Die altehrwürdige PORTA NIGRA in Trier wurde wieder zur wundervollen und atmosphärischen Kulisse für ein Open Air der Spitzenklasse. Seht hier unsere Fotos von Danger Dan bei PORTA HOCH DREI, 17.6.2023 in Trier, Porta Nigra. Credit: Simon Engelbert – PhotogrooveMore
Die altehrwürdige PORTA NIGRA in Trier wurde wieder zur wundervollen und atmosphärischen Kulisse für ein Open Air der Spitzenklasse. Seht hier unsere Fotos von Silbermond bei PORTA HOCH DREI, 16.6.2023 in Trier, Porta Nigra. Credit: Simon Engelbert – PhotogrooveMore
Die altehrwürdige PORTA NIGRA in Trier wurde wieder zur wundervollen und atmosphärischen Kulisse für ein Open Air der Spitzenklasse. Seht hier unsere Fotos von Hubert von Goisern bei PORTA HOCH DREI, 15.6.2023 in Trier, Porta Nigra. Credit: Simon Engelbert – PhotogrooveMore
Die altehrwürdige PORTA NIGRA in Trier wurde wieder zur wundervollen und atmosphärischen Kulisse für ein Open Air der Spitzenklasse. Seht hier unsere Fotos von Peter Fox bei PORTA HOCH DREI, 14.6.2023 in Trier, Porta Nigra. Credit: Simon Engelbert – PhotogrooveMore
Wenn sich 25.000 Fans zur ultimativen Sprechstunde am Bostalsee einfinden, kann das nur eins bedeuten: Die Ärzte aus Berlin sind da! Und es ist nicht irgendein Konzert. Man feierte den Abschluss der „Buffalo Bill in Rom“ Tour. Benannt war das 2022er Happening nach einem weithin unbekannten Spaghettiwestern, bei dem die Zirkusshow des berühmten Bisonjägers durch Europa tourt. So müssen sich vermutlich auch Die Ärzte fühlen. Genau wie ihre Fans sind sie ordentlich gealtert, aber sie haben auch ganz neue Generationen zu ihren Konzerten gelockt, wovon viele zu den Anfangszeiten der Band vor 40 (!) Jahren noch nicht einmal geplant waren.
Das Eventgelände am Bostalsee ist logistisch gut gelegen. Okay, man muss lange Wege zur Location in Kauf nehmen, wenn man mit dem Auto anreist, aber alles ist gut organisiert. Platzanweiser zu den Parkplätzen, gute Beleuchtung, abgesperrte Fußwege, ein gutes Verkehrskonzept, um den Abfluss der Fahrzeuge nach dem Konzert zu regeln.
Zum Glück blieb es fast durchgehen trocken, auch wenn die Vorhersage ganz anderes Wetter befürchten ließ. Die positive Energie des Publikums schien alle Regenwolken zu verscheuchen. Einmal gab es eine kurze Schauer von drei Minuten während der Beatsteaks und zum Konzertende war ein leichtes Nieseln zu spüren. Aber zum Glück hatten sich die meisten gut eingemummelt, um 9 Grad Lufttemperatur zu ertragen. Kein wirklich schönes Open-Air-Wetter, aber mit Jubeln, Springen und Tanzen ließ sich das Beste draus machen.
Pünktlich um 18.30 Uhr startete Special Guest Christian Steiffen. Eigentlich heißt der illustre Entertainer Hardy Schwetter und ist ein Schauspieler aus Osnabrück. Dort hat er gar zweimal als Oberbürgermeister kandidiert. Musikalisch bietet er nicht wirklich Punk, sondern eher seichte Popsongs mit sarkastischen Texten und einer Prise Synthiesound. Songs wie „Die dicksten Eier der Welt“ bot er mit sonorer Stimme dar. Die humorvolle Schlagerparty endete nach 35 Minuten
Nach einer halben Stunde Umbau folgten die BEATSTEAKS, die dem Bostalsee mit Gitarrenriffs Marke „Alle meine Entchen“ huldigten. Die Berliner Punkband um Arnim Teutoburg-Weiß feierte die unglaubliche Kulisse und riss das Publikum von Beginn an mit. Es gab eine Mischung aus deutschen und englischen Texten. Natürlich mit viel beschwingtem Punk, aber auch mit gesellschaftskritischen Momenten, die an Ton Steine Scherben erinnerten – beispielsweise bei „Frieda und die Bomben“. Man war sich natürlich bewusst, dass die Ärzte ganz im Mittelpunkt standen und machte sich daher einen Spaß daraus, immer wieder Zitate aus deren Songs in die Ansagen und die eigenen Musikstücke einzubauen. Mit ihren fetzigen Songs wie „Hello Joe“, „Hand in Hand“ und „I Don’t Care As Long As You Sing“ legten sie einen soliden 40minütigen Partyset hin. Eine gute Einstimmung auf das, was da noch kommen sollte.
Für Die Ärzte musste man 45 Minuten Umbauzeit überbrücken, in denen die Kälte langsam aus Richtung See zu den Zuschauer*innen kroch. Als dann aber Punkt 21 Uhr ein optimistisches „Himmelblau“ erklang und zum Ende des Songs endlich der Vorhang fiel, war alles Bibbern vergessen und nur noch Party angesagt.
Die Mischung von Songs zog sich wie gewohnt durch die komplette Bandgeschichte. „Wir sind die Besten“ wurde ebenso begeistert aufgenommen wie der moderne Klassiker „Lasse redn“. Es gab „Fiasko“ und „Angeber“, aber auch die selbstkritische Hymne „Ist das noch Punkrock?“. Die drei Akteure verwandelten die Ansagen der Show häufig zur Comedy-Show. „Sorry. Ja. Ab und zu singen wir auch“, hieß es dann entschuldigende zwischendurch. Aber es macht einfach Spaß, den Kabbeleien auf der Bühne und der Kommunikation mit dem Publikum zuzuhören.
Natürlich bekamen AFD und andere Nazis ihr Fett weg. „Doof“ wurde ganz explizit rechtsradikalen Tendenzen gewidmet. Aber auch das ironische „Hurra“, „Besserwisserboy“ und der lange nicht gespielte Oldie „Quark“ schlugen in die Kerbe der Floskeln mancher Politiker, die diese ohne ein Spur Nachdenkens von sich geben.
Nach „Friedenspanzer“ und „Manchmal haben Frauen…“ durfte Arnim von den Beatsteaks wieder auf die Bühne. Er hatte sich „Buddy Holly’s Brille“ gewünscht und durfte den Klassiker selbst performen. Auch für diesen erfahrenen Frontmann ein sichtlich bewegender Moment.
„Grace Kelly“ wurde als Schauspiel-Ikone besungen, dann aber war wieder jeder dran: „Deine Schuld“ ist der ultimative Politsong, der alle dazu auffordert, selbst tätig zu werden und nicht wegzuschauen. Damit sprachen Die Ärzte hier allen aus der Seele. Das „Lied vom Scheitern“ und „Unrockbar“ beendeten gegen 23 Uhr den Hauptset, doch wer Die Ärzte kennt, weiß, dass es noch locker bis fast Mitternacht weiterging.
Das Thema aus den „Miss Marple“ Filmen läutete die Zugaben ein. Und hier gab es dann auch herbei gesehnte Stücke wie den „Schrei nach Liebe“ (mit enthusiastischen „Arschloch“-Rufen), dem rockigen „Jung“ und natürlich dem All-time-favourite „Zu spät“. Auch Christain Steiffen durfte wieder auf die Bühne und mit den Ärzten seinen eigenen Song „Ja Ja die Punkmusik“ performen, bevor das Happening dann a cappella mit „Gute Nacht“ endgültig zu Ende ging.
Ein Ärzte-Konzert ist wie Forrest Gumps berühmte Schachte Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt. Die Setlist variiert mit wenigen Konstanten von Konzert zu Konzert und kann auch mal ganz spontan geändert werden. Der Tourabschluss war jedenfalls großartig und lieferte am Ende ganze 37 (!) Stücke aus dem gewaltigen Backkatalog der Band. Jetzt nur noch raus aus der Kälte und ins warme Auto. Das Ende der Open-Air-Saison hatte ein Highlight geliefert. Auf ein Neues 2023!
Fury In The Slaughterhouse sind aus der Region Trier einfach nicht wegzudenken. Wie oft durften wir sie hier schon live erleben und dabei den Aufstieg von der kleinen Rockband aus Hannover hin zur Kultband mitfeiern? Den Anfang machten sie vor vielen Jahren mit der Tour zum zweiten Album „Jau!“ (1990) im beschaulichen Dörfchen Zerf. Und danach war kein Halten mehr. Sehr gut erinnere ich mich noch an die Show in der St. Wendeler Disco FLASH, als es nach dem Ende der Setlist noch einen Reigen von Stones-Covers gab, weil die Band einfach nicht mit Spielen aufhören wollte. Oder an den Nachmittags-Auftritt bei Rock am Ring, als die für viele doch noch recht unbekannte Truppe das Publikum schon im hellen Tageslicht zum ausgelassenen Feiern brachte. Die meisten Auftritte waren sensationell – und das sind sie bis heute.
Nach Bandauflösung 2008 war erst einmal Schicht im Schacht und die Brüder Wingenfelder schafften sich ein zweites Standbein mit Soloprojekten und als Duo. Dabei wurde viel auf Deutsch gesungen und das funktionierte besser, als manche Fans gedacht hätten. Doch insgeheim hofften alle auf eine Reunion – und die gab es zum 30jährigen Jubiläum im Jahr 2017. Zunächst beschränkt auf Hannover, dann aber zum Glück mit großer Tour, die FURY vor die Porta Nigra in Trier und (mit akustischem Set) nach Neunkirchen führte. Wenig später sollte als zweite altrömische Kultstätte in Trier das wundervolle Amphitheater bespielt werden, doch aus hinreichend bekannten Gründen dauerte es noch bis ins Jahr 2022, bis die beiden ausverkauften Shows endlich starten konnten.
Ich war am zweiten Abend dort und erlebte ein ausgelassenes Publikum, das schon beim Support Deine Cousine kräftig mitging. Selten nimmt eine Vorband die wartende Menge so mit, wie das Frontfrau Ina Bredehorn gelang. Mit wildem Punkrock war sie durchgehend in Bewegung, nutzte die komplette Bühne und den Laufsteg für einen wilden Tanz, um ihre Botschaft auf den Weg zu bringen: Für Feminismus und Diversität. Gegen alle Arschlöcher, beispielsweise den Betriebsarzt, der sie bei einer Untersuchung in den Po grabschte. Mit viel Attitüde sang, schrie und lamentierte sie sich durch 45 gehaltvolle Minuten. Ihrer Begeisterung über das stilvolle Ambiente und die mitreißende Kulisse ließ sie freien Lauf und trieb die hervorragende Band zu immer neuen Höchstleistungen an. Die Zuschauer*innen waren voll dabei, was die Sängerin zur Aussage verleitete: „Ach, man bekommt ja so viel zurück.“ Aber das war auch nicht übertrieben. Deine Cousine hatte die Menge locker um den Finger gewickelt und versprach, mit der neuen Verwandtschaft am Merch-Stand ausgiebig zu quatschen. Handynummern auszutauschen und Familienfotos zu schießen. Wie viele jetzt wirklich mit ihrer Nummer nach Hause gegangen sind? Keine Ahnung. Aber zum Ende des Fury-Sets war Cousine Ina immer noch am Stand und im regen Austausch. Mission Support: mehr als gelungen!
Überpünktlich waren dann Fury In The Slaughterhouse um 20.40 Uhr auf der Bühne und starteten mit „Good Day To Remember“. Der erst im Mai 2022 als Single veröffentlichte neue Song war der perfekte Opener. Viele der Anwesenden mittleren Alters waren doch vor allem aus nostalgischen Gründen vor Ort und wollten ihre Erinnerungen an die einstige Lieblingsband auffrischen. So gab es bereits als zweiten Song die Mitsingnummer „Milk And Honey“. Falls es überhaupt einen Bann gab, war er jetzt gebrochen. Ja – Fury sind spielfreudig und mitreißend wie eh und je.
Die Stücke vom aktuellen Werk „Now“ (2021, HIER unsre Review) fügen sich übrigens gut in die Setlist. Das beschaulich-melancholische „Letter To Myself“ passt hervorragend zum Hit „Radio Orchid“. Der Song “1995” gibt einen erzählerischen Einblick in die wundervolle Zeit, als Fury es auch in den USA zu einem kleinen Stückchen Ruhm geschafft hatten. Mit “All About Us” und “Replay” zeigen sie epische Momente, die in jedes Stadion passen. Fury haben sich auf ihre Tugenden besonnen. Sie bieten große Hymnen, erzählen Geschichten und schwelgen in Gitarrenmelodien. Alles, was zur Jahrtausendwende verloren schien, ist plötzlich wieder da und fügt sich ins Konzertgeschehen.
Bewegung kam aber vor allem bei den großen Songs in die Menge. „Then She Said“ wurde nicht von Kai sondern von Thorsten Wingenfelder interpretiert und kam mit schönen akustischen Klängen. Meinen All-time-favourite „Trapped Today, Trapped Tomorrow“ widmete Kai zielsicher der Deutschen Bahn und hob die Textzeile „sorry my train won’t stop at your station“ süffisant hervor. Überhaupt kam der Humor nicht zu kurz. Dafür war vor allem Gitarrist Christof Stein-Schneider zuständig, der gerne mal seinen Cannabis-Konsum ins Spiel brachte, das Publikum aufforderte, ihn ans Wechseln des Gitarrenkabels zu erinnern und mehrmals mit einem auffordernden „Stößchen“ dem Biergenuss frönte, Die Kabbeleien zwischen ihm und Frontmann Kai gehörten schon immer zum guten Ton in der Band und gingen auch konsequent weiter, wobei das Publikum munter mitspielte: „Kaaabel!“
Musikalisch war alles erste Sahne. Die Band ist wieder perfekt aufeinander eingespielt, als hätte sie nie pausiert. „Cry It Out“ lieferte einen ordentlichen Kracher. Songs wie “This Will Never Replace Rock ‘n’ Roll” feierten auf unnachahmliche Art den Wert der Musik und scheuten sich auch nicht “Sympathy For The Devil” zu zitieren. Und zum Abschluss des Hauptsets gab es nach gut 90 Minuten ein wunderschön sentimentales „Time To Wonder“, bei dem viele Anwesende Tränen in den Augen hatten.
Das geniale Ambiente des Amphitheaters kam jetzt durch die Beleuchtung immer besser zur Geltung. Wie froh kann Trier, die älteste Stadt Deutschlands, über ihre wundervollen Open-Air-Kulissen sein. Der Zugabenblock begann ungewöhnlich elektronisch. Solche Beat-Stampfereien ist man sonst nicht von Fury gewöhnt. Doch „Riding On A Dead Horse“ entwickelte sich zum Ende hin und schloss als lauter Rock-Kracher. Wem das zu turbulent war, der bekam ein partytaugliches „Kick It Out“ gleich hinterher, das mit rauen Vocals von Christof begonnen wurde.
Schon in der Pause vor der zweiten Zugabe begann die Menge „Don’t Forget These Days“ zu skandieren. Darauf musste man allerdings noch warten. Erst gab es das spielfreudige „Drug Addicted In The Jailhouse“ – doch dann war endlich die ersehnte Hymne dran und Kai brauchte kaum noch selbst zu singen. Das Publikum hörte ohnehin nicht mehr auf und holte mit den Klängen des Refrains“Won’t Forget These Days“ die Band zur dritten Zugabe zurück. Nach über zwei Stunden Konzertlänge gab es ein beschauliches „Down There“ zum Runterkommen – und man konnte sich beseelt durch die antiken Gemäuer zurück zur Stadt machen.
Fury In The Slaughterhouse hatten mal wieder bewiesen, dass sie nicht zum alten Eisen gehören. Sie sind auch keine Coverband der eigenen Klassiker, wie so viele andere 90er Jahre Stars. Stattdessen integrieren sie das aktuelle Album perfekt in den Set und zeigen sich hier in alter Qualität. Die Band hat sich wiedergefunden. Das wird den Nostalgikern und Fans alter Stunde gefallen – und sie werden hoffentlich auch einige junge Musikhörer hinzugewinnen, die den Wert handgemachter Musik zu schätzen wissen.
Mit dreißig (!) Staffeln seit dem Jahr 2004 ist die Comedy-Sendung „Dittsche“ absoluter Kult. Mit Bademantel und Schumilette läuft der arbeitslose Verlierertyp zur Höchstform auf und sinniert am Tresen eines Hamburger Imbisses über aktuelle Ereignisse, das Leben, Gott und die Welt. Dafür gab es verdientermaßen den deutschen Fernsehpreis.
Aber funktioniert die Show auch als Stand-up eines einzelnen Mannes auf der großen Showbühne, bewaffnet nur mit einem Mikro und einer Tüte voll Bierflaschen? Und ob! Schließlich entstand das Konzept ursprünglich im „Quatsch Comedy Club“ und führte über „Gottschalk Late Night“ zuerst ins ZDF und dann zum WDR. Olli Dittrich braucht nur langsam von der Seite zur Bühnenmitte zu schlurfen und schon tobt der Saal – in diesem Fall die voll besetzte Neue Gebläsehalle im saarländischen Neunkirchen.
Bereits zum zweiten Mal ist Dittsche mit dem Programm „Chefvisite“ auf Solo-Tour. Der Auftritt im Saarland war der Opener für eine groß angelegte Reihe von Terminen – und der Ort war perfekt gewählt. Vielleicht mag das daran liegen, dass der Saarländer im Allgemeinen den Humor eines Heinz Becker zu lieben gelernt hat, der ebenso wie Dittsche gern über seine Nachbarn und Bekannten lästert und aus jeder kleinen handwerklichen Tätigkeit ein Großevent macht.
Dittsche kommt also mit FFP2-Maske und darüber drapiertem Kaffeefilterhalter auf die Bühne und erläutert zunächst einmal, wie man mit seine Maske noch sicherer machen kann, wie man damit Unmengen an Kaffee kocht und wie man aus zwei Paar Stiefeln, Alufolie sowie dem überschüssigen Kaffee prima warme Füße und „Coffee to go“ bekommt. Ein köstliches Vergnügen!
Dann geht es gedanklich in den Imbiss und Ingos Salatbar muss ebenso für einige Kalauer herhalten wie Dittsches Nachbar Herr Karger. Tatsächlich fällt Olli Dittrich manchmal aus der Bühnenrolle und amüsiert sich über das Publikum, das mit Zwischenrufen und Heiterkeitsausbrüchen nicht geizt. „Besser als in Hamburg“ sagt er. Und nimmt sich dann selbst auf die Schippe: „Manchmal, wenn ich mir diesen Scheiß ausdenke, gacker ich auch so rum“.
Die Idee des Bierbrauens in einer Trockenschleuder sorgt ebenso für Chaos und Kopfkino wie der Wechsel einer Glühbirne in Kargers Wohnung. Nach einer Stunde Dauerfeuer brauchen Publikum und Comedian erst einmal 20 Minuten Pause.
Die zweite Stunde der Show wird sehr philosophisch. Dittsche versucht, eine Vorstellung von der Unendlichkeit des Universums und der Winzigkeit des Mikroversums zu bekommen. Solch eine essentielle Frage wird ebenso in hochkarätige Merksätze gefasst wie die Überlegung, was zuerst da war – und damit meint er nicht Huhn oder Ei sondern Kronkorken oder Flaschenöffner.
Zum Ende hin wird es gar politisch, wenn Merkels Multifunktionsjacke erklärt wird und die Frage, ob Karl Lauterbach plötzlich deswegen so schlau ist, weil ihm früher die Fliege das Gehirn mittels verringerter Sauerstoffzufuhr abgeregelt hat. Auch RKI-Wieler bekommt sein Fett weg, fast im gleichen Atemzug wie Dieter Bohlen und Florian Silbereisen mit ihren Varianten von DSDS.
Im Zugabenblock darf die Kunstfigur Dittsche auch eine Lebensgefährtin haben, die dann nochmal neuen Schwung in die Erzählung bringt. Nach zwei Stunden Power enden eine fulminante Show und ein gelungener Tourauftakt. Dittsche ist sichtlich erleichtert und man nimmt ihm gerne ab, dass er in Zukunft öfter den Liveclub in Neunkirchen für seine „Probevorlesung“ nutzen wird. Olli Dittrich ist einfach ein gestandener Komiker mit Sinn für die Feinheiten des Genres. Er sprüht vor Ideen und setzt diese jovial und mit großer Freude um. Bitte mehr davon!
ACHTUNG +++ Mark Forsters Arena-Tour wurde auf das Jahr 2024 verschoben +++ Karten für die Rockhal bleiben gültig
Mit über 50 fast ausnahmslos ausverkauften Shows war 2019 ein grandioses Konzertjahr für Mark Forster und seine Fans. Der sympathische Musiker begeisterte mit einer ausgefeilten Show und vielen kleinen Überraschungen. Nach einer Corona-Zwangspause wird er ab dem Frühjahr 2022 endlich wieder live unterwegs sein und endlich an den großen Erfolg der LIEBE Tour 2019 anknüpfen. Nach zahlreichen Shows im Sommer dieses Jahres geht es im Frühjahr 2023 dann auf große Hallen Tour. Doch was ursprünglich als Fortsetzung der LIEBE Tour geplant war, rückt nun auch sein neustes Werk ins Rampenlicht: Forsters aktuelles Studioalbum heißt „MUSKETIERE“ (VÖ 13.08.2021).
Ausgezeichnet durch maximal persönliche Songs und einen ungewohnt privaten Blick in sein Leben – ohne Klatsch und Tratsch dabei Futter zu geben – ist sein neues, fünftes Studioalbum eine wahrhaftige Geschichte. Seine wahrhaftige Geschichte. Dabei bleibt Forster seiner musikalischen Vielfalt treu und schreibt in 12 Kapiteln eine Liebeserklärung an die Musik und das Leben.
Mark Forster singt, komponiert und definiert Pop auf Deutsch bereits ein paar Monde lang so künstlerisch-anspruchsvoll und beispiellos-erfolgreich wie kein Zweiter. Quasi en passant schuf er in der vergangenen Dekade eine ganze Reihe Aphorismen von bleibendem Wert. Beispiel? „Au Revoir“! Was lange ausschließlich ein frankophoner Abschiedsgruß war, ist seit dem Emporkommen des Sympathischen mit Bart, Brille und Kappe zum allgemeingültigen Sinnspruch geworden. Das ist Pop.
Mark Forster ist ein Künstler des Kleinen und des Großen, des vergänglichen Moments und der bleibenden Erinnerung an musikalisches Glück. Um dieses Glück und die besonderen Momente endlich auch wieder mit seinem Publikum zu teilen, kommt er im Frühjahr 2023 auf große Hallen Tour durch Deutschland, Luxemburg und die Schweiz.
Tickets gibt es bei Eventim.de, unter markforster.de, bei Kartenvorverkauf Trier und an allen bekannten VVK-Stellen.
MARK FORSTER – ARENA TOUR 2024
26.03.24, DE, Halle (Westf.), OWL Arena
28.03.24, DE, Bremen, ÖVB-Arena
02.04.24, DE, München, Olympiahalle
03.04.24, AT, Salzburg, Salzburgarena
05.04.24, DE, Berlin, Max-Schmeling-Halle
06.04.24, DE, Schwerin, Sport- & Kongresshalle
11.04.24, DE, Chemnitz, Messe
12.04.24, DE, Hannover, ZAG-Arena
13.04.24, DE, Kiel, Wunderino Arena
26.04.24, DE, Freiburg, Sick-Arena
27.04.24, DE, Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyerhalle
28.04.24, DE, Frankfurt, Festhalle
30.04.24, DE, Braunschweig, Volkswagen Halle
01.05.24, DE, Leipzig, Quarterback Immobilien Arena
03.05.24, DE, Mannheim, SAP Arena
04.05.24, CH, Zürich, Hallenstadion
08.05.24, DE, Hamburg, Barclays Arena
10.05.24, DE, Nürnberg, Arena Nürnberger Versicherung
11.05.24, DE, Köln, Lanxess Arena
15.05.24, LU, Esch/Alzette, Rockhal
17.05.24, AT, Innsbruck, Olympiahalle
18.05.24, DE, Augsburg, Messe
19.05.24, DE, Erfurt, Messe
20.05.24, DE, Düsseldorf, PSD Bank Dome
24.05.24, AT, Graz, Messe
25.05.24, AT, Wien, Wiener Stadthalle
Ob Guildo Horn wohl „Driving Home For Christmas“ summt, wenn er in den Tagen vor Heiligabend aus dem Bergischen Land in seine frühere Heimat Trier fährt? Hier wurde er 1963 als Horst Köhler geboren – und hier gibt er seit Jahrzehnten traditionell am 23. Dezember das Abschlusskonzert seiner jährlichen Dezembertour unter dem Motto „Weihnachten bin ich zuhaus'“.
Doch was haben die vergangenen zwei Jahre aus lieb gewonnenen Traditionen gemacht? So viele Festivals, Konzerte, Veranstaltungen sind der Pandemie zum Opfer gefallen. Stattdessen gab es rührige Versuche, die Livestimmung per Stream in die heimischen Wohnzimmer zu beamen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Auch „Meister“ Guildo Horn musste im Jahr 2020 Kompromisse schließen. Er trat zwar wie gewohnt live in der Europahalle auf, doch vor einem leeren Raum. Die Show konnte man kostenlos auf YouTube anschauen und sie ist immer noch dort zu finden (siehe ganz unten).
2021 waren die Vorzeichen besser, doch im Herbst kam die berüchtigte „vierte Welle“ und ein Teil der Tour musste ausfallen. Zum Glück hatten die Trierer Veranstalter von Popp Concerts vorausschauend und vorsichtig geplant. Es wurden zwei Abende gebucht und man hatte zunächst nur 1000 Tickets pro Konzert verkauft. Sehr weise! Denn jetzt konnte man die Veranstaltungen trotz verschärfter Hygieneregeln coronakonform durchführen – mit 2G, festen Sitzplätzen und Maskenpflicht auch während des Konzerts.
Der guten Stimmung im Saal tat dies übrigens wider Erwarten keinen Abbruch. Klar, es war ruhiger und man hatte im Vorfeld nicht so sehr dem Alkohol gefrönt, wie das sonst manchmal der Fall war. Doch das Publikum ging vom ersten Song an begeistert mit. Der Abend startete pünktlich um 20 Uhr mit dem frohlockenden „Kommet ihr Hirten“ eines Kinderchores vom Band, die Orthopädischen Strümpfe (Guildos Band) betraten die Bühne und der Meister erschien in seinem ersten von vielen Outfits des Abends, noch mit kuscheliger Mütze. Musikalisch gab es eine bekannte Musicalmelodie mit weihnachtlichem Text – und es zeugte von der zu erwartenden Komplexität des Abends, als sich „Jesus Christ Superstar“ ausgerechnet mit „Sympathy For The Devil“ vermischte.
Das Programm bestand, wie seit je her von Guildo gewohnt, hauptsächlich aus gängigen Pop- und Rocksongs, die textlich in ein weihnachtliches Gewand gekleidet wurden. Aus dem Buggles-Klassiker „Video Killed The Radio Star“ entstand ein frisches „Freuet euch sehr, das Christkind ist da“. „Live And Let Die“ verwandelte sich in ein sehnsuchtsvolles „Kinder es schneit“. Und die Hymne „The Final Countdown“ schmetterte der Meister als „Ein feiner Christbaum“.
Selbst Balladen wie „Für mich soll’s weiße Weihnacht geben“ und „Mein Freund der Tannenbaum“ („The winner takes it all“) wurden rockig abgefeiert. Irgendwann stand Guildo mit nacktem Oberkörper und Engelsflügeln auf der Bühne, aber das gehört bei diesem Ereignis einfach dazu.
Skurrile Geschichten, die Guildo gern in petto hat, nahmen breiten Raum ein. Man erzählte die „Geschichte vom dicken Dieter“, einem bekannten Trierer Maronenverkäufer. Der Esel „In der Krippe“ bekam zu Elvis‘ Schmachtfetzen „In The Ghetto“ seinen großen Auftritt und „Frieda, die Weihnachtsgans“ hatte zu den Klängen von „Bridge Over Troubled Water“ das Glück, ein weiteres Jahr geschenkt zu bekommen.
Schon seit jeher bietet Guildo bei seinen Livekonzerten viel mehr Rock als Schlager. Die Bandvorstellung erfolgte zu „My Papa Was A Rolling Stone“ mit vielen knackigen Instrumentaleinlagen. Als der Keyboarder die Technoklänge von „Insomnia“ anspielte, tobte der ganze Saal. Überhaupt hielt sich das Publikum nie lange auf den Sitzen. Diszipliniert ließen alle die Maske an und blieben an ihren Plätzen, doch dort wurde dann im Stehen getanzt und gefeiert. Allüberall sah man hüpfende Weihnachtsmützen und Rentiergeweihe. Kein Wunder, dass sich Sänger, Band und Publikum mit ihrer fantastischen Stimmung gegenseitig nach oben zogen.
Guildo wirkte bisweilen sehr wehmütig, erzählte von der leeren Halle im vergangenen Jahr und freute sich über die aktuelle Möglichkeit, dieses Konzert zu spielen: „Wir brauchen das alle. Es ist ein Booster für die Seele!“ Danach folgte ein melancholisches „Ich hab den Weihnachtsmann so lieb“.
Vor der ersten Zugabe erklang um 21.40 Uhr die bekannte Eurovisions-Melodie und alle wussten, was jetzt kommen würde: „Guildo hat euch lieb“, sein Hit, mit dem der Meister 1998 beim Eurovision Song Contest Deutschland mit einem spektakulären siebten Platz beschenkte. Natürlich dargeboten mit dem berühmt-berüchtigten Kuhglocken-Solo. Danach wurde weiter gefeiert mit „Weihnachten wird grün“ (zum Smashhit „Cordula Grün“) – einer Situation, die das Trierer Publikum nur zu gut kennt. Es gab den besinnlichen Mottosong „Weihnachten bin ich zuhaus'“ und die große Hymne „Wir wünschen frohe Weihnacht“ zu „Music“ des kürzlich verstorbenen John Miles.
Um 22.15 Uhr entließ der Meister seine Fans in die Nacht. Draußen war es eiskalt, die Polizei hatte in der Fußgängerzone gerade eine unangemeldete Impfgegner-Demo aufgelöst. Gut, dass solche Konzertveranstaltungen einen Gegenpol setzen und man zeigt, wie man unter Einhaltung der neuen Regeln ausgelassen feiern und festliche Stimmung zelebrieren kann. Guildo ist und bleibt eine Institution in Trier und tut alles für sein Publikum. Im nächsten Jahr wird es weitergehen. Wann und wo? Natürlich am 23. Dezember 2022 in der Europahalle Trier. Tickets sind bereits erhältlich – beispielsweise HIER.
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube. Mehr erfahren
Man hat es gegenwärtig nicht leicht als Comedian. Schaut man auf Özcan Cosars Tourdaten, erblickt man ein Puzzle aus abgesagten, verschobenen und stattfindenden Terminen, gespickt mit den (zumindest im Moment) jeweils vor Ort gültigen Coronaregeln. Hat man sich da durchgekämpft, finden sich ca. 200 Zuschauer in der Europahalle Trier ein, die ein Vielfaches an Publikum fassen könnte. Aber so ist der Geist unserer Zeit: Unsicherheit, Bequemlichkeit und Trägheit allerorten. Dabei hätte man es doch wirklich nötig, mal wieder einen Abend lang herzhaft zu lachen. Und Özcan tat wirklich alles, damit dies gelingen konnte.
Der Schwabe, geboren in Bad Canstatt, ist Komiker, Kabarettist, Podcaster, Schauspieler und Moderator. Seine Eltern lebten vor ihrer Einwanderung in den 70er Jahren am schwarzen Meer. Ihre Eigenarten spielen mehrfach eine tragende Rolle in Cosars Stand-up-Geschichten. Und trotz der türkischen Prägung hört man im Deutsch des Comedians immer wieder den schwäbischen Akzent durchschimmern. Damit spielt der 40jährige sehr lebhaft.
Das Programm dauerte locker 2,5 Stunden mit einer 20minütigen Pause. Bis zum Ende hin hatte sich Özcan Cosar sichtlich verausgabt. Er wollte alles geben und brauchte dafür weder ein aufwändiges Bühnenbild noch technische Effekte. Humor, Schauspiel, Tanz, Bewegung, Spontanität und Kreativität reichen völlig. Dazu ein recht junges Publikum, das sich aus allerlei nationalen Hintergründen zusammensetzt und sich trotzdem in Cosars Erzählungen wiederfindet.
Zunächst geht es natürlich um den Kulturschock Deutschland vs. Türkei. Wo sind die Unterschiede, wenn Özcan eine Frage stellt? Deutsche zeigen artig auf, Türken klatschen wie wild drauf los. Ausländer aller Art bekamen ihr Fett weg. Albaner, Syrer, Rumänen – für jeden hatte der Komiker lieb gemeinte Worte der klischeehaften Einordnung. Es drehte sich um das Schauen von Horrorfilmen, um divergentes Beleidigen, um Verschwörungstheorien („Nikolaus war Türke“), um antiautoritäre Erziehung und um die Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen („Mein Kindersitz war meine Oma“). Zum Ende der ersten Halbzeit wurde ein Merksatz von ganz am Anfang klar: Wenn das Licht ausgeht, lachen wir alle gleich!
Nach der Pause gab es eine kurze Irritation, weil der Funksender nicht funktionierte. Özcan machte eine große Show aus dem kleinen Missgeschick und hatte direkt wieder alle Lacher auf seiner Seite. Jetzt drehten sich Cosars Anekdoten um das Nachtleben und die Jagd nach Frauen. Plötzlich waren die kulturellen Unterschiede gänzlich verschwunden. In der Machtlosigkeit gegenüber Türstehern und beim hilflosen Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht sind wir doch alle gleich.
Corona war im Programm kaum ein Thema, aber die eigene Einstellung gegenüber Krankheiten („Ich bin Hypochonder total, meine Frau heißt Sagrotan“). Haarklein erzählte der Comedian von einer Hand-OP mit allen Irrungen und Wirrungen. In der schauspielerischen Leistung war dies der Höhepunkt des Abends. Und Türken im Erste-Hilfe-Kurs dienten als lustiges Anschauungsobjekt.
Ganz zum Schluss echauffierte Özcan Cosar sich mehr als ausgiebig über die Macht der Frauen in allen Kulturen – so wortgewandt, aggressiv und larmoyant, das man ihm kaum folgen konnte. Und plötzlich wurde es ernst und er verurteilte vehement jede Gewalt gegenüber Frauen. Ein nachdenklicher Abschluss eines großartigen Abends.
Das Publikum war aus dem Häuschen und Özcan durfte im Zugabenteil seinen Freund und Kollegen Chris Tall im Publikum begrüßen, der extra den Weg nach Trier auf sich genommen hatte, um eine der wenigen nicht gecancelten Shows zu genießen. Vermutlich brauchte auch er nach 20 langen Monaten das Gefühl einer sich steigernden Show und eines mitgehenden Publikums. Die 200 Menschen in der Europahalle waren jedenfalls der Traum jedes Stand-up-Artisten. Von Anfang an mit im Boot und mit stehendem Applaus zum Abschied.
Die neuen Corona-Regeln des Saarlands hätten dem Konzert von JEREMIAS im Kleinen Klub der Garage Saarbrücken fast einen Strich durch die Rechnung gemacht, gilt doch dort just seit dem 20.11. die 2G+ Regelung für Clubs und Discotheken. Es war also erforderlich, dass alle Zuschauer sich trotz ihrem Status als „geimpft oder genesen“ auch noch ein tagesaktuelles negatives Testzertifikat besorgen. Zum Glück wurde das frühzeitig kommuniziert und es gab auch beim Einlass keine Probleme. Ein Testcenter befindet sich direkt in der Garage mit separatem Eingang – also alles safe für das Event.
Trotz der kurzfristigen Regelung war der Kleine Klub nämlich gut gefüllt und es gab eine ausgelassene Feier ohne Masken und mit hohen Sicherheitsstandards. So kann das funktionieren! Das Publikum war recht jung. Vor allem wohl Schüler und Studenten. Auch damit kann man bei einer Newcomerband wie JEREMIAS rechnen. Die vier Jungs aus Hannover starten gerade kräftig durch. Ich habe sie unlängst auf dem REEPERBAHN Festival gesehen, wo sie schon für Furore sorgten. Und die Clubtour – deren Abschluss man nun in Saarbrücken feierte – ist auch hervorragend gelaufen.
Den Anfang machten aber ILAYO mit elektronischem Computersound. Ein Keyboarder und eine Sängerin, die ebenfalls eine Tastatur bediente. Es gab sphärischen Gesang und bisweilen skurrile esoterische Bewegungen der Frontfrau. Dem Publikum hat’s gefallen – auch wenn die Vocals zum Ende hin manchmal ziemlich verstörend klangen. Es gab Technobeats und einen voluminösen Clubsound, der gut zur Garage passte und die Zuschauer zum Tanzen animierte. Ein gelungener Einstieg in den Abend.
JEREMIAS starteten pünktlich um 20.30 Uhr mit ihrem ganz besonderem Sound und dem Song „Paris“. Wenn eine Band aus Hannover mit einem Altersdurchschnitt von 20 Jahren angibt, Disko-Funk zu machen, muss das Posing sein. Ist es aber nicht! Die Tour war so gut wie ausverkauft und der Sound der Band ist absolut stimmig. Die Jugend lässt sich vom Label „Funk“ nicht abschrecken. Und während der Popsound auf dem Tonträger noch recht chillig klingt, ging doch live ordentlich die Post ab.
Erst im Oktober 2019 veröffentlichten JEREMIAS ihre Debüt-EP „Du musst an den Frühling glauben“. Im Corona-Sommer 2020 folgte die zweite EP. Ein Intro, vier Songs: „alma“, die spanische Bezeichnung für die Seele. Und im Mai 2021 war dann das Debütalbum „Golden Hour“ am Start. Konsequent, Zug um Zug – und der Erfolg gibt ihnen Recht.
Der Kleine Klub beherbergte ein textsicheres Publikum, das sich seit Mai alle Lyrics des Debüts drauf geschafft hatte. Zum groovenden Sound wurde lässig getanzt. Das aktuelle Album stand ganz im Vordergrund der Performance mit Stücken wie „nie ankommen“, „ich mags“, „mio“ und „einfach“. Kurze Songtitel, ordentliche Aussage. Die Indie-Pop-Band brachte das Publikum trotz aller Auflagen zum Tanzen und verwandelte den Klub in einen atmosphärischen, bisweilen mystischen Ort. Das war pures Konzertfeeling wie in alten Zeiten! Vor allem Gitarrist Oliver Sparkuhle legte sich mit seiner Performance schwer ins Zeug, auch wenn Sänger Jeremias Heimbach stets im Mittelpunkt stand. Besonders als er allein am Keyboard den neuen Song „Goldmund“ (frei nach Hermann Hesse) vortrug und für einen Gänsehautmoment sorgte.
Der reguläre Konzertteil endete nach 80 Minuten mit dem Titelsong des Albums. Aber es war das letzte Konzert der Tour, also gab es einige Überraschungen. So befand sich in der Wasserflasche des Sängers purer Gin. Und als erste Aktion der Zugabe sang die komplette zehnköpfige Crew ein a-cappella-Stück auf der Bühne. Danach wurde wieder getanzt und gefeiert bis zur Curfew um 22 Uhr. Tanzen im Circle, Stage-diving, das komplette Programm mit Teilen der Band im feierwütigen Publikum.
JEREMIAS sind unbekümmert und finden Funk geil. Ihr Sound ist tanzbar und sexy, reduziert und groovend zugleich, manchmal theatralisch. Das junge Publikum steht auf diesen handgemachten Sound. So wird vermutlich auch der nächste Tourabschnitt im März 2022 zur geilen Zeit. Zum Vormerken: 6. März 2022 in der TUFA (Tuchfabrik Trier). Der VVK ist bereits gestartet.
Die Veranstalter von Popp Concerts hatten sich dieses Wochenende in Losheim wahrlich verdient: Echte Spätsommerabende mit fantastischem Wetter und grandioser Stimmung rund um dieses wunderschöne Konzertgelände.
Popp hatten sich trotz aller Pandemie-Widrigkeiten nicht ins Bockshorn jagen lassen und wie schon im Sommer 2020 auch in 2021 einiges aufgefahren, um der Region von Trier bis ins Saarland einige an die Normalität heranreichende Konzerterlebnisse zu bieten. Ich nenne mal die unzähligen Open Airs mit namhaften Künstlern vor der Arena Trier und die Singer/Songwriter-Shows im Brunnenhof.
Jetzt war endlich wieder das idyllisch gelegene Gelände am Losheimer Strandbad zu bespielen. Es gab in der letzten Woche schon ein heimeliges Gastspiel von Alvaro Soler, das (vermutlich angestachelt durch seine Tätigkeit bei The Voice Kids) unzählige Familien mit Kindern anlockte, die das Konzert zur großen Party machten. Und auch das DJ-Spektakel „Lucky Lake“ konnte stattfinden, wobei es natürlich schwierig ist, auf Picknickdecken und mit großem Abstand in tänzerische Ekstase zu geraten.
An diesem Wochenende war das Who-is-who der Deutschrock/Deutschpop-Szene am Start: Altmeister Jan Delay, die wiederauferstandenen Jupiter Jones und Lea mit ihren melodischen Songwriter-Stücken gaben sich die Ehre.
Fotocredit: Peter Fath
Jan Delay – 2.9.2021
Jan Delay ging direkt in die Vollen und ließ es vom ersten Song an nicht zu, dass das Publikum auf den Decken saß. „Alle aufstehen! Das ist Disco No. 1 – hier wird nicht gechillt!“ Damit waren die Fronten geklärt und die Party konnte mit Stücken wie „Klar“, „Spaß“ und „Large“ starten.
Der Meister aus St. Pauli war sehr gesprächig auf der Bühne und sinnierte zunächst über diesen Sommer, in dem es schon viele Seltsamkeiten gab: „Strandkörbe, Stühle mit ganz viel Abstand – aber Picknickdecken hatten wir noch nicht.“ Der Feierstimmung tat das keinen Abbruch, schließlich heißt das neue Album „Earth, Wind & Feiern“. Von dem gab es dann auch ganz viel Material zu hören. Mit Blechbläsern und weiblichem Backgroundgesang war Einiges aufgefahren. Die formidable Lightshow tat ihr Übriges.
Jan schwelgte in Erinnerungen. Vor 20 Jahren war er am gleichen Ort bei „Rock am See“. Viele Zuschauer konnten sich erinnern. Auch 2003 mit den Beginnern war er vor Ort. Da konnte er sich die Anekdote auch nicht verkneifen, wie Thomas D auf Solotour mit dabei war und auf der Flucht vor der Polizei (weil Nacktbaden nun mal verboten war) nackt durch den ganzen See schwamm.
Fotocredit: Peter Fath
„Sie hatten alle noch nie Spaß“ widmete er der AFD und ähnlichen Gestalten – ohne damit aber deren Wirken entschuldigen zu wollen. Was stattdessen? „Wir brauchen Bass, Bass“, wie es in „Türlich, Türlich“ heißt. Das könnte helfen.
Den üblichen Dreikampf von Stopptanz (Freeze), Aus-der-Hocke-hochspringen und Wedeln mit Weste oder T-Shirt meisterte er gemeinsam mit dem Publikum. Nach 90 Minuten führte dies zum ersten Finale mit „Oh Johnny“.
„Lasst uns die Picknickdecken Richtung Erdkern treten“ hieß es zum Zugabenblock. Da gab es „Alexa“, „Eule“ und das unverwüstliche „St. Pauli“. Jan Delay und Disco No. 1 boten ein zweistündiges Konzerterlebnis vom Feinsten. Als die Lightshow ihre Wirkung entfaltete und alle am Tanzen waren, wirkte es fast wie früher. Bis auf die Tatsache, dass die ca. 1000 Zuschauer einfach massig Platz um sich rum hatten.
Jupiter Jones – 4.9.2021 / Support: Herr Marie
Support für die Eifeler Jungs war die noch sehr junge Band Herr Marie, die zum Teil aus dem Saarland stammt und in der Region Losheim probt. Gute Sache, den Debütanten diese Bühne zu bieten, denn es war wahrhaftig ihr erster Gig als Band. Dafür fuhren sie ganz groß auf, hatten drei Bläser als Verstärkung mit dabei (von denen einer mal in Losheim beheimatet war und entsprechend gefeiert wurde) und boten einen wirklich fetten Sound mit fetzigem Deutschrock. Vor allem wenn Sänger Yannick Meisberger und Gitarristin Nina Behr im Duett loslegten, waren es formidable mitreißende Songs.
Die Band wurde 2020 gegründet und konnte zu Beginn nur digital proben und eigene Songs schreiben. Als Statement zu Corona gab es einen Konjunktiv-Song nach dem Motto „Was wäre wenn“ und ganz zum Schluss erklang nach 30 kurzweiligen Minuten der Abschluss „Das Leben nach Glück“. Ich bin guter Hoffnung, dass wir von Herr Marie noch mehr hören werden, und freue mich auf das erste Album. Die ersten Songs sind im Kasten, eine Single soll noch im Herbst erscheinen und eine EP im Winter. Wir halten euch auf dem Laufenden!
Fotocredit: Herr Marie
Jupiter Jones waren auf der ersten großen Tour nach der Wiedervereinigung von Nicholas „Nicki“ Müller mit Sascha Eigner. Bei Konzertbeginn um 21 Uhr zog schon eine ordentliche Kühle vom See hoch, doch das tat der Stimmung keinen Abbruch. Mit der ersten Single nach dem Neustart „Überall waren Schatten“ ging es melodisch los. Nicki und Sascha besinnen sich wieder auf die alten Stärken von JJ: atmosphärisch dichte Songs mit intelligenten Texten zum Nachdenken.
Weiter ging es mit dem älteren Titel „Das Jahr in dem ich schlief“, als hätte man den schon im Vorgriff zur Coronazeit geschrieben. „Zuckerwasser“ wurde der Eifel gewidmet, die im Saarland ja nicht so weit entfernt ist. Jupiter Jones haben in der Region auch über Ländergrenzen hinweg immer ein Heimspiel – das war deutlich spürbar.
„Stück vom Weg“ stammt ebenfalls von der nächsten Platte, die vermutlich 2022 erscheinen wird und die man über Startnext mitfinanzieren kann. Und auch „Atmen“ ist ein ganz neuer Song für die vielen guten Menschen, die Standhaften, die den Populisten und Querdenkern entgegen treten.
Fotocredit: Peter Fath
Danach ging es in die Vergangenheit – zur prägenden Krankheit und zum Tod von Nickis Mutter, der in seiner Musik häufig mitschwingt. So entstammt „Kopf hoch & Arsch in den Sattel“ dem Zitat einer ebenfalls krebskranken Frau, die er während der Behandlung seiner Mutter kennenlernen durfte. Und zu „Still“ braucht man vermutlich nicht viele Worte zu verlieren. Es ist und bleibt der Übersong von Jupiter Jones, der stets aufs Neue zu Herzen geht.
Auch „Der wichtigste Finger einer Faust“ gehört zu den neuen Stücken. Er ist Nickis Tochter gewidmet und soll in seiner Aussage dazu führen, „dass nicht Arschlöcher Arschlöcher großziehen“. Dem kann man sich nur anschließen. Als erstes Finale gab es dann noch „Unter uns Darwinfinken“ und „Berlin“.
Der Zugabenblock begann nach 75 starken Konzertminuten. Die Malocher-Hymne „Jupp“ interpretierte Nicholas Müller allein an der Gitarre. Danach gab es mit „Auf das Leben!“ den allerersten Song aus der Karriere von Jupiter Jones, der immer noch aktuell ist „trotz Kabul, Flut und Faschisten“. Es war ein wundervoller Spätsommerabend mit den ganz großen Hymnen und beschaulichen Balladen. „ImmerFürImmer“ entließ schließlich ein Publikum in die Nacht, das sich viel von diesem Abend mit nach Hause nehmen konnte.
Fotocredit: Peter Fath
Lea – 5.9.2021 / Support: Luna
Lea konnte gleich zwei Slots füllen, die mit jeweils gut 1000 Zuschauern ausverkauft waren. Neben der großem Show am Abend gab es auch ein Nachmittagskonzert um 15 Uhr bei strahlendem Sonnenschein.
Den Anfang machte Sängerin LUNA, erst 18 Jahre alt und aus Vilshofen. Sie passte sehr gut zum musikalischen Konzept von LEA, bot sie doch ebenfalls schöne Pianostücke, wirkte aber auch cool und rockig, wenn die Band einsetzte. Das Stück „Tränenmeer“, das sie für eine verstorbene Freundin geschrieben hat, ließ das Publikum sehr andächtig werden. Ein magischer Moment. Überhaupt bot LUNA am Klavier meist überaus persönliche Stücke, bevor es dann im Wechsel mit der Band wieder lauter zuging. 2022 wird sie auf ihre erste eigene Tour gehen und auch am 8.2. in Saarbrücken und am 9.2. in Luxemburg Station machen. Termine, die man sich vormerken sollte!
Nach 25 Minuten Support begann der schnelle Umbau und LEA konnte starten. Auch sie saß fürs Intro allein am Piano, doch dann startete der große Bandsound und es gab einen Hitreigen mit „Drei Uhr nachts“ und „Leiser“. Sie packte direkt ihre größten Hits aus und brachte das Publikum zum Aufstehen und Tanzen. Es war eine zu weiten Teilen junge Hörerschaft mit vielen Kindern, die zu den bekannten Melodien wibbelten und sprangen. Schön, dass es diesen Nachmittagstermin gab und auch die Kleinen mit dabei sein konnten.
Fotocredit: Peter Fath
Lea zelebrierte ein Bad in der Menge – mit Nähe zu den Fans und doch mit Abstand zwischen den Picknickplätzen. Das ging sehr gut. Sie freute sich über zweimal 1000 Zuschauer an einem Tag (natürlich ausverkauft) und erinnerte sich an ein Konzert in Saarbrücken, 2017 im Kleinen Club der Garage, zu dem nur 4 (in Worten: vier) Leute kamen.
Überhaupt erzählte Lea viel – beispielsweise zum Hit „Sieben Stunden“. Ein Fan wollte per Mail wissen: Meinst du jetzt sieben Stunden hin und zurück oder jeweils sieben? Wären 14 Stunden nicht zuviel für eine nur einstündige Begegnung oder fehlt dem nachdenklichen Fan die nötige Romantik? Über was man sich Gedanken machen kann… Doch Lea löste auf: Es waren tatsächlich insgesamt 14 Stunden – und für diese Person würde sie das jederzeit wieder tun. Da passte doch auch ein Song wie „Wunderkerzenmenschen“.
Obwohl oft der große Bandsound von der Bühne kam, zelebrierte Lea doch viele melancholische Stücke zu sanften Keyboardklängen oder akustischer Gitarre. „Wenn du mich lässt“ war ein ganz neues Lied vom kommenden Album „Fluss“, das am 5. November erscheinen wird.
„Heimweh nach wir“ bot wunderschöne Momente – wieder allein am Piano. „110“ (ursprünglich mit Capital Bra und Samra interpretiert) wirkte auch in Leas Soloversion absolut stark. Ebenso „Schwarz“ als Feature mit Casper, eingeleitet von dem tiefgreifenden Satz „Ich trag‘ Schwarz, bis es was Dunkleres gibt“.
Fotocredit: Peter Fath
„Beifahrersitz“ gab es im Duett mit LUNA, dann das emotionale „Zu dir“ und schließlich mit Treppenhaus“ und „Okay“ zwei prägnante Songs vom aktuellen Album. Im Zugabenblock bot Lea noch den Song vom Igel und vom Stachelschwein, den sie mit 17 geschrieben und der es noch auf kein Album geschafft hat. Dass er trotzdem vor allem Kinderherzen erfreut, zeigte sich am Merchstand: Dort gab es gar Kindershirts mit den genannten Figuren.
80 Minuten Konzert waren zwar nicht abendfüllend, das sei aber entschuldigt: Immerhin war es erst Nachmittag – und es stand noch ein zweites Konzert im Nachgang an. Lea hatte auf jeden Fall mit einem kurzweiligen Set bewiesen, warum sie an der Spitze deutschsprachiger Songwriterinnen steht und sowohl die Rapszene als auch Superstar Mark Forster sich um Features mit ihr reißen. Es war ein fantastisches Konzerterlebnis zum Abschluss der Picknick Konzerte.
„Ohne uns ist’s still“: Mit diesem Slogan kämpft eine ganze Branche um Aufmerksamkeit für die derzeit prekäre Lage der Veranstaltungswirtschaft. Seit Freitag, 13. März 2020 steht aufgrund des bestehenden Veranstaltungsverbot ein ganzer Wirtschaftszweig still.
Die Aktion „Ohne uns ist’s still“ mit ihrer Fotoreihe „Kulturgesichter“ ist eine Initiative der deutschlandweiten Veranstaltungsbranche, die ihren Ursprung beim Verband der Münchner Kulturveranstalter e.V. nahm und seither in viele Städte und Regionen adaptiert wurde.
Mit „Kulturgesichter0651“ schließen sich die Trierer Initiatoren dieser gemeinsamen Aktion an und möchten damit auf die vielen Schicksale hinweisen, die in der Region hinter dem sechstgrößten deutschen Wirtschaftszweig stehen. Denn auch hier gibt es eine Vielzahl an Betroffenen und ein Ende dieser Situation ist für jene, ohne passgenauere Hilfen und Stufenpläne zur Lockerung der andauernden Veranstaltungsverbote, leider nicht in Sicht.More
Die Arena Trier war nur zur Hälfte gefüllt und mit einem schwarzen Vorhang abgetrennt. Eigentlich ein schlechtes Zeichen: Adel Tawil scheint nicht mehr so angesagt zu sein wie vor einigen Jahren, als der Übersong „Lieder“ noch in aller Munde war und er locker das Amphitheater in Deutschlands ältester Stadt füllte. Doch ist das ein Problem? Wie zum Trotz legte der Berliner Songwriter und Produzent einen fantastischen Auftritt hin und begeisterter das Trierer Publikum.
“Alles lebt” ist das dritte Album nach dem Ende von Ich + Ich. Während die bisherigen Alben sehr leichtgängig waren, experimentiert Adel jetzt mit Rap und Weltmusik und hat mit “Tu m’appelles” eine aktuelle Single mit Duettpartnerin Peachy am Start. Diese durfte dann auch das Konzert mit einem 20minütigen Set eröffnen. Auf der Bühne: Nur ein DJ am PC-Set und dazu die Sängerin, die Stücke im Stil von Namika zu Gehör brachte und mit der aktuellen Single „Sans Sousi“ endete.
Adel Salah Mahmoud Eid El-Tawil betrat schon recht früh um 20.15 Uhr die Bühne und los ging es mit einem gut zweistündigen Konzert, das voller Hits und Atmosphäre war.
Zu „Liebe to Go“ waren die Bandmitglieder hinter einem durchsichtigen Vorhang versteckt und setzten sich auf Laufbändern in verschiedene Richtungen in Bewegung. Ein sehr cooler Effekt, der dem Auftritt von Anfang an Dynamik brachte. Mit „Katsching“ fiel der Vorhang und der große Bühnenaufbau wurde auf die Bühne gefahren.
Schon an vierter Stelle gab es mit „Vom selben Stern“ ein erstes Highlight der Ich + Ich Phase, dem später auch noch das wundervolle „Stark“ folgen sollte. Seine Songs im Duett mit Annette Humpe sind nicht vergessen und wurden vom Publikum begeistert aufgenommen.
Doch auch die Solostücke entfalteten ihre Wirkung. Für „Zuhause“ brachten die Zuschauer mit ihren Handylichtern „die Welt zum leuchten“. „Ist da jemand“ wirkte als Frage in die Dunkelheit, die mit großem Jubel beantwortet wurde. Adel erzählte offen von Katastrophen in seinem Leben. Auch von einem Fehlalarm auf Hawai, der ihm 18 schreckliche Minuten bescherte, da eine Atombombe avisiert wurde. Die Panik und die Gedanken dazu inspirierten ihn zum gleichnamigen Lied.
Zu Songs wie „Wind“ hatte Adel eine hervorragende Backgroundsängerin dabei, die manche Stücke auch mit Violinen-Klängen veredelte. Das alles führte zu einem sehr atmosphärischen Konzerterlebnis – zu wechselweise lauten und ruhigen Klängen.
Sehr stark fand ich “Wohin soll ich gehen”, das sich mit den neuen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland auseinandersetzt – aus der Sicht eines Menschen, der hier von Geburt an seine Heimat hat aber fremdländisch aussieht. Adel Tawil hat das seltene Glück, über eine Stimme zu verfügen, mit der er über all diese Dinge sprechen kann und ihm die Leute zuhören. Er kann seinen Schmerz in Melodien packen und so die eigene Verletztheit verarbeiten.
„Ich will nur dass du weißt“ gab es in der Version, die man von der Band SDP featuring Adel Tawil kennt. Dicht gefolgt von der gesungenen Biographie „Lieder“, die immer noch jeder mitsingen kann. Es folgte der Ich + Ich Titel „So soll es bleiben“ und schließlich das aktuelle “Tu m’appelles”, natürlich stilecht mit Sängerin Peachy.
Zwischendurch fielen Adel zwei Kids im Publikum auf, die noch recht jung waren (10-11 Jahre alt), aber schon ordentliche Tanzmoves hinlegten. Er holte sie auf die Bühne und zog die Dance-Show gemeinsam mit ihnen durch. Großer Applaus, zumal auch noch ein Geburtstagsständchen fällig war: Einmal für Elias (eins der Kids) und für Lichtmann Ingo.
Der Zugabenblock begann gegen 22 Uhr und lieferte unter anderem „Pflaster“ (ihr wisst schon: der Song mit dem tobenden Hamster). Es war ein herausragendes Konzert, fanfreundlich mit Ausflügen des Künstlers in die Menge. Er mag den Spitzenplatz der Charts nicht mehr sicher haben, aber er versteht sein Handwerk. Und allein der Backkatalog sorgt für ein Feuerwerk an Hits.
Nachdem Wincent Weiss im Februar 2018 mit seiner Akustik-Tour noch in der kleineren Europahalle weilte und das Trierer Publikum mit einem Sitzkonzert verwöhnte (HIER unser Bericht zum Konzert in der Europahalle Trier 2018), musste jetzt die Arena dran glauben. Die fünffache Zuschauermenge mit Stehplätzen im Innenraum – ein fantastisches Liveerlebnis – eine gigantische Show. Das Publikum vereinte alle Generationen und viele Kinder freuten sich auf ihr erstes Konzerterlebnis, während die Mädelsfraktion in Windeseile die vorderen Reihen stürmte und sich dort mit Bannern und Pappschildern breit machte. Zum Glück gab es eine lange erste Reihe, denn die Produktion sah einen langen Laufsteg vor, der mitten ins Publikum führte.
Die Bühne war zu Beginn noch verhangen und kurz vor 20 Uhr startete Bengio, der Sänger/Songwriter aus Fulda. Er bot eine Mischung aus Pop und HipHop. Vor allem emotionale Songs, die er mit sanfter Stimme vortrug. Dazu durfte er ein großes Banner am Bühnenvorhang hissen, drei Instrumentalisten mitbringen und den Laufsteg für seine Performance nutzen. Das ist nicht selbstverständlich für einen Support und man sollte es Wincent hoch anrechnen, dass er Bengio diese Möglichkeit gibt. Vermutlich weiß er selbst, was eine solche Unterstützung bedeutet. Es ist gerade mal drei Jahre her, dass Max Giesinger den damals 23jährigen Wincent Weiss mit auf Tour nahm, der mit dem Radiohit „Musik sein“ erste Erfahrungen gesammelt hatte. Und damit begann das Märchen des Sängers aus Bad Oldesloe (HIER unser Bericht zum Konzert in der Garage Saarbrücken 2016).
Bengio beendete seinen 35minütigen Set mit dem Song „Irgendwas“, den er gemeinsam mit Yvonne Catterfeld aufgenommen hat und der dann doch vielen Zuschauern vage bekannt vorkam, und der aktuellen Single „Fan von dir“, die ordentlich abgefeiert wurde. Bengio war ein durchaus starker Support – und er wird bestimmt noch länger in Erinnerung bleiben.
Der Umbau dauerte bis um 21 Uhr und pünktlich ging es los mit Wincent Weiss, der sich allein mit Gitarre im vorderen Teil des Laufstegs einfand. Ein stiller, sehr heimeliger Beginn – und der perfekte Moment für erste Mitsing-Einlagen des Publikums. Doch dann ging es noch während des Songs in die Vollen und man konnte ahnen, was einen erwarten würde: Pyro mit Knalleffekt und ein Konfettiregen leiteten „Kaum erwarten“ ein. Wincent begrüßte das Publikum vom Bühnenrand, ein Hüpfer über unsere Fotografen Alexander Moell, um den ich dabei schon ein wenig Angst hatte (HIER die Konzertfotos aus Trier 2019), und wie der Blitz stand Wincent schon zum dritten Stück „Hier mit dir“ mitten in der Menge und räumte das Feld vom Mischpult her auf.
Was für eine Energie in dieser Show! Immer in Bewegung – hautnah zu den Zuschauern und voller Power beim Gesang. Dazu hatte er eine formidable Liveband mit dabei. Vor allem Gitarrist Benni Freibott ragt kongenial heraus und bietet seine eigene Instrumentalshow mit fulminanten Soli und perfekten Gesangseinlagen in den Höhen. Wer die Karriere von Wincent Weiss verfolgt hat, der sich in drei Jahren und zwei Alben vom One-Hit-Radiowunder zum Arenen füllenden Star gemausert hat, erkennt, dass dieser alles richtig macht und einen erfolgreichen Karriereplan verfolgt. Ob gewollt oder nicht – es gibt keine halben Sachen. Und diese Hammershow, die allen lange in Erinnerung bleiben wird, ist ebenso Teil dieser Erfolgsgeschichte wie ein solcher Gitarrenheld. Hinzu kommt Wincents frisches Auftreten, der hier sichtbar sein Ding macht.
Im ersten ruhigen Moment erzählte er vom lange zurückliegenden Trier-Erlebnis mit einem Freund im Südbad. Ein Raunen ob dieser Anekdote. Dann Europahalle und gleich beim dritten Besuch in der Arena. So schreibt man Trier-Geschichte. „Einmal im Leben“ tauchte die Arena wieder in Regenbogenfarben. Wincent scheint bunte Farben und Konfetti zu lieben. Bei „Unter meiner Haut“ war er schon wieder mitten unter den Fans und danke ihnen dafür, ihm schon nach zwei Alben solche Konzerte zu ermöglichen. Sehr authentisch und sympathisch.
„Weck mich nicht auf“ war dann eigentlich ein Weckruf für alle, die in emotionale Gefilde wegzudriften drohten. Rockige Power, ein Gitarrensolo, Flammenpyro bis hin zu dem Moment, in dem Wincent selbst an den Armen in Flammen stand. Das waren Show-Momente! Danach wurde es wieder ruhiger. Zunächst mit dem anklagenden „1993“ gerichtet an seinen Vater, den er nie kennen gelernt hat, dann „Herzschlag“ akustisch vorgetragen für die kleine Schwester, die er so oft vermisst, wenn er auf Tour ist. Im Glanz Tausender Handylichter waren das sehr romantische Momente. Der Akustikset auf dem Laufsteg wurde fortgeführt mit einem Medley bekannter Deutschpop-Titel wie „Chöre“, „80 Millionen“, „Holz“, „Vincent“, „Pocahontas“, „Tausend Tattoos“ und „Cordula Grün“. Spätestens bei letzterem sang die komplette Halle lautstark mit.
Im Anschluss wieder Publikum-Action: „365 Tage“ ließ alle in die Hocke gehen und auf Zuruf springend abfeiern. Zu „Was machst du nur mit mir“ konnte erst die Band auf dem Laufsteg Übungen im Synchrontanz vollziehen, bevor das Publikum zum ultimativen Stopptanz aufgefordert wurde. Es folgte Wincents erster große Hit „Musik sein“ und der Sänger kletterte (vermutlich zur Freude der Security) die eingefahrenen Tribünenwände hoch zum sitzenden Publikum. Agil und sportlich – schließlich sollte jede und jeder Anwesende ihn hautnah erleben dürfen.
Wer bis dahin noch keine Berührung ergattert hatte, durfte jetzt bei „Frische Luft“ sein Glück versuchen, als Wincent sich crowdsurfend durch die Menge bewegte. Kein Rock-Klischee, das er nicht gekonnt bediente, bis hin zu den riesigen Luftballons, die nun zum letzten Abfeiern vor dem Zugabenblock ins Publikum geschossen wurde.
Kann man diese Fete noch toppen? Als Zugabe lieferte Wincent ein Hardrock-Medley von Songs seines ersten Albums, bei dem die Instrumentalfraktion nochmal ihr ganzes Können zeigen durfte. Damit hatte er zum Schluss vermutlich sein komplettes Repertoire aus zwei Alben gespielt. Auch eine Leistung!
Die letzte emotionale Ansage ging an eine Freundin, die sich nach fünf Jahren Beziehung von ihm getrennt hatte und für die er den Song „Pläne“ geschrieben hat. Großaufnahmen zeigten ihn mit Tränen im Gesicht. Also auch an Wincent Weiss gehen die persönlichen Momente nicht spurlos vorüber. Und zum furiosen Ende der 2-Stunden-Show gab es „Feuerwerk“. Und – ja! – mit echtem Feuerwerk in der Arena. Das kontrollierte Abschießen von Feuerwerkskörpern in der Arena habe ich auch noch nicht erlebt. Ein explosives Ende einer beeindruckenden Show. Man mag sich nicht vorstellen, wie Wincent das noch steigern will. Beim nächsten Besuch in der Region wird die Arena vermutlich nicht mehr ausreichen.
Wincent Weiss – Setlist, Arena Trier, 28.11.2019
Irgendwie anders
Kaum erwarten
Hier mit dir
Einmal im Leben
Jemanden vermissen
Unter meiner Haut
Weck mich nicht auf
1993
Herzschlag
Medley (deutsche Songs)
365 Tage
Was machst du nur mit mir
Musik sein
Frische Luft
An Wunder
Im Jahr 2017 fand das „Rockaway Beach“ in Losheim am See zum ersten Mal statt. Damals konnte ich aus urlaubstechnischen Gründen nicht dabei sein – aber im zweiten Anlauf sollte es nun klappen. Braucht die Welt ein weiteres Indiepop-Punk-Festival? Auf jeden Fall, kann man nach diesem Event nur sagen. Klar, es hätten mehr Zuschauer da sein können. Schließlich fasst das Strandbad am schönen Losheimer See (wenn es ganz dicke kommt) 15.000 Zuschauer. Jetzt war das Ganze doch recht überschaubar mit geschätzten 2.000 Leuten. Doch was soll’s? Die Infrastruktur war ohnehin vorhanden, da tags drauf das Elektronik-Festival „Lucky Lake“ stattfand. Und so konnte man sich gemütlich zwischen zwei Bühnen bewegen, die tolle Atmosphäre am See genießen – und ich stelle mir vor, wie die weiter angereisten Fans dann in der Nacht auf dem Campingplatz das Lagerfeuer mit den Elektronik-Enthusiasten teilten. Das spricht doch für unbezahlbare Erlebnisse.
Das Line-up des Festivals war wieder hervorragend. Doch dazu später mehr. Einmal angekommen, freute ich mich zunächst über fehlende Parkplatzprobleme (der Seeparkplatz bietet massig Platz) und ein schönes Ambiente mit vielen Getränke-, Essens-, Süßigkeiten- und Merchandise-Ständen. Bei meiner Ankunft um 17.45 Uhr war das Festival schon seit drei Stunden dran und ich musste mir den Weg zur Second Stage suchen, auf der Fortuna Ehrenfeld ihre extravagante Indie-Show abzogen. Da fühlte man sich doch wie im Kölner Büdchen, wenn Martin Bechler die Zuhörer in blauem Altherren-Pyjama mit gelber Federboa begrüßte. Es gab einfache, sparsam instrumentierte Melodien mit ziemlich abgedrehten Texten und Ansagen. Hat Spaß gemacht.
Großes Plus des Festivals sind die zwei Bühnen, die einen Nonstop-Musikgenuss versprechen. Also schnell zur Main Stage, wo Gurr gerade ihren Soundcheck beendet hatten und auch direkt mit ihrer Mischung aus Punk und Deutschrock losfetzten. Andreya Casablanca und Laura Lee boten eine hervorragende, aber durchaus launische Show. Vor allem die Ansagen zeugten davon, dass sie sich mehr Engagement vom Publikum wünschten, das aber in den frühen Abendstunden noch nicht zur Ekstase bereit war. Egal. Sie spielten ihren Set überaus lässig runter und boten ein kurzweiliges Vergnügen.
Dann ging es zu den sphärischen Keyboardklängen von Belgrad. Das Quartett bot einen sehr elektronischen Sound mit nachdenklichen und überaus intensiven Texten. Der Sänger wirkte oft sehr vernuschelt und in sich gekehrt, hatte aber auch heiser raus gebrüllte Passagen im Postpunk-Stil zu bieten. Die Musik war nicht einfach zu konsumieren, aber durchaus ein Ohr wert.
Dann enterten FJØRT die Mainstage mit lauten, verzerrten Soundcollagen. Die Band aus Aachen wird gerne mal dem Post-Hardcore zugeordnet und so gab es oftmals hysterischen, zum teil recht energisch heraus gebrüllten Gesang. Einen glatten Sound suchte man hier vergebens. Stattdessen hörte ich emotionale Songs mit intelligenten Texten. Die vielfältigen Aussagen gegen Rechts weckten auch das Publikum auf, das jubelnd zustimmte.
Der Niederländer Tim Vantol war aus Amsterdam angereist, um im Alleingang die Second Stage für sich einzunehmen. Gegen ca. 20.30 Uhr fand er hier ein dankbares Publikum, um die Abenddämmerung einzuläuten. Es gab schnelles Gitarrenspiel und einen netten Akzent bei den Ansagen. Tim lobte dieses „Losheim am Teich“ und schaffte es, sein Publikum mit minimalen Mitteln zu begeistern. Die Tempowechsel von Akustikballaden bis hin zum Punkkracher waren schon beeindruckend.
Auf der Mainstage wartete mit Adam Angst die große Überraschung des Abends auf mich. Was für eine knallharte Performance der deutschen Punkrock-Band! Sänger Felix Schönfuss verfügt über eine geniale Stimme und eine fantastische Bühnenpräsenz. Dazu gab es deutliche Worte und verzerrte Gitarren. Der erste Headliner-Slot auf der abendlichen Mainstage war genau richtig für das Quintett. In einer grellen und hektischen Lightshow konnten wir einen Sänger bewundern, der ständig in Bewegung war und dessen Musiker die Texte häufig mit einer witzigen Schauspiel-Performance begleiteten. Das half beim Verorten der Texte, wenn man in „Wunderbar“ die Spaßgesellschaft aufs Korn nahm: „Wir glauben nicht mehr an Minister / Wir glauben lang‘ nicht mehr an Gott / Wir glauben an Helene Fischer / Und wir feiern uns kaputt.“
Beim Agieren gegen Rechts darf es auch keine Klischees geben: „Es wird uns nie peinlich sein, uns auch im Umfeld, wo alle unserer Meinung sind, gegen rechte Gewalt auszusprechen.“ Passend dazu gab es den Song von den selbsternannten „Professoren“, die abends lamentierend in der Imbissbude stehen und zu wissen glauben, wie die Ausländer unser Land verändern. Ein ebenso nachdenklicher Song wie der neue Titel „Alexa“ vom kommenden zweiten Album „Neintology“ (VÖ: 28.9.2018), der sich mit den Unbillen der selbst verordneten Überwachung durch die neuen Medien beschäftigt. Sehr schön, dass Adam Angst fast eine Stunde Raum bekamen – ein perfektes Konzert für diesen Zeitpunkt.
Nahtlos übernahmen The Baboon Show aus Schweden. Die Stockholmer Band mit der aufreizenden Frontfrau Cecilia Boström. Sie ist die perfekte Shouterin für energiegeladene Songs. Ihr Punk mit Rock’n’Roll-Attitüde ließ mich oftmals an Jennifer Rostock denken. So würde Jennifer Weist wohl klingen, wenn sie denn in englischer Sprache sänge. Dazu war Cecilia ständig in Bewegung und verdrehte vor allem den Männern im Publikum den Kopf, die sich zu fortwährenden Crowd-Surf-Attacken hinreißen ließen, um ihr näher zu kommen. Abgefahren, was sie da mit ihren teil aggressiven, teils melodiösen Songs leistete. Ein echtes Party-Highlight, bevor es dann mit dem Headliner etwas gediegener zugehen sollte.
Pünktlich um 22.40 Uhr enterten Kettcar die Mainstage. Und es war mir ein Genuss, diese Band zum ersten Mal live erleben zu dürfen. Fünf LCD-Wände nahmen das Publikum mit auf eine Videoreise durch Hamburgs Straßen, während Marcus Wiebusch mit warmer, sonorer Stimme „Trostbrücke Süd“ anstimmte. Ein atmosphärischer Song über die Verlorenen im Frühbus, der in einem skurillen Moment an der Endstation gipfelt, wenn alle verbliebenen Fahrgäste auf ihre Sitze steigen und dem Busfahrer skandieren: „Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Wie geil ist das denn? Und wie perfekt wirkt dieser Song in nächtlicher Konzertkulisse?
Das neue Album „Ich vs. wir“ stand deutlich im Mittelpunkt des Konzerts, doch auch die Klassiker kamen nicht zu kurz. „Graceland“ wurde angekündigt als „Song vom würdevollen Älterwerden“ – und das ist es auch, was Kettcar nach fünfjähriger Schaffenspause gerade tun: Aus der lauten Rockband ist eine nachdenkliche Truppe geworden, die mit ihrem Politpunk (so bezeichnet es Wiebusch gern selbst auf den Konzerten) immer noch wichtige Geschichten erzählt, den Fokus aber mehr aufs Erzählen als aufs eingängige Abfeiern legt. So kam dann auch die wichtige Erzählung „Sommer ’89“ recht früh im Set, in die Wiebusch soviel Text gelegt hat, dass er ihn gar nicht mehr singen kann, sondern in Form eines musikalischen Hörspiels (inklusive Video im Hintergrund) interpretiert und mit den Worten beschließt: „Helfen durch Zäune ist ein zutiefst menschlicher Akt.“
Dann mit „Wagenburg“ quasi der Song zum Albumtitel, vom Egoismus der sogenannten besorgten Bürger und Wir-sind-das-Volk-Brüller: „Wo Egoschweine erst alleine / Und dann zusammen, nur an sich denkend / Sich zu einem Wir verlieren“. Damit gab es genug zum Nachdenken und Kettcar ließen einen drei Songs umfassenden Emo-Block mit Liebesliedern folgen. Nicht alle mit gutem Ausgang, wie der Wochenend-Beziehungssong „48 Stunden“ zeigte, aber dann auch gemütlich und fröhlich wie im Klassiker „Balu“.
Zum Glück war der Auftritt nicht zu ernst. Großen Anteil daran hatte Bassist Reimer Bustorff, der schon beim nachmittäglichen T-Shirt-Verkauf am Merchandise fröhlich sein Bier schwenkte und jetzt zu fortgeschrittener Stunde sehr selig wirkte, wenn er vom Telefonat mit seiner Mutter erzählte, die anscheinend das „Rockaway Beach“ nicht als geeigneten Auftrittsort für Kettcar ansah, oder vom Besuch eines Eagle-Eye-Cherry-Konzerts in Hamburg vor vielen Jahren, als ein Zuschauer beim Warten auf das One-Hit-Wonder „Save Tonight“ irgendwann brüllte: „Jetzt spiel endlich deinen Scheiß-Hit und hau ab“. Man konnte seiner Konklusion nur zustimmen: „Gut, dass wir nie einen Hit hatten.“ Wiebusch nutzte die ausufernde Heiterkeit des Bassisten und überredete Reimer gar zu seiner ersten Crowd-Surf-Erfahrung. Ein Traum, dass wir diesem Ereignis beiwohnen durften.
Die Setlist will ich mal als (aus heutiger Sicht) perfekt bezeichnen. „Benzin und Kartoffelchips“ aber auch „Ankunftshalle“ sind Songs von Meer und Freiheit bzw. der rührenden Heimkehr. Selbst Wiebuschs formidabler Solosong „Der Tag wird kommen“ über einen homosexuellen Fußballstar fand seinen Platz im Set und verursachte mir Gänsehaut – wie immer, wenn ich das dazu gehörige Video sehe, das auch hier im Hintergrund ablief. Zu „Deiche“ kam punkt Mitternacht nochmal Feierstimmung auf. Dann verabschiedete sich die Band erstmals von der Bühne.
Die 2018er Tour hatte im Saarland (Garage Saarbrücken) begonnen und sollte mit diesem Spät-Festival-Auftritt auch enden. Als letztes folgte das umjubelte „Landungsbrücken raus“, das Marcus Wiebusch mit den Worten einläutete: „In Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung“. Nun hat das Strandbad Losheim zwar keinen echten Hafen zu bieten, aber ein wunderschönes Ambiente fürs Ende der Festival-Saison. Kettcar hatten einen fantastischen Auftritt hin gelegt. Hoffentlich machen sie jetzt keine lange Pause, sondern bleiben im Flow. Hoffnung habe ich auch für das „Rockaway Beach Festival“. So schön wie in 2018 soll es gerne auch die nächsten Jahre werden. Das haben sich die Veranstalter von Popp Concerts redlich verdient, die hier neben den antiken Stätten in Trier und dem Bostalsee eine weitere kultige Konzertstätte bespielen. Alle, mit denen ich während und nach der Veranstaltung gesprochen habe, waren jedenfalls begeistert.
Setlist – KETTCAR – 31.8.2018, Strandbad Losheim am See
Trostbrücke Süd
Graceland
Money Left to Burn
Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
Wagenburg
Rettung
48 Stunden
Balu
Benzin und Kartoffelchips
Auf den billigen Plätzen
Der Tag wird kommen
Ankunftshalle
Im Taxi weinen
Balkon gegenüber
Deiche
Ich danke der Academy
Kein Außen mehr
Landungsbrücken raus