußen: Ein Teddy und dann ist Schluß (lacht). Nur so Fanatismus, Geschreie und Gequietsche kann man doch nicht ernst nehmen. Wir haben gestern in Hamburg einen Sensationsabend beim Meet & Greet hier in der Lounge gehabt. Der Bus musste fahren und ich habe gesagt: Okay, wer jetzt noch Fragen und Bock hat nach Köln zu fahren… wir fahren sowieso da lang. Und dann sind da noch Drei sitzengeblieben. Die haben sich dann hier Nachts um halb Drei noch einen Mietwagen geholt und sind wieder zurück nach Hamburg gefahren. Aber die haben natürlich alle Fragen beantwortet bekommen und ich meine. Wir haben schön die Minibar geschröpft bis nichts mehr da war und heute morgen war sie wie von Zauberhand wieder voll.
So ist das bei Gibson. Da fehlt es an nichts. Ich überlege übrigens gerade, ob ich dir beim Konzert in der Kulturkirche am 31. März nicht einen Teddy auf die Bühne werfen soll. Ich glaube das mache ich.
Daniel Wirtz(lacht): Ich sehe das. Es ist nämlich bestuhlt. Da werde ich dann ganz klar und deutlich die Flugbahn zurückverfolgen und wenn das dann von dir ist, dann werde ich es sein lassen. Ich ziehe einen BH drunter und den gebe ich dir dann einfach.
„Akustik Voodoo“ wurde Ende 2011 veröffentlicht, jetzt kommt das „Unplugged“-Album. Wann gibt es das nächste Rockalbum?
Daniel Wirtz: Also das Cover habe ich schon. Das Artwork steht. Ich denke mal nach der Tour werde ich direkt wieder im Studio eingesperrt. Dann muss es natürlich das kompromissloseste Rockalbum ever werden. Good Morning In The Morning sage ich da nur (lacht). Ich freue mich drauf.
Aber es ist noch kein neues Material da.
Daniel Wirtz: Hier und da ein geiles Riff gibt es schonmal. Es steht und fällt ja eigentlich mit dem Text. Um Musik mache ich mir da keine Sorgen. Das einzig Schwierige ist wieder diese Gefangenschaft des Geistes. Sich mit dem eigenen Geist auseinanderzusetzen. Aber das muss sein.
2008 gab es das Gerücht, dass du als Support für die Foo Fighters spielen würdest. Hat Dave Grohl mittlerweile mal bei dir angerufen?
Daniel Wirtz: Bisher leider immer noch nicht. Aber dafür hätte ich fast mit Bush gespielt. Leider ist mein Gitarrist fünf Meter vor dem Backstage einfach zusammengebrochen und wir mussten ihn kurz ins Krankenhaus bringen. Dann hat der Abend leider ohne uns stattgefunden. Also irgendwie habe ich nicht das Glück mit internationalen Acts die Bühne teilen zu dürfen.
Letzte Frage: Wer wird Fußball-Weltmeister? Bei der Europameisterschaft 2008 hast du auf Brasilien getippt. Die waren aber nicht dabei.
Daniel Wirtz(lacht): Finnland. Ich weiß es nicht. Man will ja die Hoffnung für die eigene Mannschaft nicht aufgeben. Aber die Gruppenphase ist natürlich auch sportlich und mit Portugal hat man direkt ein echtes Kaliber vor der Nase. Ghana kann auch mit dem Ball umgehen wenn sie wollen. Ich sag mal das ist Tagesform. Da kannst du ganz schnell mal 7:0 verlieren. Ich hoffe, dass sie ein paar mehr BVB-Spieler da reinstellen. Ich drücke natürlich Deutschland die Daumen. Gewinnen soll wie immer der Beste.
Ich ersetze BVB durch 1. FC Köln und bedanke mich vielmals für das Interview.
Wir bedanken uns ebenfalls bei Natascha „Nash“ Nopper (DefNash Entertainment) für die Vermittlung des Interviews!
Wer sich etwas besser mit den speziellen Kölner Gepflogenheiten auskennt, der weiß, dass in der Domstadt Traditionen oft schneller geboren werden als anderswo. Findet etwas zweimal hintereinander statt, spricht der Rheinländer bereits von einer Tradition und zu einer solchen ist inzwischen auch das New Model Army-Weihnachtskonzert geworden. In diesem Jahr gastiert die Band bereits zum vierzehnten Mal kurz vor Heiligabend in Köln. Am Nachmittag des Konzertes machen wir uns auf ins Palladium, um Frontmann Justin Sullivan zu treffen. Im Backstagebereich herrscht leichte Hektik, weil man etwas dem Zeitplan des Tages hinterherhinkt, aber schließlich finden wir doch ein ruhiges Plätzchen im Bandraum. Marshall Gill klimpert auf seiner Gitarre herum, während Dean White und Michael Dean angestrengt im Internet surfen. Justin Sullivan macht es sich auf dem Sofa bequem, nimmt einen tiefen Zug aus seiner E-Zigarette und beantwortet entspannt die Fragen unseres Chefredakteurs Thomas Kröll.
Ihr seid jetzt seit Ende September auf Tour. Wie sieht so ein typischer Tourtag bei euch aus?
Justin Sullivan: Das kommt darauf an in welchem Land wir gerade sind. In Deutschland sieht das ungefähr so aus wie hier. Wir sitzen zusammen und reden über alles Mögliche. In der Zeit erledigt die Crew ihre Arbeit. Wenn sie fertig ist machen wir unseren Soundcheck und danach schlafen wir vielleicht noch ein wenig. Dann spielen wir unser Konzert und nach dem Konzert gehen einige von uns noch in die Stadt, um etwas zu trinken und der Rest ins Bett. Am nächsten Tag besteigen wir unseren Bus und fahren zum nächsten Konzert. Wir reden viel miteinander. Andere Bands schauen sich stattdessen Filme an. Das machen wir aber kaum, weil es immer so viele Dinge zu erzählen gibt. Ich glaube der Grund dafür ist, dass jeder in der Band und in der Crew einen anderen Background und eine andere Lebensgeschichte hat. Die Gesprächsthemen gehen so nie aus. Sogar nach drei Monaten auf Tour finden wir immer noch Dinge über die wir sprechen können.
Köln ist heute die vorletzte Station der Tour. Das Weihnachtskonzert hier ist für euch und die Fans inzwischen zu einer Art Tradition geworden. Immerhin seid ihr bereits zum vierzehnten Mal zu Gast. Habt ihr dabei auch eine spezielle Beziehung zur Stadt aufgebaut?
Justin Sullivan: Ich glaube, jeder liebt Köln. Die Leute kommen gerne hierher, weil es eine so liberale Stadt ist. Köln hat eine schöne Atmosphäre, es gibt viele Orte, wo man hingehen kann. Der Dom ist eines der sonderbarsten Wunder dieser Welt. Wie ein außerirdisches Raumschiff vom Planeten Goth, das in einer ansonsten modernen Stadt gelandet ist (lacht). Das ist sehr außergewöhnlich. Dann ist da noch der Rhein… es ist nicht schwer diese Stadt zu mögen.
Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben hast du gesagt, dass du gerne mal ein Fußballspiel im Kölner Stadion besuchen würdest. Hast du das mittlerweile geschafft?
Justin Sullivan: Gibt es nicht zwei? Das andere ist doch in Leverkusen. Aber das gehört nicht zu Köln, oder?
Nein, eindeutig nicht. Das ist der falsche Verein.
Justin Sullivan: Oh mein Gott, sorry (lacht). Wir sprechen vom FC Köln. Leverkusen ist woanders. Alles klar! Aber ich war immer noch nicht hier im Stadion. Eines Tages werde ich das aber sicher noch tun. Ein paar andere Stadien in Deutschland habe ich allerdings schon gesehen. Doch keine Sorge, Leverkusen war nicht dabei.
Heute abend habt ihr zwei Special Guests auf der Bühne. Zum ersten Tobias Unterberg am Cello und zum zweiten Ed Alleyne-Johnson, der in der Vergangenheit schon unzählige New Model Army-Konzerte auf seiner Violine begleitet hat.
Justin Sullivan: Das ist richtig. Als wir „Thunder And Consolation“ aufnahmen, komponierten wir „Vagabonds“ auf dem Keyboard, bis Robert (Heaton, der damalige Schlagzeuger, Anm.d.Red.) sagte: Wir brauchen einen richtigen Violine-Spieler. Damals waren wir in der Nähe von Oxford und fragten alle im Studio, ob sie einen solchen Violine-Spieler kennen, bis jemand sagte: Ja, ich kenne diesen Typen, der Ed heisst. Wir luden ihn also zu den Aufnahmen von „Vagabonds“ in unser Studio ein und als er auftauchte, war es von beiden Seiten wie Liebe auf den ersten Blick. Besonders das Intro zu „Vagabonds“ spielte er wirklich wundervoll. Da wir gerade auch jemanden brauchten, der Keyboard spielt, nahmen wir ihn mit auf Tour und er spielte vier Jahre lang Keyboard und Violine auf unseren Konzerten. Irgendwann wollte er sich dann wieder mehr um seine Solo-Aktivitäten kümmern. Und wir hatten das Gefühl, dass wir irgendwie festgefahren waren in der Folkrock-Welt. Gerade als diese Welle begann so richtig erfolgreich zu werden beschlossen wir etwas anderes zu machen. Das Ergebnis war „The Love Of Hopeless Causes“, das ein richtig hartes Rockalbum ist. Wir trennten uns in aller Freundschaft, hielten aber immer Kontakt. Vor kurzem haben wir in Manchester gespielt und Ed rief mich an und sagte: Ihr seid in Manchester? Kann ich vorbeikommen und mit euch spielen? Ich sagte: Natürlich kannst du das. Und beim Weihnachtskonzert in Köln hätten wir dich auch gerne dabei. Das einzige Problem heute ist, dass die Fluggesellschaft seine Violine verloren hat. Wir mussten uns eine leihen, aber ich hoffe er kommt damit klar.
Lass uns über euer neues Album „Between Dog And Wolf“ sprechen. Welche Intention steckt hinter dem Titel?
Justin Sullivan: Es ist eine Art Neuerfindung. Weisst du, wir haben eine Reihe Folkrockalben gemacht und wir brauchten etwas Neues. Nehmen wir zum Beispiel „Today Is A Good Day“. Du schreibst Songs, du arrangierst sie, du gehst ins Studio und nimmst sie zusammen auf. So haben wir das die letzten beiden Alben getan und diesmal wollten wir es anders machen. Michael (Dean, der aktuelle Schlagzeuger) und ich sprechen schon lange darüber den Drumsound vielschichtiger zu machen. Nelson (eigentlich Peter Nice, Bassist bis 2012) verließ zu dieser Zeit gerade die Band aus familiären Gründen und Ceri (Monger) stieß dazu. Einer der Gründe, warum wir uns für Ceri entschieden, war dass er nicht nur ein guter Bassist, sondern auch ein guter Schlagzeuger ist und für das, was wir vorhatten brauchten wir einen zweiten Schlagzeuger auf der Bühne. Früher haben wir zwar auch Alben mit guten Songs gemacht, aber sie waren meist nicht gut abgemischt. Das Ergebnis war nicht immer befriedigend. Darüber haben wir viel nachgedacht. Wir lieben Tom-Tom-Rhythmen, schwere Schlagzeugsounds, das Gefühl des tiefen Basses und dunkel gestimmte Gitarren. Auf „Between Dog And Wolf“ haben wir das Schlagzeug sehr viel mehr in den Vordergrund gestellt und auch ich habe mich beim Gesang zurückgenommen. Wir haben alleine eine Woche in London damit verbracht die Drumparts aufzunehmen. Auf Tape und nicht am Computer. Das macht einen grossen Unterschied in der Qualität aus. Danach nahmen wir den Rest in Angriff und in manchen Fällen schrieben wir die Songs erst nachdem wir das Schlagzeug dazu aufgenommen hatten. Am Ende war der Plan einen absoluten Topmann als Mixer zu verpflichten und wir fanden Joe Barresi, was eine sehr gute Entscheidung war. Du weisst ja was er tut. Er ist einer der Besten.
In den letzten vier Jahren sind viele Dinge passiert. Der Tod von Tommy Tee (langjähriger Manager von New Model Army), der Brand in eurem Studio oder der Diebstahl eures Equipments. Würdest du das Album deshalb auch als eine Art Neuanfang für euch bezeichnen?
Justin Sullivan: Ja, in der Tat. Das ist das Album, das wir schon immer machen wollten. Und diese ganzen Dinge, die passiert sind, haben es nur verzögert. Als wir im Sommer letzten Jahres schließlich damit begannen, ging alles sehr schnell. Wir waren schon im Februar komplett fertig.
Ihr habt eure Sache offensichtlich sehr gut gemacht. Mit „Between Dog And Wolf“ gelang euch der höchste Charteinstieg in England und Deutschland seit 1993.
Justin Sullivan: Ja, aber glaube niemals das, was du in den Charts siehst (lacht). Trotzdem ist es natürlich ein schöner Erfolg.
Ich habe mir die Setlisten der bisherigen Tour mal angeschaut und dabei ist mir aufgefallen, dass ihr regelmäßig acht oder neun Songs des neuen Albums live spielt, was eher ungewöhnlich für euch ist. Zeigt das auch den Stolz, den ihr für „Between Dog And Wolf“ empfindet?
Justin Sullivan: Oh ja, wir sind definitiv stolz darauf.
Du bist als ein sehr kritisch denkender Mensch bekannt, gerade wenn es um Politik geht. Die Texte auf „Between Dog And Wolf“ sind sehr viel weniger politisch als die Texte auf, sagen wir mal, „Today Is A Good Day“. Glaubst du inzwischen, dass die Menschheit nichts mehr aus ihren Fehlern der Vergangenheit lernen wird und dass sich Geschichte sowieso irgendwann wiederholt?
Justin Sullivan: Das habe ich tatsächlich lange Zeit geglaubt. Auf „Today Is A Good Day“ ist all das, was wir zum Börsenchrash von 2008 und seinen Folgen sagen wollten. Es erschien mir also nicht nötig, das nochmal zu sagen. Ich sitze ja nicht da und denke ständig darüber nach, in welcher Gesellschaft ich eigentlich lebe. Auf diesem Album gibt es auch einen Song über die Revolution in Ägypten. Meine Schwester lebt in Kairo und ich habe sie dort 2011 besucht. Darüber habe ich dann diesen Song geschrieben. Die meisten Songs handeln aber einfach über Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Es ist eine Mischung aus meinen eigenen Erfahrungen und denen anderer Leute. Manchmal werde ich gefragt, was hinter diesem oder jenem Song steckt. Ich möchte dazu dann gar nicht viel sagen, weil ein Song immer von den Erfahrungen besetzt werden soll, die der Hörer selbst damit verbindet. Er soll sich seine eigene Interpretation dazu basteln.
Nächstes Jahr im Januar soll eine Filmdokumentation von Matt Reid über die Bandgeschichte von New Model Army erscheinen. Was können wir davon erwarten?
Justin Sullivan: Es wird wohl nicht im Januar, sondern irgendwann später im Jahr sein. Es ist in erster Linie sein Film und nicht unserer. Er ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob er einen Film über uns machen kann. Und es ist auch keine vollständige Zusammenfassung der Bandgeschichte, denn er kann keine 33 Jahre in einen Film packen. Der Film wird aber interessant sein für Leute, die noch nichts über New Model Army wissen. Es ist kein Film, den wir uns ausgesucht haben zu machen. Es ist seine sehr eigene Sicht der Dinge und spiegelt eine bestimmte Zeit unserer Geschichte wider. „Thunder And Consolation“ war das Album seiner Jugend und so handelt der Film vorwiegend von dieser Ära. Ich hasse den Film, weil ich die Vergangenheit hasse (lacht). Aber ich glaube trotzdem, dass es ein interessanter Film wird.
Das hoffe ich auch. Letzte Frage: Feierst du Weihnachten und wenn ja, wie?
Justin Sullivan: Das ist in jedem Jahr anders. Weihnachten ist ja eine deutsche Erfindung. Wusstest du das?
Nein. Eine deutsche Erfindung?
Justin Sullivan: Ja. Wieviele Bäume kommen in der Bibel vor? Früher gab es den Brauch am Jahresende all die Dinge zu essen, die sich nicht aufheben ließen. Man nannte das ein Fest des Lichts, um den kalten Winter und den Wechsel der Jahreszeiten zu feiern. Ab heute werden die Tage übrigens auch wieder länger. Wir nähern uns langsam wieder dem Sommer. Aber dieses ganze grosse Ding mit den Kerzen und dem Weihnachtsbaum ist deutsch. Es kam nach England mit Albert, dem deutschen Mann von Königin Victoria und wurde modern. Als Charles Dickens dann seine berühmte Weihnachtsgeschichte schrieb, wurde damit eine spezielle Version von Weihnachten etabliert und verbreitete sich rund um die Welt. Auch nach Amerika. Aber in Amerika hat Thanksgiving eine viel grössere Bedeutung. Das Weihnachten, das wir kennen, kommt aus Deutschland und von Charles Dickens.
Wieder was gelernt. Vielen Dank dafür und für das Interview!
Ein grosses Dankeschön geht auch an Oliver Bergmann (Oktober Promotion) für seine Unterstützung bei der Vermittlung dieses Interviews!
Einen Bericht über das New Model Army-Weihnachtskonzert im Kölner Palladium findet ihr hier!
Seit über einem Jahrzehnt tingelt er durch Deutschland und hat sich in den vergangenen Jahren einen immer größeren Namen gemacht, zuletzt bei Stefan Raab auf dem zweiten Platz des Bundesvision Songcontests – Johannes Oerding begrüßt mich gegen 16 Uhr im Catering Bereich der Bochumer Zeche und hat im Anhang seine Band dabei, die sich der Reihe nach freundlich und gut gelaunt bei mir vorstellt. Während seine Jungs Essen schnappen, holt sich Johannes einen Kaffee und wir ziehen uns in einen ruhigen Raum zum Interview zurück. Zunächst erhält Johannes unseren MHQ-Fragebogen, den er mit einer – seiner Meinung nach misslungenem Selbstporträt – ergänzt. „Ich kann überhaupt nicht zeichnen, ich konnte das mal besser in der Schulzeit“, gibt er offen zu. Interessant auch, dass er als seine größte Schwäche „alles Kontroletti“ angibt – kleiner Perfektionist, also? „Nicht in allen Dingen, aber in der Musik auf jeden Fall. Wenn es ums Saubermachen zu Hause geht beispielsweise nicht“, scherzt er. Und nun Start frei für unsere Fragen!
Was habt Ihr gestern an Eurem Off-Day gemacht?
Wir waren bowlen! Wir waren erstmal tagsüber jeder für sich, am Abend haben wir uns verabredet zum Bowlen. Wir machen immer, wenn wir auf Tour sind und off days haben, dass wir Kart fahren, Bowlen gehen, schwimmen gehen, es muss nicht immer eine Kneipe sein. Vor zwei Tagen waren wir in einem Hotel mit Schwimmbad, das war natürlich auch toll, dann nutzen wir das auch ein bisschen. Aber viele nutzen den freien Tag, um einfach auch gar nichts zu machen. Es ist ganz schön viel Sport abends auf der Bühne.
Robin ist Vater geworden, wie kombiniert er das Touren mit der Familie? Klappt das gut?
Das klappt gut! Die meisten von uns sind ja schon so lange liiert, dass die Frauen wissen, das Musikerleben ist sehr unbeständig, man ist viel unterwegs. Man arrangiert sich, er darf auf jeden Fall auf Tour. Moritz hat bereits zwei Kinder, Jost am Schlagzeug ein Kind, alles kleine Kinder und das läuft eigentlich ganz gut. Zwischendurch auf Tour muss auch einmal jemand nach Hause, weil er irgendwie helfen muss am seinem freien Tag, das kommt auch oft vor.
Ihr habt ja doch sehr viele ausverkaufte Konzerte auf dieser Tour gespielt. Tut es dir leid, dass Ihr nicht größere Hallen gebucht habt? Ihr hätte ja mehr Leute erreichen können…
Ja, man weiß es halt nie vorher. Das ist das Problem. Man richtet sich immer an die letzten Zahlen und versucht da möglichst realistisch sein wieviel werden das nächste Mal kommen. Das letzte Mal hatten wir hier in der Zeche 400 Leute oder so und dann versucht man die Zahlen zu verdoppeln, was schon mega ist. Dann war es aber doch sehr schnell ausverkauft. Das ging uns bei vielen Sachen so, das ist jedoch nicht immer vorhersehbar. Dieses Jahr ist so viel passiert, das dazu beigetragen hat, dass die Konzerte ausverkauft sind. Damit konnte auch keiner rechnen. TV-Formate, die gut aufgegangen sind, Radio-Songs und so weiter. Ich bin eher jemand, der eher in einem vollen und kleinem Club spielt, als in einer Riesenhalle, wo dann jedoch nur ein Drittel voll ist. Das sieht dann auch nicht aus. Das ist dann auch mein eigener Ehrgeiz: wenn, dann muss man den Laden voll machen, dann kann man auch darüber nachdenken, ob man in eine größere Halle geht oder den zwei Mal spielt. Das machen wir z.B. auf der nächsten Tour 2015, die wir bereits planen. 50 Termine oder so, da sind dann auch Läden dabei, dass zwei Mal hintereinander den gleichen 800er oder 900er Club bespielt. Das ist schöner für die Leute und auch vom Aufwand her ganz gut. Man spielt zwei Tage in einem Club und hat entspanntes Arbeiten. Aber manche werden auch sehr groß werden, wir werden in vielen Städten die nächste Stufe nehmen, was schon teilweise etwas beängstigend ist. Man hat zwar sein Ziel vor Augen, man rechnet damit irgendwann in großen Hallen zu spielen, aber dass es dann wirklich eines Tages dann so weit ist, ist schon ziemlich lustig. Als Kind träumte ich davon wie Axl Rose von Guns´N´Roses auf einer Stadionbühne von links nach rechts zu flitzen oder wie Freddy Mercury vor 70.000 Leuten mit seinem Gesang zu unterhalten.
Waren dies auch deine Idole?
Nein, das war nur so als Beispiel. Guns´N´Roses war die Musik, zu der ich im Zimmer auf und ab gerannt bin. Ich habe aber so viel durcheinander und querbeet gehört, Stevie Wonder, Prince, Bruce Springsteen bis hin zu deutschsprachigen Songwritern Grönemeyer und Lindenberg. Ich habe immer gerne Musik gehört und habe immer songbezogen gedacht. Wenn mich ein Song berührt hat, dann habe ich mir den besorgt. Dafür musste ich noch nicht mal das ganze Album toll finden. Das ist vielleicht der einzige Vorteil heutzutage, wenn man sich einzelne Songs downloaden kann. Ansonsten mag ich doch CD´s sehr gerne.
Du berichtest regelmäßig auf Facebook von der Tour mit einem Foto, unter anderem ist ein Foto online mit einem kleinen Jungen auf der Bühne – was ist da passiert?
Ich fand die Frisur von ihm sehr lustig, er hatte so einen Pottschnitt und das erinnert mich total an meine Kindheit – ich hatte nämlich auch so einen Pottschnitt. Und da habe ich so gefragt „was hast du denn für eine Frisur, ist das wieder modern?“ und hab auch seine Mutter befragt. Er war ganz verzückt und verzaubert, dass er angesprochen wurde. Er war fünf Jahre alt, einer der jüngsten Gäste, die wir jemals hatten und dann habe ich ihn auf die Bühne geholt und habe ihn mit in den Song eingebaut. Dann durfte er meine Band ansagen „Los geht´s Oerding-Band! Eins, zwo, drei, vier“. Das fand ich ganz lustig. Die Frisur war der Running-Gag an diesem Abend, weil wir immer wieder auf seine Frisur zu sprechen kamen. Das findet man auch auf meiner Facebook-Seite, wo ich als Junge so einen blonden Pottschnitt hatte. Genau wie er sah ich da aus!
Es kommt bei den Fans sehr gut an, dass du so menschlich wirkst, auf die Fans zugehst, dir Zeit nimmst nach den Konzerten. Meinst du, das wirst du in Zukunft beibehalten können?
Für Fans ist es immer toll, dass sie sich mal irgendwie äußern können oder dass sie sich noch mehr angesprochen fühlen. Ich mochte das nie, wenn Künstler auf der Bühne so überhaupt keinen Draht zum Publikum haben. Das ist natürlich auch eine Haltung, aber es war nie meine und ich versuche es so gut wie möglich immer wieder rauszugehen. Ich merke schon, je größer die Läden werden, umso schwieriger wird es. Bis zu einer Größe von 400-500 Leuten, kannst du nachher noch rausgehen und mit den Leuten quatschen und Fotos machen. Aber je größer es wird, kann man es auch nicht mehr richtig bewerkstelligen. Man merkt, dass man noch eine Stunde und auch länger danach noch steht und man will auch ein wenig das Konzert genießen und mit seinen Jungs runterfahren und philosophieren. Das merke ich, dass ich es weniger machen werde und auch muss. Die ganz hartnäckigen Fans, die sehen mich nachher dann doch immer noch.
Du bist vor vielen Jahren nach Hamburg gezogen, gibt es Dinge, die du aus der Heimat vermisst außer deiner Familie?
Manchmal fehlt mir dieses ganze Nordrhein-Westfälische-Ding. Ob es jetzt das Ruhrgebiet ist, der Niederrhein oder der Kölner Raum, Rheinland im Allgemeinen. Es ist schon oftmals eine gewisse Fröhlichkeit, Ehrlichkeit, immer locker und es ist auch ein ganz spezieller Humor. Der ist oben anders. Ich merke es immer ganz besonders, dass ich in der Band einen Kölner habe – das ist Moritz, der Gitarrist. Wir beide haben den rheinländischen Humor, der ist anders als der von den anderen Nordlichtern. Manchmal vermisst man auch ein wenig Karneval, das Ländliche, Provinzielle, aber andererseits bin ich auch sehr gerne Stadtmensch und dafür ist Hamburg die schönste Stadt in Deutschland.
Ich habe immer gedacht bei deinem Gesang ein wenig Lispeln rauszuhören. Jetzt bin ich doch ganz überrascht, dass es mir im Interview gar nicht auffällt. Hat dir bereits jemand gesagt, dass du eine besondere und interessante Stimme hast?
Leute sagen schonmal, dass ich ein bisschen nuschele, manchmal auch sowas wie „isch“ sage. Meine Schwester sagt das auch oft. Aber eigentlich habe ich keinen „s“-Fehler. Ich krieg das selber gar nicht mit, aber mir wurde es schon öfter gesagt, daher achte ich manchmal darauf, dass Leute mich verstehen.
Den Ausblick auf das Jahr 2015 hast du bereits gegeben mit der großen Tour, 2014 bedeutet dann für Euch Album schreiben. Habt Ihr Ideen auf Tour bereits gesammelt?
Ich schreibe ja immer, ich werde z.B. heute Abend auch zwei-drei Songs spielen, die noch auf keinem Album sind, die ich noch ein wenig ausprobiere. Das sind z.B. Songs, die schon fertig sind oder sich gerade so entwickeln. Ansonsten immer wenn mir etwas einfällt, dann schreibe ich halt einen Song oder schreibe Zeilen auf. Die akute Phase, die geht jetzt los nach der Tour. Ich fahre auch in Urlaub und entspanne mich mal ein bisschen – das habe ich seit Jahren nicht gemacht. Ich sortiere mal meine Gedanken. Ich schreibe so viel auf, manchmal nur Worte. Diese Riesendatei muss ich einfach sortieren. Und wenn ich dann merke das berührt mich immer noch, dann kann es sein, dass ich darüber sofort etwas schreibe.
Testest du die neuen Songs also heute Abend am Publikum?
Nö, einfach für mich zu schauen, wie der Song sich anfühlt. Natürlich auch wie der Song beim Publikum ankommt, aber es geht darum zu prüfen, ob der Song so gut ist, dass er auch das Album darf. Manchmal sind es Songs, die spielt man mal live, aber kommen auf keine Platte oder sind später B-Seiten. Es kann dann wirklich sein, dass die Songs live ganz anders klingen, als wenn sie auf Platte kommen. Da werde ich noch ein wenig rumdoktern und vielleicht Textzeilen ändern. Im Mai machen wir noch eine kleinere Tour, 10 Termine, dann Sommertermine, Radiofestivals. Für ein Oerding-Live-Jahr ist es doch eher wenig. Ich habe dieses Jahr über 100 Konzerte gespielt und das werden nächstes Jahr vielleicht 30. Was aber auch reicht – ich brauche die Zeit, um ins Studio zu gehen und alles vorzubereiten.
Hast du schon Ideen zum Titel des neuen Albums?
Nee, noch nicht so richtig! Das kommt ziemlich spät! Meist nehme ich einen Titel, der auch ein Song auf dem Album ist. Das war bei „Erste Wahl“ so, bei „Boxer“ so, bei „Für immer ab jetzt“ so. Das sind so die Songs, die das Grundgefühl von der Platte zusammenfassen. Heute Morgen haben wir beim Frühstück etwas darüber gesponnen und dann dachte ich, vielleicht nenne ich es auch einfach „Johannes Oerding, das vierte Album“. Aber das ist noch zu früh, um darüber nachzudenken. Bislang, wenn ich Songs schreibe, haben diese nur Arbeitstitel, auch diese sind nicht immer endgültig.
Eine vierte Singleauskopplung aus dem aktuellen Album, wird es jedoch nicht mehr geben?
Doch, es sieht schwer danach aus, weil das aktuelle Album sehr gut läuft. Und auch im Radio ganz gut läuft. Wir sind uns noch nicht ganz schlüssig welcher Song es sein wird. Wird wenn, dann Anfang des nächsten Jahres kommen.
Du wirkst auf mich von den Songtexten her und auch als Mensch sehr sensibel. Würdest du dich ebenfalls als sensibel bezeichnen? Bist du hart genug für die Musikbranche und hast Leute, die dir den Rücken stärken?
Ich habe das jetzt schon öfters gehört, dass ich auf Leute sensibel wirke, aber eigentlich ist das sehr zweiseitig. Um die Musik zu machen muss man eine gewisse Sensibilität mit sich bringen und kreativ sein. Ich würde mich eher als emotional als sensibel bezeichnen. Ich kann auch ausflippen, ausrasten, laut sein und genervt sein. Aber ich bin nicht der introvertierte, schüchterne Typ. Ich glaube schon, dass man ein wenig Gefühlsmensch sein muss und nicht komplett rational. Und die Musikbranche: mittlerweile mache ich seit 12 Jahren das Spielchen mit, irgendwann weiß man alles, kennt alles, versucht dann für sich herauszufinden, was muss man ernst nehmen und was nicht. Und im Grunde genommen ist es am Ende des Tages die Musik, die entscheidet, wo es langgeht. Keiner von der Plattenfirma, keiner von der Musikbranche, keiner aus der Industrie, sondern es ist die Musik. Wenn die Musik geil ist, wenn sie geglaubt wird und du machst es ehrlich und ernsthaft, dann sucht sie sich ihren Weg. Das ist meine Erfahrung seit vielen Jahren.
Bekommst du Rückmeldung von den Fans, dass z.B. deine Texte über Liebeskummer hinwegtrösten oder ähnliches?
Ja, klar! Das ist halt das Schöne, wenn du abends rausgehst nach dem Konzert, da sind die unterschiedlichsten Stories dabei. Es kann Liebeskummer sein, es kann eine Krebserkrankung sein, das können auch positive Gefühle sein wie ich habe seit 10 Jahren keinen Urlaub gemacht und dann höre ich deinen Song „Einfach nur weg“ im Büro und habe dann sofort zwei Minuten später meinen Urlaub gebucht. Das ist ganz unterschiedlich und das ist das Schönste, dass man sieht, man hat den Song eigentlich für sich geschrieben – ganz egoistisch – um für sich etwas klarzumachen oder sich zu therapieren und dann sieht man, was Leute sich für andere Stories rausholen. Eigentlich ist das die beste Resonanz neben dem Applaus, dem Gemocht werden. Das ist der Moment, wo der Beruf für mich einen Sinn kriegt. Musikersein ist ja kein Beruf, wie Arzt oder Entwicklungshelfer, wo du einen direkten Sinn siehst. Sondern es ist der indirekte Sinn, wenn du manche Leute bei Live-Konzerten 2 Stunden aus ihrem Leben rausholst und ihnen Kraft gibst. Und das ist ein schönes Gefühl und dafür mache ich Musik. Ich glaube nicht, dass es Musiker gibt, die Musik für sich machen.
Die Tour mit Joe Cocker war eine riesige Möglichkeit für dich neues Publikum zu erreichen. Siehst du für die nächste Zeit wieder die Möglichkeit so eine große Tour zu supporten?
Grundsätzlich habe ich immer Bock zu supporten, es hat immer etwas gebracht. Das sehe ich auch jetzt auf der Tour. Es sind ganz viele Joe Cocker Leute mit dabei. Ich glaube man muss irgendwann abwägen mit wem man auf Tour geht. Es fing an mit Stefanie Heinzmann, Ich und Ich, Ina Müller, Simply Red, Joe Cocker – das Einzige, was jetzt noch käme wären Söhne Mannheim, wirklich ganz große Sachen. Alles was in der Halle spielt, haben wir abgeklappert. Wahrscheinlich müsste es jetzt ein Act sein, der Open Air oder Stadien macht. Wenn jetzt ein Robbie Williams kommen würde, wäre ich natürlich sofort dabei. Oder Bruce Springsteen oder Udo Lindenberg. Meistens ist es jedoch so, dass sie keinen Support mitnehmen und das ist ein bisschen schade. Aber das würde noch Sinn machen. Man darf nicht vergessen, dass es eine Rieseninvestition ist, es kostet richtig Asche, dass man Support sein kann und dann muss es auch schon Sinn haben. Wenn ich in Hamburg in der O2 World vor jemandem supporte, ist es nicht so sinnig, weil in Hamburg mittlerweile genug Leute so zu meinen Shows kommen. Dann schaut man entweder, ob man noch in gewissen Regionen etwas schwächelt, so wie ich im Süden, da ist es noch relativ klein im Vergleich. Dort könnte ich mir vorstellen, noch einzelne Konzerte zu supporten.
Gibst du uns noch einen kleinen Ausblick auf dein Weihnachtsfest?
Ich habe so ziemlich bis zum 23. Dezember noch Termine und dann werde ich privat mit meiner Liebsten etwas machen und dann werde ich auch zu meiner Family fahren. Das wird also ein Familien-Ding. Geburtstag feiern, aber nicht groß, ganz entspannt und klein und dann kommt das neue Jahr und dann fahre ich erstmal in Urlaub!
Im Hintergrund trommelt Jost bereits auf sein Schlagzeug ein, Zeit das Interview zu beenden und zum Soundcheck zu gehen – ich darf noch lauschen und erlebe im Anschluss die ausverkaufte Zeche, die zu der gutgelaunten Performance der Band abgeht. Mit einer gelungenen Mischung aus Alt und Neu, Trauriges, Fröhliches, Nachdenkliches, bringt er sogar die Männer im Publikum zum Mitsingen. Und womit wohl niemand gerechnet hätte: Johannes überrascht Fans und Security mit seiner Spontanität singend durch die Menge zu gehen und dabei ein Medley aus Backstreet Boys, Bruno Mars und Co. zum Besten zu geben.
Vielen Dank an Johannes und Band, Jan und Rebekka und dem Veranstalter Lutz für die Interviewmöglichkeit!
Am 3. November 2013 fand sich Fish zu seiner Show „The Moveable Feast“ im Theater Trier ein. Die Erwartungshaltung war hoch, denn Fish war in letzter Zeit nur akustisch unterwegs. Diese Reduzierung auf das Wesentliche hat Fish neue Kraft verliehen und gegenwärtig bringt er mit dem Album „A Feast Of Consequences“ wieder eine volle Band-Produktion auf die Bühne. Drei Stunden vor Showbeginn durften wir den sympathischen und äußerst gut gelaunten Schotten im Theater besuchen und er nahm sich über dreißig Minuten Zeit zur Beantwortung einiger Fragen.
Das ist heute dein erster Auftritt in Trier – der ältesten Stadt Deutschlands. Warst du schon mal hier?
Fish: Ja, denn mein erster Brieffreund kam aus Trier. Unser Lehrer sagte zu uns, wir müssten an einen deutschen Jungen schreiben. Er hieß Ulrich. Wir haben ihn hier besucht – es muss 1970 gewesen sein. Wir fuhren mit meinem Vater im Mercedes den ganzen Weg von Schottland bis nach Italien. Meine Mutter, meine Schwester und ich. Auf dem Rückweg machten wir Halt in Trier um die Familie meines Brieffreunds zu besuchen. Ein Jahr später hat er mich in Schottland besucht, aber der Kontakt ist bald abgebrochen. Wir waren zu verschieden. Auf jeden Fall war Trier der erste Kontakt, den ich zu Deutschland hatte. Heute Mittag habe ich mit meiner Freundin und ihrem Sohn die Porta Nigra besucht. Das ist sehr schön und interessant. Ich habe auch die Modelle im Museum gesehen und war erschrocken, wie viel im zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Und auch im ersten Weltkrieg – genau wie in Karlsruhe. Dort ist 1916 viel zerstört worden und Trier war vermutlich im gleichen Zielgebiet.
Vermutlich spielst du nicht oft vor einem sitzenden Publikum, speziell in einem Theater. Ist das etwas Besonderes? Magst du es?
Fish: Doch, ich spiele sehr oft vor einem sitzenden Publikum, allerdings selten in Deutschland. Es ist nicht so verschieden. Die Acoustic-Tour beispielsweise haben wir in solche Sälen und Kirchen gespielt. Es hängt nicht davon ab, ob das Publikum sitzt. Es hängt davon ab, wie man auf der Bühne agiert, wie man mit dem Publikum interagiert. Meistens stehen am Ende alle. Ich würde niemals sagen, dass ich nicht vor einem sitzenden Publikum spielen will. Es ist ein anderer Ansatz. Die Zuschauer konzentrieren sich mehr auf das Geschehen. Sie gehen nicht zwischendurch Bier holen und reden nicht so viel.
Das kommt dir momentan zugute, weil du viel mit Video-Einspielungen arbeitest.
Fish: Genau. Und gerade heute haben wir einen riesigen Bildschirm.
Kannst du uns etwas zum neuen Album sagen? Ich finde, dass „A Feast Of Consequences“ sehr pessimistisch ist. Es geht um die Zerstörung der Natur, das Ende der Liebe, den Ersten Weltkrieg.
Fish: Das kann ich nicht in wenigen Worten sagen. Es ist ein sehr komplexes Album.
Aber die „High Wood Suite“ ist schon herausragend, oder? In deinen Shows erzählst du viel zu diesem Thema.
Fish: Das wird im nächsten Jahr noch besser funktionieren, wenn die Leute sich mehr in das Album rein gehört haben. Wir haben einiges vor. Noch zwei besondere Gigs Ende des Jahres, dann Mexiko und im Frühjahr eine UK-Tour. Vielleicht ein paar Festivals im Sommer, damit wir die Menschen überzeugen, die normalerweise nicht meine Musik hören. Zum Beispiel spielten wir das „Sweden Rock Festival“ und danach gab es viele Anfragen für schwedische Shows. Wir wollen auch wieder nach Deutschland zurück kehren. Wir haben ein sehr engagiertes Promotion Team mit dem wir jetzt seit einem halben Jahr arbeiten. Wir müssen die Dinge am Laufen halten. Ich werde Zeit in Karlsruhe verbringen, nach Hamburg und Berlin fliegen, im Sommer Festivals spielen – um Werbung zu machen. Und Ende des nächsten Jahres kehrt die Tour nach Deutschland zurück. Ich will 20 Shows hier machen. Wir waren noch nicht in Berlin und in Hamburg. Dann gibt es noch Orte wie Saarbrücken und Ludwigshafen. Auch Bielefeld – und in Köln haben wir noch nicht gespielt. Das werden locker noch 20 Shows. Das neue Album ist so stark, dass wir viel Energie in die Tour stecken.
Ich finde auch, dass die Setlist sehr gewaltig ist. Das neue Material passt hervorragend zu den alten Songs aus den 80ern oder zu Solostücken wie „What Colour Is God“ und „Mr 1470“.
Fish: Ja, die Stücke passen thematisch sehr gut. Wenn du beispielsweise „What Colour Is God“ siehst – das passt sehr gut zu den Texten von „A Feast Of Consequences“. Wir haben die Illumination und die Weltkriegs-Thematik. Es geht nicht nur um den ersten Weltkrieg, es geht um die Menschen. Der Baum ist ein bedeutendes Bild. Die Bäume standen 1914 noch. Danach war alles weiß. Doch die Bäume sind zurück gekommen und heute sieht der Wald wieder aus wie zuvor. Die Natur hat weiter gemacht und der Mensch ist nur eine Plage auf diesem Planeten. Ich habe mir viele Gedanken gemacht über die Setlist und mich bewusst für Songs wie „He Knows You Know“ entschieden. Da ist eine Verbindung zu „Perfume River“. Unser Widerstand, die Realität zu akzeptieren.
Gibt es Pläne, ein Livealbum zu veröffentlichen?
Fish: Ja, sicherlich irgendwann. Im Moment sind die Pläne noch nicht konkret. Wir müssen noch viel touren. Was ich mir vorstellen könnte, wäre das Angebot von Downloads einzelner Shows.
Bei einem anderen deiner Alben, „Field Of Crows“, steht ebenfalls die Kriegs-Thematik im Mittelpunkt. Was ist die frühere Betrachtungsweise, was die heutige? Gibt es Gemeinsamkeiten?
Fish: Ich finde, „Field Of Crows“ hat nichts mit Krieg zu tun. „The Field“ geht leicht in diese Richtung, aber es ist eher ein persönlicher Song. Wir haben mit einem Konzept angefangen, das ist richtig. Dabei ging es um einen Scharfschützen, der am Ende auf Zivilisten schießt. Aber ich habe dann doch gemerkt, dass es zu kompliziert war. Ich hätte viel mehr Zeit gebraucht, um diese Idee zu verfolgen. Nächstes Jahr wird es einen Remix des Albums geben. Calum Malcolm hat das Album remastert. Das ist sehr gut. Wir werden uns nächstes Jahr darum bemühen, die alten Alben zu remastern und neu zu verpacken. Es ist gut, ein neues Album auf dem Markt zu haben, denn die Leute schauen dann auch wieder nach dem Backkatalog. Ich werde mindestens ein Jahr auf Tour sein und dann habe ich die Idee für eine neue Fishheads-Tour in 2015. Keine Ahnung, wann ich ein neues Album schreibe. Da kann noch viel passieren.
Wird Frank Usher dann zur Band zurück kehren?
Fish: Da gibt es momentan keine Pläne. Robin Boult ist ein fantastischer Gitarrist. Er hat den Gitarrensound auf positive Weise verändert. Nichts gegen Frank, aber Robin hat eine neue Dynamik zu uns gebracht. Wir brauchten diese Veränderung. Wir mussten uns regenerieren. Frank hat die Band schon mal vor „Sunsets On Empire“ verlassen, da er diesen Musikstil nicht mochte. Wir sind immer noch Freunde, aber jeder braucht mal eine Pause. Frank mag das akustische Ding. Vielleicht kommt er zurück, wenn wir wieder akustisch unterwegs sind, und Robin geht. Wer weiß? Wir sind ja keine echte Band. Ich engagiere Sessionmusiker und muss schauen, wer verfügbar ist. Ich kann nicht lange „bitte bitte“ sagen. Wenn jemand absagt, suche ich nach jemand anderem. Wir haben momentan brillante Musiker.
Robin und Steve Vantsis ergänzen sich sehr gut.
Fish: Ja, Robin passt super in die Band. Er mag die Musik sehr. In anderen Bands gibt es manchmal 45minütige Diskussion nach dem Gig, wer welchen Hook falsch gespielt hat. Wir wissen, wenn wir es versaut haben, und versuchen es beim nächsten Mal besser zu machen. Was ich bei Robin und auch bei Frank mag: Sie verändern ihre Soli jeden Abend. Als ich noch bei Marillion war, spielte Steve Rothery die Soli immer exakt gleich. Und ich glaube, er tut es heute noch. Robin spielt „Script“ ganz anders, denn Robin Boult ist Robin Boult. Ich will gar niemanden dazu bringen, Steve zu kopieren, denn Steve Rothery ist ein großartiger Gitarrist. Er ist brillant. Aber ich bevorzuge die Flexibilität von Robin. So ist das Leben. Es bedeutet nicht, dass man ein Album in jedem Detail covert. Wenn du das willst, kauf die verdammte CD und hör sie dir an.
Das ist die Art, wie es Steven Wilson macht. Er bringt seine Alben punktgenau und perfekt auf die Bühne.
Fish: Das ist der Grund, warum ich Porcupine Tree nicht mag. Es ist keine so tolle Band, oder?
Aber „Sunsets On Empire“ ist ein großartiges Album.
Fish: Damals war Steven Wilson noch um einiges jünger. Er ist ein liebenswerter Kerl und hat viele tolle Sachen gemacht. Aber das ist nicht mein Ding. Es ist kein Rock’n’Roll mehr sondern Computerarbeit. Egal, wechseln wir das Thema.
Okay. Deine Tour hat im Sommer angefangen – vor einigen Monaten. Jetzt ist der erste Teil fast vorbei. In wenigen Tagen gibt es den Abschluss in England. Gibt es Unterschiede zwischen den ersten Konzerten und den gegenwärtigen?
Fish: Natürlich. Wir sind sicherer in dem, was wir tun. Etwas müder, etwas verrückter. Unsere Herangehensweise an die Songs verändert sich. Wir entdecken sie jeden Abend neu. Zum Beispiel ändert sich die Dynamik von „Crucifix Corner“ ständig.
Gerade diesen Song fand ich in Landstuhl sehr stark, während ich in Duisburg zu Beginn der Tour nicht so beeindruckt war.
Fish: Du kannst nicht erwarten, dass jeder Song an jedem Abend gleich großartig ist. Es hängt auch immer von den Zuschauern ab. Wir waren gestern in Frankreich, in Nancy, und die Menge hat uns keine Energie gegeben. Am Tag zuvor waren wir in Zürich und hatten auf der rechten Seite zwanzig Italiener, die komplett ausgeflippt sind, während auf der linken Seite nichts los war. Es hängt von den Zuhörern ab. Sie geben uns Energie. In Landstuhl war ein gutes Publikum, aber wir bekamen nicht genügend Energie. Das lag vielleicht auch daran, dass unser Mann am Ton absolut krank war und wir ihn nach dem Gig ins Krankenhaus bringen mussten.
Und du warst ziemlich wütend, als du realisiert hattest, dass Leute die Show vom Balkon aus gefilmt haben.
Fish: Ja, ich war so angepisst. Da saß eine Frau, die hat den ganzen Abend nur in ihre verdammte Kamera geschaut. Was haben diese Leute daran, sich eine Live-Rockshow durch ein Objektiv anzuschauen? Wenn jemand mal einen Song mit filmt, das ist okay. Aber wenn jemand die ganze Zeit vor dir steht und seine Kamera auf dich richtet, das macht mich richtig wütend. Es ist doch eine Live-Performance. Warum kauft jemand ein Ticket, um mich zu filmen? Manchmal sitzen Leute fast auf der Bühne und filmen mich. Du musst es mal so sehen: Es ist eine Live-Situation. Ich treffe mal einen Ton nicht oder vergesse eine Textzeile. Das ist nicht schlimm, weil es live ist. Zwei Minuten später haben die Leute das wieder vergessen. Wenn es aber gefilmt wurde, ist es am nächsten Tag auf YouTube und wird wieder und wieder angeschaut. Wenn ich eine Liveaufnahme mache, habe ich die Qualitätskontrolle. „Script“ hat schwierige Passagen und vielleicht treffe ich mal einen Ton nicht. Das ist egal, denn die Leute vergessen es sofort wieder. Viermal klappt es super, dann beim fünften Mal vielleicht nicht.
Und gerade dieses fünfte Mal wird auf YouTube eingestellt und die Leute sagen, Fish kann „Script“ nicht mehr singen.
Fish: Genau das meine ich. Live macht man Fehler. So ist das Leben – es ist menschlich.
Das Internet hat heutzutage einen großen Einfluss aufs Musikgeschäft. Du verkaufst „A Feast Of Consequences“ nur online über deine Homepage. So wissen viele Menschen, die dir nicht regelmäßig folgen, gar nicht, dass es ein neues Fish-Album gibt.
Fish: Aber wie würden sie es sonst erfahren?
Du denkst also, die Zeit ist vorbei, dass Menschen in einen Laden gehen und die neue CD sehen?
Fish: Wo gibt es denn heute noch Einzelhandel? Das sind nur noch Shops, die online verkaufen. Ich bin schon so oft abgezockt worden. Von einer Firma, die meine Alben verkauft hat, obwohl sie gar nicht autorisiert war. Dann waren sie plötzlich auf amazon. Alle unabhängigen Einzelhändler verkaufen inzwischen über amazon. Warum soll ich die Sachen nicht in meinem eigenen Shop verkaufen?
Eine Sache fällt aber weg: Wer eines der früheren Alben gekauft hat, bekommt zum Beispiel eine Empfehlung für das neue.
Fish: Aber es bleibt zu wenig für mich übrig. Amazon verlangen 20-25 % und dann kommt noch die Steuer. Amazon sitzen in Luxemburg. Sie zahlen nicht viel Steuern. Warum soll ich nicht das Geld sparen und das Album selbst verkaufen? Dann verkaufe ich ja auch bei amazon, aber es läuft über meinen eigenen Shop. Ich kann mich nicht um die unabhängigen Plattenläden kümmern, ich muss mich um den unabhängigen Künstler kümmern. Sie scheren sich auch nur einen Dreck um mich. Wir brauchen die ganzen Großhändler nicht. Wer sich freut, ein Paket von amazon zu bekommen, freut sich auch über ein Paket vom Fishheads-Club. Ist doch ganz egal – es kommt trotzdem an deine Tür.
Ich mag vor allem die Idee der „Deluxe Edition“. Mark Wilkinson hat ein tolles Artwork abgeliefert und das ganze Buch ist wunderschön aufgemacht.
Fish: Gerade das gefällt mir, weil die Piraten es nicht kopieren können. Sie klauen die Musik, aber sie können nicht das ganze Artwork kopieren. Das ganze Musikgeschäft wird entwertet. Alle sammeln Downloads, Downloads… Das Musikgeschäft ist tot.
Für mich sind Downloads ein Sammeln von Musik, bei dem es auf die Masse ankommt, nicht auf die Qualität. Doch dann hört keiner mehr die Songs.
Fish: Genau. Da ist dieser Typ der 12.000 verdammte Songs auf seinem iPod hat. Das ist doch nur noch eine Jukebox. Das hat nichts mehr mit Musikhören zu tun. „A Feast Of Consequences“ funktioniert anders. Es ist ein altmodisches Album. Zwei Wochen nach Veröffentlichung wurden Download-Codes illegal verkauft. Die Justiz interessiert das nicht, aber ich muss einen teuren Anwalt bezahlen, der gegen diese Leute vorgeht.
Sowieso muss man „A Feast Of Consequences“ am Stück hören, um es genießen zu können.
Fish: Ganz genau. Es ist kein Album, das man Track für Track runterlädt. Und dann gibt es ja so viel schlechte Musik. Mein Produzent Calum Malcolm sagt, da kommt ein Sturm auf uns zu. Man muss die Juwelen finden. Keiner hat mehr die Zeit dazu, alles zu hören. Es ist heutzutage zu einfach, Musik zu machen. Man kauft die Software und legt los. Und später muss der Musikhörer sich durch so viel Schlechtes durchhören, um die wirklich guten Sachen zu finden. Ich bin raus aus dem Geschäft. Ich mache mein Ding und tue das Beste, um ein gutes Album aufzunehmen. Das alles ärgert mich, weil die Musik so entwertet wurde. Aber ich zahle 75.000 Pfund, um das Album zu produzieren. Dann ist es bezahlt und ich habe wieder Kosten, um es zu promoten. Es wird immer schwieriger, qualitativ gute Musik zu machen. Wie kann ein Musiker noch überleben? Und den Fotografen (Fish zeigt auf Emanuel) geht es doch genau so. Wie kann ein Fotograf noch überleben? Er setzt die Bilder ins Internet und jeder kopiert sie. So denkt die neue Generation: Alles ist kostenlos.
Eine letzte Frage noch: Wird es mal wieder eine Convention in Deutschland geben? Die letzte ist zwölf Jahre her.
Fish: Ich denke schon. Aber ich bin jetzt sieben Wochen unterwegs und das ist schon hart. Man will ja auch Qualität bieten. Und ich muss den richtigen Ort wählen, wo viele Fans hin kommen.
Danke für deine Zeit!
Fish: Ich danke auch. Genießt die Show heute Abend Es wird etwas ganz Besonderes – die Bühne ist riesig.
Unser herzlicher Dank gilt Daniel Sebastian von Sub SoundS und Dominik Dröse von Sounds Promotion für die Vermittlung des Interviews und für die gute Betreuung vor Ort! Alle Fotos stammen vom MHQ-Fotografen Emanuel Recktenwald.
Die südafrikanische Band „Prime Circle“ gilt in ihrer Heimat als erfolgreichster Rock-Act in der Geschichte Südafrikas. Nun erobern die Herren aus der Bergbaustadt Witbank auch die europäische Musikszene. Nach der erfolgreichen Evidence-ReLoaded Tour im April ist die Band jetzt für einige Konzerte zurück in Deutschland, um weiterhin Werbung für ihr fünftes Album „Evidence“ zu machen. Damit ihr die Band etwas besser kennenlernt, habe ich die Gelegenheit genutzt um dem Sänger, Ross Learmonth, einige Fragen zu stellen.
Hallo Ross, wann hast du angefangen Musik zu machen?
Ross: Ich habe spät angefangen Musik zu machen, mit ungefähr 16 Jahren. Meine Freunde haben schon lange Instrumente gespielt. Als ich einen Freund beim Gitarre spielen gesehen habe, dachte ich mir, das ist das beste Instrument, was ich auch lernen könnte. So kaufte ich eine Gitarre und habe angefangen zu spielen.
So ähnlich war das auch bei mir. Ich habe mir das Gitarrespielen auch selbst beigebracht.
Ross: Wir nennen das „Streetkid“, wenn man sich das selbst beibringt, so wie ich. Mein erstes Lied auf der Gitarre war „Blister in the sun“.
Ihr habt Prime Circle im Dezember 2000 gegründet. Kanntet ihr euch schon vorher?
Ross: Wir waren vorher alle in verschiedenen Bands und haben eine Show gespielt -ein Tribute- für einen verstorbenen Freund. Es kamen sieben oder acht Bands zusammen. Wir wollten mit dem Konzert Geld für seine Familie sammeln. Außerdem sind an diesem Abend die Sängerin und der Gitarrist einer Band ausgestiegen. Da ich ebenfalls meine Band verlassen hatte, traf sich das gut, denn sie benötigten einen Sänger und ich eine neue Band.
Warum habt ihr euch dafür entschieden, eine Rockband zu werden?
Ross: Wir haben versucht Musik mit afrikanischen Einflüssen zu machen, aber das war nichts für uns. Wenn Rock´n´Roll ein Leben bestimmt, dann muss man auch diese Musik machen. Aus diesem Grund war es die richtige Entscheidung eine Rockband zu werden!
Wer hatte die Idee für den Bandnamen?
Ross: Die kam von Marco. Ich sagte, dass wir den Namen nicht nehmen können, da es schon eine Band gibt, die „Perfect Circle“ heißt. Marco kannte sie nicht. Wir haben den Namen anfangs nur für Auftritte behalten und irgendwie blieb der Bandname dann bis heute. Wir mögen den Namen. Wir sind Prime Circle!
Ich habe gelesen, dass Neil viele Songs schreibt. Wer schreibt sonst noch?
Ross: Ich bin zwar der Chef-Songwriter. Aber auch Neil schreibt gute Lieder, wie die andern aus der Band. Wir helfen uns gegenseitig, wir arbeiten zusammen. Ich mache die Lyrics und dann erarbeiten wir die Musik dazu. Wir haben eine gute Dynamik und das ist der Grund, warum das Album Hardrock und ruhigere Songs hat. Jedes Lied profitiert von den unterschiedlichen Einflüssen, die wir alle einbringen.
Verarbeitet ihr persönliche Erlebnisse und Erfahrungen in euren Songs?
Ross: Ja klar. Wir versuchen über Dinge zu singen, zu denen wir einen Bezug haben. Wir singen über Themen, die Realität für uns sind, alles andere ist Quatsch.
Wie entsteht ein Lied?
Ross: Wenn man ein Lied schreibt, verarbeitet man Dinge, die man im Kopf hat. Die Umsetzung in ein Lied ist manchmal allerdings sehr schwierig, beispielsweise, wenn man über Freunde singt, die man verloren hat. Wenn man solche Lieder schreibt, die später auf den Alben sind, wollen wir diese natürlich auch bei Konzerten spielen, aber es fällt einem trotzdem immer schwer.
Welcher eurer vielen Songs ist dein Lieblingslied?
Ross: Das kann ich nicht genau sagen, dass ist schwer. Momentan sind es‚ „Staring at Satallites“ vom neuen Album und die Akustikversion von „Evidence“. Ich liebe es diese Akustikversion zu spielen, aber die elektronische Version macht auch Spaß. Meine Lieblingslieder wechseln und das ist auch klar. Wir arbeiten so lange an den Liedern, bis sie uns gefallen.
Ihr habt jetzt das fünfte Album veröffentlicht. „All or Nothing“ und „Jekyll and Hyde“ waren die ersten Alben, die ich in Afrika kennengelernt habe. Was kannst du über das neue Album „Evidence“ sagen, worin unterscheidet es sich von den anderen Alben?
Ross: Es ist nicht besser, aber anders! „Jekyll and Hyde“ ist ein besonderes Album für uns, da es das erste Album mit Dale war. Die Band hat sich neu gefunden, es hat alles gepasst. So sehen wir „Jekyll and Hyde“ als unser erstes gemeinsames Album an. Das neue Album „Evidence“ ist unser nächster Schritt. Deshalb kann man nicht sagen, dass es besser ist, sondern es ist anders. Dale hat sehr viel an dem Album mitgearbeitet und das war super! Jetzt sind wir die endgültigen und perfekten Fünf!
Wie lange habt ihr am Album gearbeitet?
Ross: Wir haben ungefähr 1 ½ bis 2 Jahre daran gearbeitet, aber nicht immer im Studio, sondern meistens auf Tour. In Dales Studio „Bat Mountain“ in Johannesburg haben wir das Album aufgenommen und es hat Spaß gemacht.
Ihr habt viele interessanten Lieder auf dem neuen Album, aber wenn irgendjemand der Name des Liedes „Time kills us all” liest, würde er diesen Satz unterschreiben wollen und zugleich wissen, um was es in diesem Lied geht. Kannst du das Lied kurz beschreiben?!
Ross: Wenn ein Familienmitglied, Freunde oder sonstige Menschen die man gern hat, vor einem sterben oder weggehen, dann hofft man, diese Menschen irgendwann wiederzusehen. Die Zeit tötet uns irgendwann alle, und wir warten darauf. Wir sind alle Sklaven der Zeit.
Was können eure Fans oder Menschen, die euch nicht kennen, von eurem neuen Album erwarten?
Ross: Es ist ein Album mit viel neuer Energie und neuem Leben, das wir drin investiert haben. Die Leute können das aus dem Album heraushören. Durch die energiegeladene CD hat man das Gefühl, jünger zu sein.
Es ist in diesem Jahr eure zweite Tour in Deutschland. Damals hab ich euch in einem kleinen Club in Saarbrücken gesehen, es waren vielleicht zwanzig Leute im Publikum. In Südafrika spielt ihr vor Tausenden. Wie ist es vor ganz wenigen Menschen zu spielen?
Ross: Es war für uns eigentlich keine Frage, dass wir nicht auch vor wenigen Menschen spielen, denn wir lieben unsere Musik und möchten mit denjenigen die auf den Konzerten sind Spaß haben. Es ist uns auch bewusst, dass hier noch alles neu ist und wir noch nicht so bekannt sind. Aus diesem Grund ist es schön zu sehen, dass sich das ändert und immer mehr Leute zu unseren Konzerten kommen. Die Menge wächst von zwanzig auf vierzig und dann stehen hunderte von Menschen vor der Bühne. Und das ist cool. Es macht natürlich auch Spaß vor tausenden von Fans zu spielen, aber im Grunde freuen wir uns einfach, Musik machen zu dürfen!
Wo in Deutschland spielt ihr am Liebsten? Habt ihr eine Lieblingsstadt?
Ross: Berlin ist toll! Hamburg ist auch sehr schön…, was sich dort alles bewegt. Die Stadt hat eine besondere Dynamik. Wir lernen Deutschland immer besser kennen, sehen viel, aber in Berlin verbringen wir die meiste Zeit. Es gibt dort so viele verschiedene Menschen, mit denen man Spaß haben kann und das gibt uns ein gutes Gefühl.
Ihr habt euch schon mit vielen berühmten Musikern die Bühne geteilt, z. B. Seether und jetzt mit 3 Doors Down. Mit wem würdet ihr gerne mal auf Tour gehen?
Ross: Wir sind große „Foo Fighters“- Fans. Mit dieser Band, gerade mit Dave Grohl, würden wir gerne mal auf Tour gehen. „Foo Fighters“ sind einfach großartig.
Wie sieht bei euch ein Tag auf einer Deutschland-Tour aus?
Ross: Der typische Tag sieht so aus. Wir sitzen im Bus, schauen aus dem Fenster und fahren zum nächsten Konzert. Das haben wir vor vielen Jahren auch in Südafrika gemacht und wir mögen das. Es ist schön, verschiedene Landschaften zu sehen. Wenn wir lange im Bus sitzen, tanken wir viel Energie, die wir später auf der Bühne rauslassen können.
Warum seid ihr hauptsächlich nur in Südafrika auf Tour und nicht in Namibia oder in anderen afrikanischen Ländern?
Ross: Wir haben schon einige Konzerte in Namibia und Botswana gegeben. Auch im Swaziland hatten wir ein schönes Festival gespielt, mit vielen dunkelhäutigen Menschen und es war interessant zu sehen, wie ihnen unsere Rockmusik gefällt. Es ist schön für uns, dort zu spielen, aber auch sehr schwierig. Wir möchten auch mehr „international“ spielen, was einfacher ist, als in Afrika, denn dort ist alles etwas komplizierter.
Ihr habt in Südafrika auch schon einige Awards gewonnen. Was bedeuten euch solche Preise?
Ross: Es gibt einen Preis, den „People Choice Award“, der uns viel bedeutet, da der bei den Fans übergeben wird, die uns diesen Preis auch ermöglichen. Es ist nett Preise zu bekommen, aber wir stehen lieber auf der Bühne und machen Musik.
In meiner Zeit in Namibia war ich auf vielen Konzerten von afrikanischen Musikern. Gibt es afrikanische Künstler, die du dir gerne anhörst?
Ross: Johnny Clegg. Er ist der größte Superstar bei uns. Er ist wirklich ein großartiger Musiker. Er ist ein „White-Black Man“, der afrikanische Musik mit internationalen Styles mischt. Johnny Clegg ist ein musikalisches Vorbild. Gute traditionelle Musik macht auch „Ladysmith Black Mambazo“.
Letzte Frage, Ross: Was sind die weiteren musikalischen Pläne für die nächsten Jahre mit der Band?
Ross: Wir wollen viel in Europa touren und vielleicht auch in den USA, aber hauptsächlich in Europa. Außerdem möchten wir weitere Alben aufnehmen. Es wird beispielsweise ein Akustik-Album geben, mit vielen alten und einigen neuen Liedern. Wir haben eine Menge zu tun und dann kommen wir wieder!
Die Fragen stellte Anika Biwer, Trier. Ein herzlicher Dank geht an Maren Kumpe vom Music Matters, die das Interview möglich gemacht hat!
Pain of Salvation sind eine der wenigen Bands, denen ich durch alle meine musikalischen Anwandlungen hindurch (sei es Dark-Wave, Black Metal oder Power Metal), treu geblieben bin. Genauer gesagt verfolge ich seit der Veröffentlichung von „The Perfect Element“ im Jahr 2000 die musikalische Entwicklung der Band von Prog Metal zum Siebziger-Jahre-Rock auf den letzten beiden „Road Salt“-Alben. Daniel Gildenlöw, Frontmann und einzige Konstante der Band, ist für mich einer der genialsten Musiker und besten Sänger im Rock-Bereich, und daher war es für mich ein wunderbares Erlebnis, endlich ein Interview mit ihm führen zu können – auch wenn der Ort dafür etwas bequemer hätte ausfallen können als das kalte Treppenhaus des Wohnhauses neben dem Turock in Essen. Aber der Backstage ist voll mit den singenden Isländern des Support-Acts Árstíðir und so bleibt uns nichts anderes übrig, als uns ins Treppenhaus zu hocken und die ein- und ausgehenden Bewohner des Hauses höflich zu begrüßen.
Ich habe bei diesem Interview übrigens darauf verzichtet, Fragen zum Mitgliederkarussel in der Bandgeschichte zu stellen, da Daniel Gildenlöw in allen möglichen Interviews schon dazu Stellung genommen hat. Daniel ist übrigens ein sehr gesprächiger Interview-Partner, den man schwer unterbrechen kann, anderseits kann man ihm auch stundenlang zuhören, auch wenn er von Hölzchen auf Stöckchen kommt. Aber lest selbst …
Daniel Gildenlöw im Interview
Daniel, das letzte Mal, als ich euch gesehen habe, war das in Leipzig auf einer exklusiven Akustik-Show. Und jetzt seid ihr mit dieser Akustik-Show auf Tour gegangen. Wie kam es dazu?
Daniel: Wir wurden damals gefragt, ob wir nicht diese Akustik-Show in Leipzig machen wollen, und wir fanden, dass es eine coole Idee war. Ich mag es, neue Sachen auszuprobieren und das schien mir eine gute Gelegenheit dafür zu sein. Wir wollten die Show aufnehmen, weil sie eben so exklusiv war, aber dann versagte auf der Show die Technik und das mit der Aufnahme klappte nicht. Aber wir wollten trotzdem gerne ein Akustik-Album aufnehmen, einfach alles im Proberaum durchspielen und es mixen lassen … Das machten wir, hatten aber wieder Probleme mit den Aufnahmen. Dann kam die Idee auf, mit der Show richtig auf Tour zu gehen. Gleichzeitig hatten wir die Idee, das Ganze in einer Art Wohnzimmer stattfinden zu lassen, bzw. wir hatten das schon für die „Road Salt“-Tour angedacht, aber das schien damals nicht das richtige Setting für die Tour zu sein. Für die Akustik-Tour schien das aber genau richtig. Wir begannen also damit, die „Wohnzimmer“-Tour zu planen und hatten eine Menge Ideen, wir wollten z. B. eine Couch und einen Kühlschrank und all so was.
Seid ihr dann richtig auf Flohmärkte gegangen, um die Requisiten zu finden?
Daniel: Ja, wir haben alle möglichen Charity- und Antiquitäten-Läden aufgesucht, um die Möbel zusammenzusuchen, die diesen Vibe hatten, hinter dem wir herwaren. Das gestaltete sich aber schwieriger als wir dachten. Es ist richtig schwer, Siebziger-Jahre-Möbel zu finden. Achtziger sind kein Problem, aber Siebziger sind eine Herausforderung. Und es war in diesem einen letzten Laden, kurz bevor sie Ladenschluss hatten, dass ich durch eine Tür in den Lagerraum sah und da diese coole, große und schwere Couch sah. Und ich musste eine richtige Charmoffensive starten, damit der Angestellte uns hineinließ. In diesem Lager fanden wir viele der Möbel, die wir jetzt auf der Bühne haben.
Ich hatte wirklich gedacht, dass es sehr einfach sein würde, dieses Wohnzimmer zusammenzustellen, aber letztendlich war es viel Arbeit. Ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten auf der Tour selbst. An manchen Grenzübergängen hat man uns schon ziemlich schräg angeguckt, als sie diese braun-orangenen Tapeten und das ganze Mobiliar sahen.
Es war euch sehr wichtig, das alles auf euch zu nehmen, um diesen Traum wahrzumachen …
Daniel: Ja, aber es kamen auch noch so viele andere Dinge so schön zusammen. Das Setting sollte natürlich stimmen, aber auch was die Support-Acts anging war ich auf der Suche … ich bin schon seit 1998 Fan von Annekes Stimme, als ich The Gatherings Alben hörte. Und in Griechenland war sie mit Agua de Annique unser Support. Dort spielten sie diese energetische Siebzigerjahre-Musik. Ich fand, dass das perfekt für die Road-Salt-Tour sein würde, aber das haute damals zeitlich nicht hin. Ragnar kannte außerdem diese isländische Band Árstíðir, die ich mir im Netz angeschaut habe und von denen ich richtig beeindruckt war. Für die Akustik-Tour haben wir Anneke und Árstíðir dann noch mal gefragt, und diesmal klappte alles. Anneke und ich spielen übrigens auch auf dieser Tour einen Song zusammen …
Einen Song von Pain of Salvation?
Daniel: Hehe, nein, ich kann es ja jetzt sagen, denn das Interview wird auf keinen Fall vor diesem letzten Gig veröffentlicht werden. Wir singen zusammen einen Song von Kris Kristofferson … obwohl wer weiß, wahrscheinlich ist es schon überall auf youtube zu sehen, was eigentlich richtig schade ist. Denn obwohl ich es cool finde, auf youtube präsent zu sein, finde ich es schade, dass die Leute auf Konzerten mittlerweile in einem Wald voller iPhones stehen, anstatt ihre Feuerzeuge hochzuhalten.
Anneke und Daniel live
Diese Nostalgie, von der du sprichst, erinnert mich ein wenig an die Nostalgie, die in „1979″ anklingt. Ich habe ja immer diese Astrid-Lingren-Welt vor meinen Augen, wenn ich diesen Song höre. Ist das die Welt, nach der du dich sehnst?
Daniel: Wahrscheinlich ist das so, dass jede Generation dazu neigt, die Zeit, in der sie aufgewachsen ist, zu idealisieren, egal wann das war. Das ist wahrscheinlich in unserer Natur. Aber ich bin der Meinung, dass, obwohl ich wirklich versuche, objektiv zu sein, wirklich etwas verlorengegangen ist. Die Sechziger sind für mich – und ich spreche wirklich nur von meinen Empfindungen – ein Jahrzehnt der Revolution, wo man viel ausprobiert hat und frei war. In den Achtzigern war alles plötzlich wieder so kontrolliert und der Erfolg sehr wichtig. Die Siebziger stechen für mich heraus als eine Art angenehme Pause, eine Art natürliche Brücke zwischen den wilden Sechzigern und den Achtzigern, die für mich beide nicht so interessant sind, auch musikalisch nicht. In den Achtzigern gab es diesen übertrieben Einsatz von Hall und diesen kalten Effekten. In den Siebzigern gab es dieses Gefühl der Ruhe, die politische Bewegung war noch stark, aber nicht mehr so radikal wie in den Sechzigern.
Und diese Zeit zelebrierst du ja auch auf den letzten „Road Salt“-Alben. Wie sieht es mit dem kommenden Album aus, wie geht es von hier aus weiter?
Daniel: Diese Tour entstand ja eigentlich aus einer gewissen Planlosigkeit heraus. Was immer auch jetzt passiert, ist schwer berechenbar. Im Rückblick ist es immer viel einfacher zu sehen, wie natürlich es war, dass die Dinge aufeinander folgten. „Be“ zum Beispiel ist das natürliche Ergebnis der vorherigen Alben, auch „Scarsick“ war die natürliche Weiterführung der vorangegangenen Alben. „Scarsick“ ist intensiver, wütender und politischer als „12:5″ und „Be“, die nicht das richtige Forum für die Ideen gewesen waren, die es auf „Scarsick“ gab. Im Rückblick ist es wirklich einfacher zu sagen, warum dieses oder jenes entstanden ist, andersherum ist es sehr schwierig. Ich kann also momentan nicht sagen, was sein wird.
An der Stelle werden wir erstmal von der Tourmanagerin unterbrochen, denn Daniel soll den Abend eröffnen und einen Song mit Árstíðir spielen – was er dann auch tut. Danach treffen wir uns wieder im Treppenhaus, um das Gespräch fortzuführen.
Weiter geht’s … Es war gar nicht mal so schlecht, diese Unterbrechung zu haben. Ich hatte keine Ahnung, dass die Show so sein würde. Du hast jetzt einige Themen des Abends angesprochen, als da wären der Tod, Demenz und hast ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert usw. … ist das nicht riskant?
Daniel: (lacht) Ja schon, aber ich mag es ganz gerne, bei Shows eine Art Intimität zum Publikum herzustellen und einen Rahmen für die Show zu schaffen.
Wie ist die Reaktion bisher gewesen?
Daniel: Sehr positiv eigentlich, allerdings habe ich heute Abend auch viel mehr geredet, weil es die letzte Show dieser Tour ist. Aber ja, jedes Publikum reagiert anders. Ich taste mich da meistens langsam heran und versuche herauszufinden, ob das Publikum darauf steht oder lieber nur Musik hören will. Heute waren die Leute im Publikum cool, ich hatte das Gefühl, dass sie gerne zugehört und reagiert haben.
Hast du keine Angst, dass es die Leute völlig deprimiert?
Daniel: (lacht) Aaaalso, wenn es irgendwas gibt, das sich in den Jahren mit PoS gelernt habe, ist, dass die Leute durch deprimierende Dinge aufgebaut werden. Ich kann das verstehen, denn stell dir vor, dir geht es schlecht und du hörst fröhliche Musik á la „alles ist voll toll!“ Du wirst dich damit nicht identifizieren können und fühlst dich vielleicht noch isolierter. Aber wenn jemand sagt: „Weißt du was, das Leben ist manchmal halt echt kacke, aber wir sollten versuchen, etwas Cooles draus zu machen, weil es doch wertvoll ist!“, dann kannst du dich eher damit identifizieren … die ersten Jahre sind oft Leute nach Gigs zu uns gekommen, denen wirklich schreckliche Dinge passiert sind – z. B. der Verlust von Eltern, Freunden oder gar Kindern – und unsere Musik hat ihnen anscheinend durch diese schwierigen Zeiten geholfen. Ich habe mich damals gewundert, aber so ist es anscheinend.
Daniel nach dem Konzert in Essen
Ich habe das Gefühl, dass du dich in den letzten Jahren sehr von dieser schweren und aggressiven Musik verabschiedet hast. Die „Road Salt“-Alben kommen ja viel beschwingter und fröhlicher rüber …
Daniel: Fröhlich?? Wirklich??
Ja schon, obwohl ein paar Themen natürlich nicht weg sind. Als großer Fan darf man ja manchmal auch Scherze über seine Lieblingsmusiker machen …
Daniel: Ja, klar. Na ja, vielleicht … okay, sag es! (lacht)
Okay, bring mich nicht um, es ist ja nur mein Eindruck … in deinen Texten gibt es so viele leidende Frauen. Sie weinen immer und sterben und leiden …
Aaaaaaah, hmm, also, da bräuchte ich mehr Details … ja, es ist entweder persönliche Erfahrung, dann ist es halt so und man sollte nicht erwarten, dass es politisch korrekt ist. Aber wenn du z. B. „Mrs. Modern Mother Mary“ nimmst, geht es im Text genau darum, wie Frauen über die Jahrhunderte hinweg unterdrückt wurden. Gerade dieser Song handelt von dem Kampf um Gleichberechtigung und wie Religion die Gesellschaft beeinflusst. Du hast auf der einen Seite Maria Magdalena und auf der anderen Seite Maria, die Mutter. Und das hast du immer noch – und beide Marias leiden. Die Marias sind heute immer noch zu Hause und versuchen, Kinder aufzuziehen und die anderen sind im Internet, auf Porno-Seiten zu sehen. Die Heiligen und die Huren eben, wenn man es vereinfacht darstellen will.
Hmm, da du gerade eben das Thema Religion ansprichst. Wie sieht es damit aus? Ihr spielt ja des Öfteren ein Cover von „Halleluja“ am Ende eurer Konzerte. In Leipzig hast du auf der Bühne gesagt, in dem Song ginge es um Sex und nicht um Religion …
Daniel: (lacht) Ja, und es stimmt ja auch, da geht es gar nicht um Religion. In „Halleluja“ geht es darum, sich in der Sexualität und in Beziehungen zu verlieren. Es geht aber darum, dass Beziehungen in Kämpfe ausarten, in denen es um Gewinnen und Verlieren geht. Auf eine gewisse Weise geht es darin auch um Sucht. Meine Vermutung ist, dass er (Anm. d. Redaktion: Leonard Cohen) zu einem Zeitpunkt in seinem Leben sexsüchtig war und dass es in diesem Song auch um die Trauer geht, ein Problem mit Beziehungen zu haben. Ich finde den Text wunderschön, sehr sinnlich und gleichermaßen positiv und sehr traurig. So ein bisschen wie die Freude einer Ejakulation (lacht), es ist schön, aber gleichzeitig kommt danach eine Leere. Es ist das Fehlen von Größe und Erfüllung im Leben. Das Leben ist letztendlich ein Halleluja des Kommens – in jemandem (Anm. d. Red.: okay, im Original sagt er: „a halleluja of coming into someone“). Für was für ein Magazin war dieses Interview noch mal? (lacht)
Playgirl halt … es ging von Anfang an nicht um Prog sondern Pornos …
Daniel: Dann bin ich ja froh. (lacht)
Okay, also wie steht es denn jetzt mit der Religion. Oder findest du die Frage doof?
Daniel: Nein nein, aber wenn Leute nach Religion fragen, dann habe ich das gleiche Gefühl, wie wenn Leute nach Prog fragen. Dann denke ich immer, okay, ich kann jetzt höflich sein und die Frage umschiffen, ohne sie wirklich zu beantworten, und ohne irgendwelche Leute anzugreifen. Ich persönlich habe keinen Vertrag mit Religion. Ich bin der Meinung, dass jede Art von Religion falsch ist. Darum geht es z. B. in „Be“, obwohl seltsamerweise unheimlich viele religiöse Menschen dieses Album toll finden. Wo doch die Essenz des Albums ist, dass viele Dinge, die als Werkzeuge für die Menschen geschaffen wurden, die Menschen beherrschen. Und Dinge, die dazu da geschaffen wurden, die Menschen zu beherrschen, am Ende nur Werkzeuge werden. Es gibt also eine ständige Verschiebung der Paradigmen: Wir erschaffen Geld als Werkzeug und es wird zum Herrscher über alles, wir kreieren Gott als unseren Herrscher und er wird zum bloßen Werkzeug. Ich habe in einem meiner frühen Interviews eine Parabel aufgestellt: Religion ist für mich wie, wenn zwei Menschen in einer zweidimensionalen Welt leben und für eine Sekunde einen Zylinder zu sehen bekommen. Beide sehen diesen Zylinder von einer anderen Seite, der eine sieht ein Rechteck, der andere einen Kreis. Und in der zweidimensionalen Welt dieser beiden gibt es keine Figur, die sowohl ein Rechteck als auch ein Kreis sein könnte. Das funktioniert nicht, weil es auf einer höheren Ebene existiert als sie es sich vorstellen können. Und so gründet der eine die Rechteck-Religion und der andere die Kreis-Religion. Und bis zum Ende ihrer Tage und der Tage ihrer Kinder und Kindeskinder werden sie nicht aufhören, sich darum zu prügeln oder gar zu töten. Für mich ergibt das Ganze keinen Sinn. Dieser Kampf muss aufhören. Das ist für mich das Wichtigste.
Ich war im Urlaub im Jordan und wir waren am Strand. Unser ältester Sohn war gerade mal ein Jahr alt und spielte mit einem arabischen Jungen, der mit seinem Vater da war. Und es kam uns so wunderschön vor, so nach dem Motto „Ach, wie schön, Kinder kümmern sich nicht um Hautfarbe und Nationalitäten, sie spielen einfach.“ Wir fühlten uns sehr stolz und plötzlich fingen sie an, sich richtig zu kloppen, so dass ich und der Vater des anderen Jungen dazwischen gehen mussten. Wir hatten solche Angst und haben versucht, sie dazuzubringen, sich zu versöhnen, während wir uns mit einem leicht entschuldigenden Lächeln anguckten. Danach war alles wieder in Ordnung. Und so eine Funktion sollte Gott eigentlich haben, er sollte die Leute davon zurückhalten, miteinander zu kämpfen. Darum geht es bei Religion vielleicht auch, nämlich darum, dass Menschen ab und an jemanden brauchen, der die Elternrolle übernimmt und ihnen sagt, was sie tun sollen.
Man denkt, wenn man erwachsen ist, bräuchte man keine Eltern, weil man kein Kind mehr ist. Aber ich glaube, dass man egal wie alt man ist, in erster Linie eine Person ist, und als eine Person brauchst du manchmal einen Elternteil, der einem sagt, was man tun und lassen sollte.
Ich bin der Überzeugung, dass Religion von Menschen gemacht sein muss und allein schon aus diesem Grund kann sie nicht unfehlbar sein. Wenn ein zweidimensionales Wesen versucht, dreidimensional zu sein, dann wird das einfach nicht funktionieren. Religionen haben zwar ganz nette Regeln und Gebote, aber am Ende gehen sie hin und töten einander. Sie nutzen Gott also als ein Werkzeug. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass wenn es Gott gäbe, dass das in seinem oder ihrem Sinne wäre, dass er oder sie als Werkzeug benutzt wird.
Live im Turock
Wie sieht es denn mit Spiritualität aus?
Daniel: Ich weiß nicht genau, was Spiritualität bedeutet. Ich kenne Leute, die Selbstfindungskurse besuchen, wo sie in eine Tapete eingewickelt werden und einer setzt sich auf sie, damit sie die Geburt neu erleben können. Das nennen sie dann Spiritualität. Oder Leute, die meditieren und versuchen, dabei an rein gar nichts zu denken, und das dann Spiritualität nennen. Manche versuchen, die Zukunft vorherzusehen und nennen wiederum Spiritualität. Für mich ist Spiritualität ein großer Mülleimer für alles, was sich nicht mit empirischem Wissen belegen lässt.
Und Spiritualität einfach als die Fähigkeit zu sehen, sich in etwas zu verlieren?
Daniel: Ja, das unbedingt. Musik, Bücher, Kunst, wenn du das alles meinst, bin ich dabei. Für mich ist das Leben binär, existent und nicht-existent. Und ich ziehe einfach das Lebendige vor.
Ich bin überrascht, denn ich habe dich aufgrund deiner Musik für einen spirituellen Menschen gehalten. Und ich hätte nicht gedacht, dass du so ein rational denkender Humanist bist.
Daniel: Oh, ich kann auch sehr irrational sein (lacht). Ich denke, wenn es etwas gibt, das größer als das Leben ist, dann werde ich es eh nicht verstehen. Letztendlich musst du einfach nur nett sein und auf dein Herz hören oder manchmal auch nicht, hehe, und mehr kannst du auf dieser Welt nicht tun. Ich bin sicher, dass selbst wenn irgendwer uns erschaffen hat, was ich für sehr unglaubwürdig halte, dass er dafür sorgen wird, dass diejenigen, die sich gut verhalten haben, auch dann in diese bessere Welt eintreten, wenn sie nicht eine bestimmte Religion hatten. Ich kann das Konzept des Glaubens schon irgendwie verstehen, aber ich habe keine Wertschätzung für Religion. Selbst bin ich einfach zu alt, um zu glauben. Ich habe es versucht, aber ich habe das alles hinter mehr oder werde wohl auch nicht mehr zurückkehren.
Das ist eine sehr abgeklärte Haltung. Hat sich das auch in der Entwicklung deiner Musik niedergeschlagen? Wenn man es simpel verpacken will, kann man ja sagen, dass auf den Frust und die pubertären Elemente in der Musik – wenn ich das so sagen darf …
Daniel: (lacht) Ja, es war pubertär!
… doch eine viel erwachsenere geerdetere Musik gefolgt ist. So als wärst du mit dir mehr oder weniger im Reinen.
Daniel: Nee, ich denke nicht, dass ich mit mir im Reinen bin. Ich habe einfach neue Wege gefunden, meine Gefühle zu kanalisieren. Die Texte der „Road Salt“-Alben zum Beispiel beschäftigen sich immer noch mit ähnlichen Themen wie die Alben davor, aber es ist nicht mehr alles so in-the-face, sondern tiefgründiger. Ich würde sagen, dass sie subtiler sind, während die alten Alben melodramatischer und pompös daherkommen mit großen Gesten – was allerdings auch manchmal wichtig sein kann. Wenn ich es mit Filmen vergleichen würde, dann würde ich meine jetzige Musik mit „Being John Malkovich“, „Vergiss mein nicht“, „Adaptation“ oder „The Big Lebowski“ vergleichen. Diese Filme handeln von großen Themen, haben aber auch viel Humor und Wärme. Man kann sie sich auf viele verschiedene Arten anschauen. Und sie handeln alle von der Komplexität des Lebens. Denn wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, ist es die Tatsache, dass das Leben sich nicht für den Ernst interessiert. Du kannst sich in einer ernsten Situation befinden und trotzdem passiert zur gleichen Zeit etwas Witziges, denn das Leben zielt nicht auf irgendetwas hin. Manche religiöse Menschen würden jetzt sicherlich widersprechen. Aber ich könnte jetzt einen Anruf bekommen, dass mein Vater gestorben ist und während ich mich hastig aufmache, könnte ich im Treppenhaus stolpern. Das würde in normalen Filmen nicht passieren, aber im normalen Leben passiert so was andauernd. Und in diesen Filmen, die ich genannt habe, wird gerade diese Unvorhersehbarkeit des Lebens, die gleichzeitig schön und traurig ist, zugelassen. Es ist, was ist es. Eine meiner Lieblingsfilmszenen ist die Szene in „The Big Lebowski“, wo Walter und der Dude Donnys Asche verstreuen, mit diesem militärischen Ernst und dann bekommt der Dude die ganze Asche ins Gesicht. Der Dude rastet richtig aus, aber am Ende umarmen sie sich wieder, denn das ist ihre Art, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Das ist traurig und unheimlich witzig zugleich. Ich liebe das sehr! Das Gleiche gilt auch für meine Musik, denn man braucht eine große Anzahl verschiedener Emotion, damit sie wirklich funktioniert und echt ist.
Zum Schluss geht es natürlich um die Zukunft. Wie sehen deine Pläne für PoS aus?
Daniel: Die letzten Alben haben wir in Proberäumen aufgenommen und ich würde so gerne wieder in ein Studio gehen. Ich möchte allerdings auch nicht die Intimität verlieren, die so typisch für Pain of Salvation ist. Das ist aber alles, was ich jetzt gerade dazu sagen kann. In ein paar Jahren werden wir uns wahrscheinlich treffen und sagen: „Mensch, dass war doch klar, dass da dieses oder jenes Album kommen musste.“ Wir werden es sehen!
Daniel, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!