Wenn sich 25.000 Fans zur ultimativen Sprechstunde am Bostalsee einfinden, kann das nur eins bedeuten: Die Ärzte aus Berlin sind da! Und es ist nicht irgendein Konzert. Man feierte den Abschluss der „Buffalo Bill in Rom“ Tour. Benannt war das 2022er Happening nach einem weithin unbekannten Spaghettiwestern, bei dem die Zirkusshow des berühmten Bisonjägers durch Europa tourt. So müssen sich vermutlich auch Die Ärzte fühlen. Genau wie ihre Fans sind sie ordentlich gealtert, aber sie haben auch ganz neue Generationen zu ihren Konzerten gelockt, wovon viele zu den Anfangszeiten der Band vor 40 (!) Jahren noch nicht einmal geplant waren.
Das Eventgelände am Bostalsee ist logistisch gut gelegen. Okay, man muss lange Wege zur Location in Kauf nehmen, wenn man mit dem Auto anreist, aber alles ist gut organisiert. Platzanweiser zu den Parkplätzen, gute Beleuchtung, abgesperrte Fußwege, ein gutes Verkehrskonzept, um den Abfluss der Fahrzeuge nach dem Konzert zu regeln.
Zum Glück blieb es fast durchgehen trocken, auch wenn die Vorhersage ganz anderes Wetter befürchten ließ. Die positive Energie des Publikums schien alle Regenwolken zu verscheuchen. Einmal gab es eine kurze Schauer von drei Minuten während der Beatsteaks und zum Konzertende war ein leichtes Nieseln zu spüren. Aber zum Glück hatten sich die meisten gut eingemummelt, um 9 Grad Lufttemperatur zu ertragen. Kein wirklich schönes Open-Air-Wetter, aber mit Jubeln, Springen und Tanzen ließ sich das Beste draus machen.
Pünktlich um 18.30 Uhr startete Special Guest Christian Steiffen. Eigentlich heißt der illustre Entertainer Hardy Schwetter und ist ein Schauspieler aus Osnabrück. Dort hat er gar zweimal als Oberbürgermeister kandidiert. Musikalisch bietet er nicht wirklich Punk, sondern eher seichte Popsongs mit sarkastischen Texten und einer Prise Synthiesound. Songs wie „Die dicksten Eier der Welt“ bot er mit sonorer Stimme dar. Die humorvolle Schlagerparty endete nach 35 Minuten
Nach einer halben Stunde Umbau folgten die BEATSTEAKS, die dem Bostalsee mit Gitarrenriffs Marke „Alle meine Entchen“ huldigten. Die Berliner Punkband um Arnim Teutoburg-Weiß feierte die unglaubliche Kulisse und riss das Publikum von Beginn an mit. Es gab eine Mischung aus deutschen und englischen Texten. Natürlich mit viel beschwingtem Punk, aber auch mit gesellschaftskritischen Momenten, die an Ton Steine Scherben erinnerten – beispielsweise bei „Frieda und die Bomben“. Man war sich natürlich bewusst, dass die Ärzte ganz im Mittelpunkt standen und machte sich daher einen Spaß daraus, immer wieder Zitate aus deren Songs in die Ansagen und die eigenen Musikstücke einzubauen. Mit ihren fetzigen Songs wie „Hello Joe“, „Hand in Hand“ und „I Don’t Care As Long As You Sing“ legten sie einen soliden 40minütigen Partyset hin. Eine gute Einstimmung auf das, was da noch kommen sollte.
Für Die Ärzte musste man 45 Minuten Umbauzeit überbrücken, in denen die Kälte langsam aus Richtung See zu den Zuschauer*innen kroch. Als dann aber Punkt 21 Uhr ein optimistisches „Himmelblau“ erklang und zum Ende des Songs endlich der Vorhang fiel, war alles Bibbern vergessen und nur noch Party angesagt.
Die Mischung von Songs zog sich wie gewohnt durch die komplette Bandgeschichte. „Wir sind die Besten“ wurde ebenso begeistert aufgenommen wie der moderne Klassiker „Lasse redn“. Es gab „Fiasko“ und „Angeber“, aber auch die selbstkritische Hymne „Ist das noch Punkrock?“. Die drei Akteure verwandelten die Ansagen der Show häufig zur Comedy-Show. „Sorry. Ja. Ab und zu singen wir auch“, hieß es dann entschuldigende zwischendurch. Aber es macht einfach Spaß, den Kabbeleien auf der Bühne und der Kommunikation mit dem Publikum zuzuhören.
Natürlich bekamen AFD und andere Nazis ihr Fett weg. „Doof“ wurde ganz explizit rechtsradikalen Tendenzen gewidmet. Aber auch das ironische „Hurra“, „Besserwisserboy“ und der lange nicht gespielte Oldie „Quark“ schlugen in die Kerbe der Floskeln mancher Politiker, die diese ohne ein Spur Nachdenkens von sich geben.
Nach „Friedenspanzer“ und „Manchmal haben Frauen…“ durfte Arnim von den Beatsteaks wieder auf die Bühne. Er hatte sich „Buddy Holly’s Brille“ gewünscht und durfte den Klassiker selbst performen. Auch für diesen erfahrenen Frontmann ein sichtlich bewegender Moment.
„Grace Kelly“ wurde als Schauspiel-Ikone besungen, dann aber war wieder jeder dran: „Deine Schuld“ ist der ultimative Politsong, der alle dazu auffordert, selbst tätig zu werden und nicht wegzuschauen. Damit sprachen Die Ärzte hier allen aus der Seele. Das „Lied vom Scheitern“ und „Unrockbar“ beendeten gegen 23 Uhr den Hauptset, doch wer Die Ärzte kennt, weiß, dass es noch locker bis fast Mitternacht weiterging.
Das Thema aus den „Miss Marple“ Filmen läutete die Zugaben ein. Und hier gab es dann auch herbei gesehnte Stücke wie den „Schrei nach Liebe“ (mit enthusiastischen „Arschloch“-Rufen), dem rockigen „Jung“ und natürlich dem All-time-favourite „Zu spät“. Auch Christain Steiffen durfte wieder auf die Bühne und mit den Ärzten seinen eigenen Song „Ja Ja die Punkmusik“ performen, bevor das Happening dann a cappella mit „Gute Nacht“ endgültig zu Ende ging.
Ein Ärzte-Konzert ist wie Forrest Gumps berühmte Schachte Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt. Die Setlist variiert mit wenigen Konstanten von Konzert zu Konzert und kann auch mal ganz spontan geändert werden. Der Tourabschluss war jedenfalls großartig und lieferte am Ende ganze 37 (!) Stücke aus dem gewaltigen Backkatalog der Band. Jetzt nur noch raus aus der Kälte und ins warme Auto. Das Ende der Open-Air-Saison hatte ein Highlight geliefert. Auf ein Neues 2023!
Tag 3 ließ die Fans mit leichtem Frösteln erwachen. Die Vorhersage wollte nichts Gutes verheißen: Regenwahrscheinlichkeit von 100 % und Unwetterwarnung für den frühen Abend. Eigentlich typisches Eifelwetter um diese Jahreszeit. Und doch kam es anders – Petrus hatte ein Einsehen mit den 90.000 musikalisch ausgehungerten Fans und ließ sie ihr erstes großes Festival seit über zwei Jahren hauptsächlich trocken erleben. Gewitter und die große Regenfront machten einen weiten Bogen um den Nürburgring.
Zum Start von Myles Kennedy auf der Mandalorian, äh, sorry, „Mandora Stage“ ging die stark erhöhte Luftfeuchtigkeit des Morgens von Nieselregen in ordentliche Schauer über. Währenddessen bot Myles eine solide Rockshow mit fantastischen Vocals. Der Sänger von Alter Bridge ist eine echte Rockröhre alten Schlags. Vor drei Jahren hatte er die Massen schon als Sänger bei SLASH begeistert und jetzt durfte er mit seinen Soloqualitäten überzeugen. Er hat nämlich die durch die Pandemie erzwungene Auszeit dazu genutzt, sein zweites Soloalbum „The Ides of March“ zu veröffentlichen. Von diesem gab es viele neue Stücke, aber unter anderem auch „World On Fire“ aus dem SLASH-Repertoire. An der Gitarre war Myles selbst tätig und überzeugte mit genialen Soli. Dazu reiste er mit seinem starken Timbre durch die Landschaften von Rock, Blues und Countrymusik.
Im Gesamten war der Sonntag aber ein Tag der härteren Klänge. Wer sich im Vorfeld beschwert hatte, dass das 2022er Line-up nur für Weicheier sei, durfte sich hier eines Besseren belehren lassen. Vor allem auf der „Utopia Stage“ ging es heftig zur Sache. Hier hatten die US-amerikanischen Rocker Black Veil Brides das Ruder übernommen und schon aus der Ferne konnte man das hämmernde Schlagzeug und die breite Gitarrenwand hören. Frontmann Andrew Dennis Biersack (ja, er heißt wirklich so) sang sich solide durch den Set. Er kann zwar auch melodische Stücke mit rockiger Attitüde aufbieten, doch vor allem glänzte er in den Growl und bereitete so den Boden für das, was noch kommen sollte.
Airbourne aus Australien galten viele Jahre als die neuen AC/DC. Auch wenn sie sich von diesem Image längst frei gespielt und eine Eigenständigkeit erlangt haben, erinnert der Sound doch immer noch an die großen Vorbilder. Von „Ready To Rock“ über „Burnout The Nitro“ und „Live It Up“ bis hin zu „Runnin‘ Wild“ gab es eine Vorlage für große Circle Pits im Publikum vor dem ersten und dem zweiten Wellenbrecher. Sänger Joel O’Keeffe fand sich dann auch schnell nebst Gitarre mitten im feiernden Publikum wieder. Er hatte sichtlich Spaß und begann irgendwann damit, die inzwischen trockenen Fans mit gefüllten Bierbechern vom Steg aus zu bewerfen. Wenn einer es schaffte, den Becher mit Inhalt zu fangen und einen Schluck zu trinken, wurde das mit großem Jubel von Band und Publikum gefeiert. Jedenfalls passte die Mauer aus Boxen mitten auf der Bühne zu dem gewaltigen Auftritt. Über mangelnden Sound konnte sich hier wirklich niemand beschweren.
Obwohl sie aus Florida stammen, hatten Shinedown es noch nicht geschafft, die Sonne zurück zu rufen. Sie starteten ihren Set mit „The Saints of Violence and Innuendo“ und schon bald gab es den ersten großen Circle mit weithin leuchtenden Bengalos in der Menge. Nicht erlaubt, aber auch kein größeres Problem, da das Publikum umsichtig aufeinander acht gab. Von dem inzwischen doch sehr kalten Regen ließ sich niemand abschrecken und man feierte sich durch „Planet Zero“, „Enemies“, „Monsters“ und ließ den Set mit „Sound Of Madness“ ausklingen. Neben purem Rock kann Sänger Brent Smith übrigens auch emotionale Balladen wie „Second Chance“ und schmetterte: „Tell my mother, tell my father / I’ve done the best I can / To make them realize, this is my life / I hope they understand“. Damit es nicht zu rührselig wurde, übernahmen die Gitarren im Anschluss die Growls und der Set ging hart rockend zu Ende. Die Protagonisten und das Publikum hatten sich am Ende total verausgabt. Wenn die Band schließlich genau so nass ist wie die Fans, dann stimmt das RING-Feeling!
Auch Bullet For My Valentine ließen es ordentlich brettern. Der Band aus Wales wird ja gerne mal nachgesagt, sie seien zu soft und poppig geworden. Das mag für neuere Studioalben gelten, aber live war davon nichts zu spüren. Hardcore-Puristen schreien vermutlich an manchen Stellen entrüstet auf, doch mir gefällt es ganz gut, dass die Songs bisweilen etwas ruhiger ausfallen, dass die Wutausbrüche weniger werden und es auch mal Ausflüge in eine halbwegs softe Welt gibt. Das tat der Stimmung im Publikum keinen Abbruch und die Fans nutzten das Ende des Regens, um sich trocken zu tanzen. Die starke Performance von Sänger Matt Tuck, die bissigen Riffs von Michael „Padge“ Paget und das Drumming-Sperrfeuer von Jason Bowld sorgten derweil für alte Metaller-Tugenden. Matt schwärmte in dankbarer Erinnerung von ihrem Gig bei Rock am Ring 2006 kurz nach Bandgründung und die Fans ließen sich in Scharen über die Menge nach vorn tragen.
Inzwischen gab es viele sonnige Momente auf dem RING-Gelände. Daran konnten auch KORN mit ihrem düsteren Nu Metal alter Schule nichts ändern. Es war zwar kalt, blieb aber den Rest des Abends und der Nacht trocken. Unter Dudelsack-Klängen zog die Band auf die Hauptbühne und sofort ging es brachial in die Vollen. Die Stage bot genug Platz für eine große Show. Das Schlagzeug war prominent auf einem Podest platziert. Mit „Falling Away From Me“ und „Got The Life“ gab es große Klassiker der Band gleich zu Beginn. „Coming Undone“ wurde mit einem Snippet von Queens „We Will Rock You“ vermischt und zu „Shoots And Ladders“ gab es die gefeierte Dudelsack-Einlage, auf die sich KORN-Fans bei jedem Konzert freuen plus einem umjubelten Metallica-Outro. Sänger Jonathan Davis beherrscht das Spiel mit Growls und sehr feinem Klargesang. Vor allem in den melodischen Passagen ist er immer für eine Überraschung gut und als Gesamtkonzept waren KORN für mich die angenehme Überraschung des dritten Festivaltags.
Zur Erholung ging es nach so viel Metal und Hardrock mal kurz zur „Mandora“, wo die BEATSTEAKS zum Happening einluden. Die Berliner Punkband um Arnim Teutoburg-Weiß war schon zum achten Mal am RING, und das will was heißen, trotz 27jähriger Bandgeschichte. „Hier stehen keine Profis. Hier steht ne Gang aus Berlin“, gab er sich fassungslos und feierte die unglaubliche Kulisse. Es gab eine Mischung aus deutschen und englischen Texten. Natürlich mit viel beschwingtem Punk, aber auch mit gesellschaftskritischen Momenten, die an Ton Steine Scherben erinnerten – beispielsweise bei „Frieda und die Bomben“ sowie „Hand in Hand“. Im Zugabenblock ließ Arnim die Fans ein Geburtstagsständchen für seine Mama singen. Auch solche Aktionen gehören zum RING und fördern die Verbundenheit von Künstlern und Fans. „I Don’t Care As Long As You Sing“. Dieser Titel zum Abschluss sprach vielen aus der Seele.
Auf der „Utopia“ hatten endlich die heiß ersehnten VOLBEAT das Ruder übernommen. Die Band aus Kopenhagen mit Sänger Michael Poulsen hat sich vor allem in Deutschland eine breite Fanbase erspielt. Allerorten sah man Menschen in Bandshirts und auch Poulsen wirkte etwas sentimental, als er „long time no see“ in die Menge rief und „you look older“ feststellte, um zugleich aber auch auf das eigene Alter anzuspielen. Die Musik war düster und metallisch, aber auch erzählend im besten Tarantino-Sinn. Der hardrockende Retrofaktor kam dabei live hervorragend rüber. Die Lightshow war gigantisch und erzeugte geniale Effekte durch Leinwände, die sowohl die Bühne umgaben als auch im Hintergrund der Band präsent waren. Ohne die sonst übliche Effekthascherei gab es eine perfekte Show mit straightem Rock. Besinnlich wurde es nur, als Michael vom Steg aus mit akustischen Klängen Johnny Cashs „Ring Of Fire“ spielte und seinem Vater widmete, der ihm den Rock’n’Roll der 50er Jahre nahe gebracht hatte. Das Publikum nahm den Ball direkt auf und sang lauthals mit – auch als der Song in „Sad Man’s Tongue“ überging. VOLBEAT hatten abgeliefert und schlossen als würdige Headliner mit den Zugaben „The Sacred Stones“, „Day To Live“ und „Still Counting“ die Hauptbühne.
Es war aber noch nicht vorbei! Das Partyvolk wanderte geschlossen zur „Mandora“, wo die Kanadier Billy Talent den Abend und das Festival ausklingen ließen. Frontmann Benjamin Kowalewicz hatte ein großes Herz auf dem Shirt, um die Verbundenheit zum Publikum auszudrücken. Die Freude über das Konzert nach langer pandemiebedingter Pause war auch ihm anzumerken. Die Band ist anfangs auf den Pfaden des Punk gewandelt, inzwischen muss man sie aber wohl eher als Alternative Rocker bezeichnen. „This Suffering“, „This Is How It Goes“ und „Red Flag“ ließen die Herzen beben – und die Punkhymne „Falling Leaves“ nahm alle nochmal mit, bevor es zurück in Zelte und Caravans ging. In Gedanken an die Foo Fighters und in Trauer um Taylor Hawkins wurde übrigens „Everlong“ gespielt – ein weiterer bewegender Moment.
Kann man schon ein Fazit zu ROCK AM RING 2022 ziehen? Es gab viel Gemaule im Vorfeld: Die Zusammenstellung der Bands sei nicht rockig genug, alles zu teuer usw. Die neuen Veranstalter von DreamHaus haben das aber ganz gut gemeistert. Klar gab es viel Kritik (das war schon immer so, hat aber jetzt in der nervigen Protestkultur sozialer Medien noch erheblich zugelegt) und daneben auch sehr viel positives Feedback. Wenn man Zehntausende feiernde Fans sah, ging einem das Herz auf. Wartezeiten an Klos und Getränkeständen gab es auch vor 35 Jahren schon. Wer mit Marteria oder Schmutzki nix anfangen konnte, fand immer genügend Alternativen auf den anderen Bühnen. Trotz weiter Wege von A nach B konnte man sich vor allem im breiten Mittelfeld jederzeit gut bewegen.
Lasst uns also voll Freude nach 2023 blicken. Der Termin steht: ROCK AM RING 2023 findet vom 2. bis 4. Juni 2023 statt. Diesmal eine Woche nach Pfingsten (also denkt an den Urlaubsantrag für montags). Wir sehen uns in der Eifel!
„Wir müssen hier raus“ ist eine Hommage an Ton Steine Scherben und Rio Reiser. 35 Jahre nach Auflösung der Band und 24 Jahre nach Rios Tod sind die sozialkritischen Deutschrocker und ihr charismatischer Sänger immer noch in aller Munde. Gründungsmitglied Kai Sichtermann und sein Kollege Funky K. Götzner (seit 1974 dabei) touren inzwischen wieder als Kai & Funky mit dem Sänger Gymmick. Der Erfolg dieser Konzerte zeigt, dass die Musik zeitlos ist und die Fans auch andere Interpreten annehmen.
Grund genug also, eine Compilation wie „Wir müssen hier raus“ zu veröffentlichen, die das Erbe der einflussreichen Band am leben hält. Mit dabei ist die Creme de la Creme der politischen Popkultur: Die Sterne, Fettes Brot, Beatsteaks, Fehlfarben, Gisbert zu Knyphausen, Die Höchste Eisenbahn, Rocko Schamoni, Bosse, Neufundland, Jan Delay, Erregung öffentlicher Erregung, Schrottgrenze, Das Bierbeben, Wir sind Helden, Slime und viele mehr.
Das Ganze ist so vielseitig, dass es mir schwerfällt, Favoriten raus zu picken. Ganz vorn sind natürlich die einrahmenden Tracks, die den Meister selbst am Mikro zeigen: Der Titeltrack eröffnet die Tracklist mit einer klanglich perfekten Aufnahme aus dem Jahr 1972 und eine wundervolle Pianoversion von „Der Krieg“ schließt das fast 80minütige Album ab. Lina Maly gefällt mir unheimlich gut. Ihre Version von „Zauberland“ ist voller Melancholie und Schönheit. Wir sind Helden mit Judith Holofernes hatten „Halt dich an deiner Liebe fest“ schon vor Ewigkeiten im Programm und Jan Delays vernäselte Version von „Für immer und dich“ ist gewöhnungsbedürftig aber sehr atmosphärisch. Auch die neuen Deutsch-Poeten wie Bosse und Gisbert zu Knyphausen holen alles aus den Songs raus, während die Beatsteaks in „S.N.A.F.T.“ ihre ganze Energie freilegen.
Ton Steine Scherben und ihr Sänger Rio Reiser schafften etwas, was bis dahin unmöglich schien: Gute, authentische Rockmusik mit deutschen Texten zu machen, die nicht peinlich klangen, sondern ganz natürlich. Die Lieder waren politisch, doch sie gingen vom Individuum aus, von subjektiven Erfahrungen der Unterdrückung und Frustration sowie vom Wunsch nach Gemeinschaft und Freiheit. Kurz: Die Stücke hatten eine Botschaft.
Die liebevoll gestaltete Veröffentlichung erscheint auf farbigem 180g-Doppel-Vinyl (+CD-Beilage), auf CD im Digipack, sowie als Download und Stream. Dazu gibt es ein umfangreiches Booklet mit einem Vorwort von Frank Spilker, einem exklusiven Text zur Geschichte der Scherben von dem Journalisten Michael Sontheimer (Ex-TAZ Chefredakteur) sowie Gedanken zu Rio Reiser von Judith Holofernes.
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Ihren 20. Geburtstag haben die Beatsteaks in der Berliner Wuhlheide ausgiebig gefeiert. Doch natürlich gehört auch eine ordentliche Werkschau her, um die Historie Revue passieren zu lassen. Nach der Gründung 1995 musste man lange auf den großen Durchbruch der Band warten. Seinen inzwischen außerordentlich guten Ruf in der Alternative- und Punk-Szene hat sich das Quintett vor allem mit seiner Live-Performance erspielt, wie auf dem ersten Live-Release „Kanonen auf Spatzen“ (2008) deutlich zu hören ist.
Die Beatsteaks sind nicht unbedingt eine Band für Radiohits und Chartsingles, trotzdem haben sie immer wieder einzelne Songs ausgekoppelt und können anhand von 23 Tracks ihre Geschichte erzählen. Ob es nun folgerichtig ist, die Compilation „23 Singles“ zu nennen? Sicherlich in dem Sinn, dass die Stücke für sich allein stehen und mit Anekdoten aus der Bandgeschichte verknüpft sind.
So startet man in chronologischer Reihenfolge mit „Summer“, das von den glorreichen Anfangstagen erzählt. Mein erstes Highlight ist aber die Coverversion des Berlin-Klassikers „Hey Du“ aus dem Musical „Linie 1“. Und dann geht mit den Auskopplungen von „Slack Smash“ der echte Single-Reigen los. In der Hauptsache sind es englischsprachige Texte. Damit fühlten sich die Beatsteaks immer wohler, auch wenn es anders vielleicht zu größerem Erfolg in Deutschland geführt hätte. „Frieda und die Bomben“ gehört also zu den rühmlichen Ausnahmen.
Ganz zum Schluss gibt es übrigens mit der Single „Ticket“ und dem Track „Mad River“ ganz neue Songs, die sich an „Everything Went Black“ anschließen. Während jener Song noch die schwärzeste Phase der Bandgeschichte nach dem schweren Unfall von Thomas Götz beschreibt, geht es mit den neuen Songs energisch und fast hymnisch weiter. Freuen wir uns also auf die nächsten 20 erfolgreichen Jahre.
21:00 Uhr: „Get Down“ tönt es aus den Lautsprechern des ausverkauften Palladiums in Köln als von jetzt auf gleich die Lichter ausgehen und ein gut gelaunter Herr mit Ringelstreifenshirt und Hut die Bühne betritt. Die Beatsteaks aus Berlin sind da und Sänger Arnim Teutoburg-Weiß verliert keine Zeit. Mit „Up On The Roof“ steht er zunächst alleine auf der Bühne, bevor die restlichen Ostberliner nachziehen und sich sichtlich erfreut dazu gesellen.
Das Konzert macht im hinteren Standbereich mehr den Eindruck einer Disco, so ausgiebig hat man selten Menschen auf einem Konzert tanzen sehen. Bühnenbild sowie Lichteffekte werden schlicht gehalten. Blickfang sind vier Satelliten, die das Schwarzlicht reflektieren und somit einen schönen Effekt erzielen. Wechselnde Vorhänge hinter der Band runden das Bild ab.
Nach dem dritten Song „Monster“ begrüßt Arnim die Menge: „Wir sind die Beatsteaks, eure wehmütigen Gäste aus Berlin“, und sorgt damit für den ersten Lacher des Abends. Wer die Beatsteaks kennt weiß, dass es sollte nicht der Letzte sein sollte. Das erste richtige Highlight, bei dem sich die Menge von einer Disco endlich zu einem Rockkonzert dreht, ist „Jane Became Insane“. Es wird ausgiebig mitgesungen und gesprungen. Gleich darauf folgend wird „Summer“ mit den Worten „Das Lied ist ein echter Kölner. Wir haben es hier aufgenommen und in die Welt getragen“ fast schon zelebriert. „Let Me In“ darf natürlich auf keinem Beatsteaks Konzert fehlen. Das obligatorische Hinsetzen braucht Arnim gar nicht erst zu animieren, das erledigen die Kölner mit den Rufen „Hinsetzen, Hinsetzen“ schon selbst. Dann wird erst einmal kollektiv ausgerastet. Wie immer ein absolut fangender Moment. Auch Arnim ist voll in seinem Element und verdreht sich nach eigener Aussage zum zweiten Mal auf der Tour das Knie. Macht ihm aber nichts, ein Mann muss tun was ein Mann tun muss. Indem Fall weiter die 3500 Fans im Palladium anheizen.
Nach „Hand in Hand“ und 1 Stunde und 15 Minuten verlassen die Fünf zum ersten Mal die Bühne. Zurück kommen sie natürlich nur kurz später um „Under A Clear Sky“ und eine kreative Mischversion von „Automatic“ und „Cut Off The Top“ zu spielen. Wieder verschwinden sie. Wieder werden drei Lieder gespielt, wieder geht man von der Bühne. Und wieder kommen die Beatsteaks zurück. Das scheint ewig so weiter zu gehen und man freundet sich schon mit dem Gedanken an vom Konzert gleich zur Arbeit zu fahren. Doch nach „I Never Was“ ist dann endgültig Schluss.
Was für ein Abend. Alle Klassiker wurden gespielt, die Stimmung war wie gewohnt auf dem Zenit und Merchandisebecher für 2 Euro gab es auch noch dazu. Dies wird mit Sicherheit für alle Anwesenden nicht der letzte Besuch eines Konzerts der Beatsteaks gewesen sein, die wieder einmal unter Beweis gestellt haben, dass sie im Laufe der Jahre nichts von ihren Live-Qualitäten eingebüßt haben.
Die vergangenen zwei Jahre standen für die Beatsteaks unter keinem besonders guten Stern. Schlagzeuger Thomas Götz verletzte sich schwer bei einem unglücklichen Treppensturz, die folgende Tour musste abgesagt werden und es herrschte längere Zeit Stille im Lager der Punkrockkönige. Doch spätestens seit dem überwältigenden Erfolg ihres Anfang August veröffentlichten siebten und selbstbetitelten Albums scheint 2014 zu ihrem Jahr zu werden. Danach machte das Quintett auf der „Club Magnet“-Tour zunächst einige kleinere Läden dem Erdboden gleich, um nun auf der „Creep Magnet„-Tour die grösseren Hallen in Schutt und Asche zu legen. Das Kölner Palladium kommt dabei gleich zweimal in den Genuss des musikalischen Aufräumkommandos aus Berlin. Der heutige Mittwoch ist der reguläre Tourtermin, das Zusatzkonzert fand gestern statt und beide waren in Rekordzeit ausverkauft.
An der Gästeliste gilt es zunächst eine Spende von 5 Euro pro Person abzudrücken, die für einen guten Zweck verwendet wird (den ich leider vergessen habe…). Im Foyer des Palladiums präsentieren sich die Hilfsorganisation Oxfam und die Umweltschützer von Sea Shepherd mit eigenen Ständen. Die Vorgruppe Bilderbuch aus Österreich schenken wir uns zugunsten eines Kaltgetränks und eines warmen Snacks. Danach geht’s hinein ins proppevolle Vergnügen, aus dem wir zweieinhalb Stunden später schweißgebadet wieder auftauchen werden. Der Abend endet schließlich mit tumultartigen Szenen am Merch-Stand. Aber der Reihe nach.
Es ist Punkt 21 Uhr als Arnim Teutoburg-Weiß, Bernd Kurtzke, Peter Baumann, Torsten Scholz und Thomas Götz auf die Bühne marschieren und das Publikum im Palladium getreu des Openers „Up On The Roof“ sofort an die Decke geht. Torsten Scholz hat sich für die Fans heute besonders in Schale geworfen. Seinem Anzug fehlt nur die Krawatte. Zu Krachern wie „Monster“, „Cheap Comments“, „Jane Became Insane“ oder „Milk & Honey“ wird nach Herzenslust getanzt, gehüpft, gepogt und vor allem geschwitzt. Obwohl er noch an den Folgen eines Meniskusrisses leidet, gibt selbst Arnim Teutoburg-Weiß wie immer ordentlich Gas. Die überschäumende Party vor ihm lässt ihn mehrfach sprachlos und sichtlich überwältigt zurück. Immerhin wagt er mit „Kölle, ich hann dich leev“ einen mutigen Ausflug in den rheinischen Dialekt. Eine erste Verschnaufpause gibt es bei „Let Me In“. Teutoburg-Weiß fordert die Fans dazu auf sich hinzusetzen und die Handys wegzustecken („Eure Freunde sind hier und nicht bei Facebook“). Sogar die Crowdsurfer stellen vorübergehend ihren Betrieb ein. Nach kurzem Luftholen wird dann auf Kommando mit „SaySaySay“ und „Demons Galore“ weitergefeiert. Die Temperaturanzeige im Palladium nimmt subtropische Ausmaße an. Der Rolling Stones-Klassiker „Beast Of Burden“, „Hello Joe“ und „Hand In Hand“ markieren schließlich das Ende eines in Punkto Sound, Stimmung und Songauswahl beeindruckenden Mainsets.
Aber es ist noch lange nicht Schluss. Der erste Zugabenblock besteht aus „Under A Clear Blue Sky“, „Cut Off The Top“ und „Automatic“. Abgang Band, Jubel, Klatschen, „Beatsteaks„-Sprechchöre. Der zweite Zugabenblock beginnt leiser. Bernd Kurtzke singt die herzzerreißenden Cover „Hey Du“ von Ilona Schulz und „Frieda und die Bomben“ von Fu Manchu. Ganz Köln singt mit ihm. Danach folgt „I Don’t Care As Long As You Sing“ in voller Bandbesetzung und eine ausgiebige Verabschiedungszeremonie inklusive Konfettikanone. Abgang Band, Jubel, Klatschen, „Beatsteaks„-Sprechchöre. Das Licht im Palladium geht an, die Rausschmeißmusik vom Band auch und die Leute drängen zu den Ausgängen. Falsche Entscheidung! Denn plötzlich steht Arnim Teutoburg-Weiß wieder auf der Bühne. Mit Gitarre. Alleine. Und er singt „To Be Strong“ so inbrünstig, als wäre der Titel genau das passende Motto für diesen Abend. Nach und nach gesellen sich Bernd Kurtzke, Peter Baumann, Torsten Scholz und Thomas Götz dazu und nach kurzer interner Diskussion legen die Fünf noch drei Schippen obendrauf: „Atomic Love“, das grossartige Police-Cover „So Lonely“ und zum endgültigen Abschluss „I Never Was“. Danach sieht man um sich herum nur ebenso erschöpfte wie glückliche Gesichter. Auch das Palladium ist in seinen Grundfesten erschüttert, steht aber ebenfalls noch.
Das wäre dem Merch-Stand beinahe nicht gelungen. Arnim Teutoburg-Weiß hatte sich nämlich als Letzter mit dem Hinweis verabschiedet, dass „draußen noch 500 Karten für das Konzert in Dortmund verschenkt werden“. Was jeder zunächst für einen Witz der Marke „Freibier für alle“ hält, erweist sich schnell als wahr. Der Merch-Stand im Foyer wird kurzerhand gestürmt. Zum Glück hat die Security die Lage relativ schnell unter Kontrolle. Außer ein paar Tränen der Enttäuschung bei denjenigen, die leer ausgehen, gibt es keine weiteren Schäden. Doch keine Sorge, wer sich von den Beatsteaks mal so richtig die Birne durchpusten lassen möchte, der hat dazu noch bis Mitte Dezember Zeit. In Köln haben sie ihrem Ruf als exzellente Live-Band jedenfalls wieder mal alle Ehre gemacht!
Ihr erstes, 1997 aufgenommenes Album benannten die Beatsteaks noch nach der Hausnummer ihres Proberaums, 48/49. Inzwischen gehört das Quintett aus Berlin zu den prominentesten Punkrockkapellen des Landes. Im August erschien ihr neues und schlicht „Beatsteaks“ betiteltes siebtes Werk. Ab November lassen sie es dann auf der „Creep Magnet“-Tour wieder so richtig krachen.
Getreu dem Motto „Nach der Tour ist vor der Tour“ ließen sie es sich nicht nehmen, vor der großen Hallentour noch ein paar Clubs zu zerlegen. Am Vortag ihres Auftritts im Kölner Gloria Theater traf sich Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll mit Torsten Scholz zum Interview. Wie immer allerbester Laune und frei Schnauze erzählt der Beatsteaks-Bassist darin ausführlich über 20 Jahre Beatsteaks, seine besondere Beziehung zu Köln, typische Tourtage, den „Rockstar-Rummel“, darüber, welche Frage er sich selbst nicht stellen würde und über’s Wäsche waschen, Klo schrubben und Staubsaugen.
Ihr habt euch 1995 gegründet. Demnach steht im kommenden Jahr euer 20-jähriges Bandjubiläum an. Gibt es schon konkrete Pläne, wie ihr das feiern wollt?
Torsten Scholz: Ja, wir haben Pläne. Und ja, wir wollen es feiern. Glaube ich jedenfalls. Es gibt auch schon Pläne, die relativ konkret werden, nur sind die halt wirklich noch nicht so ausformuliert, dass ich jetzt sagen kann, wir spielen dann und dann und dort und dort. Wir werden auf alle Fälle einige große Sachen spielen, wo der Fokus ganz eindeutig auf diesen zwanzig Jahren ist. Und ich glaube am Ende wird das ganze Jahr so ein bißchen unter dem Deckmantel des 20-jährigen Jubiläums sein. Was man da genau macht, ob man jetzt zum Beispiel mal alle seine Platten spielt, muss man sehen. Ich muss auch gleich, wenn wir hier fertig sind, an meinen Computer, weil ich mit einem Typen noch was wegen einem Poster checken muss.
Euer aktuelles selbstbetiteltes Album schoss im August auf Platz 1 der deutschen Charts. Zur Zeit seid ihr auf „Club Magnet“-Clubtour, unmittelbar danach folgt die große „Creep Magnet“ Hallentournee. Viele Konzerte sind bereits jetzt restlos ausverkauft. Hättet ihr euch vor zwanzig Jahren einen solch überwältigenden Erfolg träumen lassen?
Torsten Scholz: Vor zwanzig Jahren wusste ich nicht mal, dass es diese Band gibt. Ich bin ja erst seit 1999 dabei. Selbst als es dann langsam losging und das erste Video kam, wir zum ersten Mal im Radio gespielt wurden, war man natürlich weit weg davon zu überlegen, dass man mal im Palladium oder in der Wuhlheide oder in der Westfalenhalle spielt. Das ist aber auch gut so, finde ich. Das war immer so: Oh geil, wir können im Underground spielen. Underground ist ausverkauft. Wir spielen jetzt im E-Werk oder im Gloria. Dann ging’s sogar los, dass wir überlegt haben: In der Kölnarena? Nee, nee, auf keinen Fall, lieber nicht. Dann lieber zweimal Palladium. Das waren immer so diese kleinen Schritte. Dabei hatte man, wenn man den einen gemacht hat, den nächsten nicht wirklich vor Augen. Da war immer nur der Fokus: Ey, das Underground ist ausverkauft. Wieviel passen da rein? 300? Hammer! War ausverkauft. Das haben wir zweimal gemacht und grandiose Konzerte gespielt. Das ist wichtig gewesen, dass man diese kleinen Dinger immer vor Augen hatte. Es war immer alles überraschend für uns.
Die Kölnarena hat auch eine beschissene Akustik.
Torsten Scholz: Das war mit ein Grund. Und dann ist die auch sehr groß. Und ich finde, man muss es auch nicht übertreiben.
Morgen spielt ihr ja wieder mal hier im Gloria und dann am 18. und 19. November noch zweimal im Palladium. Es scheint fast so, als hättet ihr eine kleine Liebesbeziehung zu Köln entwickelt. Kann das sein?
Torsten Scholz: Ja, mit Köln läuft gut. Also mit Dortmund läuft es gerade nicht so gut, da könnten noch ein paar Leute mehr in die Westfalenhalle kommen. Ich kenne in Köln auch eine Menge Läden. Ein paar davon gibt es glaube ich schon gar nicht mehr. Gebäude 9 oder Live Music Hall zum Beispiel.
Die gibt es auf jeden Fall noch. Die Live Music Hall finde ich persönlich aber kacke.
Torsten Scholz: Also, wir haben bis jetzt in fast jedem Kackladen hier in der Stadt gespielt und danach auch oft noch in Köln gefeiert. Dann war hier teilweise natürlich auch das Musikfernsehen. Hamburg, München, Köln, Berlin… das sind ja die Städte, wo man immer so die ersten Touren macht, wo jede Band anhält und wo die Leute auch sehr verwöhnt sind. Aber obwohl hier irgendwie alle Bands spielen, sind die Leute nicht satt. Die Mentalität ist super. Wir haben hier auch mal eine Platte aufgenommen. Nette Leute halt. Du bist auch Kölner, wa?
Im Herzen definitiv. Meine Freundin wohnt in Köln. Ich wohne nicht in Köln, bin aber natürlich häufig hier. Ich finde die Stadt grossartig.
Torsten Scholz: Ja, die ist toll. Ich mag Köln komischerweise auch mehr als Hamburg. So vom Bauchgefühl. Aber es ist einfach immer gut gelaufen hier. Hier hat man auch ganz einfach den gesunden Weg gemacht. Und das war immer cool.
„Wir sind ja weit davon entfernt berühmt zu sein“
Du hast ja eben schon gesagt, dass du seit 1999 in der Band bist. Das sind ja immerhin auch schon fünfzehn Jahre. Wenn man mit den anderen Jungs über einen so langen Zeitraum zusammen arbeitet, dann geht man sich doch zwischendurch auch sicher mal tierisch auf den Keks, oder?
Torsten Scholz (grinst): Aber hallo! Richtig doll auf den Sack geht man sich sogar. Aber es ist ein bißchen so wie eine Liebesbeziehung, wie eine Ehe. Ich bin quasi mit vier Typen liiert und muss mich da immer mit allen arrangieren. Das Gute ist, dass man halt älter wird. Man wird erwachsen irgendwann. Hat dann selber Kinder zuhause und weiß, dass es halt wichtig ist über die Probleme, die man hat oder mit sich trägt, zu reden. Dann löst sich das alles. Wenn man das nicht macht, so wie früher und ein paar Sachen in sich reinfrisst und sich anblökt, dann war’s doof. Aber jetzt nervt es manchmal auch noch. Wenn zum Beispiel einer nicht weiß, wann Schluß ist. Aber das ist dann meist immer sehr, sehr humorvoll. Und wenn es wirklich ernsthaft mal nervt oder irgendein Furz quersitzt, dann schnappt man sich den Typen, redet und dann ist eigentlich alles wieder gut. Am Ende muss man wirklich sagen: Das scheint ja schon ganz gut zu funktionieren. Wenn da irgendeine Konstellation in irgendeiner Art und Weise nicht klappen würde, dann würde man nicht fünfzehn Jahre lang zusammenhocken. Wir sind ja jetzt auf der Tour die ganze Zeit zusammen. Da muss ja schon chemisch irgendwas da sein, dass man zusammenpasst. Und das ist offensichtlich gegeben.
Du hast es selbst erwähnt. Ihr habt Familie, Kinder und seid erwachsen geworden. Hilft euch das auch ein bißchen bei diesem ganzen „Rockstar-Rummel“ auf dem Boden zu bleiben? Werdet ihr dadurch geerdet?
Torsten Scholz: Ich finde ja überhaupt nicht, dass es irgendeinen „Rockstar-Rummel“ gibt. Klar ist das hier eine relativ große Suite, aber hier wohnt ja auch unser Tourmanager. Ich hab ein ganz normales Zimmer, was ich mir auch noch mit unserem Soundmann teile (lacht). Wir sind ja so weit davon entfernt Rockstars zu sein. Wir haben uns letztens eine Doku über Aerosmith angeguckt. Weißte, das sind halt Rockstars. Es gibt selbst in unserem Land noch tausende Leute, die richtig berühmt sind. Und wir sind ja weit davon entfernt berühmt zu sein. Deswegen muss ich auch gar nicht groß geerdet werden. Ich empfinde es sogar manchmal als ziemlich anstrengend. Wenn ich jetzt nächste Woche wieder nach Hause komme, bringe ich am Freitag erstmal meine Tochter in die Schule und stehe um 6 auf. Das geht mir eigentlich eher auf den Sack. Ich muss nicht geerdet werden. Ich mache dann meine Wäsche zuhause, ich schrubbe das Klo, ich sauge Staub. Es ist halt toll, dass ich meine Tochter dann wiedersehe, ich fahre mit meinem Renault Kangoo einkaufen und daran ist überhaupt nix Rockstarmäßiges.
Naja, hierzulande seid ihr ja schon eine große Band. In Luxemburg, Österreich und der Schweiz auch. Meine Freundin hat euch sogar schon mal in Budapest gesehen.
Torsten Scholz: Ach echt, ja? In so einem kleinen Club. Ewig her. Das war auch toll da. Europa müssen wir auch mal wieder machen. Gute Idee (lacht)!
Ihr seid ja schon mit einigen geilen Bands getourt. Bad Religion, Die Ärzte, Donots, Die Toten Hosen… gibt es noch eine Band oder einen Künstler, mit dem ihr unbedingt gerne mal zusammen auf der Bühne stehen würdet?
Torsten Scholz: Also mein Traum ist vor ein paar Jahren in Erfüllung gegangen. Wir haben in Lugano in der Schweiz mal mit den Beastie Boys gespielt. Das war grandios. Da muss eigentlich gar nicht mehr viel kommen. Natürlich glaube ich, wenn uns jetzt die Foo Fighters fragen würden, ob wir nicht mit denen durch England touren wollen, dann wäre man schön blöd zu sagen: Nee, machen wir nicht. Oder Queens Of The Stone Age. Ich persönlich höre ja kaum Rockmusik zuhause. Ich hab Rancid halt schon tausendmal live gesehen und finde die live nicht so geil, obwohl die grandiose Platten machen und eine super Punkrockband sind. Mit All haben wir schon gespielt, mit Descendents… da ist auch schon viel passiert in den letzten Jahren. Mein Soll-Haben-Ding ist eigentlich ausgeglichen.
„Helene Fischer findet man einfach kacke“
Wenn du sagst, dass du zuhause keinen Rock hörst, was hörst du dann?
Torsten Scholz: Ich höre eigentlich fast nur Rap. Und da ich immer noch relativ viel auflege in Berlin, ist das oft auch Musik, die im Club läuft. Es gibt auch Rockmusik, die ich gut finde und die mir gefällt, aber ich höre dann lieber Led Zeppelin I, II, III als irgendeine moderne Band. Bei Rock muss dann schon alles stimmen. Beim Rap reicht mir schon, wenn der Beat geil ist. Meine Schwelle zu sagen, das ist gut oder schlecht, ist viel niedriger bei Rapmusik. Deswegen macht das viel mehr Bock für mich und Sinn das zu hören. Es ist wie mit jeder Musik. Ich hocke oft bei einem Freund, der hört nur Black Metal und ich bin total begeistert, wenn ich da bin. Und zuhause höre ich am Ende sowieso nur Bibi Blocksberg (lacht). Mit Rock darfst du meiner Tochter gar nicht kommen. Da bist du gleich raus. Mach mal aus, Papa, das nervt! Mach lieber Cindy Lauper an!
Im Endeffekt ist das ja sowieso alles subjektiv. Entweder Musik gefällt oder eben nicht. Wenn du über Musik schreibst, kannst du ja eigentlich gar nicht sagen, ob das nun gut oder schlecht ist. Es ist letztlich immer nur deine persönliche Wahrnehmung.
Torsten Scholz: Ja, das ist aber eine gute Herangehensweise. Es gibt ja viele, die sich einfach anmaßen zu sagen, das ist schlecht oder das ist gut. Hat man selber ja auch. Helene Fischer findet man einfach kacke. Aber man könnte auch sagen, dass die am Ende ja auch singen kann. Die hat eine Musicalausbildung. Oder eine Band wie Revolverheld. Die gefällt mir jetzt nicht, aber es ist doch durchaus berechtigt, dass jemand sagt: Ja, mir gefallen die. Nur muss ich es ja nicht gut finden.
Stehst du lieber im Studio und feilst an neuen Songs oder auf der Bühne und lässt es krachen? Oder kann man das nicht miteinander vergleichen?
Torsten Scholz: Mir macht ganz eindeutig mehr das Livespielen Spass. Ich finde da wird auch gefeilt. Klar gibt es Konzerte, wo man denkt, mir kann gerade nichts passieren und ist das alles geil. Aber manchmal gibt es Songs, wo ich denke: Ach guck mal, wenn ich den so spiele, dann klingt’s ja so. Da ist dann auch noch sehr viel Musikalität mit drin. Im Studio ist es natürlich manchmal auch ganz schön diese Erlebnisse zu haben. Wenn du mit was kommst und jemand sagt das ist ja geil, dann freust du dich einfach. Grundsätzlich finde ich, ist das Touren und Livespielen das, was die Band am Leben hält.
Plötzlich klingelt es an der Zimmertür…
Torsten Scholz: Ich mache mal kurz auf. Ist ja keine Liveübertragung (lacht).
Die Zimmermädchen möchten das Hotelzimmer reinigen. Torsten Scholz komplimentiert sie auf seine eigene charmante und witzige Art hinaus und vertröstet sie auf später.
Nochmal zurück zur Tour. Wie sieht bei euch ein typischer Tourtag aus?
Torsten Scholz: Das kann ich dir ganz genau sagen. Meistens und je nachdem, wann man ins Bett gekommen ist, ist Aufstehen so gegen 10 oder 11. Wenn du um 11 aufstehst, bist du schon fast der Letzte. Dann gehe ich immer rennen für ne halbe Stunde oder Stunde. Danach mache ich Gymnastik mit Thomas (Götz, dem Beatsteaks-Schlagzeuger, Anmerkung der Redaktion), weil wir beide Rückenprobleme haben. Dann esse ich was, dann duscht man. Dann gibt es meistens so ein, zwei Stunden Ruhe bis zum Soundcheck. Da wird dann entweder mit der Ollen telefoniert oder ein Interview gemacht oder so Sachen. Dann ist Soundcheck um 4, der geht bis um halb 6. Dann ist Essen. Dann habe ich mich jetzt noch ein paarmal in den Bus gelegt und gepennt, weil wenn man um 10 oder 11 aufsteht, aber erst um 5 besoffen ins Bett gefallen ist, ist das meist zu wenig (grinst). Um 8 macht man sich fertig, guckt sich die Vorband ein bißchen an und trinkt das erste Bier. Um 9 geht man auf die Bühne bis um 11. Je nachdem wie das Konzert war, ist danach noch ein bißchen mehr oder weniger ernst diskutieren und unterhalten im Backstage angesagt. Oder es wird danach vor dem Bus rumgecornert. Und dann halt Bierchen, wa?! Leider danach nie wieder Tanz. Ich war auf der Tour jetzt noch nicht einmal tanzen, was ich ganz schlimm finde. Früher war immer Disco danach im Club und deshalb hatte ich mich auch so auf die Clubtour gefreut. Aber nix! Noch nicht einmal war eine scheiß Disco danach. Das sind aber auch ganz oft keine Clubs mehr, sondern so Kulturzentren. Letzter Ton, Bäm, Licht geht an und die Leute werden rausgefegt. Total ungemütlich. Das prangere ich total an. Also ich glaube morgen im Gloria wird’s halt so sein, dass danach nicht unbedingt der Riesentanz ist, aber da ist die Bar noch offen und es läuft noch ein bißchen Mucke. Also ich versacke in Berlin, wenn ich dann mal auf ein Konzert gehe, regelmäßig immer noch irgendwo am Tresen. Weil ich das total blöd finde. Du stehst da mit deinem halbvollen Bier, denkst was für ein geiles Konzert und musst dann direkt umschalten auf Jacke holen, anziehen und nach Hause.
„Die kleinen Brühbirnen hören jetzt mal eine Woche das und danach kommt die nächste Scheiße, die sie konsumieren“
Gab es auf der Clubtour bis jetzt irgendwelche lustigen oder besonderen Erlebnisse, Begegnungen, Ereignisse? Ich sehe dich ja immer auf Facebook, wo du deine Selfies postest mit dem jeweils besten Club der Welt.
Torsten Scholz: Genau. Glücklicherweise sind keine schlimmen Sachen passiert. Gestern im Bus haben wir uns mal wieder gegenseitig tätowiert. Wir machen das jetzt mittlerweile immer beim Fahren (zeigt ein Tattoo an seinem linken Unterarm). Deshalb sieht das auch ein bißchen asozial aus.
Ja, ist ein bißchen verwackelt.
Torsten Scholz: Ja, aber so soll’s auch sein (lacht). Gestern gab es halt mal wieder eine kleine Busparty, als wir von Dortmund nach Köln gefahren sind. Aber das ist alles relativ gesittet. Der Fokus ist immer das Konzert. Und das finde ich eigentlich auch ganz gut. Dass wir uns jetzt heißes Kerzenwachs über den nackten Oberkörper schütten wie vor Jahren… heute ist das alles relativ lahm. Oder normal. Klar wird Bier und auch mal ein Schnaps getrunken, aber das hält sich alles ganz doll im Rahmen. Wir nehmen die Sache glücklicherweise und manchmal auch leider sehr, sehr ernst. Deswegen steckst du da ganz viel Energie und Zeit rein. Party machst du immer nur, wenn dir alles scheißegal ist oder alles total super läuft. Und da gibt es noch genug Sachen, die halt verbesserungswürdig sind. Vom Club, von uns und so. Da ist es wichtiger sich darüber zu unterhalten als feiern zu gehen.
Wenn du zwanzig Termine am Stück spielst und jedesmal feiern gehst, dann bist du ja auch irgendwann durch.
Torsten Scholz: Eben, man muss ja auch die Kirche mal im Dorf lassen. Man ist ja auch keine 19 mehr.
Die Möglichkeiten, die das Internet bietet, haben die Musikszene in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Du bist sehr aktiv auf Facebook, dann gibt es Spotify oder iTunes. U2 haben ihr neues Album gerade via iTunes verschenkt. Wird Musik dadurch nicht auch ein Stück weit abgewertet?
Torsten Scholz: Ja und nein. Die U2-Sache finde ich wirklich hochgradig gefährlich. Ungefragt Leuten deine Scheiße unterjubeln, das macht man einfach nicht. Ich finde, das war frech und überheblich. Man regt sich über die NSA auf und dann darf irgendjemand in mein Wohnzimmer gehen, in meinen Plattenschrank eine Platte reinstellen und wieder rausspazieren. Am Ende war es ja so. Und dann noch so ein Gutmenschenidiot wie Bono. Also die sind für mich durch. Mit dem anderen Ding gibt es immer so ein Für und Wider. Ich konsumiere auch Musik aus dem Internet. Ich gehe aber auch los und kaufe mir für 300 oder 400 Euro im Monat Schallplatten. Ich habe auch einen Spotify-Account, den ich aber bisher nur genutzt habe, um mir Beatsteaks-Sachen anzuhören, weil wir auf Tour waren und ich wissen wollte wie der Song geht. Ich finde es toll, dass es das alles gibt. Ich finde das auch gar nicht schlimm, dass es das alles gibt, bei so Leuten wie mir und wahrscheinlich wie dir, weil wir noch ein Bewußtsein dafür haben. Ich sehe Musik immer noch als Ware an, für die ich auch gerne bereit bin Geld zu bezahlen. Das machen bei uns alle. Ich finde es auch okay, wenn die Kids heute mit 13 oder 14 nur noch auf umsonst sind, weil am Ende hat’s die Industrie ja selber vergeigt. Die Leute sind ja bereit für Musik Geld auszugeben. Da ist nur kein Bewußtsein mehr da. Die sind dann teilweise nicht mehr in der Lage das zu abstrahieren. Das ist dann: Wieso? Musik ist umsonst, Alter. Das ist im Netz. Also, ob da die Eltern gepennt haben oder die Industrie oder die Plattenfirmen… da jetzt anzufangen mit dem Holzhammer zu argumentieren oder dem erhobenen Zeigefinger ist schwer. Man muss da bei sich selbst oder seinen Kids wieder so ein Bewußtsein entstehen lassen. Und es funktioniert ja auch, dass Schallplatten wieder so eine Art Revival haben. Wir haben zum Beispiel jetzt für die „Make A Wish“-Single eine Doppel-7″ gemacht. Bißchen Werbung zwischendurch. Haste gemerkt? Profimäßig (lacht). Wir mussten uns echt einen Termin bei dem Plattenpresswerk besorgen. Die Platte kam deshalb auch viel später als geplant, weil das Presswerk ausgebucht ist. Du kriegst keine Termine. Wir haben demnächst was vor, was wir pressen lassen wollen, aber 2014 gibt es keine Termine mehr. Alles voll. Es funktioniert also noch. Leute, die ernsthaft Musik hören und abseits von Helene Fischer und Justin Bieber sind, die gehen auch in den Plattenladen. Klar, warum soll ich mir von so einer Rotze wie Justin Bieber auch eine CD kaufen? Und die kleinen Brühbirnen hören jetzt mal eine Woche das und danach kommt die nächste Scheiße, die sie konsumieren. Meine Tochter ist 6 oder 7 und die hat ein Plattenregal. Da sind halt Märchenplatten drin, aber auch eine Cindy Lauper-Platte, eine Marteria-Platte und eine Peter Fox-Platte. Die hat sie sich selber ausgesucht. Dann kauft die Papa. Und die hat auch noch ihre Kassetten und CDs. Da gibt es halt eine Wahrnehmung. Es gibt Schallplatten im Hause Scholz.
Wenn man sich mal fragt, woran Musiker heutzutage überhaupt noch was verdienen, dann relativiert sich auch vieles finde ich.
Torsten Scholz: Wir haben durch Plattenverkäufe noch nie Geld verdient. Klar, Goldene Schallplatten. 100.000 Schallplatten, das sind am Ende 150.000 Euro, die bei einer Band hängenbleiben. Dann ziehst du die Steuer ab. 40 Prozent Höchststeuersatz. Bleiben am Ende 50.000 Euro. 50.000 Euro durch Fünf sind 10.000 Euro für die letzten zwei Jahre. Dann rechnest du das auf den Monat aus und dann habe ich vielleicht 800 Euro verdient. Von einer Band, die Goldene Schallplatten macht, Platz 1 in den LP-Charts und so weiter und so fort. Da ist doch klar, dass man sagt, die Band geht auf Tour, um Geld zu verdienen. Man verkauft Merch. Ah, der Merch ist cool. Die wollen immer noch 20 Euro für ein T-Shirt haben. Da kauf ich mir dann ein T-Shirt. Und wenn einer sich dann noch eine Konzertkarte gekauft hat und damit 50 Schlappen ausgegeben hat, dann soll er sich von mir aus auch die Platte irgendwo brennen. Kann man nicht verlangen, dass der sich jetzt auch noch die Platte kauft und am besten auch noch die Deluxe. Ist natürlich toll, wenn das jemand macht. Ich mache das auch. Aber wie du schon sagst, da muss man relativieren und gucken, wie weit kann man denn gehen.
Früher sind wir in den Plattenladen gegangen und haben uns eine Platte gekauft, nur weil uns das Cover gefallen hat. Für 15 Mark oder so.
Torsten Scholz: Genau, das hab ich auch gemacht. Dann bist du zum Konzert für 6 Mark und hast ein Bier gekauft für 1 Mark. Das T-Shirt hat 12 Mark gekostet (lacht). Jetzt kostet alles viermal so viel.
„Mich interessiert auch, wie eine Stewardess ihr Kind großzieht oder wenn jemand auf einer Ölbohrplattform arbeitet„
Bist du eigentlich noch nervös, bevor du auf die Bühne gehst?
Torsten Scholz: Total! Egal ob im Gloria oder im Palladium, ich mache mir immer in die Hosen. Ganz schlimm. Das ist bei uns allen so. Dabei haben wir schon mehr als zwanzig Konzerte gespielt (lacht). Wir wollen immer, dass das Konzert, das wir jetzt spielen, das beste Konzert aller Zeiten sein soll. Das klappt natürlich nicht immer. Logo. Und man muss auch einfach mal sagen: Manchmal ist es auch einfach ein Job, den man macht, aber in dem Augenblick, wo wir da stehen, ist der Anspruch so hoch. Es soll toll werden. Und ich weiß, wie toll die Beatsteaks sein können. Für mich, für die anderen vier und für die Leute. Man hofft, dass alle so richtig geil Bock haben. Die Leute zahlen 30 Euro, der Veranstalter hängt da mit Geld drin und mit Zeit, die stehen um 6 auf, die Catering-Dame ist vielleicht um 6 schon am schnibbeln, der Roadie kriegt 8 Euro dafür, dass er die Cases hin und her rollt, alle tun ihren Teil für die ganze Scheiße. Und nun guck mal. Wie wenig Clubs gibt’s noch? Nun ist Köln ja noch ein bißchen verwöhnt, aber am Ende gibt es nur noch diese Kulturzentren. Du hast diese Betonquader, wo so eine Band reingeschoben wird. Vorne werden die Leute reingeschoben, dann dürfen alle kurz zwei Stunden Hallali machen, dann alle wieder raus. Und dann gehen alle wieder in ihren Job, müssen sich mit ihren scheiß Problemen rumschlagen, die jeden Tag mehr werden, mit ihren Geldsorgen und dem ganzen Rotz. Die Verantwortung, die man dann hat, allen mal kurz für zwei Stunden das Gehirn wegzublasen… wir sind halt keine politische Band, sondern den Anspruch den wir haben ist: Wenn man zu einem Beatsteaks-Konzert kommt, dann muss man danach sagen: Ey heute Gloria, morgen Palladium, wann kommen die noch? Wenn Leute nach dem Konzert sagen, es war ganz nett, dann haben wir irgendwas falsch gemacht. Wie jetzt auf der Tour in Freiburg, in Augsburg, in der Schweiz oder in Bremen. Es gab so Konzerte, wo alles rasiert wurde. Deshalb ist die Anspannung auch so groß, weil man es immer besonders, besonders, besonders gut machen will.
Aber der Druck fällt doch nach zehn Minuten oder so auch mal ab, oder?
Torsten Scholz: Ja, wenn ich auf die Bühne gehe ist alles gut. Es gibt zwar noch so Angstsongs wie „I Don’t Care“ oder „Gentleman“, weil das dieselben Akkorde sind, nur versetzt. Aber dann läuft irgendwann auch so ein Automatismus ab. Man ist auf Autopilot und dann will man einfach nur noch eine geile Zeit haben. Der Bernd (Kurtzke, Beatsteaks-Gitarrist, Anm.d.Red.) ist genau andersrum. Der ist ganz ruhig und der wird auf der Bühne immer aufgeregter.
Wenn du dich selber interviewen müsstest, welche Frage würdest du dir dann gerne stellen und welche auf keinen Fall?
Torsten Scholz (überlegt): Ich würde mich fragen, warum ich jetzt hier sitze. Warum soll ich dich denn interviewen (lacht)? Weil ich immer denke, was wollen die Leute denn von dem Bassisten von den Beatsteaks wissen? Na, ich finde so ein paar Sachen schon interessant. Mich interessiert schon wie Leute wie ich, die einen Job haben, der nicht ganz so normal ist, das so hinkriegen im normalen Leben. Also mich interessiert auch, wie eine Stewardess ihr Kind großzieht oder wenn jemand auf einer Ölbohrplattform arbeitet. Das würde mich schon interessieren, wie denn so die normalen Sachen abseits der Musik aussehen. Welche Frage auf gar keinen Fall? Mir kannst du eigentlich jede Frage stellen. Außer in sich geschlossene Fragen. Zum Beispiel: Du findest Nazis toll? Warum denn? Die Frage würde ich natürlich nicht beantwortet haben wollen oder gestellt bekommen. Was soll für eine schlimme Frage kommen? Am Ende sitzt du halt hier und Leute interessieren sich für den Scheiß den du machst. Das ist doch schon großartig genug. Warum soll ich denen noch sagen: Nee, bitte die Frage nicht.
Gibt’s aber…
Torsten Scholz: Ja, ganz viel. Klar kann ich verstehen, dass der Sänger von… wie heißt nochmal diese Schmuseband… ah, Coldplay… dass der sich Fragen zu seiner Ex-Freundin verboten hat. Wenn alle nur noch danach fragen, dann kann ich das verstehen. Aber jetzt mal die Kirche im Dorf. Wenn einer sagt: Ich hab dich ja letztens mit deiner Tochter in Friedrichshain gesehen. Dann sage ich: Ja, nun wohne ich da ja nun mal. Vielleicht wenn es zu persönlich wird. Aber da kann man auch geil aus der Nummer rauskommen. Macht man halt einen blöden Witz und wenn man nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, muss man keine Angst vor schlechten Fragen haben. Außerdem bin ich ja sowieso der Schlaueste von uns. Merkste, wa (lacht)?
Okay, dann mal die letzte Frage: Wenn du ab morgen für den Rest deines Lebens auf einer einsamen Insel leben müsstest, welche fünf Platten würdest du dann mitnehmen?
Torsten Scholz: Ich würde doch auf eine einsame Insel keine fünf Schallplatten mitnehmen. Totaler Bullshit. Kann ich nicht noch eher ein Taschenmesser mitnehmen oder Streichhölzer (lacht)? Aber okay, du sagst, das ist alles da. Was wichtig ist: Sind da auch Weiber?
Die sind auch da.
Torsten Scholz: Okay! Ich würde auf jeden Fall „Monarchie und Alltag“ von den Fehlfarben mitnehmen. Dann würde ich die „Hello Nasty“ von den Beastie Boys mitnehmen. „Tha Carter III“ von Lil Wayne. Wenn Weiber da sind! Ich würde natürlich gucken, dass ich noch ein ganz, ganz langes Album mitnehme. So ein Triple-Progressive-Album von Rush. Wenn du auf einer einsamen Insel bist und du hast nur fünf Platten, dann kennst du die Lieblingsplatten ja sowieso fast auswendig. Aber so eine Riesenplatte von Pink Floyd oder von Rush würde ich mitnehmen, weil man da viel Zeit für bräuchte. Und ich hätte ja dann alle Zeit der Welt. Jetzt sind wir schon bei vier… Und dann gibt es von „11 Freunde“ so ein Hörbuch „Die lustigsten Bundesligaerlebnisse“. Sowas, irgendeine Platte, die nichts mit Musik zu tun hat. Obwohl ist eigentlich auch blöd, weil die kennt man ja auch schnell auswendig. Nee, dann nehme ich lieber noch die „Troublegum“ von Therapy? mit. Dann haben wir’s gepackt.
Genau! Vielen Dank für deine Zeit und das schöne Gespräch!
Wir bedanken uns ebenfalls bei Vanessa Seewald von Prime Entertainment für die Vermittlung und bei Torsten Dohm für die Betreuung vor Ort! Verwendung der „Passfotos“ von Torsten Scholz mit freundlicher Genehmigung der Beatsteaks.